VwGH 2010/11/0101

VwGH2010/11/010119.10.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des F J in P, vertreten durch Dr. Martin Wandl und Dr. Wolfgang Krempl, Rechtsanwälte in 3100 St. Pölten, Kremser Gasse 19, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 13. April 2010, Zl. Senat-AB-10-0048, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und Lenkverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §26 Abs2 Z1 idF 2009/I/093;
FSG 1997 §7 Abs4;
StVO 1960 §99 Abs1 lita;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FSG 1997 §26 Abs2 Z1 idF 2009/I/093;
FSG 1997 §7 Abs4;
StVO 1960 §99 Abs1 lita;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren des Beschwerdeführers wird abgewiesen.

Begründung

Mit Vorstellungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft M vom 23. Februar 2010 wurde die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers für näher genannte Klassen für die Dauer von acht Monaten, gerechnet ab Zustellung des Mandatsbescheides vom 10. Dezember 2009, entzogen sowie ein Lenkverbot gegen den Beschwerdeführer für dieselbe Dauer ausgesprochen. Außerdem wurde eine Nachschulung des Beschwerdeführers sowie die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens und einer verkehrspsychologischen Stellungnahme angeordnet. Gleichzeitig wurde die aufschiebende Wirkung einer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung aberkannt.

Die Erstbehörde begründete dies zusammengefasst damit, dass der Beschwerdeführer am 28. November 2009 gegen 11 Uhr ein Kraftfahrzeug auf einer näher bezeichneten Straße mit öffentlichem Verkehr in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt und einen Verkehrsunfall "verursacht" habe. Der Amtsarzt habe den um 14.59 Uhr des genannten Tages beim Beschwerdeführer mittels Alkomat gemessenen Wert von 0,78 mg/l Alkoholgehalt der Atemluft auf den Lenkzeitpunkt rückgerechnet und dabei einen Wert von 2,04 %o Blutalkoholgehalt (1,02 mg/l Alkoholgehalt der Atemluft) ermittelt. Wenn der Beschwerdeführer gegen diesen Alkoholisierungsgrad einen sog. Nachtrunk (3 Krügel Bier und 3 Achtel Rotwein zwischen dem Lenkzeitpunkt und dem Alkomattest) einwende, so sei dies als Schutzbehauptung zu werten, weil er nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einen Nachtrunk hätte nachweisen müssen. Zur Dauer der Entziehung bzw. des Lenkverbotes verwies die Erstbehörde erkennbar auf den zugrunde liegenden Mandatsbescheid vom 10. Dezember 2009, in dem sie bloß auf die Gefährlichkeit von Alkoholdelikten verwiesen und ausgeführt hatte, die genannte Dauer sei "erforderlich, um die Allgemeinheit zu schützen".

Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. In der Begründung verwies sie auf den Bescheid der Erstbehörde und ging von den Angaben des Amtsarztes über den Alkoholisierungsgrad des Beschwerdeführers zum Lenkzeitpunkt aus. Den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Nachtrunk erachtete die belangte Behörde als unglaubwürdig, weil der Beschwerdeführer für die Behauptung des Nachtrunks einerseits keinen Beweis angeboten habe und dieser Einwand andererseits zu spät erfolgt sei. Aufgrund von Zeugenaussagen sei nämlich erwiesen, dass der Beschwerdeführer den Nachtrunk erst nach dem Alkomattest geltend gemacht habe. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes habe aber derjenige, der sich auf einen Nachtrunk berufe, die Menge des solcher Art konsumierten Alkohols nicht nur dezidiert zu behaupten und zu beweisen, sondern es sei bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines behaupteten Nachtrunks auch dem Umstand Bedeutung beizumessen, ob der Betreffende den Nachtrunk bei erster sich bietender Gelegenheit - von sich aus - geltend gemacht habe (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 28. März 2003, Zl. 2001/02/0031). Der vom Beschwerdeführer erst nach dem Alkomattest behauptete Nachtrunk sei daher unglaubwürdig, sodass davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer zum genannten Zeitpunkt ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt und damit eine Tatsache im Sinne des § 7 FSG verwirklicht habe. Daher seien die im Erstbescheid angeordneten Maßnahmen zu setzen gewesen. Hinsichtlich der Entziehungsdauer führte die belangte Behörde (lediglich) aus, die Prognoseentscheidung der Erstbehörde, der Beschwerdeführer werde die Verkehrszuverlässigkeit erst acht Monate nach Zustellung des Mandatsbescheides vom 10. Dezember 2009 wiedererlangen, sei zutreffend.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage des Verwaltungsaktes und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die StVO 1960 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 93/2009 lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 99. Strafbestimmungen

