VwGH 2008/19/0705

VwGH2008/19/070510.12.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Rehak und den Hofrat Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Februar 2008, Zl. 312.122-1/6E-XVIII/59/07, betreffend §§ 3, 8, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §10 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der (damals) minderjährige Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste ohne seine Eltern Ende August 2006 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 1. September 2006 internationalen Schutz.

Diesen Antrag wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 ab und erkannte dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten nicht zu. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wurde ihm auch der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und er wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

Dagegen wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer - nach der Scheidung seiner Eltern - vor seiner Ausreise aus Tschetschenien bei seinem Onkel Salid A. S. und dessen Familie gelebt habe. Mit ihm gemeinsam sei er nach Österreich gereist, ohne zuvor "konkreten Übergriffen in seinem Heimatland" ausgesetzt gewesen zu sein. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Hall in Tirol (vom 5. Februar 2007 bzw. vom 6. August 2007) sei die Obsorge für den Beschwerdeführer einer in Österreich als anerkannter Konventionsflüchtling aufhältigen (weiteren) Tante des Beschwerdeführers übertragen worden. Bei dieser lebe er auch. Es könne nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation eine asylrelevante - oder sonstige - Verfolgung drohe oder dem Beschwerdeführer "in Armenien" die Existenzgrundlage völlig entzogen wäre.

Im Folgenden führte die belangte Behörde - soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz - aus, der Beschwerdeführer habe keine asylrelevante Verfolgung anzugeben vermocht. Die Angaben seiner gesetzlichen Vertreterin zu den Fluchtgründen ihres Ehemannes (Tätigkeiten für die Menschenrechtsorganisation Memorial) bezögen sich in keiner Weise konkret auf den Beschwerdeführer und wäre auch kein Zusammenhang mit dessen Verfolgungsgefahr behauptet worden. Dass der Beschwerdeführer bei Rückkehr nach dem Aufenthalt seines Onkels (Ehemannes der gesetzlichen Vertreterin) gefragt werde, erscheine unter dem Gesichtspunkt, dass er nie mit diesem Onkel (Ehemann der gesetzlichen Vertreterin) unter einem Dach gelebt und zu diesem im Heimatland kein Naheverhältnis bestanden habe (ebenso wie zu seiner nunmehr obsorgeberechtigten Tante) unwahrscheinlich und unglaubwürdig. Vor allem hätten die Kadyrov-Anhänger seit der Ausreise der gesetzlichen Vertreterin mit ihrem Ehemann Anfang 2004 schon genügend Zeit gehabt, den Beschwerdeführer - dieser reiste erst Mitte 2006 aus der Heimat aus - bzw. dessen Verwandte über deren Verbleib zu befragen, was jedoch nicht behauptet worden sei.

Die Beschwerde wendet ein, die belangte Behörde habe die Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers falsch eingeschätzt und zeigt damit - zumindest im Ergebnis - einen relevanten Begründungsmangel des angefochtenen Bescheids auf.

Soweit sich die Beschwerde dabei auf ein Asylgutachten von Amnesty International Deutschland vom 27. April 2007, das in einem Verfahren des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes erstattet worden sei, bezieht, ist sie gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofes im hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2009, 2008/19/1031, zu verweisen, wonach sich auch unter Zugrundelegung dieser gutachterlichen Ausführungen nicht erkennen lässt, dass alle Tschetschenen allein auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe (sei es auch als Rückkehrer) einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wären. Derartiges vermag die Beschwerde auch mit ihren Hinweisen auf - nur unvollständig wiedergegebenes - weiteres Berichtsmaterial nicht aufzuzeigen.

Trotzdem ist die Begründung der belangten Behörde für die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz nicht nachvollziehbar. Tatsache ist nämlich, dass der Beschwerdeführer nun mit Verwandten zusammenlebt (gesetzliche Vertreterin und ihr Ehemann), denen offenbar wegen Verfolgung in Tschetschenien Asyl gewährt worden ist. Ausgehend davon bedarf es nachvollziehbarer behördlicher Erwägungen, warum der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht schon deshalb in das Blickfeld der Sicherheitsbehörden geraten könnte. Die diesbezüglich von der belangten Behörde angestellten Überlegungen greifen zu kurz. Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise aus Tschetschenien wegen der bereits früher geflohenen Verwandten unbehelligt blieb, lässt sich noch nicht ableiten, dass er bei Rückkehr mit dem gleichen Desinteresse der Sicherheitsbehörden rechnen kann. Dazu bedürfte es vielmehr einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob den tschetschenischen Sicherheitsbehörden der nun hergestellte Nahebezug zu seinen als Konventionsflüchtlinge anerkannten Verwandten bekannt werden und für ihn nachteilig sein könnte. Derartige Erwägungen lässt der angefochtene Bescheid jedoch zur Gänze vermissen.

Er war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 10. Dezember 2009

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