VwGH 2012/04/0020

VwGH2012/04/002018.10.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz in 1010 Wien, Stubenring 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 7. Dezember 2010, Zl. VwSen-281272/2/Kl/Pe, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (mitbeteiligte Partei:

X, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in 1090 Wien, Porzellangasse 4-6; weitere Partei: Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend), zu Recht erkannt:

Normen

ASchG 1994 §130 Abs2;
GewO 1994 §367 Z25;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;
VStG §44a Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ASchG 1994 §130 Abs2;
GewO 1994 §367 Z25;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;
VStG §44a Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Aufgrund einer Anzeige des Arbeitsinspektorats Linz leitete die Bezirkshauptmannschaft Y (BH) gegen die Mitbeteiligte ein Verwaltungsstrafverfahren ein und übermittelte ihr folgende Aufforderung zur Rechtfertigung vom 29. April 2010 (zugestellt am 5. Mai 2010; Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

"Sie haben es als verantwortliche Beauftragte der R. zu verantworten, dass wie im Zuge einer Arbeitsstättenüberprüfung in der weiteren Betriebsstätte in S. durch ein Organ des Arbeitsinspektorats Linz am 25. März 2010 festgestellt wurde, die Kassenarbeitsplätze nicht so gestaltet oder mit Einrichtungen (Spiegel o.ä.) ausgestattet waren, dass es dem Kassenpersonal möglich ist, zu Kontrollzwecken einen vollständigen Einblick in die Einkaufswagen oder -körbe zu haben, ohne die Sitzposition verändern zu müssen. Dadurch wurde die Bescheidauflage Nr. 3 der vom Arbeitsinspektorat beantragten Bescheidauflagen des Genehmigungsbescheides der Bezirkshauptmannschaft P vom 27.05.2008 (Geschäftszahl) nicht eingehalten.

Verwaltungsübertretungen nach § 367 Ziffer 25 GewO 1974, BGBl. Nr. 194/1994 i.d.F. BGBl. I Nr. 42/2008 i.V.m. § 130 Abs. 2 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz BGBl. Nr. 450/1994 i.d.F. BGBl. I Nr. 147/2006"

Mit Straferkenntnis der BH vom 27. August 2010 wurde die Mitbeteiligte mit einem gleichlautenden Spruch der Übertretung nach § 130 Abs. 2 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz schuldig erkannt und es wurde über sie eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe drei Tage) verhängt.

Über Berufung der Mitbeteiligten hob die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid das erstinstanzliche Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein.

Begründend führte sie im Wesentlichen aus, sowohl der Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses als auch der Tatvorwurf in der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 29. April 2010 als Verfolgungshandlung innerhalb der gesetzlichen sechsmonatigen Verfolgungsverjährungsfrist hätten eine wörtliche Anführung der einen Teil des Straftatbestandes bildenden Auflage Nr. 3 des Genehmigungsbescheides der BH vom 27. Mai 2008 vermissen lassen. Es sei daher nicht schon aus dem Spruch die Zuordnung des Tatverhaltens zu der Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden sei, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale möglich; deshalb entspreche der Tatvorwurf nicht dem Sprucherfordernis des § 44a Z. 1 VStG. Weil bereits die sechsmonatige Verfolgungsverjährungsfrist verstrichen sei, sei das Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren wegen eingetretener Verfolgungsverjährung gemäß § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG einzustellen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 gestützte Amtsbeschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde und Erstattung von Gegenschriften der belangten Behörde und der Mitbeteiligten in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde bringt vor, dass die eingangs dargestellte Aufforderung zur Rechtfertigung eine taugliche Verfolgungshandlung gewesen sei, die zu einer Unterbrechung der Verfolgungsverjährungsfrist geführt habe, und ist damit im Recht:

1. Gemäß § 31 Abs. 1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2 und 3 VStG) vorgenommen worden ist.

2. Verfolgungshandlung ist jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung und dergleichen), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat (§ 32 Abs. 2 VStG).

