VwGH 2007/21/0483

VwGH2007/21/048326.8.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde der S, vertreten durch Dr. Gerold Hirn und Dr. Burkhard Hirn, Rechtsanwälte in 6800 Feldkirch, Gilmstraße 2, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. Oktober 2007, Zl. 149.497/2- III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §293 Abs1 idF 2006/II/532;
ASVG §293 Abs1 lita sublitaa idF 2006/II/532;
ASVG §293 Abs1 lita sublitbb idF 2006/II/532;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §47 Abs1;
NAG 2005 §47 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ASVG §293 Abs1 idF 2006/II/532;
ASVG §293 Abs1 lita sublitaa idF 2006/II/532;
ASVG §293 Abs1 lita sublitbb idF 2006/II/532;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §47 Abs1;
NAG 2005 §47 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der (im Jahr 1939 geborenen) Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gemäß §§ 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 sowie 47 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin strebe die Zusammenführung mit ihrem Sohn, der österreichischer Staatsbürger sei, nach § 47 Abs. 3 NAG an. Es sei daher "von ihm" ein Einkommensnachweis zu erbringen und eine Haftungserklärung abzugeben. Der Sohn der Beschwerdeführerin verfüge über ein durchschnittliches Monatsnettoeinkommen von insgesamt EUR 1.794,20. Er könne sich allerdings nur mit jenem Betrag, der über sein pfändungsfreies Existenzminimum hinausgehe, für den Unterhalt der Beschwerdeführerin verpflichten. Dieses betrage unter Berücksichtigung, dass der Sohn der Beschwerdeführerin noch für seine Ehefrau und vier (nach der Aktenlage: im Jahr 1993, 1994, 1996 sowie 2004 geborenen) Kinder sorgepflichtig sei, EUR 1.714,20. Es stünden ihm daher - ohne dass ihn treffende finanzielle Belastungen berücksichtigt worden seien -

lediglich EUR 79,95 im Monat zur Verfügung, die er für Unterhaltsleistungen an die Beschwerdeführerin aufwenden könnte. Es sei aber erforderlich, der Beschwerdeführerin nach § 293 ASVG EUR 726,-- an monatlichen Unterhaltsmitteln zu verschaffen. Sohin müsste der Sohn der Beschwerdeführerin über ein Einkommen von mindestens EUR 2.440,20 verfügen, um deren Nachzug zu ermöglichen. Wenn man berücksichtige, dass die Beschwerdeführerin über eine (nach der Aktenlage: aus der österreichischen Pensionsversicherung herrührende) monatliche Witwenpension von EUR 262,50 verfüge, verbleibe immer noch ein "Fehlbetrag von EUR 383,55". Eine allenfalls der Beschwerdeführerin zustehende Ausgleichszulage könne bei der Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens nicht berücksichtigt werden.

Da nicht nachgewiesen sei, dass die Unterhaltsmittel der Beschwerdeführerin gedeckt seien, sei es wahrscheinlich, dass ihr Aufenthalt in Österreich zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG führe, weshalb die dort angeführte Erteilungsvoraussetzung nicht erfüllt sei.

Des Weiteren legte die belangte Behörde noch dar, weshalb ihrer Ansicht nach der begehrte Aufenthaltstitel auch nach der gemäß § 11 Abs. 3 NAG gebotenen Interessenabwägung nicht zu erteilen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach der Rechtslage des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 99/2006 richtet.

§ 11 Abs. 2 Z 4, Abs. 3, Abs 5 sowie § 47 Abs. 1 und Abs. 3 NAG (in der hier maßgeblichen Fassung jeweils samt Überschrift) lauteten:

"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. ...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

...

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte.

...

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist.

...

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten dessen pfändungsfreies Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, nicht zu berücksichtigen.

...

Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' und

'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger'

§ 47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukommt.

...

(3) Angehörigen von Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 kann auf Antrag eine quotenfreie "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

1. Verwandte des Zusammenführenden oder seines Ehegatten in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen tatsächlich Unterhalt geleistet wird;

2. Lebenspartner sind, die das Bestehen einer dauerhaften Beziehung im Herkunftsstaat nachweisen und ihnen tatsächlich Unterhalt geleistet wird; oder

3. sonstige Angehörige des Zusammenführenden sind,

a) die vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen haben;

b) die mit dem Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben und Unterhalt bezogen haben oder

c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege durch den Zusammenführenden zwingend erforderlich machen.

