Normen
31989L0665 Rechtsmittel-RL Art2 Abs1 litb;
BVergG §320;
BVergG §325 Abs2;
BVergG §331 Abs1;
BVergG §332 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;
31989L0665 Rechtsmittel-RL Art2 Abs1 litb;
BVergG §320;
BVergG §325 Abs2;
BVergG §331 Abs1;
BVergG §332 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.326,40 und somit insgesamt EUR 3.979,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Ausschreibung:
1.1. Am 23. Juli 2010 veröffentlichten die Republik Österreich (Bund) und die Bundesbeschaffung GmbH (BBG) als öffentliche Auftraggeber (im Folgenden: Auftraggeber) die Bekanntmachung zur Auftragsvergabe "Lieferung von Hygienepapier 2011; GZ 3902.01359" national im Lieferanzeiger zur Wiener Zeitung (L-476642-0720) sowie europaweit im Supplement des Amtsblattes der Europäischen Gemeinschaften (2010/S 141-217311).
Laut Bekanntmachung handelte es sich um ein offenes Verfahren, der Zuschlag sollte dem wirtschaftlich günstigsten Angebot erteilt werden.
Inhalt der Ausschreibung war der Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer über einen Lieferauftrag in zwei Losen (Los Nr. 1 Region Ost: Wien, Niederösterreich, Burgenland, Steiermark und Los Nr. 2 Region West: Oberösterreich, Salzburg, Kärnten, Tirol, Vorarlberg) mit einer Laufzeit von 36 Monaten beginnend ab dem 1. Jänner 2011 und einer einmaligen Verlängerungsoption um weitere 12 Monate.
1.2. Diese Ausschreibung wurde insgesamt viermal berichtigt (und zwar am 10. August 2010, am 25. August 2010, am 2. September 2010 und am 24. September 2010). Die Frist für den Eingang der Angebote wurde mit der dritten Berichtigung der Ausschreibung auf den 5. Oktober 2010 erstreckt.
1.3. Die Beschwerdeführerin bekundete ihr Interesse an dieser Ausschreibung durch Herunterladen der Ausschreibungsunterlagen und wurde daher auch von den Berichtigungen der Ausschreibung (per email) verständigt. Ein Angebot in diesem Vergabeverfahren legte die Beschwerdeführerin nicht.
2. Bescheid des Bundesvergabeamtes vom 3. Dezember 2010:
2.1. Mit Anträgen vom 30. August 2010 (ergänzt am 28. September 2010) bekämpfte die Beschwerdeführerin diese Ausschreibung sowie die erste, zweite und dritte Berichtigung der Ausschreibung beim Bundesvergabeamt (belangte Behörde).
Die Beschwerdeführerin stellte den Antrag, das Bundesvergabeamt möge die Ausschreibung und die erste und zweite Berichtigung der Ausschreibung (zur Gänze) für nichtig erklären.
Weiters stellte die Beschwerdeführerin den Eventualantrag, das Bundesvergabeamt möge die für die Beschwerdeführerin diskriminierenden Anforderungen in den Ausschreibungsunterlagen streichen.
Weiters stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, das Bundesvergabeamt möge die Ausschreibung und die erste, zweite und dritte Berichtigung des Auftraggebers für nichtig erklären und in eventu von der Beschwerdeführerin näher bezeichnete diskriminierende Anforderungen in den Ausschreibungsunterlagen streichen.
2.2. Mit dem beim Verwaltungsgerichtshof (zur Zl. 2011/04/0139 protokollierten) angefochtenen Bescheid vom 3. Dezember 2010 wurde der (erstgenannte) Antrag, soweit er sich auf die Ausschreibung und die zweite Berichtigung der Ausschreibung bezog, abgewiesen und, soweit er sich auf die erste Berichtigung der Ausschreibung bezog, zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Dies geschah somit nach Ablauf der (bis zum 5. Oktober 2010) verlängerten Angebotsfrist.
Dem Eventualantrag der Beschwerdeführerin wurde insoweit stattgegeben, als näher bezeichnete Inhalte der Ausschreibung in der Fassung der zweiten Berichtigung der Ausschreibung für nichtig erklärt wurden.