Eine Verfolgungshandlung muss eine bestimmte Verwaltungsübertretung zum Gegenstand haben; das erfordert, dass sie sich auf alle der späteren Bestrafung zugrunde liegenden Sachverhaltselemente beziehen muss (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. März 2012, Zl. 2010/07/0150, mwN, und die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2 (2000), 617, E 86 zu § 32 VStG wiedergegebene Rechtsprechung).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss der Verfolgungshandlung entnommen werden können, wegen welcher Tat sich die Verfolgung der Behörde gegen die beschuldigte Person richtet. Im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053, VwSlg. 11.894A/1985, wurde zur Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat im Sinne des § 44a lit. a (jetzt § 44a Z. 1) VStG ausgeführt, dass dieser Bestimmung nur dann entsprochen werde, wenn im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass er in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen werden. Diese Rechtsschutzüberlegungen, die auf § 44a Z. 1 VStG abstellen, sind auch bei der Prüfung der Frage anzustellen, ob eine taugliche Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG vorliegt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse jeweils vom 22. März 2012, Zl. 2010/07/0150 sowie Zl. 2010/09/0044, und vom 18. Oktober 2010, Zl. 2011/02/0281, jeweils mwN, sowie die bei Walter/Thienel, aaO, 616, E 83 zu § 32 VStG wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Aus dieser Rechtsprechung ist zusammenfassend abzuleiten, dass - entgegen der Auffassung des Amtsbeschwerdeführers - an die Verfolgungshandlung nach § 32 Abs. 2 VStG dieselben Anforderungen zu stellen sind wie an die Tatumschreibung im Spruch des Straferkenntnisses nach § 44a Z. 1 VStG.

3. Für die Verfolgungshandlung ist jedoch nicht erforderlich, dem Beschuldigten die Subsumtion der ihm angelasteten Übertretung in einer dem § 44a Z. 2 VStG entsprechenden Weise zur Kenntnis zu bringen. Demnach kommt es bei der Frage, ob eine taugliche Verfolgungshandlung gemäß § 32 Abs. 2 VStG innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist gesetzt wurde, auch nicht auf die richtige rechtliche Qualifikation der zur Last gelegten strafbaren Handlung an, sondern darauf, dass sich der gegen den Beschuldigten gerichtete Tatvorwurf auf alle wesentlichen Sachverhaltselemente bezogen hat und diese eine richtige Subsumtion zuließen (vgl. dazu etwa die bei Walter/Thienel, aaO, 620, E 107ff zu § 32 VStG wiedergegebene hg. Rechtsprechung, insbesondere E 118 und 119).

4. Nach der im Beschwerdefall maßgeblichen Strafnorm des § 130 Abs. 2 ASchG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer als Arbeitgeber bescheidmäßige Vorschreibungen nach dem ASchG nicht einhält.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 25. Februar 2002, Zl. 2001/04/0253, auf den gleichen normativen Gehalt dieser Vorschrift und des § 367 Z. 25 GewO 1994 (danach begeht u.a. eine Verwaltungsübertretung, wer die gemäß den Bestimmungen der §§ 74 bis 83 und 359b in Bescheiden vorgeschriebenen Auflagen oder Aufträgen nicht einhält) hingewiesen und ausgeführt, dass die zu der letztgenannten Bestimmung ergangene hg. Rechtsprechung auch in Ansehung des § 130 Abs. 2 ASchG zu gelten habe.

Zu § 367 Z. 25 GewO 1994 wurde vom Verwaltungsgerichtshof erkannt, dass die im Betriebsanlagengenehmigungsbescheid in dessen Auflagen enthaltenen Gebote oder Verbote Teil des Straftatbestandes sind. Im Hinblick auf die Verzahnung zwischen dieser Vorschrift und den im Bescheid enthaltenen Geboten und Verboten bedürfe es im Spruch eines auf diese Strafnorm gestützten Straferkenntnisses einer wörtlichen Anführung der entsprechenden Auflagen, um die Zuordnung des Tatverhaltens zu der Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale zu ermöglichen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das im zitierten hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2002 angeführte hg. Erkenntnis vom 29. März 1994, Zl. 93/04/0255, und aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2005, Zl. 2005/04/0037, mwN). Nichts anderes gelte somit für ein auf § 130 Abs. 2 ASchG gestütztes Straferkenntnis (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2001/04/0253). Damit wird deutlich, dass die Auflage Teil der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift nach § 44a Z. 2 VStG ist.

