VwGH 2010/08/0059

VwGH2010/08/005922.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, 1. über den (zu hg. Zl. 2010/08/0059 protokollierten) Antrag des A R in A, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit-Partnerschaft in 1010 Wien, Rathausstraße 19/DG/53, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 22. Juli 2009, Zl. GS5- A-948/358-2009, betreffend Verlängerung der Pflichtversicherung gemäß § 11 Abs. 2 ASVG, und 2. über die (zu hg. Zl. 2010/08/0060 protokollierte) Beschwerde des Genannten gegen den bezeichneten Bescheid (mitbeteiligte Parteien: 1. Niederösterreichische Gebietskrankenkasse in 3100 St. Pölten, Kremser Landstraße 3,

2. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1201 Wien, Adalbert Stifterstraße 65-67, 3. Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 4. Sparkasse N in N, vertreten durch Dr. Andreas Wippel, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Triester Straße 15),

Normen

ABGB §1380;
ASVG §11 Abs2;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §49 Abs3;
VwRallg;
ZPO §204;
ABGB §1380;
ASVG §11 Abs2;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §49 Abs3;
VwRallg;
ZPO §204;

 

Spruch:

I. den Beschluss gefasst:

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

II. zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 und der viertmitbeteiligten Partei in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren der viertmitbeteiligten Partei wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der erstmitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 11. Dezember 2007 wurde ausgesprochen, dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf Krankengeld wegen Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vom 24. Juni 2006 bis 9. September 2007 im Zeitraum vom 5. Oktober 2006 bis 11. März 2007 ruhe. Das für diesen Zeitraum zu Unrecht erbrachte Krankengeld in der Höhe von EUR 13.442,80 werde zurückgefordert. Begründend führte die erstmitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, der Beschwerdeführer sei auf Grund seiner unselbständigen Erwerbstätigkeit krankenversichert. Dieses Dienstverhältnis sei vorerst mit 11. August 2006 aufgelöst worden, wobei der Beschwerdeführer vom 12. August bis 4. Oktober 2006 Anspruch auf Urlaubsabfindung gehabt habe. Der Beschwerdeführer habe sich vom 24. Juni 2006 bis 9. September 2007 im Krankenstand befunden und habe vom 5. Oktober 2006 bis 9. September 2007 das Krankengeld ausbezahlt erhalten. Nachträglich sei der erstmitbeteiligten Gebietskrankenkasse aufgrund einer Meldung des Dienstgebers bekannt geworden, dass der Beschwerdeführer vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2006 Anspruch auf Kündigungsentschädigung und vom 1. Jänner bis 11. März 2007 Anspruch auf Urlaubsabfindung habe. Gemäß § 143 Abs. 1 Z 3 ASVG ruhe der Anspruch auf Krankengeld in diesen Zeiträumen. Die zu Unrecht erbrachte Geldleistung werde gemäß § 107 Abs. 1 ASVG zurückgefordert.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Klage. Mit Beschluss des Landesgerichtes S als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. Dezember 2008 wurde das Verfahren über diese Klage bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verwaltungsverfahrens gemäß § 74 Abs. 1 ASGG unterbrochen. Hinsichtlich der Richtigkeit der Meldung des ehemaligen Dienstgebers sei ein Verfahren im Verwaltungsweg durchzuführen, welches präjudiziell für das Gerichtsverfahren sei.

Mit Bescheid der erstmitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 11. März 2009 wurde ausgesprochen, dass die infolge des vom Beschwerdeführer als Dienstnehmer der Viertmitbeteiligten bis 30. September 2006 bestehende Voll- und Arbeitslosenversicherung auf Grund des am 6. September 2007 vor dem Landesgericht W als Arbeits- und Sozialgericht geschlossenen Vergleichs bis 11. März 2007 verlängert werde.