Die nichtig erklärten Inhalte betrafen Zusatzbezeichnungen bei den Spezifikationen für das ausgeschriebene Hygienepapier, welche nach Ansicht des Bundesvergabeamtes mangels technischer Normen nicht eindeutig gewesen seien und damit unter anderem nicht die Gleichbehandlung der Bieter gewährleisteten.
Weiters betrafen die für nichtig erklärten Teile der Ausschreibung die Festlegung eines Leitproduktes für die ausgeschriebenen Rollenhandtücher, da es sich nach Auffassung des Bundesvergabeamtes bei den Rollenhandtüchern nicht um Auftragsgegenstände handelte, die ausschließlich durch die Bezeichnung des bisher vom Auftraggeber verwendeten Produktes hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden konnten, sodass unter anderem die Gleichbehandlung der Bieter nicht gewährleistet war.
Letztlich wurden auch Festlegungen in der Ausschreibung betreffend die Mindestblattbreite der ausgeschriebenen Küchenrollen bzw. Servietten für nichtig erklärt, da das in der Ausschreibung vorgesehene Mindestmaß nicht dem üblichen Standard entspreche und keine sachlichen Gründe für das Bundesvergabeamt erkennbar gewesen und vom Auftraggeber aufgezeigt worden seien, welche dieses Mindestmaß rechtfertigten.
Darüber wurde hinaus wurde der Antrag der Beschwerdeführerin abgewiesen (Spruchpunkt II.).
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Nichtigerklärung der dritten Berichtigung der Ausschreibung wurde zurückgewiesen (Spruchpunkt III.).
Zuletzt wurden die Auftraggeber verpflichtet, der Beschwerdeführerin die von ihr für die Durchführung des Nachprüfungsverfahrens entrichteten Pauschalgebühren zu ersetzen (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte die belangte Behörde zu der im Spruchpunkt II. verfügten Nichtigerklärung von Teilen der Ausschreibung aus, sowohl die Ausschreibung als auch die zweite Berichtigung der Ausschreibung enthielten keine Mängel, die eine gänzliche Nichtigerklärung der Ausschreibung rechtfertigen würden. Trotz Nichtigerklärung von bestimmten Ausschreibungsbestimmungen sei aufgrund der verbliebenen Ausschreibung einschließlich der erfolgten vier Ausschreibungsberichtigungen weiterhin eine Ermittlung eines Bestbieters möglich.
2.3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Dieser lehnte mit Beschluss vom 29. Juni 2011, B 90/11-10, deren Behandlung ab und trat die Beschwerde mit Beschluss vom 25. Juli 2011, B 90/11-13, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Den erstgenannten Beschluss begründete der VfGH unter anderem damit, die "sich gegen § 321 Abs. 1 und 4 iVm § 2 Z 16 lit. a sublit. ii und sublit. aa Bundesvergabegesetz 2006, BGBl. I 17/2006 idF BGBl. I 15/2010, richtenden Bedenken bestehen schon deswegen nicht zu Recht, weil diese Normen in Umsetzung der Richtlinie 2007/66/EG im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge, ABl. 2007, L 335, S 31 f., und unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH zu gesondert und nicht gesondert anfechtbaren Entscheidungen sowie zur Zulässigkeit von Fristen und Präklusionsregelungen in Vergabeverfahren erlassen wurden (vgl. EuGH 12.12.2002, Rs. C-470/99 , Universale Bau; 15.5.2005, Rs. C-214/00 , Kommission gg. Spanien). Angesichts des Interesses an einem raschen Rechtsschutz im Vergabeverfahren bestehen auch unter dem Gesichtspunkt des Sachlichkeitsgebotes keine Bedenken gegen die eingangs genannten gesetzlichen Regelungen."
Die vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte Beschwerde wurde zur hg. Zl. 2011/04/0139 protokolliert.
3. Abschluss der Rahmenvereinbarung:
3.1. Bis zum Ablauf der (verlängerten) Angebotsfrist langten insgesamt fünf Angebote von fünf verschiedenen Bietern bei der vergebenden Stelle ein. Die Beschwerdeführerin legte kein Angebot.
