VwGH 2008/19/0436

VwGH2008/19/043630.3.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke und die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Rehak und den Hofrat Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerden der beschwerdeführenden Parteien

  1. 1. R B, geboren am 8.März2006, 2.B B, geboren am 27.Juli2001,
  2. 3. M B, geboren am 20.Dezember1999, 4.M U, geboren am 8.Mai1981, und 5.S B, geboren am 6.Januar1976, alle in A und vertreten durch Mag.Romi Andrea Panner, Rechtsanwältin in 7571Rudersdorf, Angerweg Nr.6, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenats vom1.)23.Jänner2008, Zl.309.248- 3/3E-XV/52/07 (protokolliert zu hg.Zl.2008/19/0436),

    2.) 23. Jänner 2008, Zl. 309.249-3/3E-XV/52/07 (protokolliert zu hg. Zl. 2008/19/0437), 3.) 23. Jänner 2008, Zl. 309.250-3/3E-XV/52/07 (protokolliert zu hg. Zl. 2008/19/0438),

    4.) 23. Jänner 2008, Zl. 309.251-3/5E-XV/52/07 (protokolliert zu hg. Zl. 2008/19/0439), 5.) 23. Jänner 2008, Zl. 309.247-3/5E-XV/52/07 (protokolliert zu hg. Zl. 2008/19/0440), betreffend § 3 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1;
AVG §45 Abs2;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AVG §45 Abs2;

 

Spruch:

Die hinsichtlich ihres Spruchpunktes 1. angefochtenen Bescheide werden in diesem Umfang hinsichtlich der fünftbeschwerdeführenden Partei wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, hinsichtlich der erst bis viertbeschwerdeführenden Parteien wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführenden Parteien sind Mitglieder einer Familie (die Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführer sind ein Ehepaar, die erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien sind ihre minderjährigen Kinder) und russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit.

Sie reisten gemeinsam am 2. Oktober 2006 in das Bundesgebiet ein und beantragten am 3. Oktober 2006 internationalen Schutz.

Sämtliche beschwerdeführenden Parteien bezogen sich dabei auf die Fluchtgründe des Fünftbeschwerdeführers, der im Wesentlichen angab, in seinem Heimatland wegen des Nahebezugs zu seinen Brüdern, die zum Teil den tschetschenischen Widerstandskämpfern geholfen hätten, von russischen (oder pro-russischen) Sicherheitskräften verfolgt worden zu sein und auch weiterhin Verfolgung zu befürchten.

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und erkannte den beschwerdeführenden Parteien den Status von Asylberechtigten nicht zu (Spruchpunkt 1.). Gleichzeitig wurde ihnen jedoch gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat zuerkannt (Spruchpunkt 2.) und es wurden ihnen befristete Aufenthaltsberechtigungen erteilt (Spruchpunkt 3.).

Zu Spruchpunkt 1. führte die belangte Behörde begründend aus, es sei glaubhaft, dass einer der Brüder des Fünftbeschwerdeführers im Jahr 1996 im Krieg getötet und ein weiterer seit dem Jahr 2001 verschollen sei. Ein dritter Bruder sei im Jahr 2003 verhaftet und angeschossen worden. Nicht glaubhaft sei hingegen eine asylrelevante Verfolgung des Fünftbeschwerdeführers. Die belangte Behörde gehe vielmehr davon aus, dass die Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführer die ausgesagten Verfolgungshandlungen in Anlehnung an die Fluchtgeschichten anderer tschetschenischer Asylwerber frei erfunden hätten, denn sie hätte sich in mehrere wesentliche Widersprüche verwickelt und hätten keine konsistente und glaubhafte Schilderung der Ereignisse bieten können. Im Einzelnen führte die belangte Behörde Ungereimtheiten hinsichtlich der Aufenthaltsorte in den letzten Jahren vor der Flucht, hinsichtlich der Anzahl der den Fünftbeschwerdeführer festnehmenden Personen, hinsichtlich des genauen Aufenthaltsortes nach seiner angeblichen Freilassung, seiner Erwerbstätigkeit und seines Wohnsitzes in Grosny vor der Ausreise und seines Treffpunktes mit der Viertschwerdeführerin anlässlich der Flucht an. Für eine psychische Erkrankung des Fünftbeschwerdeführers, welche etwa mit Störungen des Denkens, des Gedächtnisses oder der Konzentration verbunden wäre, gäbe es laut einem psychiatrisch-neurologischen Sachverständigengutachten keine Anhaltspunkte.

Ausgehend davon sei den beschwerdeführenden Parteien kein Asyl zu gewähren. Angesichts der (schlechten) Sicherheitslage in der Heimatregion sei jedoch ein Refoulement der beschwerdeführenden Parteien unzulässig.

