VwGH 2007/21/0314

VwGH2007/21/031429.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des T, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 21. September 2006, Zl. 143.886/4-III/4/06, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
NAG 2005 §11 Abs1 Z2;
NAG 2005 §47 Abs2;
NAG 2005 §54 Abs1;
SDÜ 1990 Art25;
VwRallg;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
NAG 2005 §11 Abs1 Z2;
NAG 2005 §47 Abs2;
NAG 2005 §54 Abs1;
SDÜ 1990 Art25;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den vom Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen von Gambia, am 1. Dezember 2004 (noch während der Geltung des am 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 - FrG) eingebrachten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 11 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Antrag sei auf Grund des am 1. Jänner 2006 erfolgten In-Kraft-Tretens des NAG nach dessen Bestimmungen zu beurteilen und als auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" (iSd § 47 Abs. 2 NAG) gerichtet zu werten.

Der Beschwerdeführer habe am 24. Februar 2004 in Österreich die Gewährung von Asyl beantragt. Dieser Antrag sei in erster Instanz abgewiesen worden. Die im Asylverfahren erhobene Berufung habe der Beschwerdeführer zurückgezogen.

Am 23. November 2004 habe der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin V geheiratet. Über ein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie 2004/38/EG verfüge er aber nicht. Es sei nämlich nicht dargetan worden, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers das ihr gemeinschaftsrechtlich zustehende Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen habe.

Schon am 29. August 2002 wäre der Beschwerdeführer in Deutschland - so die belangte Behörde in ihrer weiteren Begründung - wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an einen Minderjährigen vom Amtsgericht Hamburg, rechtskräftig seit 6. September 2002, zu einer "Gesamtfreiheitsstrafe" von einem Jahr verurteilt worden. Im Schengener Informationssystem scheine infolge dessen ein "Einreise-/Aufenthaltsverbot" für Deutschland auf. Sohin stehe der Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels der zwingende Versagungsgrund nach § 11 Abs. 1 Z 2 NAG entgegen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 20. Juni 2007, B 1933/06-7, ablehnte und die Beschwerde über gesonderten Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Dieser hat über die ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde sowie nach Erstattung einer ergänzenden Äußerung des Beschwerdeführers erwogen:

Vorweg ist anzumerken, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach den Vorschriften des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 99/2006 richtet.

Gemäß § 47 Abs. 2 erster Satz NAG ist Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden im Sinn des § 47 Abs. 1 NAG - dabei handelt es sich um Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukommt - sind, ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen. Nach dem - im 1. Teil des NAG enthaltenen - § 11 Abs. 1 Z 2 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn gegen ihn ein Aufenthaltsverbot eines anderen EWR-Staates besteht.

In der Beschwerde wird eingeräumt, dass gegen den Beschwerdeführer in Deutschland ein Aufenthaltsverbot besteht. In seiner Beschwerde wendet er sich allerdings gegen die Ansicht der belangten Behörde, § 11 Abs. 1 Z 2 NAG sei auf ihn anwendbar.

Zwar bestreitet der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang die Feststellungen der belangten Behörde, seine die österreichische Staatsbürgerschaft besitzende Ehefrau hätte das ihr gemeinschaftsrechtlich (nunmehr: unionsrechtlich) zustehende Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen, nicht. Er bringt aber vor, aus - in der Beschwerde und Beschwerdeergänzung näher dargestellten - gleichheitsrechtlichen Überlegungen seien drittstaatszugehörige Angehörige von Österreichern, die ihr Freizügigkeitsrecht nicht ausgeübt haben, jenen gleichzustellen, bei denen letztgenannter Umstand vorliegt.

Zu den auf gleichheitsrechtlichen Überlegungen fußenden - und sich auf die österreichische Rechtslage gründenden - Bedenken ist allerdings auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2009, Zl. G 244/09 ua., hinzuweisen, wonach die in diesem Zusammenhang relevante Bestimmung des § 57 NAG nicht mit Verfassungswidrigkeit behaftet ist. Dem anders lautenden Vorbringen des Beschwerdeführers kann somit nicht gefolgt werden.

Der Beschwerdeführer beruft sich im Zusammenhang mit seinen gleichheitsrechtlichen Bedenken aber auch auf die - infolge Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union mit Wirkung vom 1. Dezember 2009 (vgl. BGBl. III Nr. 132/2009) in Kraft gesetzte - Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden kurz: Grundrechtecharta). Das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herrschende Neuerungsverbot sei infolge des Anwendungsvorranges von Gemeinschaftsrecht "durchbrochen", weshalb die Bestimmungen der Grundrechtecharta im gegenständlichen Verfahren Beachtung finden müssten.

Dabei übersieht der Beschwerdeführer aber, dass der von ihm gestellte Antrag - von ihm unbestritten - auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, nicht aber auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte gerichtet war. Auch ist weder den im Verwaltungsverfahren abgegebenen Stellungnahmen noch der Berufung ein Hinweis darauf zu entnehmen, dass die belangte Behörde den - noch während der Geltung des FrG gestellten - Antrag nach In-Kraft-Treten des NAG als solchen auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte deuten oder nach § 23 Abs. 1 NAG vorgehen hätte müssen (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation Pkt. 1 des hg. Erkenntnisses vom 25. März 2010, Zl. 2008/21/0323).

