Normen
ASVG §293 Abs1 lita sublitaa;
ASVG §293;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §2 Abs4 Z3;
NAG 2005 §81 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ASVG §293 Abs1 lita sublitaa;
ASVG §293;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §2 Abs4 Z3;
NAG 2005 §81 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 3. April 2007 wurde ein Antrag des im Jänner 1984 geborenen Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Volksrepublik China, vom 17. Mai 2004 auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familienzusammenführung mit seiner österreichischen Wahlmutter L.J. gemäß § 11 Abs. 2 Z. 4 und Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG abgewiesen.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung die Feststellungen zugrunde, dass L.J. monatlich (nach den unbestrittenen Feststellungen des Bescheides erster Instanz unter Berücksichtigung des 13. und 14. Monatsgehaltes) EUR 1.016,63 verdiene, ihr Ehemann erziele ein monatliches Gehalt von EUR 837,92. Der geschiedene Ehemann von L.J. sei für deren drei Kinder mit EUR 800,-- im Monat unterhaltspflichtig; L.J. beziehe weiters Familienbeihilfe in Höhe von EUR 565,50 und Wohnbeihilfe in Höhe von EUR 386,63. Der Beschwerdeführer selbst verfüge über keinerlei finanzielle Mittel.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe (u.a.) der §§ 82 Abs. 1, 81 Abs. 1, 2 Abs. 1 Z. 9, 11 Abs. 2 Z. 4, Abs. 3 und Abs. 5 NAG - im Wesentlichen aus, dass der "Unterhalt der anderen Kinder" der Adoptivmutter des Beschwerdeführers, die Familienbeihilfe, die Wohnbeihilfe und das Einkommen des Ehemannes von L.J. nicht für den Unterhalt des Beschwerdeführers herangezogen werden könnten.
Das ausschließlich heranzuziehende Nettoeinkommen der Adoptivmutter des Beschwerdeführers reiche nicht aus, um diesem die erforderlichen Unterhaltsmittel zu verschaffen; es sei somit sehr wahrscheinlich, dass dessen Aufenthalt in Österreich zur finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führe.
In Hinblick auf § 11 Abs. 3 NAG führte die belangte Behörde Folgendes aus: Die damit notwendige Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK habe zwar ergeben, dass durch die Tatsache, dass sich die Adoptivmutter des Beschwerdeführers im Bundesgebiet aufhalte, durchaus private Interessen des Beschwerdeführers an einem Aufenthalt in Österreich bestünden, jedoch habe den öffentlichen Interessen gegenüber diesen privaten Interessen "absolute Priorität eingeräumt" werden müssen, weil der Beschwerdeführer der belangten Behörde keinen ausreichenden Nachweis über die Sicherung seines Lebensunterhaltes erbracht habe.
Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, der deren Behandlung mit Beschluss vom 14. Dezember 2007, B 887/07-7, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.
Über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde den gegenständlichen, am 17. Mai 2004 (noch während der Geltung des am 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 - FrG) gestellten Antrag zutreffend gemäß § 81 Abs. 1 NAG nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes erledigt hat.
Die Beschwerde weist auf die lange Verfahrensdauer bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides und darauf hin, dass sich die Rechtsposition des Beschwerdeführers in dieser Zeitspanne gegenüber der zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags geltenden Rechtslage "massiv verschlechtert" habe; in Hinblick auf seine Niederlassung vor In-Kraft-Treten des NAG habe der Beschwerdeführer ein "berechtigtes Vertrauen auf den Fortbestand eines Niederlassungsrechtes erworben".
Dem NAG ist allerdings nach ständiger hg. Rechtsprechung weder ein Rückwirkungsverbot noch eine Regelung zu entnehmen, der zufolge auf vor dessen In-Kraft-Treten verwirklichte Sachverhalte die Bestimmungen des mit 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen FrG anzuwenden wären (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Juni 2010, 2008/22/0676, mwN).
Gemäß § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte.
Gemäß § 11 Abs. 5 NAG (in der Fassung des BGBl. I Nr. 157/2005) führt der Aufenthalt eines Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (§ 11 Abs. 2 Z. 4 NAG), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 ASVG entsprechen. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z. 3 NAG) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten dessen pfändungsfreies Existenzminimum gemäß § 291a EO nicht zu berücksichtigen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 18. März 2010, 2008/22/0637, mit näherer Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausgeführt, dass die Existenz eines mit seinem Ehepartner im gemeinsamen Haushalt lebenden Zusammenführenden gesichert ist, wenn diesem gemeinsam mit seinem Ehepartner der "Haushaltsrichtsatz" gemäß § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG zur Verfügung steht und das darüber hinaus verbleibende Haushaltseinkommen zur ausreichenden Unterhaltsleistung an den Nachziehenden verwendet werden kann; in einem solchen Fall kann der Unterhalt sowohl des Nachziehenden als auch des Zusammenführenden ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen (§ 11 Abs. 5 erster Satz NAG) bestritten werden. Insofern hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.
Zutreffend wendet sich der Beschwerdeführer auch gegen die von der belangten Behörde zu § 11 Abs. 3 NAG unterbreiteten Ausführungen:
In diesem Zusammenhang hat die belangte Behörde ausgeführt, dass im Rahmen der Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK aufgrund des mangelnden Nachweises über die Sicherung des Lebensunterhaltes des Beschwerdeführers den öffentlichen Interessen gegenüber dessen privaten Interessen "absolute Priorität eingeräumt" habe werden müssen. Damit hat die belangte Behörde im Ergebnis die Ansicht vertreten, dass bei Fehlen der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG den öffentlichen Interessen jedenfalls ein so großes Gewicht zukomme, dass die Abwägung unabhängig vom Gewicht der persönlichen Interessen des Fremden immer zu dessen Lasten ausgehen müsse.
Auch diese Ansicht wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt, würde sonst doch im Fall des Fehlens der Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG die vom Gesetzgeber gemäß § 11 Abs. 3 NAG für alle Fälle des § 11 Abs. 2 NAG getroffene Anordnung einer Abwägung ins Leere gehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. März 2010, 2008/22/0102, mwN).
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 27. September 2010
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