(1) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 1600 Euro bis 5900 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von zwei bis sechs Wochen, zu bestrafen,

a) wer ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt, obwohl der Alkoholgehalt seines Blutes 1,6 g/l (1,6 Promille) oder mehr oder der Alkoholgehalt seiner Atemluft 0,8 mg/l oder mehr beträgt,

..."

§ 26 FSG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 93/2009

lautet auszugsweise:

"Sonderfälle der Entziehung

§ 26. ...

(2) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges

1. erstmalig ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, so ist die Lenkberechtigung auf die Dauer von mindestens sechs Monaten zu entziehen,

2. ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens zwölf Monate zu entziehen,

...

5. ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens zehn Monate zu entziehen,

..."

Die Beschwerde bekämpft vorwiegend die Beweiswürdigung der belangten Behörde, wonach der vom Beschwerdeführer behauptete Nachtrunk nicht glaubwürdig sei. Sie wendet dazu im Wesentlichen ein, die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid enthalte, weil sie sich bloß auf die durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelte Behauptungslast zum Nachtrunk stütze, eine bloße Formalargumentation. Das Vorbringen des Beschwerdeführers zum Nachtrunk sei nicht frei gewürdigt worden. Es könne nicht zu Lasten des Beschwerdeführers gehen, wenn er für den Nachtrunk keinen Zeugen benennen könne, weil er sich zu diesem Zeitpunkt alleine zu Hause aufgehalten habe.

Zunächst ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach die Beweiswürdigung der belangten Behörde vom Verwaltungsgerichtshof nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Schlüssigkeit zu prüfen ist (vgl. die etwa bei Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, unter E 265 zu § 45 AVG referierte Judikatur). Im konkreten Fall hat die belangte Behörde dem Umstand, dass der Beschwerdeführer den Nachtrunk erst nach dem Alkomattest eingewendet hat, im Rahmen der Beweiswürdigung entscheidendes Gewicht beigemessen und daher die Behauptung des Nachtrunks als unglaubwürdig erachtet. Diese Beweiswürdigung ist nicht als unschlüssig zu erkennen, da nach dem von der belangten Behörde zitierten hg. Erkenntnis Zl. 2001/02/0031 und der dort genannten Vorjudikatur bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines behaupteten Nachtrunks dem Umstand Bedeutung beizumessen ist, zu welchem Zeitpunkt der Lenker diese Behauptung aufgestellt hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat es daher auch in dem zitierten Erkenntnis als schlüssig angesehen, dem Einwand des Nachtrunks deshalb keine Glaubwürdigkeit beizumessen, weil dieser Einwand erst nach dem Alkomattest erfolgte. Nichts Anderes gilt im vorliegenden Beschwerdefall, in dem der Beschwerdeführer den Nachtrunk erst behauptet hat, nachdem er den Alkomattest abgelegt hatte.

Der belangten Behörde ist daher nicht entgegen zu treten, wenn sie dem angefochtenen Bescheid zugrunde legte, dass der Beschwerdeführer ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (2,04 %o Blutalkoholgehalt) gelenkt hat.