Es kann hier aber auch dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer aus seit 1. Dezember 2009 in Kraft stehenden unionsrechtlichen Bestimmungen ein Recht zum Aufenthalt, welches dann gemäß § 57 iVm §§ 54 Abs. 1 und 52 Z 1 NAG durch Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte zu dokumentieren wäre, geltend machen kann. Eine solche Rechtsposition wird dem Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid nicht abgesprochen; war dies - schon mit Blick auf die erst am 1. Dezember 2009 eingetretene Verbindlichkeit der Grundrechtecharta - doch nicht Thema des angefochtenen Bescheides. Dem Beschwerdeführer ist es vielmehr unbenommen, jederzeit die Ausstellung einer diese - seiner Ansicht nach bestehende - Rechtsposition dokumentierenden (Dauer-)Aufenthaltskarte zu beantragen (vgl. dazu Pkt. 2 des bereits erwähnten Erkenntnisses vom 25. März 2010).

Sohin ist es weder zu beanstanden, dass die belangte Behörde den gegenständlichen Antrag - mit Blick auf das diesem zugrunde liegende Begehren und den damit geltend gemachten Aufenthaltszweck - (nur) anhand § 47 Abs. 2 NAG geprüft hat, noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geboten, eine darüber hinaus gehende Beurteilung vorzunehmen.

Zutreffend ist die belangte Behörde davon ausgegangen, dass der Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels nach § 47 Abs. 2 NAG infolge des in Deutschland - einem anderen EWR-Staat - (unbestritten) bestehenden Aufenthaltsverbotes der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 2 NAG entgegensteht. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kommt es bei der nach § 11 Abs. 1 Z 2 NAG vorzunehmenden Beurteilung nach dessen Wortlaut aber auch nur auf das Bestehen eines in einem anderen EWR-Staat erlassenen Aufenthaltsverbotes, nicht aber darauf an, ob dieses Aufenthaltsverbot schon damals nicht hätte erlassen werden dürfen oder wegen mittlerweile eingetretener Sachverhaltsänderungen von diesem Staat aufzuheben wäre, so dass auch das diesbezügliche Vorbringen, das in Deutschland erlassene Aufenthaltsverbot entspreche gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nicht, die Beschwerde nicht zum Erfolg führt. Dass eine vom Beschwerdeführer ausgehende - infolge § 87 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) am Maßstab des § 86 Abs. 1 FPG von der (österreichischen) Fremdenpolizeibehörde geprüfte - Gefährdung verneint wurde, ist für die Erfüllung des Tatbestandes des § 11 Abs. 1 Z 2 NAG ebenfalls nicht weiter relevant.

Wenn der Beschwerdeführer weiter vorbringt, die belangte Behörde wäre zur Durchführung von Konsultationen im Sinn des Art. 25 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) verpflichtet gewesen, worauf sich ergeben hätte, dass die von Deutschland im Schengener Informationssystem (SIS) erfolgte Ausschreibung zur Einreiseverweigerung zurückgezogen worden wäre und allenfalls nur noch zu einer nationalen Ausschreibung in Deutschland geführt hätte, was wiederum der Erteilung des Aufenthaltstitels nicht entgegengestanden wäre, so ist der Beschwerdeführer abermals auf den Wortlaut des § 11 Abs. 1 Z 2 NAG hinzuweisen, wonach es allein auf das - hier unbestritten gebliebene - Bestehen eines Aufenthaltsverbotes in einem anderem EWR-Staat ankommt, nicht aber auf eine allfällige Ausschreibung im SIS. Auf welchem Weg die belangte Behörde Kenntnis vom aufrechten Aufenthaltsverbot erlangt, ist nicht wesentlich. Das mit Blick auf Art. 25 SDÜ erstattete Vorbringen geht daher schon deswegen fehl.

Steht der Bewilligung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 2 NAG entgegen, so darf ein Aufenthaltstitel nicht erteilt werden.

Im Übrigen würde aber auch das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den nach Art. 8 EMRK bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umständen die Beschwerde nicht zum Erfolg führen. Insofern beruft er sich erkennbar auf seinen seit Februar 2004 in Österreich währenden Aufenthalt und die (am 23. November 2004) mit der österreichischen Staatsbürgerin V geschlossene Ehe.

Der Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers stellte sich allerdings während seines (bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides) etwa zweieinhalbjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet - sowohl während des anhängigen Asylverfahrens als auch danach infolge der gegen ihn erlassenen Ausweisung - stets als unsicher dar. Der während dieses Aufenthaltes geschlossenen Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin V kommt sohin fallbezogen mit Blick auf die kurze Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers kein entscheidendes Gewicht zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. März 2010, Zl. 2008/22/0412). Sonstige Umstände, die es (allenfalls unter Einbeziehung der bereits Genannten im Rahmen einer Gesamtbetrachtung) auf Grund Art. 8 EMRK geboten hätten, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltsrecht einzuräumen, wurden auch in der Beschwerde nicht vorgebracht.

Der belangten Behörde kann somit nicht mit Erfolg entgegentreten werden, wenn sie davon ausging, § 11 Abs. 1 Z 2 NAG stehe der Erteilung des vom Beschwerdeführer angestrebten Aufenthaltstitels entgegen.

Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. April 2010

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