Unbeschadet eigener Unterhaltsmittel hat der Zusammenführende

jedenfalls auch eine Haftungserklärung abzugeben.

..."

Die belangte Behörde hat - unter Berücksichtigung des Begehrens und des von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Aufenthaltszwecks - zutreffend geprüft, ob die Voraussetzungen des § 47 Abs. 3 NAG, sohin auch jene des im ersten Teil des NAG enthaltenen § 11 Abs. 2 Z 4 NAG, zur Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" vorliegen.

Bei der Prüfung der hiernach auszuschließenden finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft ist die belangte Behörde zutreffend davon ausgegangen, dass zur Deckung des Lebensbedarfs der Beschwerdeführerin ein dem Richtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG (in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. II Nr. 532/2006) entsprechender Betrag von (damals) EUR 726,- - monatlich zur Verfügung hätte stehen müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 2010, Zl. 2007/21/0399, mit Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 18. März 2010, Zl. 2008/22/0637).

Hinsichtlich der Deckung des Bedarfs des Sohnes der Beschwerdeführerin, dessen im gemeinsamen Haushalt lebender Ehefrau und der Kinder hat die belangte Behörde allerdings verkannt, dass sie (ebenfalls) auf den Ausgleichszulagenrichtsatz abzustellen gehabt hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 2010, 2008/21/0051, 0052, mwN).

Demnach wäre in Bezug auf den Bedarf des Sohnes der Beschwerdeführerin und seiner Ehefrau vom Richtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG auszugehen gewesen. Dieser hatte nach der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung des BGBl. II Nr. 532/2006 bei Erlassung des angefochtenen Bescheides EUR 1.091,14 betragen. Unter Berücksichtigung der Unterhaltspflichten für vier minderjährige Kinder erhöht sich dieser Betrag nach § 293 Abs. 1 letzter Satz ASVG um EUR 76,09 für jedes Kind (insgesamt somit um EUR 304,36) auf EUR 1.395,50.

Zur Deckung auch des Lebensbedarfs der Beschwerdeführerin von EUR 726,-- wäre somit grundsätzlich ein monatliches Einkommen ihres Sohnes von EUR 2.121,50 erforderlich gewesen. Dessen monatliches Nettoeinkommen, das sich nach den Feststellungen unstrittig auf EUR 1.794,20 beläuft, erreicht dieses Ausmaß nicht.

Den Feststellungen zufolge verfügt aber die Beschwerdeführerin auch über eigene monatliche Mittel aus einer ihr zustehenden Pension von EUR 262,50, die ebenfalls zu berücksichtigen sind, weshalb sich das insgesamt für die Abdeckung der Lebensbedürfnisse der Beschwerdeführerin, ihres Sohnes und dessen Familie zur Verfügung stehende Einkommen auf monatlich EUR 2.056,70 erhöht.

Zwar wird auch dann das nach dem Gesetz geforderte Ausmaß der für die Lebensführung notwendigen Mittel noch nicht erreicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber bereits festgehalten, dass für die Berechnung ausreichender Unterhaltsmittel jenes Einkommen maßgeblich ist, das dann erzielt wird, wenn der Familiennachzug vollzogen wird. Weiters wurde in der bisherigen Rechtsprechung bereits darauf hingewiesen, dass die Ausgleichszulage keine "Sozialhilfeleistung der Gebietskörperschaft" im Sinne des § 11 Abs. 5 NAG ist. Deren Inanspruchnahme stellt sohin keine finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft im Sinne des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG dar. Besteht ein Anspruch auf die Gewährung einer Ausgleichszulage, so ist dies bei der Errechnung der zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel zu berücksichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2010, Zl. 2009/21/0351, mwN).

Die belangte Behörde prüfte aber, weil sie es in Verkennung dieser Rechtslage von vornherein ablehnte, eine allenfalls zustehende Ausgleichszulage bei der Berechnung der zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel miteinzubeziehen, nicht näher, ob der Beschwerdeführerin - wie von ihr vorgebracht - tatsächlich im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitel in Österreich eine Ausgleichszulage und allenfalls in welchem Ausmaß zustehen könnte.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seiner Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 26. August 2010

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