VwGH 2009/06/0039

VwGH2009/06/003917.8.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Bayjones und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schmidt, über die Beschwerde

1. des Dipl. Ing. J und 2. des Dr. L, beide in X, beide vertreten durch Dr. Karl Schelling, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schulgasse 22, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 30. Dezember 2008, Zl. BHBR-I-3300.00-2008/0012, betreffend Nachbareinwendungen im Bauverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. Mag. S in Y, vertreten durch Rechtsanwälte Mandl GmbH in 6800 Feldkirch, Churerstraße 3/II; 2. Gemeinde Z), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §52 Abs1;
AVG §52 Abs2;
AVG §52 Abs3;
AVG §52;
BauG Vlbg 2001 §26 Abs1 lita;
BauG Vlbg 2001 §4 Abs3;
BauRallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §52 Abs1;
AVG §52 Abs2;
AVG §52 Abs3;
AVG §52;
BauG Vlbg 2001 §26 Abs1 lita;
BauG Vlbg 2001 §4 Abs3;
BauRallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstmitbeteiligte beantragte mit Eingabe vom 18. Dezember 2007 (eingelangt beim Bauamt der mitbeteiligten Gemeinde am 19. Dezember 2007) die Erteilung der baurechtlichen Bewilligung für die Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück Nr. 898/7, KG L.

In der mündlichen Verhandlung am 3. April 2008 erhob der Vertreter der Beschwerdeführer insbesondere den Einwand, dass durch das Bauvorhaben in Hanglage die konkrete Gefahr bestehe, es komme bei den über dem Baugrundstück am Hang gelegenen Grundstücken der Beschwerdeführer zu Rutschungen. Es sei kein geotechnisches Gutachten eingeholt worden. Dies stelle einen Verfahrensmangel dar. Die Mitbeteiligte erklärte in der Verhandlung, dass ein geologisches Gutachten eingeholt worden sei, das nachgereicht werde.

Im Bauakt liegt in der Folge ein Schreiben der QGeotechnik GmbH vom 4. April 2008 (unterschrieben von Dipl. Ing. A.P. und gerichtet an das Architekturbüro O., das die Planungsunterlagen für das Bauvorhaben erstellt hat), nach dem der Baugrund am 10. März 2004 durch zwei Baggerschürfe und drei Rammsondierungen am 19. März 2004 erkundet worden sei. Danach könne das geplante Einfamilienhaus aus geotechnischer Sicht an der vorgesehenen Stelle bei entsprechend sorgfältig ausgeführter Fundierung hergestellt werden. Eine Gefährdung für Nachbarobjekte oder Straßen udgl. bestehe nicht.

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde erteilte mit Bescheid vom 29. April 2008 der Erstmitbeteiligten die beantragte baurechtliche Bewilligung nach Maßgabe der zu Grunde liegenden Plan- und Beschreibungsunterlagen vom 18. Dezember 2007 unter Auflagen und Bedingungen. Gemäß Punkt 1. der baupolizeilichen Auflagen ist das Bauvorhaben plan- und beschreibungsgemäß durch befugte Unternehmer, den statischen Erfordernissen entsprechend, unter Einhaltung der einschlägigen Vorschriften des BauG 2002 sowie der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen, insbesondere der Bautechnik-, Garagenverordnung, den OIB-Richtlinien 1 bis 6 und den geltenden Normen und Unfallverhütungsvorschriften auszuführen. Zu den Einwendungen der Beschwerdeführer wegen Hangrutschungen bei den bestehenden Gebäuden wurde ausgeführt, dass diesen die Aussagen des Büros QGeotechnik entgegenstünden.

Die Berufungskommission der mitbeteiligten Gemeinde wies die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführer mit Bescheid vom 7. August 2008 als unbegründet ab. Sie verwies in ihrer Begründung zu den Bedenken betreffend eine allfällige Hangrutschung darauf, dass die QGeotechnik eine Bodenuntersuchung durch zwei Baggerschürfe und drei Rammprofile vorgenommen habe, wodurch festgestellt worden sei, dass die Bebaubarkeit des Grundstückes gegeben sei und keine Gefährdung der Nachbarobjekte sowie der über dem Baugrundstück gelegenen Zufahrtsstraße bestehe (Hinweis auf das Schreiben vom 4. April 2008). Auf Grund des unbedenklichen und widerspruchsfreien Schreibens vom 4. April 2008, das von den Beschwerdeführern als Privatgutachten bezeichnet werde, habe die Baubehörde jedenfalls den Schluss ziehen können, dass Interessen der Sicherheit der beantragten Baubewilligung nicht entgegenstünden.