Nach Angebotsöffnung und Abschluss der Angebotsbewertung wurde am 20. Jänner 2011 die Entscheidung, mit welchem Unternehmen die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll, an alle fünf Bieter bekanntgegeben. Diese Entscheidung blieb unbekämpft.
3.2. Der Abschluss der Rahmenvereinbarung zwischen den Auftraggebern und einem Unternehmen erfolgte am 1. Februar 2011. Dieser Abschluss wurde europaweit im Supplement des Amtsblatts der Europäischen Gemeinschaften (2011/S 27-043101) und national im Lieferanzeiger zur Wiener Zeitung (L-484878-128) bekannt gemacht.
4. Bescheid des Bundesvergabeamtes vom 11. April 2011:
4.1. Nach Abschluss dieser Rahmenvereinbarung stellte die Beschwerdeführerin am 3. März 2011 beim Bundesvergabeamt den Antrag, dieses möge feststellen, dass der Zuschlag wegen eines Verstoßes gegen das Bundesvergabegesetz nicht dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot erteilt wurde, sowie den Antrag auf Ersatz der entrichteten Pauschalgebühr.
In diesem Nachprüfungsantrag brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, nach einer Nichtigerklärung einzelner Ausschreibungsbestimmungen im offenen Verfahren nach Ablauf der Angebotsfrist sei die Ausschreibung zu widerrufen.
Für die Beschwerdeführerin habe wegen des Fehlens eines zeitgerechten Widerrufs der Ausschreibung oder einer Verlängerung der Angebotsfrist durch die Auftraggeber keine Möglichkeit bestanden, sich am Vergabeverfahren zu beteiligen.
Bei den für nichtig erklärten Ausschreibungsbestimmungen handle es sich um wesentliche Bestandteile der Ausschreibung. Das Volumen der betroffenen Positionen für beide Lose mache gemessen am Auftragswert mehr als 32 % aus.
Die Verstöße der Auftraggeber gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz seien von besonderer Qualität. Dabei berief sich die Beschwerdeführerin auf die Urteile des EuGH vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-496/99 , Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen CAS Succhi di Frutta SpA, Slg. 2004, I-03801, vom 19. Juni 2008 in der Rechtssache C-455/06 , pressetext Nachrichtenagentur GmbH gegen Republik Österreich (Bund), APA-OTS Originaltext-Service GmbH und APA Austria Presse Agentur registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung, Slg. 2008, I-04401, und vom 13. April 2010 in der Rechtssache C- 91/08 , Wall AG gegen La ville de Francfort-sur-le-Main und Frankfurter Entsorgungs- und Service (FES) GmbH, Slg. 2010, I- 02815. Wie in der angeführten Rechtsprechung des EuGH liege auch im Beschwerdefall eine wesentliche Abänderung der ursprünglichen Vergabebedingungen vor. Die Beschwerdeführerin sei seit vielen Jahren ein erfolgreiches und in Österreich führendes Unternehmen im Hygieneartikelbereich, sie sei zweimal als Bestbieter für die Auftraggeber aus vorangegangenen Vergabeverfahren hervorgegangen. Bereits mit dem Einholen der Ausschreibungsunterlagen habe die Beschwerdeführerin ihr Interesse am Vertragsabschluss bekundet. Sie habe jedoch von der Angebotslegung abgesehen und zunächst die als rechtswidrig erachteten Ausschreibungsbedingungen angefochten, um erst nach entsprechender Abänderung der Ausschreibung ein Angebot zu legen. Daher erachte sich die Beschwerdeführerin unter anderem in ihrem Recht auf Teilnahme am Vergabeverfahren verletzt.
4.2. Mit beim Verwaltungsgerichtshof (zur Zl. 2011/04/0115) angefochtenen Bescheid vom 11. April 2011 wurde der genannte Feststellungsantrag vom 3. März 2011 zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und der genannte Antrag auf Gebührenersatz abgewiesen (Spruchpunkt II.).