Dennoch ist die Beschwerde (die die Dauer der Entziehung der Lenkberechtigung als unangemessen einwendet) im Ergebnis zielführend, weil die belangte Behörde in nicht nachvollziehbarer Weise zu dem Ergebnis gelangt ist, die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers sei wegen dieses Fehlverhaltens für die Dauer von acht Monaten zu entziehen (bzw. es sei ein ebenso langes Lenkverbot gegen den Beschwerdeführer zu erlassen).

Die Entziehungsdauer von acht Monaten hat die belangte Behörde nämlich, auch wenn man ihrem Verweis auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides folgt, ausschließlich mit der Verwerflichkeit des gegenständlichen Alkoholdelikts begründet.

Zwar ist der belangten Behörde beizupflichten, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung Alkoholdelikte im Straßenverkehr als besonders verwerflich qualifiziert (vgl. beispielsweise das Erkenntnis vom 6. April 2006, Zl. 2005/11/0214).

Auf diese hohe Verwerflichkeit hat der Gesetzgeber aber insoweit Bedacht genommen, als er insbesondere für Alkoholdelikte im Straßenverkehr in § 26 FSG eine Mindestentziehungsdauer oder eine fixe Entziehungsdauer festgelegt hat, die von der Behörde nicht unterschritten werden dürfen.

Geht man mit der belangten Behörde vom genannten Alkoholisierungsgrad des Beschwerdeführers aus, so hat dieser das Delikt des § 99 Abs. 1 lit. a StVO verwirklicht. Für die erstmalige Begehung dieses Deliktes (eine Wiederholungstat ist mangels Feststellungen der belangten Behörde nicht anzunehmen) hat der Gesetzgeber in § 26 Abs. 2 Z 1 FSG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 93/2009 eine Mindestentziehungszeit von sechs Monaten festgelegt. Diese Mindestentziehungsdauer von sechs Monaten durfte die belangte Behörde nur dann überschreiten, wenn Umstände vorliegen, die auf Grund der Verwerflichkeit oder Gefährlichkeit der strafbaren Handlung (§ 7 Abs. 4 FSG) die Prognose der Verkehrsunzuverlässigkeit für einen über die Mindestentziehungszeit hinausreichenden Zeitraum rechtfertigen und somit die Festsetzung einer längeren Entziehungsdauer erforderlich machen (vgl. aus der ständigen hg. Rechtsprechung jüngst das Erkenntnis vom 17. November 2009, Zl. 2009/11/0023, und die dort angeführte Vorjudikatur, die insoweit auch auf die hier maßgebende Rechtslage - BGBl. I Nr. 93/2009 - anzuwenden sind).

Da die belangte Behörde gegenständlich weder Feststellungen zu einem allfälligen sonstigen Fehlverhalten des Beschwerdeführers, wie insbesondere zu einem Verschulden an dem Verkehrsunfall (vgl. etwa das Erkenntnis vom 28. Mai 2002, Zl. 2000/11/0078), getroffen noch eine Wertung desselben im Sinne der letztgenannten Bestimmung vorgenommen hat (das im angefochtenen Bescheid zitierte Erkenntnis vom 8. August 2002, Zl. 2001/11/0210, betraf daher insoweit einen nicht vergleichbaren Fall), hat sie nicht nachvollziehbar begründet, weshalb gegenständlich eine längere Entziehungsdauer als die in § 26 FSG vorgesehene Mindestentziehungszeit erforderlich sein sollte.

Mangels ausreichender Begründung der Dauer der gegenständlichen Entziehung der Lenkberechtigung bzw. des Lenkverbotes war der angefochtene Bescheid zur Gänze - mit dem Wegfall der Aussprüche über die Entziehung und das Lenkverbot verliert auch der Ausspruch über die Anordnung begleitender Maßnahmen seine Grundlage (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis Zl. 2009/11/0023) - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer bereits in den Pauschalbeträgen der zitierten Verordnung enthalten ist.

Wien, am 19. Oktober 2010

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