Die belangte Behörde wies die dagegen u.a. von den Beschwerdeführern erhobene Vorstellung mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab. Auch sie vertrat die Ansicht, im Hinblick auf die vorliegende unbedenkliche fachliche Stellungnahme vom 4. April 2008 könne davon ausgegangen werden, dass der Bauführung im Hinblick auf die Sicherheit für die Nachbarobjekte nichts entgegenstehe. Die Aussage, dass keine Gefährdung für Nachbarobjekte oder Straßen udgl. bei entsprechend sorgfältig durchgeführter Fundierung bestünde, stelle keinen Widerspruch dar, sondern bestätige, dass der Errichtung des geplanten Einfamilienhauses in geotechnischer Hinsicht nichts entgegenstehe. Die Baubehörde habe auch zu Recht davon ausgehen können, dass bei der Fundierung die üblichen statischen und bautechnischen Erfordernisse beachtet und umgesetzt würden. In der geotechnischen Stellungnahme von 2008 seien keine im Rahmen der Fundierungsarbeiten besonders zu beachtenden Maßnahmen oder bestimmte anzuwendende Techniken gefordert worden. Die Behörde habe von der Einholung eines geologischen bzw. geotechnischen Amtsgutachtens absehen können, wenn seitens der Erstmitbeteiligten als Bauwerberin zur Hangverbauung ein ausreichender fachlicher Nachweis erbracht worden sei, dass es bei fachgerechter Ausführung durch das Vorhaben zu keiner Beeinträchtigung der Nachbarn komme.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - wie die erstmitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift samt Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im vorliegenden Fall war das Vlbg. Baugesetz, LGBl. Nr. 52/2001 (BauG) in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 34/2008, anzuwenden.

Gemäß § 4 Abs. 3 BauG darf ein Baugrundstück nur so bebaut werden, dass weder das Bauwerk selbst noch Nachbargrundstücke durch Lawinen, Wasser, Vermurungen, Steinschlag, Rutschungen u. dgl. gefährdet werden.

Gemäß § 26 Abs. 1 BauG hat der Nachbar im Verfahren über den Bauantrag das Recht, durch Einwendungen die Einhaltung u.a. der folgenden Vorschriften geltend zu machen:

"a) § 4 Abs. 3, soweit mit Auswirkungen auf sein Grundstück zu rechnen ist".

Nach Ansicht der Beschwerdeführer liege die Bebaubarkeit des Baugrundstückes nicht vor, weil die Bebauung für die Nachbargrundstücke Rutschungen verursache. In diesem Zusammenhang leide der angefochtene Bescheid an einem wesentlichen Verfahrensmangel, insbesondere einem Begründungsmangel. Es hätte ein geotechnisches Amtssachverständigengutachten eingeholt werden müssen. Ein Privatgutachten sei nicht ausreichend. Ein solches geotechnisches Gutachten müsse nachvollziehbar und ausreichend begründet sein. Dem entspreche die eingeholte Stellungnahme nicht. Die Bauführung erfolge auf einem steilen Hang. Oberhalb dieses Hanges befinde sich die Straße N.S. und darüber die Wohnanlagen der Beschwerdeführer. Dass das Baugrundstück für die Bauführung geeignet sei und es zu keinen Gefährdungen anderer Gebäude komme, sei eine notwendige Bewilligungsvoraussetzung. Gemäß dem AVG müssten die erforderlichen Gutachten eingeholt werden und seien Amtssachverständige beizuziehen. Das geotechnische Gutachten müsse nachvollziehbar und überprüfbar sein. Dies sei nicht der Fall, wenn mit einem Satz ausgeführt werde, dass das Bauvorhaben bei Einhaltung entsprechender Sicherheitsvorkehrungen "bebaubar" sei. Es werde nicht einmal angeführt, welche Sicherheitsvorkehrungen erforderlich seien. Es könne daher nicht beurteilt werden, wie die vom Sachverständigen als erforderlich angesehene Fundierung aussehe und ob sie ausreichend sei oder nicht. Dieses Gutachten erfülle die Anforderungen an ein Gutachten zur Beurteilung der Frage, ob das Baugrundstück zur Bebauung ohne Gefährdung der Nachbargrundstücke geeignet sei, nicht. Mangels näherer Beschreibung der erforderlichen Fundierungsmaßnahmen, die eingehalten werden müssten, könnten weder die Erstmitbeteiligte noch die Beschwerdeführer beurteilen, ob und welche Sicherheitsvorkehrungen zu ihrem Schutz erforderlich seien. Es liege damit ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.

