VwGH 2010/21/0049

VwGH2010/21/004929.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und den Hofrat Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde 1. des R, und 2. der Z, beide in L, beide vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich je vom 29. Dezember 2009, 1.) Zl. VwSen-231063/3/Fi/MZ/Ga (hg. Zl. 2010/21/0049), 2.) Zl. VwSen-231064/3/Fi/MZ/Ga (hg. Zl. 2010/21/0050), jeweils betreffend Bestrafung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
EMRK Art8;
VStG §6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
EMRK Art8;
VStG §6;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnissen der Bundespolizeidirektion Linz vom 3. September 2009 wurde den - seit 1999 in Österreich aufhältigen -

beschwerdeführenden Parteien jeweils zur Last gelegt, sie hätten sich als Fremde im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG (nach rechtskräftigem Abschluss ihrer Asylverfahren) seit dem 27. September 2008 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, weil sie weder über einen Einreise- oder Aufenthaltstitel noch über eine sonstige - näher umschriebene - Aufenthaltsberechtigung verfügt hätten. Sie hätten dadurch § 120 Abs. 1 Z 2 FPG iVm § 31 Abs. 1 Z 1 bis 4 und 6 FPG verletzt und würden deshalb gemäß § 120 Abs. 1 Z 2 FPG jeweils zu einer Geldstrafe in Höhe von EUR 80,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden) verurteilt.

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die dagegen erhobenen Berufungen ab und bestätigte die erstinstanzlichen Straferkenntnisse. Weiters verpflichtete sie die beschwerdeführenden Parteien zur Zahlung eines Beitrags zu den Kosten des Berufungsverfahrens.

Begründend führte sie im Wesentlichen - in beiden Bescheiden gleichlautend - aus, dass der objektive Tatbestand des unrechtmäßigen Aufenthaltes, wie auch die beschwerdeführenden Parteien in den Berufungen eingeräumt hätten, zweifellos erfüllt sei. Die beschwerdeführenden Parteien hätten auch schuldhaft - und zwar vorsätzlich - gehandelt, weil sie die Übertretung "zumindest billigend in Kauf genommen" hätten. Daran vermöge auch die Antragstellung nach § 44 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG nichts zu ändern. § 44b Abs. 3 NAG normiere ausdrücklich, dass Anträge gemäß §§ 43 Abs. 2 sowie 44 Abs. 3 und 4 kein Aufenthalts- oder Bleiberecht nach diesem Bundesgesetz begründen. Die Strafbarkeit der beschwerdeführenden Parteien sei daher gegeben.

Die verhängte Strafe sei auch tat- und schuldangemessen. Ein Absehen von der Bestrafung gemäß § 21 VStG komme schon mangels Geringfügigkeit des Verschuldens nicht in Betracht. Das tatbildmäßige Verhalten der beschwerdeführenden Parteien sei gerade nicht in dem dafür notwendigen Ausmaß hinter dem in der Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt zurückgeblieben. Aus staatlicher Sicht bestehe ein hohes Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften im Hinblick auf den Schutz der öffentlichen Ordnung; diesem Interesse sei durch die gegenständlichen Verwaltungsübertretungen vorsätzlich zuwidergehandelt worden.

Über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die beschwerdeführenden Parteien bringen im Wesentlichen vor, dass ihre Antragstellung nach § 44 Abs. 3 NAG, die am 17. Dezember 2009 zur Erteilung der begehrten humanitären Aufenthaltstitel geführt habe, der Bestrafung entgegengestanden wäre.

Damit zeigen die beschwerdeführenden Parteien im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:

Die belangte Behörde hat weder festgestellt, dass die beschwerdeführenden Parteien bereits - unter Vornahme einer Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK - rechtskräftig ausgewiesen worden seien und sich die für die Beurteilung nach Art. 8 EMRK maßgeblichen Umstände seither nicht geändert hätten, noch im Rahmen einer Vorfragenbeurteilung selbst die gebotene Interessenabwägung im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Ausweisung vorgenommen. Hätte sich ergeben, dass eine (hypothetische) Ausweisung der beschwerdeführenden Parteien im Tatzeitraum nicht gerechtfertigt gewesen wäre, so hätte sich dies im Ergebnis auch auf die Strafbarkeit des inländischen Aufenthaltes gemäß § 120 Abs. 1 Z 2 FPG auswirken müssen. Denn wären auch Fremde, die derart gravierende private und familiäre Bindungen in Österreich haben, dass ihr Interesse an deren Aufrechterhaltung die entgegenstehenden öffentlichen Interessen an einer Ausweisung überwiegt, von der Strafdrohung der genannten Norm erfasst, so läge darin ein dem Gesetzgeber nicht zusinnbarer Wertungswiderspruch. Es muss daher das Vorliegen eines gesetzlichen Strafausschließungsgrundes nach § 6 VStG angenommen werden, wenn einer Ausweisung des Fremden eine zu seinen Gunsten ausfallende Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Weg steht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. November 1998, Zlen. 97/21/0085 und 98/21/0065, VwSlg. 15.002 A/1998, sowie unter Hinweis darauf das zum FPG ergangene hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2012, Zl. 2010/21/0146).

In Verkennung dieser Rechtslage hat die belangte Behörde die Zulässigkeit einer Ausweisung der beschwerdeführenden Parteien bezogen auf den in Frage stehenden Tatzeitraum ungeprüft gelassen und keine Feststellungen insbesondere zur Dauer und zu den Umständen des Aufenthalts der beschwerdeführenden Parteien im Inland sowie zu ihren näheren privaten und familiären Verhältnissen getroffen (die laut Beschwerdevorbringen letztlich dazu geführt haben, dass den beschwerdeführenden Parteien Aufenthaltstitel gemäß § 44 Abs. 3 NAG erteilt wurden, was tatbestandsmäßig voraussetzt, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist).

Damit belastete die belangte Behörde die angefochtenen Bescheide mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, sodass sie schon deswegen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben waren.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. Februar 2012

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