In der Begründung führte das Bundesvergabeamt zunächst aus, durch den Abschluss der Rahmenvereinbarung seitens der Auftraggeber liege eine Zuschlagserteilung und somit die Voraussetzung für die Einleitung eines Feststellungsverfahrens nach § 331 Abs. 1 Bundesvergabegesetz 2006 (BVergG 2006) vor.
Jedoch sei ein Feststellungsantrag nach dieser Bestimmung gemäß § 332 Abs. 5 BVergG 2006 unzulässig, sofern der behauptete Verstoß im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens nach den §§ 320 ff BVergG 2006 hätte geltend gemacht werden können. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gelte dies auch für Fälle, in denen die Rechtswidrigkeit tatsächlich in einem Nachprüfungsverfahren bereits geltend gemacht worden sei (Verweis auf die hg. Erkenntnisse vom 29. Oktober 2008, Zl. 2004/04/0093, vom 7. November 2005, Zl. 2003/04/0109, und vom 1. März 2004, Zl. 2004/04/0012). Im vorliegenden Feststellungsantrag seien dieselben Vergabeverstöße von der Beschwerdeführerin geltend gemacht worden, über die bereits mit Bescheid vom 3. Dezember 2011 rechtskräftig abgesprochen worden sei.
Auch sei dem Argument der Beschwerdeführerin nicht zu folgen, die Vergabe der Rahmenvereinbarung nach Nichtigerklärung von Teilen der Ausschreibung, aber auf Grundlage der unveränderten Angebote sei bisher nicht geltend gemacht worden, sondern ein neuer im Feststellungsantrag geltend gemachter Verstoß ("tatbestandsmäßig im Sinn von § 312 Abs. 3 Z 1 BVergG 2006"). Denn die Ermittlung des Bestbieters sei auch nach Nichtigerklärung von einzelnen Ausschreibungsbestimmungen auf Basis der übrig gebliebenen rechtmäßigen Ausschreibungsbestimmungen weiterhin möglich gewesen.
Daher sei der Feststellungsantrag nach § 332 Abs. 5 BVergG 2006 unzulässig und auch der Antrag auf Ersatz der Pauschalgebühren abzuweisen gewesen.
4.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die (zur Zl. 2011/04/0115 protokollierte) Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der die Beschwerdeführerin auf das Wesentlichste zusammengefasst vorbringt, in ihrem Feststellungsantrag ginge es genau um die Rechtsfolgen der teilweisen Nichtigerklärung der Ausschreibung mit Bescheid des Bundesvergabeamtes vom 3. Dezember 2010.
Schon aus zeitlicher Hinsicht handle es sich um unterschiedliche Rechtsverstöße. In der seinerzeitigen Nachprüfung der Ausschreibung sei es um den Inhalt der Ausschreibung gegangen, während es bei dem nunmehr im Feststellungsantrag behaupteten Verstoß um die fehlerhafte Reaktion der Auftraggeber auf die (teilweise) Nichtigerklärung der Ausschreibung ginge.
Die vorliegende Frage betreffe eine aus Sicht des Europäischen Vergaberechtsschutzes zentrale Frage: Die Beschwerdeführerin habe auf Grund diskriminierender Ausschreibungsspezifikationen von der Legung eines Angebotes abgesehen und diese Bestimmungen zulässigerweise ohne Angebotslegung bekämpft. Mit dieser Anfechtung sei die Beschwerdeführerin auch teilweise erfolgreich gewesen. Die Auftraggeber hätten diese Anfechtung jedoch negiert, indem sie der Beschwerdeführerin (oder anderen Unternehmen) die Gelegenheit genommen hätten, auf Grundlage der abgeänderten Ausschreibungsbedingungen ein Angebot zu legen, sondern sie hätte das Verfahren auf Basis der bisherigen Angebote zu Ende geführt. Damit seien zwar die diskriminierenden Ausschreibungsspezifikationen beseitigt worden, nicht jedoch die faktischen Konsequenzen, die sich aus diesen Spezifikationen für die Zusammensetzung des Bieterkreises im Vergabeverfahren ergeben hätten.
