VwGH 2008/21/0001

VwGH2008/21/000122.3.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde der M, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 11. Dezember 2007, Zl. Fr-1496/07, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL;
62008CJ0127 Metock VORAB;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62008CJ0127 Metock VORAB;
FrPolG 2005 §53 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina, reiste am 27. September 2006 illegal nach Österreich ein und beantragte am Tag darauf die Gewährung von internationalem Schutz. Am 15. März 2007 heiratete sie den österreichischen Staatsbürger R. und unterhielt mit ihm in der Folge einen gemeinsamen Wohnsitz im Bundesgebiet. Mit unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem Bescheid vom 14. Mai 2007 wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 ab und erkannte der Beschwerdeführerin sowohl den Status einer Asylberechtigten als auch gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. den Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bosnien und Herzegowina nicht zu. In seiner Begründung führte das Bundesasylamt weiter aus, auf Grund der Eheschließung vom 15. März 2007 liege ein Familienbezug zu einem Österreicher vor. Die Ausweisung würde somit einen Eingriff in Art. 8 EMRK darstellen. Es sei daher von einer Ausweisung, "wie im § 8 Abs. 2 AsylG vorgesehen", Abstand zu nehmen.

Mit dem vorliegend angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 11. Dezember 2007 wies die belangte Behörde (Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich) die Beschwerdeführerin gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte sie - auf das im vorliegenden Zusammenhang Wesentliche zusammengefasst - aus, die Beschwerdeführerin sei Familienangehörige (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) eines Österreichers, der sein Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen habe, sie sei aber keine begünstigte Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG. Eine Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG erfordere einen rechtswidrigen Aufenthalt, der seit rechtskräftiger Abweisung des Asylantrages mit 31. Mai 2007 vorliege. Bei der Prüfung nach § 66 Abs. 1 FPG sei zu berücksichtigen, dass sich die Beschwerdeführerin seit dem 27. September 2006 im Bundesgebiet aufhalte und der Ehegatte R. und ihre Schwiegereltern in Österreich lebten. Es sei also davon auszugehen, dass die Ausweisung in ihr Privat- und Familienleben eingreife. Allerdings habe die Beschwerdeführerin durch ihren rechtswidrigen Verbleib in Österreich nach Abschluss des Asylverfahrens die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen "gebrochen", denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukomme. Die Voraussetzungen für eine Inlandsantragstellung bzw. eine Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen seien nicht gegeben. Vielmehr sei es der Beschwerdeführerin zuzumuten, zur Ermöglichung des Familiennachzuges einen entsprechenden Antrag vom Ausland aus zu stellen und dessen Erledigung dort abzuwarten. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Ehe zu einem Zeitpunkt geschlossen worden sei, als die Beschwerdeführerin "nicht mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels gesichert rechnen konnte". Die aus dem - erst seit September 2006 andauernden - Aufenthalt im Bundesgebiet ableitbare Integration sei in ihrem Gewicht durch diesen - ihr bewussten - unsicheren Aufenthaltsstatus und dadurch erheblich gemindert, dass der Aufenthalt auf Grund des sich als unbegründet erweisenden Asylantrages lediglich vorübergehend gewesen sei. Die Ausweisung sei somit trotz der familiären Anknüpfungspunkte in Österreich gemäß § 66 Abs. 1 FPG dringend zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele geboten. Es seien keine Umstände ersichtlich, die für eine Ermessensübung zu Gunsten der Beschwerdeführerin sprächen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie einer replizierenden Äußerung der Beschwerdeführerin erwogen:

Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach der Rechtslage des FPG idF des BGBl. I Nr. 99/2006 richtet.

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die Beschwerde stellt nicht in Abrede, dass das erwähnte Asylverfahren der Beschwerdeführerin beendet ist. Ihr sind auch keine Behauptungen dahin zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels (zu darauf abzielenden Anträgen der Beschwerdeführerin vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Oktober 2010, Zl. 2008/21/0564) - bei der Beschwerdeführerin vorläge. Dafür gibt es nach der Aktenlage auch keine Anhaltspunkte, sodass keine Bedenken gegen die behördliche Annahme bestehen, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall im Bescheiderlassungszeitpunkt verwirklicht gewesen.

