VwGH 2007/20/1490

VwGH2007/20/149016.12.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofrätin Dr. Pollak, den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde von 1. S, und 2. A, beide vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen die am 10. April 2006 mündlich verkündeten und am 5. November 2007 schriftlich ausgefertigten Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates, Zlen. 254.326/0/13E-II/06/04 (ad 1., protokolliert zur hg. Zl. 2007/20/1490) und 254.325/0/11E-II/06/04 (ad 2., protokolliert zur hg. Zl. 2007/20/1491), betreffend § 7 (ad 1.) bzw. §§ 10, 11 Asylgesetz 1997 (ad 2.) (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
FlKonv Art1 Abschnitt A Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
FlKonv Art1 Abschnitt A Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

1. Der erstangefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung, das ist hinsichtlich seines Spruchpunktes I., wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

2. Der zweitangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

3. Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt somit EUR 2.212,80, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin. Beide sind Staatsangehörige von Bangladesch und gelangten am 7. April 2004 in das Bundesgebiet. Am selben Tag beantragte die Erstbeschwerdeführerin für sich Asyl und für die Zweitbeschwerdeführerin - präzisiert in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 5. Mai 2004 - die Erstreckung des ihr zu gewährenden Asyls.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, erstangefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde nach Durchführung von zwei Berufungsverhandlungen und Einholung eines Sachverständigengutachtens die Berufung der Erstbeschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22. September 2004, mit dem ihr Asylantrag abgewiesen worden war, gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.). Zugleich stellte sie fest, dass gemäß § 8 AsylG iVm § 50 Fremdenpolizeigesetz 2005 die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Erstbeschwerdeführerin nach Bangladesch nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.), und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.). Mit dem zweitangefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Zweitbeschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21./22. September 2004, mit dem ihr Asylerstreckungsantrag abgewiesen worden war, gemäß §§ 10, 11 AsylG ab.

Begründend stellte die belangte Behörde im erstangefochtenen Bescheid fest, die Erstbeschwerdeführerin werde weder von der Polizei noch von Mitgliedern der BNP verfolgt. "Verifiziert" sei jedoch ihre Verfolgung durch Privatpersonen aufgrund der Schleppertätigkeit ihres Ehemannes, der zahlreichen Personen Geld abgenommen, diese aber nicht in andere Länder geschleppt habe, sondern mit dem Geld "ohne Gegenleistung" verschwunden sei. Sie sei diesen Übergriffen in ihrer Heimatregion ohne "entsprechenden männlichen Schutz" ausgesetzt gewesen, weil ihr Ehemann dazu nicht in der Lage gewesen sei. Bei ihrer Rückkehr nach Bangladesch bestehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass sie Opfer von Vergewaltigungen und Belästigungen werde, weil kein "männlicher Schutz" bestehe und sie bereits vor ihrer Ausreise aufgrund der "beruflichen Tätigkeiten" ihres Ehemannes verfolgt worden sei. Derartige Übergriffe müsste sie nach den "Regeln der Sharia" nachweisen.

Rechtlich folgerte die belangte Behörde zur Abweisung des Asylantrages, eine asylrelevante Verfolgung gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) habe nicht festgestellt werden können. Jedoch sei von einer Glaubhaftmachung von Refoulementschutzgründen auszugehen.

Über die gegen die Nichtzuerkennung von Asyl im erstangefochtenen Bescheid und gegen den zweitangefochtenen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift erwogen:

1. In der Beschwerde wird unter anderem vorgebracht, die belangte Behörde habe bei ihrer rechtlichen Beurteilung verkannt, dass die Verfolgung der Erstbeschwerdeführerin durch "private Personen" und die "Nichteffizienz innerstaatlicher Schutzmechanismen" asylrelevant sei. Damit zeigt die Beschwerde im Ergebnis eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des erstangefochtenen Bescheides auf.

Nach den getroffenen Feststellungen hat die Erstbeschwerdeführerin in Bangladesch Verfolgung durch Privatpersonen aufgrund der Schleppertätigkeit ihres Ehemannes zu befürchten. Von der staatlichen Schutzfähigkeit und -willigkeit sowie einer innerstaatlichen Fluchtalternative ist die belangte Behörde - wie sich auch aus der Begründung des Abschiebeschutzes ergibt - nicht ausgegangen.

Auf der Grundlage dieses Sachverhaltes hat die belangte Behörde bei der Beurteilung der Asylrelevanz der festgestellten Verfolgungsgefahr die Rechtslage verkannt. Einer Verfolgung kann schon dann Asylrelevanz zukommen, wenn ihr Grund "in der bloßen Angehörigeneigenschaft" der Asylwerberin, somit in ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten "sozialen Gruppe" im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv, etwa jener der Familie, liegt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Jänner 2003, Zl. 2001/01/0508, mwN). Die belangte Behörde hätte daher auf die Frage eines Zusammenhanges der Verfolgungsgefahr mit der Familienzugehörigkeit der Erstbeschwerdeführerin als Zugehörigkeit zu einer bestimmten "sozialen Gruppe" eingehen müssen. Entgegen der Argumentation der belangten Behörde in der Gegenschrift ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend, ob der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin seinerseits aus Konventionsgründen verfolgt worden war (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 21. März 2007, Zlen. 2006/19/0083 bis 0085, mwN, vom 4. März 2008, Zl. 2006/19/0358, und vom 26. Mai 2009, Zl. 2007/01/0077).

Es greift daher zu kurz, wenn die belangte Behörde den Asylantrag der Erstbeschwerdeführerin mit der Begründung der fehlenden Asylrelevanz abgewiesen hat.

Der erstangefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

2. Die Aufhebung des die Erstbeschwerdeführerin betreffenden Bescheides im Asylteil entzieht dem zweitangefochtenen Bescheid (Entscheidung über den Asylerstreckungsantrag der Zweitbeschwerdeführerin) die rechtliche Grundlage, weshalb dieser Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben war (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 21. September 2006, Zl. 2006/19/0072, mwN, und vom 30. November 2006, Zl. 2006/19/0302).

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 16. Dezember 2010

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