Nur gegen die Abweisung der Berufungen gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 wenden sich die vorliegenden, wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerde des Fünftbeschwerdeführers unternimmt zunächst den Versuch, die von der belangten Behörde aufgezeigten Widersprüche in seiner Aussage mit dessen psychischer Belastung zu erklären. Dem ist zu erwidern, dass die belangte Behörde diesem Aspekt zumindest insoweit Beachtung geschenkt hat, als sie sich - wenn auch nur kurz begründet - auf ein im Verfahren eingeholtes psychiatrisch-neurologisches Sachverständigengutachten gestützt hat, dem Beeinträchtigungen hinsichtlich des Gedächtnisses oder der Konzentration des Fünftbeschwerdeführers nicht entnommen werden können. Wenn die Beschwerde Bedenken hinsichtlich der Richtigkeit dieses Gutachtens anmeldet und auf eine gegenteilige "Diagnose" des Psychotherapeuten Erwin Klasek verweist, so ist ihr zu entgegen, dass diese vom 19. Jänner 2007 datierende "Diagnose" dem Sachverständigen bei seiner Begutachtung im April 2007 vorlag, er jedoch (für den Zeitpunkt des Gutachtens) zu anderen Schlüssen kam und diese Ansicht im Einzelnen begründete. Eine Unrichtigkeit des Gutachtens wird von der Beschwerde somit nicht mit Erfolg aufgezeigt.

Unabhängig davon sieht die Beschwerde es als entscheidend an, dass die belangte Behörde dem Fünftbeschwerdeführer einen familiären Nahebezug zu Personen geglaubt habe, die den tschetschenischen Widerstand unterstützt hätten. Damit gehöre auch der Fünftbeschwerdeführer zu einem Personenkreis, dem (von den Sicherheitsbehörden des Heimatlandes) ein Naheverhältnis zum tschetschenischen Widerstand unterstellt werde, weshalb davon auszugehen sei, dass ihm im Falle seiner Rückführung besondere Aufmerksamkeit seitens der russischen Behörden gewidmet werde. Die belangte Behörde habe in vergleichbaren Fällen Asyl gewährt.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde des Fünftbeschwerdeführers - zumindest im Ergebnis - einen relevanten Verfahrensmangel auf.

Die belangte Behörde hat in den Feststellungen des fünftangefochtenen Bescheides nicht klar zum Ausdruck gebracht, welche Rolle die Brüder des Beschwerdeführers im tschetschenischen Widerstand gespielt haben. Es wurde lediglich angeführt, dass einer der Brüder im Krieg erschossen, ein weiterer verschollen und ein dritter im Jahr 2003 verhaftet und angeschossen worden sei. Keine Feststellungen finden sich im fünftangefochtenen Bescheid auch zur Behauptung des Fünftbeschwerdeführers, seinem (im Jahr 2003 verletzten und anschließend geflohenen) Bruder sei in Österreich Asyl gewährt worden. Die belangte Behörde hat sich weiters mit dem Vorbringen des Fünftbeschwerdeführers zu seinem Naheverhältnis zu den Brüdern (etwa zur behaupteten den Sicherheitsbehörden im Herkunftsstaat auch bekannten Suche nach dem verschwundenen Bruder oder zur Unterstützung seines im Jahr 2003 angeschossenen Bruders) nicht auseinandergesetzt.

Wäre davon auszugehen, dass die Probleme der Brüder des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat tatsächlich darauf zurückzuführen sind, dass ihnen von den Sicherheitsbehörden eine Unterstützung des tschetschenischen Widerstands vorgehalten wird (und der in Österreich aufhältige Bruder allenfalls deshalb als Flüchtling anerkannt wurde) und der Fünftbeschwerdeführer einen - den Sicherheitsbehörden im Heimatland zur Kenntnis gelangten - Nahebezug zu diesen Familienmitgliedern und ihren Aktivitäten aufweist, so hätte es nachvollziehbarer behördlicher Erwägungen bedurft, warum der Fünftbeschwerdeführer nicht schon deshalb in das Blickfeld der Sicherheitsbehörden geraten ist oder im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat geraten könnte (vgl. dazu etwa auch das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 2009, Zl. 2008/19/0705). Eine Beweiswürdigung, die - wie im vorliegenden Fall - solche Überlegungen nicht enthält, berücksichtigt nicht alle zum Beweis strittiger Tatsachen nach der Aktenlage objektiv geeigneten Umstände, und ist daher auch nicht schlüssig (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2009, Zl. 2007/19/0827, mwN).

Der fünftangefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Dieser Umstand schlägt im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auch auf die Verfahren der übrigen beschwerdeführenden Parteien durch. Die sie betreffenden Bescheide der belangten Behörde waren daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 30. März 2010

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