Gleichzeitig erklärte die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde, sie bringe diesbezüglich Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein und halte es zur Vermeidung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Österreich europarechtlich für geboten, dass der Verwaltungsgerichtshof effektiven Rechtsschutz gegen diese Vergaberechtsverstöße gewähre.
5. Bescheid des Bundesvergabeamtes vom 24. Mai 2011:
5.1. Zusätzlich zu dem oben (unter 4.) angeführten Feststellungsantrag stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, das Bundesvergabeamt möge feststellen, dass ein Vergabeverfahren in rechtswidriger Weise ohne vorherige Bekanntmachung durchgeführt worden sei, und möge die Nichterklärung des gesamten Vertrages, in eventu die weitestmögliche Aufhebung des Vertrages, in eventu die Verhängung von Sanktionen gemäß § 334 Abs. 7 BVergG 2006 aussprechen.
Diesen Feststellungsantrag begründete die Beschwerdeführerin im Wesentlichen damit, wegen des Fehlens eines Widerrufs der Ausschreibung oder einer Verlängerung der Angebotsfrist durch die Auftraggeber habe für die Beschwerdeführerin keine Möglichkeit bestanden, sich am Vergabeverfahren zu beteiligen.
Damit entspreche der vorliegende Fall jenen Fällen, die der EuGH in seiner Rechtsprechung (Urteile des EuGH vom 29. April 2004 "Succi di Frutta", vom 19. Juni 2008 "pressetext" und vom 13. April 2010 "Wall") entschieden habe. Nach dieser Rechtsprechung sei eine nachträgliche Änderung eines bereits abgeschlossenen Leistungsvertrages als ein rechtswidriges, weil ohne Bekanntmachung vorgenommenes, neues Vergabeverfahren anzusehen, wenn diese Änderung im Vergleich zu den ursprünglichen Bedingungen dazu führe, dass andere als die ursprünglich zugelassenen Bieter zugelassen würden oder ein erheblich abweichendes Angebot abgegeben bzw. angenommen bzw. ein anderes als das ursprünglich angenommene Angebot erlaubt werde.
5.2. Mit dem beim Verwaltungsgerichtshof (zur Zl. 2011/04/0130) angefochtenen Bescheid des Bundesvergabeamtes vom 24. Mai 2011 wurde dieser Antrag und der Antrag auf Ersatz der Pauschalgebühren abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.).
Das Bundesvergabeamt führte in der Begründung dieses Bescheides aus, die Beschwerdeführerin habe eine Feststellung nach § 312 Abs. 3 Z. 3 BVergG 2006 beantragt, somit die Feststellung, ob ein Vergabeverfahren rechtswidrigerweise ohne vorherige Bekanntmachung durchgeführt wurde.
Das vorliegende Vergabeverfahren und die Vergabe dieses Lieferauftrages seien jeweils national und europaweit bekannt gemacht worden.
Im Gegensatz zu der von der Beschwerdeführerin angeführten Rechtsprechung des EuGH sei die ex tunc wirkende Nichtigerklärung von Teilen der Ausschreibung nicht von den Auftraggebern, sondern vom Bundesvergabeamt vorgenommen worden. Folge dieser ex tunc wirkenden Nichtigerklärung sei, dass kein diesbezüglicher weiterer Handlungsbedarf beim Auftraggeber bestehe.
Dies schon deshalb, weil eine öffentliche Bekanntmachung der durch die Nichtigerklärung geänderten Ausschreibungsbestimmungen durch den Auftraggeber (gemäß § 2 Z. 16 lit. a BVergG 2006) wieder gesondert anfechtbar und damit einer neuerlichen Nachprüfung zugänglich wäre. Dieses dem System des vergaberechtlichen Rechtsschutzes widersprechende Ergebnis sei weder dem nationalen Gesetzgeber noch dem europäischen "Rechtsregime" zu unterstellen.
Mangels einer entsprechenden Verpflichtung bzw. rechtlicher Möglichkeiten zur Berichtigung der Ausschreibung oder zur Veröffentlichung der veränderten Ausschreibung durch die Auftraggeber komme eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes bzw. des Transparenzgrundsatzes durch "Nichthandeln" der Auftraggeber nicht in Betracht.