Begründend führte die erstmitbeteiligte Gebietskrankenkasse im Wesentlichen aus, im Zuge der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses des Beschwerdeführers bei der viertmitbeteiligten Partei - es sei per 11. August 2006 die Entlassung des Beschwerdeführers ausgesprochen worden - habe der Beschwerdeführer gegen die viertmitbeteiligte Partei eine Klage beim Landesgericht W als Arbeits- und Sozialgericht eingebracht. Im Wesentlichen sei dazu vorgebracht worden, dass es sich um eine ungerechtfertigte Entlassung handle, weshalb Ansprüche auf Kündigungsentschädigung (für den Zeitraum 12. August bis 31. Dezember 2006: EUR 64.459,25), Abfertigung (EUR 136.946,32), (restliche) Ersatzleistung für Urlaub (insgesamt 50 Arbeitstage, bereits bezahlt für 37 Arbeitstage: EUR 9.830,10), und "Jubiläumsabgabe" (EUR 17.915,76) bestünden. Die Summe der derzeitigen finanziellen Ansprüche ergebe sich daher mit EUR 229.151,43, wovon ein Teilbetrag von EUR 126.441,68 fällig sei; hinsichtlich des noch nicht fälligen Teils des Abfertigungsanspruches sei ein Feststellungsbegehren gestellt worden. Weiter sei ein Feststellungsbegehren hinsichtlich Pensionsleistungen (jährlich EUR 71.614,72) gestellt worden.

In der Tagsatzung am 6. September 2007 sei folgender gerichtlicher Vergleich geschlossen worden:

"Das Dienstverhältnis des (Beschwerdeführers) ist einvernehmlich zum 30.9.2006 aufgelöst.

Die (viermitbeteiligte Partei) verpflichtet sich, (dem Beschwerdeführer) binnen 14 Tagen ab Rechtswirksamkeit dieses Vergleiches EUR 670.000,-- brutto zu bezahlen, wovon EUR 229.151,--

brutto wie in der Klage zu widmen sind.

(…)

Dieser Vergleich wird wirksam, wenn er nicht von einem der Streitteile bis zum 8.10.2007 (Einlangen bei Gericht) widerrufen wird."

Ein Widerruf sei bei Gericht nicht eingelangt. Zwischen dem Beschwerdeführer und der viertmitbeteiligten Partei sei der Vergleich aber nur teilweise umgesetzt worden, weil im Korrespondenzweg zwischen den Rechtsvertretern der Parteien folgende (außergerichtliche) Vereinbarung getroffen worden sei:

"Nach Befassung der zuständigen Gremien hat mich meine Mandantschaft nun ermächtigt, der von Ihrem Klienten gewünschten einvernehmlichen Abänderung des Vergleiches dahingehend zuzustimmen, dass sich meine Mandantschaft zur Zahlung von EUR 480.000,-- netto statt EUR 670.000,-- brutto verpflichtet. Im Übrigen bleibt der Vergleich unverändert. (...)"

"In obiger Angelegenheit bestätige ich die einvernehmliche Abänderung des Vergleichs dahingehend, dass sich Ihre Mandantin verpflichtet, anstelle von brutto EUR 670.000,-- nunmehr EUR 480.000,-- netto zu bezahlen. (...) Der Vergleich wird sohin seitens meines Mandanten nicht widerrufen."

In Umsetzung des Vergleichs habe die viertmitbeteiligte Partei eine Berichtigung der ursprünglich erstatteten Meldungen (Entlassung per 11. August 2006, Urlaubsersatzleistung bis 4. Oktober 2006) vorgenommen. Als Ende des Beschäftigungsverhältnisses sei der 30. September 2006 gemeldet worden. Darüber hinaus sei die Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2006 bis 31. Dezember 2006 sowie anschließende Urlaubsersatzleistung bis 12. März 2007 (von der erstmitbeteiligten Gebietskrankenkasse berichtigt auf 11. März 2007) und als Abmeldegrund "einverständliche Lösung" gemeldet und unter Bedachtnahme auf § 11 ASVG die Pflichtversicherung für diese Zeiträume verlängert worden. Die hieraus resultierenden Beiträge seien ordnungsgemäß mit der Kasse abgerechnet worden.

Infolge der Richtigstellung der ursprünglichen Meldungen, insbesondere durch die Verlängerung der Pflichtversicherung um Zeiten der Kündigungsentschädigung (1. Oktober bis 31. Dezember 2006) und der Urlaubsersatzleistung (1. Jänner bis 11. März 2007) sei das für den Zeitraum vom 5. Oktober 2006 (Ende des ursprünglich gemeldeten Versicherungsverhältnisses sei der 4. Oktober 2006 gewesen) bis 11. März 2007 erbrachte Krankengeld rückgefordert worden.