In diesem Zusammenhang aufgetretene gleichheitsrechtliche Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. den Aussetzungsbeschluss vom 29. April 2008, Zl. 2007/21/0090) sind mittlerweile obsolet: Zwar hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ausgesprochen, dass es für die Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/38/EG keine Rolle spielt, ob Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind, bevor oder nachdem sie Familienangehörige des Unionsbürgers wurden (vgl. das Urteil des EuGH vom 25. Juli 2008, Rs Metock u.a. C-127/08 ). In der sich daraus ergebenden aufenthaltsrechtlichen Schlechterstellung von drittstaatsangehörigen Familienangehörigen von Österreichern - abhängig von der tatsächlichen Verwirklichung eines Freizügigkeitssachverhaltes durch diese - hat der Verfassungsgerichtshof allerdings auch im Licht der zitierten Judikatur des EuGH keine Unsachlichkeit erblickt (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2009, G 244/09, u.a., VfSlg. 18.968).

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG jedoch nur dann zulässig, wenn diese Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.

Zwar ist die belangte Behörde insoweit im Recht, als sie im Verhalten der Beschwerdeführerin (unrechtmäßiger Verbleib in Österreich nach Rechtskraft der Abweisung ihres Antrages auf Gewährung von internationalem Schutz) eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen gesehen hat. Auch trifft es zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt. Allerdings kommt diesem öffentlichen Interesse kein absoluter Charakter zu. Vielmehr ist zur Prüfung, ob eine Ausweisung iSd § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten ist, eine gewichtende Gegenüberstellung des erwähnten öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 2010, Zl. 2009/21/0035, mwN).

In diesem Zusammenhang ist der belangten Behörde zunächst vorzuwerfen, dass sie - ohne nähere Begründung - von einem unsicheren Aufenthaltsstatus der Beschwerdeführerin beim Eingehen ihres Familienlebens mit R. ausgegangen ist, obwohl Feststellungen zur zeitlichen Eingrenzung des Anfanges ihrer Beziehung mit dem Österreicher R. fehlen und selbst die Ehe mit R. bereits am 15. März 2007, also vor Erlassung des erwähnten Bescheides des Bundesasylamtes vom 14. Mai 2007, geschlossen wurde. Weiters fehlt jede Auseinandersetzung mit der - wenn auch nur in der Begründung des Bescheides vom 14. Mai 2007 wiedergegebenen - Ansicht des Bundesasylamtes, eine Ausweisung würde einen (unzulässigen) Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben der Beschwerdeführerin bedeuten (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2009/21/0041).

Dazu kommt, dass die Beschwerdeführerin (in ihrer an die belangte Behörde gerichteten Berufung) geltend gemacht hat, ihr Ehegatte R. sei behindert, was eine Unterstützung und Förderung durch sie notwendig mache. Dieses Vorbringen wird im angefochtenen Bescheid zur Gänze übergangen.

Ein mängelfreies Verfahren hätte die Klärung der im Einzelnen festzustellenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen des R., den Einfluss der Gegenwart der Beschwerdeführerin auf seinen Gesundheitszustand sowie Feststellungen dazu erfordert, wie erforderliche Pflegeleistungen im Fall einer Abwesenheit der Beschwerdeführerin erbracht werden könnten. Nur eine derartige Prüfung hätte das sich daraus möglicherweise ergebende Interesse der Beschwerdeführerin iSd Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar gemacht und darüber hinaus eine mängelfreie Begründung der Ermessensentscheidung ermöglicht (vgl. neuerlich das zitierte hg. Erkenntnis vom 24. Juni 2010, Zl. 2009/21/0035, mwN).

Schließlich hat sich die belangte Behörde auch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob R., dem österreichischen Ehemann der Beschwerdeführerin, ein Familiennachzug in ihr Herkunftsland Bosnien möglich und zumutbar wäre (vgl. dazu ausführlich etwa das hg. Erkenntnis vom 9. November 2010, Zl. 2009/21/0031).

Da nicht ausgeschlossen ist, dass die belangte Behörde bei mängelfreien Feststellungen zu den dargelegten Themen zu einer anderen Entscheidung hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid - ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden musste - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 22. März 2011

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