Daher handle es sich um kein Vergabeverfahren ohne vorherige Bekanntmachung, weshalb der Antrag auf Feststellung abzuweisen gewesen war.
5.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die (unter der Zl. 2011/04/0130 protokollierte) Beschwerde, in welcher die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vorbringt, die Änderung einer Ausschreibung durch eine teilweise Nichterklärung von Ausschreibungsbestimmungen sei einer nachträglichen Vertragsänderung durch den Auftraggeber gleichzuhalten.
So habe der EuGH im Urteil vom 4. Dezember 2003 in der Rechtssache C-448/01 , EVN AG und Wienstrom GmbH gegen Republik Österreich, Slg. 2003, I-14527, Randnr. 92f, entschieden, dass eine Abänderung von Ausschreibungsbestandteilen während des laufenden Vergabeverfahrens zu einer Verletzung der Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz führe. Beim Verbot der Änderung wesentlicher Vertragsbedingungen nach Vertragsabschluss ginge es um das gleiche Ziel wie bei dem Verbot von wesentlichen Änderungen während eines laufenden Vergabeverfahrens. Durch beide Arten von Änderungen würden bestimmte Bieter bevorzugt bzw. jene Bieter, welche keine Kenntnis von den Änderungen hätten, unter Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes benachteiligt.
Auch sei die öffentliche Bekanntmachung der Änderung von Ausschreibungsbestimmungen infolge einer Nichtigerklärung durch die Vergabekontrollbehörde keine anfechtbare neue Entscheidung des Auftraggebers, gehe es doch nur darum, den interessierten Unternehmen Kenntnis davon zu verschaffen, dass die Ausschreibungsbedingungen geändert wurden.
Die Auftraggeber hätten auch die Angebotsfrist rechtzeitig verlängern können.
6. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete jeweils eine Gegenschrift.
Die mitbeteiligten Parteien erstatteten ebenso Gegenschriften.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, die Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung zu verbinden. Er hat sodann erwogen:
1. Zum angefochtenen Bescheid vom 3. Dezember 2010 (Zl. 2011/04/0139):
Wesentlich ist, dass im Spruchpunkt II. dieses angefochtenen Bescheides einem Eventualantrag der Beschwerdeführerin stattgegeben wurde und gestützt auf § 325 Abs. 2 des Bundesvergabegesetzes 2006, BGBl. I Nr. 17 in der Fassung BGBl. I Nr. 15/2010 (BVergG 2006), die angefochtene Ausschreibung (in der Fassung der zweiten Berichtigung) teilweise für nichtig erklärt wurde. Die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides, mit denen die sonstigen (darüber hinausgehenden) Anträge auf Nichtigerklärung (unter anderem der gesamten Ausschreibung) bzw. Pauschalgebührenersatz zurück- bzw- abgewiesen wurden, stehen mit diesem Spruchpunkt in einem untrennbaren Zusammenhang.
Gemäß § 325 Abs. 2 BVergG 2006 kommt als Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen insbesondere auch die Streichung von für Unternehmer diskriminierenden Anforderungen hinsichtlich technischer Leistungsmerkmale sowie hinsichtlich der wirtschaftlichen oder finanziellen Leistungsfähigkeit in den Ausschreibungsunterlagen oder in jedem sonstigen Dokument des Vergabeverfahrens in Betracht.
§ 325 Abs. 2 BVergG 2006 sieht somit als Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen auch die Streichung von für Unternehmer diskriminierenden Anforderungen in den Ausschreibungsunterlagen oder in jedem sonstigen Dokument des Vergabeverfahrens vor. Eine Streichung solcher Bestimmungen, wie dies auch in Art. 2 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 89/665/EWG ausdrücklich vorgesehen ist, kommt dann nicht in Betracht, wenn danach kein Ausschreibungsgegenstand verbliebe, die Ausschreibung dadurch einen gänzlich anderen Inhalt bekäme oder ein anderer Bieterkreis angesprochen würde. In diesen Fällen wäre die gesamte Ausschreibung für nichtig zu erklären (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. April 2010, Zl. 2008/04/0077, und vom 22. Juni 2011, Zl. 2009/04/0128).