Dem Beschwerdeführer sei mit gerichtlichem Vergleich vom 6. September 2007 ein Betrag von EUR 670.000,-- brutto zugesprochen worden, wovon EUR 229.151,-- wie in der Klage zu widmen seien. Dieser Betrag entspreche - abgesehen von einer Abrundung - den vom Beschwerdeführer in der Klage geltend gemachten Beträgen ohne Pensionsansprüche. Durch die außergerichtliche Abänderung der Summe sei die Widmung über EUR 229.151,43 unverändert geblieben. Das Dienstverhältnis habe unbestritten per 30. September 2006 geendet. Dem Beschwerdeführer seien die bis 31. Dezember 2006 geforderte Kündigungsentschädigung sowie die geforderte Urlaubsersatzleistung zur Gänze (im Ausmaß von insgesamt 50 Arbeitstagen) zuerkannt worden. Sohin hätten die von der viertmitbeteiligten Partei erstatteten Änderungen zu den ursprünglichen Meldungen, so auch die Verlängerung der Pflichtversicherung bis zum 11. März 2007, der Rechtslage entsprochen.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Einspruch. Zwischen den Parteien des Vergleiches sei eine vereinfachte Form der Abänderung des bereits geschlossenen, aber noch widerrufbaren Vergleiches gewählt worden, nämlich durch anwaltlichen Brief und Gegenbrief. Der Vergleich sei daher nicht so zustande gekommen, wie er bei Gericht protokolliert worden sei, sondern in der abgeänderten Form laut anwaltlichem Brief und Gegenbrief. Aus dem Brief der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers gehe hervor, dass der ursprüngliche Vergleich (und dessen Widmung) insofern abgeändert worden seien, als ein Nettobetrag von EUR 480.000,-- vereinbart worden sei und "sohin alle steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Risken" bei der viertmitbeteiligten Partei liegen sollten. Eine Widmung von EUR 229.151,43 brutto könne nicht aufrecht bleiben, wenn anstelle des Bruttobetrages von EUR 670.000,-- ein Nettobetrag von EUR 480.000,-- vereinbart werde. Da der Vergleich abgeändert worden sei, habe es zu keiner Verlängerung der Pflichtversicherung kommen können, weil der Beschwerdeführer keine Kündigungsentschädigung und keine Urlaubsersatzleistung erhalten habe; verglichen worden sei primär ein in Zukunft entstehender Pensionsanspruch.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch keine Folge. Begründend führte die belangte Behörde - nach Schilderung des Verfahrensganges - im Wesentlichen aus, das Motiv für die außergerichtliche Vergleichsabänderung, "womit sohin alle steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Risken bei der (viertmitbeteiligten Partei) lägen", mute in mehrerer Hinsicht befremdend an. Es gehöre wohl zu den Pflichten von berufsmäßigen Rechtsvertretern, die ihre Rechtsvertretung ohnedies nicht unentgeltlich ausübten, dass sie sich bereits im Vorfeld eines sich anbahnenden Gerichtsvergleiches ausreichend über die sich aus dem Vergleich ergebenden Rechte, Pflichten und Risken ihrer Klienten informierten und diese Information an ihre Mandantschaft weiter geben würden, um auf diese Weise den für ihre Klienten akzeptablen Vergleichsrahmen abzustecken. Diese Informations- und Aufklärungspflicht dürfte im gegenständlichen Fall keineswegs optimal abgelaufen sein. Vielmehr erwecke die Vorgangsweise den Eindruck, dass erst nach Abschluss des gerichtlichen Vergleiches, zu dessen Abschluss weder zeitlich noch inhaltlich ein Zwang bestanden habe, Bedenken hervorgekommen seien, ob der gerichtliche Vergleich für den Beschwerdeführer tatsächlich so vorteilhaft wie offensichtlich ursprünglich angenommen sei. Die außergerichtlich abgeänderte Nettovariante habe - wie im anwaltlichen Briefverkehr "unumwunden ausgedrückt bzw. angedeutet" worden sei - offensichtlich den Zweck, die Rechtsposition des Beschwerdeführers im Sinne einer Risken- und somit einer vermutlichen Kostenabwälzung zu Lasten und somit zum Nachteil des früheren Dienstgebers bzw. in weiterer Hinsicht des zuständigen Finanzamtes und/oder der Kasse nachträglich zu verbessern.