Für die Anführung der Auflage kann im Übrigen nichts anderes gelten, als für die - ebenso in § 367 Z. 25 GewO 1994 - angeführten Verordnungen, deren Nichtbefolgung im ersten Teil dieser Bestimmung der Nichteinhaltung von Auflagen gleichgehalten wird. Diese Verordnungen wurden in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber bereits als verletzte Verwaltungsvorschrift nach § 44a Z. 2 VStG angesehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. September 2006, Zl. 2005/04/0073).

Auch hat der Verwaltungsgerichtshof für Fälle, in denen die Auflage eine Verweisung auf eine ÖNORM enthält, festgehalten, dass der bezogene Abschnitt der jeweiligen ÖNORM Teil des Straftatbestandes wird und daher als verletzte Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a Z. 2 VStG anzuführen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. September 1996, Zl. 95/04/0209) bzw. der entsprechende Punkt der ÖNORM als verletzte Norm gemäß § 44a Z. 2 VStG zu zitieren ist, eine Notwendigkeit, diese Untergliederung aber im Rahmen der Darstellung der Tat nach § 44a Z. 1 VStG darzustellen, aber nicht besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. September 2000, Zl. 2000/04/0121).

5. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich für den Beschwerdefall Folgendes:

Entscheidend ist, dass sich die Verfolgungshandlung auf alle der Bestrafung zugrundeliegenden Sachverhaltselemente zu beziehen hat und somit eine konkrete Tatumschreibung im Sinne des § 44a Z. 1 VStG vorliegt. Eine solche Tatumschreibung muss daher bei der Nichteinhaltung einer bescheidmäßig vorgeschriebenen Auflage - wie sie in § 130 Abs. 2 ASchG unter Strafe gestellt wird - neben dem Umstand, dass eine (mit der Untergliederung jenes Bescheides, in dem die in Rede stehende Auflage vorgeschrieben wurde, konkret zu bezeichnende) Auflage nicht eingehalten wurde, konkret alle Handlungen oder Unterlassungen anführen, durch welche die Auflage nicht eingehalten wurde. Die vollständige Anführung der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift und damit auch die wörtliche Anführung der nicht erfüllten Auflage des Genehmigungsbescheides ist jedoch zur Bejahung einer tauglichen Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG nicht erforderlich.

6. Im gegenständlichen Fall lautet die über Antrag des Arbeitsinspektorats in den Genehmigungsbescheid der BH vom 27. Mai 2008 aufgenommene Auflage Nr. 3 wie folgt:

"Durch entsprechende Gestaltung der Kassenarbeitsplätze muss dem Kassenpersonal zu Kontrollzwecken ein vollständiger Einblick in die Einkaufswagen und -körbe möglich sein, ohne dass die übliche Arbeitshaltung beim Kontrollieren wesentlich verändert werden muss. Dies kann z.B. durch Anbringen eines Spiegels, durch die Einkaufswagengestaltung, durch Einbau von Glaselementen usw. erfolgen."

In der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 29. April 2010 wurden der Tatort und die Tatzeit präzisiert und es wurde der Tatvorwurf gegen die Mitbeteiligte unter Bezugnahme auf sämtliche Tatbestandselemente der (auch ausdrücklich angeführten) Auflage Nr. 3 des Genehmigungsbescheides konkretisiert. Die Verfolgungshandlung war aus diesem Grund geeignet, die Verjährung zu unterbrechen.

Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 18. Oktober 2012

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