Die Beschwerdeführerin hat die vorliegende Ausschreibung im Nachprüfungsverfahren bei der belangten Behörde angefochten, selbst jedoch kein Angebot gelegt (eine solche Vorgangsweise entspricht nach der Rechtsprechung des EuGH der Richtlinie 89/665/EWG : vgl. das Urteil des EuGH vom 12. Februar 2004 in der Rechtssache C-230/02 , Grossmann Air Service, Bedarfsluftfahrtunternehmen GmbH & Co. KG gegen Republik Österreich, Slg. 2004, I-01829, Randnr. 28; vgl. aus der darauf verweisenden hg. Rechtsprechung zum Nachprüfungsverfahren das Erkenntnis vom 26. September 2012, Zl. 2008/04/0161, mwN).
Durch den bei der belangten Behörde eingelangten Nachprüfungsantrag der Beschwerdeführerin hat diese entsprechend der oben angeführten Rechtsprechung des EuGH ihr Interesse am gegenständlichen Auftrag bekundet.
Der belangten Behörde musste daher bewusst sein, dass durch die Streichung einzelner Spezifikationen in der Ausschreibung ein anderer Bieterkreis, nämlich zumindest die antragstellende Beschwerdeführerin, angesprochen wird.
Damit war aber nach der oben dargestellten Rechtslage des § 325 Abs. 2 BVergG 2006 eine Streichung dieser Spezifikationen nach dem BVergG 2006 unzulässig. Vielmehr hätte die belangte Behörde die gesamte Ausschreibung für nichtig zu erklären gehabt.
Dieser angefochtene Bescheid war daher im gesamten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
2. Zum angefochtenen Bescheid vom 11. April 2011 (Zl. 2011/04/0115):
Wesentlich ist, dass mit diesem Bescheid der Feststellungsantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 332 Abs. 5 BVergG 2006 als unzulässig zurückgewiesen wurde, weil dieselben Vergabeverstöße geltend gemacht worden seien, über die bereits mit Bescheid vom 3. Dezember 2011 angesprochen worden sei.
Gemäß § 332 Abs. 5 BVergG 2006 ist ein Antrag auf Feststellung gemäß § 331 Abs. 1 unzulässig, sofern der behauptete Verstoß im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens gemäß den §§ 320 ff hätte geltend gemacht werden können.
Mit dem Vorbringen im Feststellungsantrag, die Auftraggeber hätten nach teilweiser Nichtigerklärung ihrer Ausschreibung das Vergabeverfahren nicht auf Grund der unverändert gebliebenen Angebote fortführen und die Rahmenvereinbarung abschließen dürfen, wird durch die Beschwerdeführerin ein neuer Verstoß gegen Vergaberecht behauptet. Es geht der Beschwerdeführerin nämlich nicht um die Inhalte der Ausschreibung, sondern um das Verhalten der mitbeteiligten Auftraggeber nach der teilweisen Nichtigerklärung der Ausschreibung.
Insoweit hat die belangte Behörde der Beschwerdeführerin zu Unrecht den Unzulässigkeitstatbestand des § 332 Abs. 5 BVergG 2006 entgegengehalten.
Dieser angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Zum angefochtenen Bescheid vom 24. Mai 2011 (Zl. 2011/04/0130):
Hier ist wesentlich, dass die belangte Behörde ihre Entscheidung ausdrücklich auf die mit Bescheid vom 3. Dezember 2010 verfügte Nichtigerklärung von Teilen der Ausschreibung stützt, durch welche nach Auffassung der belangten Behörde kein weiterer Handlungsbedarf bei den mitbeteiligten Auftraggebern bestehe.
Auf Grund der mit § 42 Abs. 3 VwGG angeordneten extunc-Wirkung der nunmehrigen Aufhebung dieses Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof (vgl. zu dieser und den Auswirkungen auf ein vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren ausführlich das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2012, Zlen. 2010/04/0139 und 2012/04/0063, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) kann der Bescheid vom 24. Mai 2011 schon aus diesem Grund keinen Bestand haben.
Auch dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 6. März 2013
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