Abgesehen davon, dass eventuell zwischenzeitig die Widerrufsfrist für den gerichtlichen Vergleich abgelaufen sei, sei völlig unverständlich, weshalb statt dessen nicht der gerichtliche Vergleich gänzlich widerrufen und die Vergleichsverhandlungen neu begonnen worden seien. Dies auch im Hinblick darauf, dass die Sozialversicherung der Parteienwillkür entzogen sei und diesbezügliche Umgehungsvereinbarungen sozialversicherungsrechtlich unwirksam seien. Sofern bei Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses offen stehende (strittige) Ansprüche des Arbeitnehmers sowohl aus beitragspflichtigen als auch aus beitragsfreien Entgeltbestandteilen bestünden, seien die Streitparteien nicht verpflichtet, die Anerkennung beitragspflichtiger vor beitragsfreien Ansprüchen zu stellen, sofern hierüber ein Vergleich geschlossen werde. Diese Dispositionsfreiheit ende aber in jenen Fällen, in welchen die im Vergleich getroffene Titulierung darauf abziele, Sozialversicherungsbeiträge zu umgehen, was einer Fehldeklaration gleichzusetzen sei.

Auch aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht bleibe trotz der nachträglichen, für den Einspruchswerber offensichtlich günstigeren Nettovereinbarung der ursprüngliche Gerichtsvergleich für die Beurteilung der festgestellten Verlängerung der Voll- und Arbeitslosenversicherung des Beschwerdeführers bis 11. März 2007 entscheidungsrelevant. Demnach sei der Vergleich "so zustande gekommen, wie er bei Gericht protokolliert wurde". Insbesondere sei die für die Sozialversicherungspflicht relevante Widmung über EUR 229.151,-- für Kündigungsentschädigung, Urlaubsersatzleistung, etc., worauf der Beschwerdeführer bei Beendigung des Dienstverhältnisses tatsächlich Anspruch gehabt habe, aufrecht geblieben. Die erstmitbeteiligte Kasse sei völlig zu Recht von den tatsächlichen Verhältnissen ausgegangen, was auch daraus hervorgehe, dass die ehemalige Dienstgeberin den gerichtlichen Vergleich auch in die Tat umgesetzt und die ursprünglich erstatteten Meldungen berichtigt habe. Gemäß der Verlängerung der Pflichtversicherung bis zum 11. März 2007 seien in der Folge auch die Beiträge von der ehemaligen Dienstgeberin des Beschwerdeführers nachentrichtet worden.

Der Bescheid enthält folgende Rechtsmittelbelehrung:

"Gegen diesen Bescheid ist die binnen zwei Wochen nach Zustellung bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (…) schriftlich, mit Telefax oder per E-Mail einzubringende Berufung zulässig. Erhebt jedoch der Sozialversicherungsträger, der den Bescheid in erster Instanz erlassen hat, Berufung, so ist diese beim Landeshauptmann von Niederösterreich einzubringen.

Die Berufung hat den Bescheid, gegen den sie sich richtet, zu bezeichnen und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten."

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung, welche mit Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 19. Februar 2010, Zl. BMASK-422601/0001- II/A/3/2009, als unzulässig zurückgewiesen wurde. Der Bundesminister führte begründend aus, Gegenstand des Verfahrens sei, ob bzw. um welchen Zeitraum sich die Pflichtversicherung des Beschwerdeführers auf Grund des gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleiches verlängert habe. Die Einspruchsbehörde habe damit eine Entscheidung nach § 11 Abs. 2 erster Satz ASVG getroffen, gegen die gemäß § 415 Abs. 1 ASVG keine Berufung zulässig sei. Eine falsche Rechtsmittelbelehrung des Landeshauptmannes eröffne aber keinen gesetzlich nicht zulässigen Rechtsmittelzug.

Der Beschwerdeführer beantragt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde; die Beschwerdefrist sei versäumt worden, weil der anzufechtende Bescheid fälschlich ein Rechtsmittel eingeräumt und die Partei dieses Rechtsmittel ergriffen habe. Gleichzeitig erhob der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Landeshauptmannes Beschwerde und beantragt, diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Die erstmitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat eine Gegenschrift erstattet und beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Die zweitmitbeteiligte Versicherungsanstalt hat erklärt, auf die Erstattung einer Gegenschrift zu verzichten.

