VwGH 2007/08/0181

VwGH2007/08/018119.1.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des G N in Wien, vertreten durch Dr. Rainer Pallas, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Frankgasse 1/2, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 30. März 2007, Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/05661/2006-10982, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §46 Abs5 idF 2004/I/077;
AlVG 1977 §47 Abs1;
AVG §56;
AlVG 1977 §46 Abs5 idF 2004/I/077;
AlVG 1977 §47 Abs1;
AVG §56;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 38 iVm §§ 17, 44 und 46 AlVG Notstandshilfe ab dem 16. November 2006 gebühre. Strittig ist, ob sich der Beschwerdeführer nach einer Unterbrechung des Bezugs von Notstandshilfe durch einen Krankengeldbezug tatsächlich erst am 16. November 2006 wieder bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemeldet hat.

In der Begründung stellte die belangte Behörde dazu im Wesentlichen fest, der Beschwerdeführer sei vom 25. September bis 27. Oktober 2006 als Teilnehmer einer Qualifizierungsmaßnahme zu zwei näher bezeichneten Kursen des Berufsförderungsinstitutes (BFI) Wien "eingeladen" gewesen. Er habe den Kurs angetreten, sich aber nach der ersten Kurswoche krankgemeldet. Am 18. Oktober 2006 sei er aus dem Krankenstand zurückgekehrt und habe dem Kursveranstalter eine Krankenstandsbestätigung für den Zeitraum vom 2. bis zum 17. Oktober 2006 gebracht. Der Krankengeldbezug habe vom 5. bis zum 17. Oktober 2006 gedauert. Die Krankenstandsbestätigung sei vom BFI unverzüglich an das Arbeitsmarktservice weitergeleitet worden. Dem Beschwerdeführer sei von einem Vertreter des BFI erklärt worden, dass er aufgrund seines langen Krankenstands die Kursziele vermutlich nicht mehr

erreichen werde und dass er - das Einverständnis des zuständigen

Arbeitsmarktservice-Beraters vorausgesetzt - die fehlenden Teile in einem folgenden Kurs nachholen könne. Es sei jedoch weder ein konkreter Termin dafür in Aussicht gestellt noch ein Kursabbruch vereinbart worden. Für den Kurstermin am 18. Oktober 2006 habe sich der Beschwerdeführer mit der Begründung entschuldigt, dass er zu seinem Berater beim Arbeitsmarktservice gehen müsse "da es Schwierigkeiten mit der Bezugsauszahlung gäbe". Bis zum 27. Oktober 2010 sei der Beschwerdeführer dann nicht mehr im Kurs erschienen.

Soweit der Beschwerdeführer behaupte, am 21. oder 22. Oktober 2006 in der Informationszone des Arbeitsmarktservice S zwecks elektronischer Stellensuche anwesend gewesen zu sein, reiche dies nicht für die Annahme einer persönlichen Wiedermeldung aus; zudem sei die Geschäftsstelle an diesen Tagen (Samstag und Sonntag) geschlossen gewesen. Beim Arbeitsmarktservice habe sich der Beschwerdeführer erst wieder am 16. November 2006 persönlich gemeldet.

Daher sei die in § 46 Abs. 5 AlVG verlangte persönliche Wiedermeldung nicht binnen einer Woche nach Ende des Unterbrechungs- bzw. Ruhenszeitraumes erfolgt und die Notstandshilfe habe erst wieder ab dem Tag der Wiedermeldung, dem 16. November 2006, gebührt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Nach § 16 Abs. 1 lit. a AlVG idF BGBl. Nr. 1994/25 ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld während des Bezugs von Kranken- oder Wochengeld.

§ 46 Abs. 5 AlVG idF BGBl. I Nr. 2004/77 lautet:

"(5) Wird der Bezug von Arbeitslosengeld unterbrochen oder ruht der Anspruch (§ 16), wobei der regionalen Geschäftsstelle das Ende des Unterbrechungs- oder Ruhenszeitraumes im Vorhinein nicht bekannt ist, so ist der Anspruch auf das Arbeitslosengeld oder auf den Fortbezug neuerlich persönlich geltend zu machen. Wenn der Unterbrechungs- oder Ruhenszeitraum 62 Tage nicht übersteigt, so genügt für die Geltendmachung die persönliche Wiedermeldung bei der regionalen Geschäftsstelle. Die regionale Geschäftsstelle kann die arbeitslose Person vom Erfordernis der persönlichen Vorsprache entbinden, wenn kein Zweifel an der Verfügbarkeit zur Arbeitsvermittlung besteht und keine persönliche Abklärung zur Wahrung oder Verbesserung der Vermittlungschancen erforderlich ist. Erfolgt die Wiedermeldung nicht binnen einer Woche nach Ende des Unterbrechungs- oder Ruhenszeitraumes, so gebührt das Arbeitslosengeld erst wieder ab dem Tag der Wiedermeldung."