Dieses Vorbringen ist im Ergebnis zielführend. Zunächst ist festzustellen, dass dem Nachbarn (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2008, Zl. 2008/06/0103) ein Mitspracherecht in Bezug auf den Schutz vor den in § 4 Abs. 3 BauG angeführten Gefahren zukommt, die ein Nachbargrundstück auf Grund eines Bauvorhabens bedrohen können (dies auch in der Bauphase). Die belangte Behörde hat sich im vorliegenden Fall zur Beantwortung der von den Beschwerdeführern aufgeworfenen Frage der Gefährdung ihrer Grundstücke auf Grund von durch das Bauvorhaben allenfalls hervorgerufenen Hangrutschungen auf eine von der Mitbeteiligten vorgelegte Stellungnahme eines geotechnischen Sachverständigen gestützt, nach der bei entsprechend sorgfältig ausgeführter Fundierung des beantragten Einfamilienhauses eine Gefährdung für Nachbarobjekte oder Straßen nicht bestehe. Angesichts der vorliegenden geotechnischen Stellungnahme eines Sachverständigen zur Frage der allfälligen Gefährdung der Nachbargrundstücke der Beschwerdeführer durch Hangrutschungen hielt es die belangte Behörde nicht für erforderlich, ein geotechnisches Gutachten im eigentlichen Sinne einzuholen.

Wie sich aus § 52 Abs. 1 AVG ergibt, sind, wenn die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig wird, die der Behörde beigegebenen oder zur Verfügung stehenden amtlichen Sachverständigen (Amtssachverständige) beizuziehen oder, wenn solche Amtssachverständige nicht zur Verfügung stehen oder es mit Rücksicht auf die Besonderheit des Falles geboten ist, nach dem Abs. 2 dieser Gesetzesstelle ausnahmsweise andere geeignete Personen als Sachverständige (nicht amtliche Sachverständige) heranzuziehen. Letzteres ist nach dem Abs. 3 dieser Gesetzesstelle auch dann zulässig, wenn davon eine wesentliche Beschleunigung des Verfahrens zu erwarten ist und dies vom Antragsteller angeregt wird und die daraus entstehenden Kosten einen von dieser Partei bestimmten Betrag voraussichtlich nicht überschreiten.

Wie sich aus diesen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang ergibt, ist der Sachverständige ein Hilfsorgan des erkennenden Verwaltungsorganes, das als solches im Verwaltungsverfahren den Parteien gegenübersteht. Es ist daher verfehlt, wenn die belangte Behörde zur Feststellung eines Sachverhaltes, der der Beurteilung durch einen Sachverständigen bedurft hätte (auch wenn - wie im vorliegenden Fall - nur eine Stellungnahme eines Sachverständigen für erforderlich gehalten wird), ein Vorbringen der mitbeteiligten Partei, auch wenn sich diese dabei einer fachkundigen Personen bediente, zu Grunde legte, ohne dieses Vorbringen einer Überprüfung durch von ihr bestellte und den Parteien des Verwaltungsverfahrens unabhängig gegenübertretende Sachverständige zu unterziehen (siehe dazu die hg. Erkenntnisse vom 2. Juni 1999, Zl. 98/04/0242, vom 25. Februar 2005, Zl. 2003/05/0099, und vom 28. Februar 2006, Zl. 2005/06/0147).

Da die belangte Behörde diesen wesentlichen Verfahrensmangel des Gemeindeverfahrens, bei dessen Vermeidung ein anderes Ergebnis nicht ausgeschlossen wäre, nicht wahrgenommen hat, belastete sie ihrerseits ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Mitbeteiligte hat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ein geotechnisches Gutachten der QGeotechnik GmbH betreffend das Baugrundstück aus dem Jahre 2004 vorgelegt, in dessen Rahmen die im Schreiben der genannten Gesellschaft vom 4. April 2008 erwähnten Bodenuntersuchungen erfolgt waren. Dazu genügt es darauf hinzuweisen, dass dieses Gutachten der Berufungsbehörde im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides nicht vorgelegen ist. Sowohl für die belangte Behörde wie für den Verwaltungsgerichtshof ist dies der maßgebliche Zeitpunkt für die Überprüfung der jeweils zu kontrollierenden Bescheide. Ein neu hervorgekommenes Beweismittel, das ohne Verschulden der Partei im Verwaltungsverfahren nicht vorgelegt wurde, kann gemäß § 69 Abs. 1 AVG allenfalls einen Wiederaufnahmegrund darstellen.

Für das fortgesetzte Verfahren wird darauf hingewiesen, dass im Falle des Vorliegens eines Privatgutachtens zu einer für ein Verwaltungsverfahren maßgeblichen Frage bei der erforderlichen Überprüfung durch einen Sachverständigen gemäß § 52 AVG gegebenenfalls dann aber nicht noch ein (zusätzliches) Gutachten eines Sachverständigen im Sinne des § 52 AVG notwendig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. November 2006, Zl. 2006/06/0237).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 17. August 2010

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