Die viertmitbeteiligte Partei hat eine Gegenschrift erstattet und beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Die drittmitbeteiligte Partei hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist berechtigt:

Gemäß § 46 Abs. 2 VwGG ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist auch dann zu bewilligen, wenn die Beschwerdefrist versäumt wurde, weil der anzufechtende Bescheid fälschlich ein Rechtsmittel eingeräumt und die Partei das Rechtsmittel ergriffen hat. Gemäß § 46 Abs. 3 VwGG ist der Antrag beim Verwaltungsgerichtshof in den Fällen des Abs. 2 spätestens zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides zu stellen, der das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

Der Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz wurde dem Beschwerdeführer - wie vom Verwaltungsgerichtshof erhoben wurde - am 1. März 2010 zugestellt, sodass der am 15. März 2010 gestellte Wiedereinsetzungsantrag, mit dem auch die Beschwerde gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich ausgeführt wird, rechtzeitig ist. Im Hinblick auf die im Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich enthaltene Rechtsmittelbelehrung, welche entgegen § 415 Abs. 1 ASVG für den gegenständlichen Fall der Verlängerung der Versicherungspflicht gemäß § 11 Abs. 2 erster Satz ASVG die Berufung an den Bundesminister als zulässig bezeichnete, ist der Wiedereinsetzungsantrag begründet, sodass ihm - in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat - gemäß § 46 Abs. 2 VwGG stattzugeben war (vgl. den hg. Beschluss vom 11. September 2008, Zl. 2008/08/0122).

Über die Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1. Eingangs ist darauf zu verweisen, dass im Verfahren nicht strittig ist, dass der Beschwerdeführer (zuletzt) Dienstnehmer war.

§ 11 Abs. 1 und 2 ASVG (idF BGBl. I Nr. 142/2004) lauten:

"(1) Die Pflichtversicherung der im § 10 Abs. 1 bezeichneten Personen erlischt, soweit in den Abs. 2 bis 6 nichts anderes bestimmt wird, mit dem Ende des Beschäftigungs-, Lehr- oder Ausbildungsverhältnisses. Fällt jedoch der Zeitpunkt, an dem der Anspruch auf Entgelt endet, nicht mit dem Zeitpunkt des Endes des Beschäftigungsverhältnisses zusammen, so erlischt die Pflichtversicherung mit dem Ende des Entgeltanspruches.

(2) Wird ein gerichtlicher oder außergerichtlicher Vergleich über den dem Dienstnehmer nach Beendigung des Dienstverhältnisses gebührenden Arbeitslohn oder Gehalt abgeschlossen, so verlängert sich die Pflichtversicherung um den Zeitraum, der durch den Vergleichsbetrag (Pauschbetrag) nach Ausscheidung allfälliger, gemäß § 49 nicht zum Entgelt im Sinne dieses Bundesgesetzes gehörender Bezüge, gemessen an den vor dem Austritt aus der Beschäftigung gebührenden Bezügen, gedeckt ist. Die Pflichtversicherung besteht weiter für die Zeit des Bezuges einer Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung) sowie für die Zeit des Bezuges einer Kündigungsentschädigung. Die zum Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses fällig werdende pauschalierte Kündigungsentschädigung ist auf den entsprechenden Zeitraum der Kündigungsfrist umzulegen. Gebühren sowohl eine Kündigungsentschädigung als auch eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung), so ist zur Bestimmung des maßgeblichen Zeitraumes zunächst die Kündigungsentschädigung heranzuziehen und im Anschluss daran die Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung). Wird Urlaubsabfindung nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz gewährt, so ist für die Versicherung die Wiener Gebietskrankenkasse zuständig. Die Versicherung beginnt mit dem achten Tag, der auf die Zahlbarstellung durch die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse folgt. Der Dienstgeberanteil (§§ 51 und 51b) ist von der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse zu entrichten."