Die genannten Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

2. Die Beschwerde macht geltend, dass dem Beschwerdeführer Notstandshilfe auch für die Zeit vom 18. Oktober bis 15. November 2006 gebühre, da der Beschwerdeführer exakt jenen Regeln bezüglich der Meldung von Krankenständen entsprochen habe, die ihm von der Kurseinrichtung mitgeteilt worden seien. Die belangte Behörde habe außerdem fälschlicherweise eine "Kontrollmeldepflichtverletzung nach dem Kursende" angenommen, da der Kurs zu dem Zeitpunkt noch überhaupt nicht beendet war. Zudem wäre gemäß § 49 Abs. 2 AlVG der Regionalbeirat anzuhören gewesen, da der Beschwerdeführer triftige Entschuldigungsgründe für das Unterlassen seiner Meldung beim Arbeitsmarktservice vorweisen hätte können.

Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, der Sachverhalt sei ergänzungsbedürftig, da die belangte Behörde kein Ermittlungsverfahren dahingehend durchgeführt habe, ob der Beschwerdeführer gewusst habe, dass er sich nach dem Kursende beim Arbeitsmarktservice melden müsse. Bei vollständiger Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der zugewiesene Kurs noch nicht beendet gewesen sei und für den Beschwerdeführer auch keine Verpflichtung zu einer Meldung beim Arbeitsmarktservice bestanden habe. Die belangte Behörde habe eine vom Beschwerdeführer beantragte Einvernahme des Teamleiters der Kurseinrichtung als Zeuge ohne Begründung nicht vorgenommen und das Parteiengehör verletzt, indem der Beschwerdeführer nicht zur persönlichen (schriftlichen) Stellungnahme des Teamleiters Stellung nehmen habe können.

3. Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid davon aus, dass es der Beschwerdeführer unterlassen hat, sich beim Arbeitsmarktservice gemäß § 46 Abs. 5 AlVG persönlich innerhalb einer Woche zu melden, nachdem - wegen des Endes des Bezuges von Krankengeld - auch ein Ende des Ruhens des Notstandshilfebezugs eingetreten war. Soweit sich die Beschwerdeausführungen daher auf eine Unterlassung der Kontrollmeldung gemäß § 49 Abs. 2 AlVG beziehen, gehen sie ins Leere, da die belangte Behörde eine derartige Verletzung der Kontrollmeldepflicht nicht angenommen hat. Für die Beurteilung, ob eine rechtzeitige Wiedermeldung gemäß § 46 Abs. 5 AlVG stattgefunden hat, ist es aber unerheblich, ob eine dem Beschwerdeführer zugewiesene Kursmaßnahme nach dem Ende des Krankengeldbezugs noch weiter andauern sollte, sodass die belangte Behörde auch nicht verhalten war, diesbezüglichen Beweisanträgen des Beschwerdeführers zu folgen oder weitere Ermittlungen zu führen.

Es wird in der Beschwerde nicht behauptet, dass sich der Beschwerdeführer, wie in § 46 Abs. 5 AlVG vorgesehen, innerhalb einer Woche nach Ende des Krankengeldbezugs persönlich beim Arbeitsmarktservice gemeldet hätte oder dass dem Arbeitsmarktservice das Ende des Ruhenszeitraums im Vorhinein bekannt gewesen wäre oder die regionale Geschäftsstelle den Beschwerdeführer vom Erfordernis der persönlichen Vorsprache entbunden hätte; auch der vorgelegte Verwaltungsakt bietet dafür keine Anhaltspunkte. Der belangten Behörde kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie von einer verspäteten Wiedermeldung des Beschwerdeführers ausgegangen ist. Es kann in diesem Zusammenhang offenbleiben, ob es rechtlich von Relevanz ist, dass - wie der Beschwerdeführer behauptet hat - Teilnehmern an Kursen und Schulungen mitgeteilt wird, sie hätten ihre (Wieder-)Meldungen nicht beim AMS sondern beim Träger des Kurses zu erstatten, weil dieser während der Kursteilnahme "für sie zuständig" sei. Der Beschwerdeführer hat nämlich unbestrittenermaßen unmittelbar nach Beendigung seines Krankenstandes die Kursteilnahme - aus welchen Gründen auch immer -

beendet und war daher schon aus diesem Grunde verpflichtet, die erforderliche Wiedermeldung bei der regionalen Geschäftsstelle durchzuführen.

