VwGH 2008/23/1134

VwGH2008/23/113424.3.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Dr. Fasching, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der N S, geboren 1948, vertreten durch Mag. Dr. Rainer Parz, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Argentinierstraße 20, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. Mai 2007, Zl. 310.955-1/4E-XVIII/59/07, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides (Ausweisung der Beschwerdeführerin nach Georgien) bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Georgien und beantragte am 8. November 2005 Asyl. In Georgien habe sie keine Unterkunft und keine Arbeit, im Falle ihrer Rückkehr müsste sie dort auf der Straße leben. In Österreich pflege sie ihren (1976 geborenen) schwer kranken Sohn.

Mit Bescheid vom 16. März 2007 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien aus (Spruchpunkt III.).

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21. Mai 2007 wies die belangte Behörde die dagegen gerichtete Berufung "gemäß §§ 7 und 8 AsylG" ab.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe keine asylrelevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention geltend gemacht. Sie käme im Falle ihrer Rückkehr nach Georgien nicht in eine aussichtslose Lage, da eine ausreichende humanitäre Grundversorgung bestehe und die Beschwerdeführerin - durch ihre in Georgien lebende Tochter und deren Familie - zudem noch über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat verfüge.

Die Ausweisung der Beschwerdeführerin nach Georgien sei ungeachtet des Bestehens eines Familienlebens zu ihrem erwachsenen Sohn in Österreich zulässig. Zur Abwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK verwies die belangte Behörde auf die entsprechenden Ausführungen des Bundesasylamtes und erklärte diese zum Inhalt des angefochtenen Bescheides. Darin wurde fallbezogen im Wesentlichen ausgeführt, es sei zwar aufgrund des Gesundheitszustandes des Sohnes der Beschwerdeführerin - dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei - von einer Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung auszugehen; es werde auch nicht der Wunsch der Beschwerdeführerin verkannt, bei ihm in Österreich zu leben. Dem stehe aber gegenüber, dass die Beschwerdeführerin illegal eingereist sei und dadurch gegen fremdenrechtliche Bestimmungen verstoßen habe und keine Möglichkeit bestehe, ihren Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren. Ihr Sohn sei erwachsen und habe sich bereits vor ihrer Einreise ein Jahr und neun Monate lang in Österreich aufgehalten, es könne nicht angenommen werden, dass er auf die Pflege durch die Beschwerdeführerin angewiesen sei und ohne sie nicht entsprechend für ihn gesorgt würde. Seine finanzielle Unterstützung sei im Rahmen der Grundversorgung gesichert, er sei also auch insofern nicht von der Beschwerdeführerin abhängig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zu I.:

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, Zl. 2002/20/0423, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ausgeführt, dass zur Beantwortung der Frage, ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso jure zu bejahenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK ein Familienleben vorliegt, jeweils auf die konkreten Umstände abzustellen ist, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und die Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind (vgl. auch die daran anschließenden hg. Erkenntnisse vom selben Tag, Zl. 2002/20/0235, vom 22. August 2006, Zl. 2004/01/0220, und vom 29. März 2007, Zlen. 2005/20/0040 bis 0042, jeweils mwH; siehe auch - mit stärkerer Betonung des Elementes der "Abhängigkeit" - die hg. Erkenntnisse vom 26. Juni 2007, Zl. 2007/01/0479, sowie vom 17. November 2009, Zl. 2007/20/0955; vgl. zum Ganzen auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Juni 2006, Zl. B 1277/04).

Die belangte Behörde hat zutreffend erkannt, dass auch die Beziehungen von Eltern zu ihren erwachsenen Kindern unter den Begriff des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK fallen können und ist in der Folge vom Vorliegen eines solchen Familienlebens zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Sohn ausgegangen. Angesichts der nicht in Zweifel gezogenen Angaben der Beschwerdeführerin, ihren Sohn praktisch rund um die Uhr zu pflegen, hegt der Verwaltungsgerichtshof dagegen ebenfalls keine Bedenken.

Ein Eingriff in das Recht auf Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK kann auch vorliegen, wenn nicht der hier aufhältige pflegebedürftige Fremde selbst außer Landes geschafft wird, sondern dessen weitere Pflege durch die Verhinderung des Verbleibs des die Pflege übernehmenden Angehörigen unmöglich gemacht wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, Zl. 2009/22/0022, mwH).

In diesem Fall erfordert Art. 8 Abs. 2 EMRK eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Ausweisung nach § 8 Abs. 2 AsylG und verlangt somit eine fallbezogene Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. März 2010, Zl. 2007/01/0537, mit weiteren Hinweisen auf die hg. Judikatur sowie die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes samt den sich daraus ergebenden - in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelten - Kriterien).

Diesen Anforderungen an die Interessenabwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK wird die belangte Behörde nicht gerecht, indem sie sich (in Form eines Verweises auf die entsprechenden Ausführungen des Bundesasylamtes) zur Begründung der Zulässigkeit des Eingriffs in das Familienleben der Beschwerdeführerin mit ihrem Sohn neben dem Hinweis auf ihre illegale Einreise allein auf den Umstand stützt, dass dessen Versorgung auch vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet gesichert gewesen sei "und daraus den Schluss zieht, es könnte demnach auch in Zukunft - etwa im Rahmen der Grundversorgung - ohne die Beschwerdeführerin für die notwendige Pflege gesorgt werden".

Ausgehend von den Angaben der Beschwerdeführerin zum Gesundheitszustand ihres Sohnes in den Einvernahmen vor dem Bundesasylamt (er brauche als Dialysepatient ständige Pflege, Diäten und Behandlung, zudem sei er taub und könne nur Lippenlesen, was ihm allerdings auf Deutsch sehr schwer falle) sowie dem Berufungsvorbringen (aufgrund seines Gesundheitszustandes sei nicht absehbar, wie lange er überhaupt noch leben werde) hätte die belangte Behörde vielmehr Feststellungen zu dessen tatsächlicher Betreuungssituation treffen und in der Folge die privaten Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib bei ihrem Sohn gegen die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung abwägen müssen.

Im Hinblick auf das Vorbringen in der Beschwerde (und der dieser angeschlossenen Befunde) kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde nach entsprechenden Feststellungen zu einem anderen Verfahrensergebnis gelangt wäre. Demnach bestehe eine besondere Betreuungsbedürftigkeit des Sohnes der Beschwerdeführerin (zusammengefasst) auf Grund einer Niereninsuffizienz und der deshalb notwendigen dreimal wöchentlichen Dialysebehandlung, einer Reihe von Begleiterkrankungen, körperlicher Schwäche und besonderer Infektionsgefährdung sowie "psychischen Reaktions- und Auto-Aggressionszuständen".

Der angefochtene Bescheid war daher in seinem Ausspruch betreffend die Ausweisung der Beschwerdeführerin nach Georgien (Bestätigung des Spruchpunktes III. des erstinstanzlichen Bescheides) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich auf die Bestätigung der Abweisung des Asylantrages der Beschwerdeführerin sowie die Refoulemententscheidung bezieht - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde in diesem Umfang abzulehnen.

Wien, am 24. März 2011

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