2. Der Beschwerdeführer macht geltend, Nettovereinbarungen seien nach Judikatur und Lehre zulässig. Ohne Zweifel seien daher auch Nettovergleiche, durch die alle steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Risken dem (ehemaligen) Dienstgeber aufgebürdet würden, zulässig. Es gehe nicht darum, Sozialversicherungsbeiträge "zu umgehen", sondern um eine geänderte Risikoverteilung zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer. Es sei unerfindlich, aus welchem Grund im angefochtenen Bescheid eine derartige Nettovereinbarung als "befremdlich" bezeichnet werde. Das Motiv, die steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Risken dem ehemaligen Dienstgeber aufzuerlegen, sei nicht verpönt. Die nachträgliche Abänderung des gerichtlichen Vergleiches habe den einzigen Zweck gehabt, die Rechtsposition des Beschwerdeführers zu Lasten und somit zum Nachteil des früheren Dienstgebers zu verbessern. Der angefochtene Bescheid gehe zu Unrecht davon aus, dem Beschwerdeführer sei mit gerichtlichem Vergleich ein Betrag von EUR 670.000,-- brutto "zugesprochen" worden. Der gerichtliche Vergleich sei noch innerhalb der Widerrufsfrist dahin abgeändert worden, dass dem Beschwerdeführer anstelle des ursprünglich vereinbarten Betrages nunmehr ein Nettobetrag von EUR 480.000,-- zukommen solle. Damit sei auch die ursprüngliche Titulierung der Beträge irrelevant. Die Pflichtversicherung des Beschwerdeführers habe daher am 30. September 2006 geendet. Als Verfahrensmangel rügt der Beschwerdeführer, dass die Verwaltungsbehörden keine Erhebungen über die Parteienabsicht gepflogen hätten. Die belangte Behörde gehe völlig unverständlicherweise von einer missbräuchlichen Gestaltung des Vergleichs aus. Dazu fehle es aber an Verfahrensergebnissen. Nettovereinbarungen seien zulässig; hinsichtlich Missbrauchs bzw. hinsichtlich der Parteienabsicht wäre ein Ermittlungsverfahren durchzuführen gewesen. Zumindest wäre die Einvernahme des Beschwerdeführers, allenfalls auch die Einvernahme der beteiligten Rechtsvertreter erforderlich gewesen.

3. Bei der Feststellung der sich aus einer vergleichsweisen Vereinbarung ergebenden Ansprüche des Arbeitnehmers ist die Behörde an den Wortlaut dieser Vereinbarung insoweit nicht gebunden, als Entgeltansprüche im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG allenfalls fälschlich als beitragsfreie Lohnbestandteile im Sinne des § 49 Abs. 3 ASVG deklariert wurden. Derartige der Beitragsvermeidung dienende Fehlbezeichnungen sind schon deshalb unwirksam, weil § 11 Abs. 2 ASVG nur die Nichtberücksichtigung von gemäß § 49 ASVG nicht zum Entgelt gehörenden Bezügen erlaubt. Es kommt daher nicht darauf an, welche Bezeichnung die Parteien im Vergleich wählen, sondern nur darauf, ob die Voraussetzungen für die Beitragsfreiheit tatsächlich vorliegen. Soweit die Feststellung der Beitragsfreiheit hinsichtlich eines bestimmten Betrages nicht möglich ist, liegt im Zweifel jedenfalls beitragspflichtiges Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG vor (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. November 2005, Zl. 2005/08/0048, mwN).

Wenn und insoweit aber die nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses noch offenen (strittigen) Ansprüche eines Arbeitnehmers tatsächlich teils aus beitragspflichtigen, teils aus beitragsfreien Entgeltbestandteilen bestehen, sind die Parteien eines darüber abgeschlossenen Vergleiches durch keine Rechtsnorm dazu verpflichtet, etwa die Anerkennung der beitragspflichtigen und nicht der beitragsfreien Ansprüche zu vereinbaren. Die Vertragsparteien sind vielmehr in der Disposition über diese Ansprüche insoweit frei, als durchaus die Leistung der beitragsfreien Ansprüche vereinbart und auf die beitragspflichtigen Gehaltsbestandteile verzichtet werden kann. In einer aus Anlass der (strittigen) Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffenen abschließenden Regelung können die Parteien des Arbeitsverhältnisses sowohl die Art seiner Beendigung vereinbaren als auch sich über an sich unverzichtbare Ansprüche vergleichen. Eine Grenze findet diese Dispositionsbefugnis jedoch, wenn etwa ein höherer Betrag an beitragsfreien Ansprüchen verglichen wurde, als gemessen an den Voraussetzungen des § 49 Abs. 3 ASVG tatsächlich zustünde (vgl. neuerlich das hg. Erkenntnis vom 16. November 2005).

Im vorliegenden Fall hatte der Beschwerdeführer nach der (von ihm als unberechtigt angesehenen) Entlassung verschiedene Ansprüche durch Klage geltend gemacht. Die Kündigungsentschädigung (für den Zeitraum 12. August bis 31. Dezember 2006), Ersatzleistung für Urlaub (insgesamt 50 Arbeitstage), Jubiläumsabgabe sowie die Abfertigung wurden mit einem in der Klage gesondert ausgewiesenen Betrag ("Summe der derzeitigen finanziellen Ansprüche") von EUR 229.151,43 geltend gemacht.