4. Dennoch erweist sich die Beschwerde als berechtigt:

Der Beschwerdeführer verweist in der Beschwerde - wie bereits in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid - auf die ihm zugegangene Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice S vom 15. November 2006, in der ihm der Anspruch auf Notstandshilfe bereits beginnend ab dem 18. Oktober 2006 zuerkannt worden sei. Ungeachtet dessen habe die belangte Behörde in der Folge einen "weiteren Bescheid" erlassen, der vom ursprünglichen normativen Inhalt (gemeint: der Mitteilung vom 15. November 2006) abgewichen sei.

Dazu ist festzuhalten, dass der Mitteilung nach § 47 Abs. 1 AlVG, aus der insbesondere Beginn, Ende und Höhe des Leistungsanspruchs hervorzugehen hat, zwar kein Bescheidcharakter zukommt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 7. Juli 1992, Zl. 92/08/0018 und vom 22. September 2004, Zl. 2003/08/0154), dass aber, wenn die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß § 47 Abs. 1 AlVG die Anerkennung von Ansprüchen in Form einer bloßen Mitteilung ausgesprochen hat, die Verweigerung dieser Leistung - aus welchem Grund immer - nur auf Grund eines Bescheides erfolgen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. April 2003. Zl. 98/08/0335, Slg. Nr. 16.058 A/2003). Der Schutz, welchen § 24 AlVG der Partei vor einem willkürlichen Widerruf gewährter Geldleistungen gewähren soll, ersetzt in jenen Fällen, in denen eine Leistung ohne Erlassung eines Bescheides (§ 47 AlVG) im Wege einer Mitteilung antragsgemäß zuerkannt wurde, bis zu einem gewissen Grad die fehlende Rechtskraft, durchbricht aber auch diesen Schutz (und auch die Rechtskraft im Falle der bescheidmäßigen Zuerkennung) insoweit, als eine auch rückwirkende Korrektur der Leistungen unter den im § 24 AlVG genannten Voraussetzungen ohne Bindung an die strengen Voraussetzungen des § 69 AVG zulässig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0178).

In der dem Beschwerdeführer zugegangenen Mitteilung über den Leistungsanspruch vom 15. November 2006 ist die Unterbrechung des Notstandshilfebezugs aufgrund des Krankengeldbezugs in der Zeit vom 5. bis 17. Oktober 2006 berücksichtigt; dem Beschwerdeführer wurde Notstandshilfe ab dem 18. Oktober 2006 zuerkannt. Eine Rechtsgrundlage für einen bescheidmäßigen Eingriff in die dem Beschwerdeführer mit der Mitteilung zuerkannte Leistung ergibt sich weder aus dem angefochtenen Bescheid noch wäre eine solche auf Grund des vorgelegten Verwaltungsaktes ersichtlich; insbesondere ist nicht erkennbar, dass für die Entscheidung über den Leistungsanspruch relevante Umstände - wie vor allem das Faktum der nicht rechtzeitigen Wiedermeldung des Beschwerdeführers nach dem Ende des Krankengeldbezuges - erst nach Ausfertigung der Mitteilung bekannt geworden wären und damit gegebenenfalls einen Widerruf nach § 24 AlVG (in der hier noch anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 71/2003) ermöglicht hätten.

5. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet des - hier vorliegenden - Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn nicht Art. 6 Abs. 1 EMRK dem entgegensteht.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom 19. Februar 1998, Zl. 8/1997/792/993 (Fall Jacobsson; ÖJZ 1998, 41) unter Hinweis auf seine Vorjudikatur das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung dann als mit der EMRK vereinbar erklärt, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen. Solche besonderen Umstände erblickt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darin, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Fall Jacobsson vor dem Obersten Schwedischen Verwaltungsgericht nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 10. August 2000, Zl. 2000/07/0083, und vom 14. Mai 2003, Zl. 2000/08/0072). Dieser Umstand liegt aber auch im gegenständlichen Fall vor, weil der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt ist und die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung beantwortet sind. In der Beschwerde wurden keine Rechts- oder Tatsachenfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden.

Wien, am 19. Jänner 2011

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