Im sodann vor Gericht geschlossenen Vergleich verpflichtete sich die viertmitbeteiligte Partei, dem Beschwerdeführer EUR 670.000,-- brutto zu bezahlen, "wovon EUR 229.151,-- brutto wie in der Klage zu widmen sind".

Unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Klage kann der Vergleich nur so verstanden werden, dass ein Teilbetrag der Vergleichssumme auf die oben angeführten, in Summe mit EUR 229.151,43 ausgewiesenen Beträge, insbesondere also auch die Kündigungsentschädigung und die Ersatzleistung für Urlaub, gewidmet wurde. Damit haben aber die Vertragsparteien bei Abschluss des Vergleiches neben der Leistung von beitragsfreien Ansprüchen (Abfertigung, § 49 Abs. 3 Z 7 ASVG) auch die Leistung beitragspflichtiger (bzw. den Zeitraum der Pflichtversicherung verlängernder) Ansprüche (§ 11 Abs. 2 ASVG: Kündigungsentschädigung, Urlaubsersatzleistung) vereinbart, was den Vertragsparteien nach dem oben Gesagten jedenfalls freistand.

Die Vertragsparteien haben kraft Privatautonomie auch das Recht, von einer einmal getroffenen Vereinbarung wieder abzugehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 1991, Zl. 90/08/0058). Der Beschwerdeführer hat sich auch unstrittig - wie aus dem Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens hervorgeht: während offener Frist für den Widerruf des vor Gericht geschlossenen Vergleiches - mit der viertmitbeteiligten Partei darauf geeinigt, dass anstelle eines Bruttobetrages von EUR 670.000,-- ein Nettobetrag von EUR 480.000,-

- zu zahlen sei (zur Zulässigkeit einer Nettolohnvereinbarung vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 3. Juli 1990, Zl. 88/08/0138, und vom 22. Dezember 2010, Zl. 2007/08/0045; vgl. auch RIS-Justiz RS 0031551).

Dass aber mit der Abänderung der Vergleichssumme von brutto EUR 670.000,-- auf netto EUR 480.000,-- auch eine Abänderung der Widmung erfolgen sollte, kann der festgestellten Korrespondenz der Parteienvertreter nicht entnommen werden. Der Vertreter der viertmitbeteiligten Partei hielt vielmehr ausdrücklich fest, dass der Vergleich im Übrigen unverändert bleibe, was vom Vertreter des Beschwerdeführers widerspruchslos bestätigt wurde. Damit blieb aber die Widmung wie im gerichtlichen Vergleich aufrecht, wenn auch (und zwar auch betreffend die Kündigungsentschädigung und der Urlaubsersatzleistung) der Bruttobetrag pauschal durch einen Nettobetrag ersetzt wurde.

Ausgehend von dieser Widmung verlängerte sich die Pflichtversicherung gemäß § 11 Abs. 2 ASVG zunächst um den Zeitraum, für den die Kündigungsentschädigung vereinbart wurde (12. August bis 31. Dezember 2006) und daran anschließend um den Zeitraum der Ersatzleistung für Urlaubsentgelt; dass dieser Zeitraum mit 11. März 2007 endet, wird in der Beschwerde nicht bestritten.

Der geltend gemachte Verfahrensmangel (unterlassene Einvernahme des Beschwerdeführers und der Parteienvertreter zur Erforschung der Parteienabsicht) liegt schon deswegen nicht vor, weil - auch in der Beschwerde - nicht behauptet wird, dass über die ohnehin von den Verwaltungsbehörden berücksichtigte Korrespondenz hinausgehend Erörterungen zwischen den Vertragspartnern über die Abänderung des gerichtlichen Vergleiches - die Widmung des Vergleichsbetrages betreffend - erfolgt seien. Dass die - dem jeweiligen Erklärungsempfänger erkennbare - Parteienabsicht anlässlich der Abänderung des gerichtlichen Vergleiches darin bestanden hat, eine (zulässige) Nettovereinbarung zu treffen, folgt bereits aus den vorliegenden Urkunden.

4. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren der viertmitbeteiligten Partei (Eingabengebühr EUR 220,--) war abzuweisen, weil § 24 Abs. 3 VwGG für Gegenschriften keine Eingabengebühr vorsieht.

Wien, am 22. Februar 2012

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