VwGH 2007/20/0860

VwGH2007/20/086017.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke und die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterinnen, im Beisein des Schriftführers Mag. Hahnl, über die Beschwerde 1. des M, 2. der M,

3. des A, 4. des B, 5. des R und 6. der J, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates 1.) vom 12. April 2007, Zl. 258.160/0/10E-XIV/39/05, 2.) vom 13. April 2007, Zl. 258.157/0/7E-XIV/39/05,

3.) vom 13. April 2007, Zl. 258.156/0/4E-XIV/39/05, 4.) vom 13. April 2007, Zl. 258.159/0/4E-XIV/39/05, 5.) vom 13. April 2007, Zl. 258.155/0/4E-XIV/39/05, und 6.) vom 13. April 2007, Zl. 304.306-C1/2E-XIV/39/06, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (zu 1. und 5.), §§ 10 und 11 Asylgesetz 1997 (zu 2. bis 4.) und §§ 3, 8, 10 Asylgesetz 2005 (zu 6.) (jeweils weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

AsylG 1997 §10;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AsylG 2005 §34 Abs4;
AVG §60;
AVG §67;
FrPolG 2005 §50;
EMRK Art2;
EMRK Art3;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §10;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AsylG 2005 §34 Abs4;
AVG §60;
AVG §67;
FrPolG 2005 §50;
EMRK Art2;
EMRK Art3;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Der erst-, der fünft- und der sechstangefochtene Bescheid werden insoweit, als damit die jeweiligen Spruchpunkte II. der erstinstanzlichen Bescheide bestätigt wurden, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (Erstbeschwerdeführer) bzw. wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts (Fünftbeschwerdeführer und Sechstbeschwerdeführerin) sowie hinsichtlich der Ausweisungsentscheidung betreffend die erst-, fünft- und sechstbeschwerdeführenden Parteien wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Erstbeschwerdeführer, dem Fünftbeschwerdeführer und der Sechstbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von je EUR 1.106,40, sohin insgesamt EUR 3.319,20, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Ein Aufwandersatz in den Verfahren der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien findet nicht statt.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und die Eltern der minderjährigen dritt- bis sechstbeschwerdeführenden Parteien. Alle beschwerdeführenden Parteien sind russische Staatsangehörige tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit.

Der Erstbeschwerdeführer reiste gemeinsam mit der Zweitbeschwerdeführerin und den Dritt- und Viertbeschwerdeführern in Österreich ein und beantragte am 30. März 2004 Asyl. Zeitgleich stellte die Zweitbeschwerdeführerin einen Antrag auf Erstreckung des ihrem Ehemann zu gewährenden Asyls. Auch für die beiden minderjährigen Kinder - den Dritt- und den Viertbeschwerdeführer - wurden am selben Tag Asylerstreckungsanträge gestellt. Für die beiden in Österreich nachgeborenen Kinder - den Fünftbeschwerdeführer und die Sechstbeschwerdeführerin - wurden am 15. November 2004 ein Asylantrag bzw. am 9. Juni 2006 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen erstangefochtenen bzw. fünftangefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufungen des Erst- bzw. des Fünftbeschwerdeführers gegen die ihren jeweiligen Asylantrag abweisenden Bescheide des Bundesasylamtes vom 31. Mai 2005 "gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 AsylG" ab und wies den Erstbeschwerdeführer bzw. den Fünftbeschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus. Begründend führte die belangte Behörde aus, das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers sei derart vage, unschlüssig und widersprüchlich gewesen, dass es als unglaubwürdig zu werten gewesen sei. Nach kurzen Länderfeststellungen erklärte die belangte Behörde das Refoulement des Erstbeschwerdeführers für zulässig. Dies begründete sie damit, dass ihm im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation dort die notdürftigste Lebensgrundlage nicht entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK nicht überschritten wäre, zumal er nach eigenen Angaben in der Russischen Föderation selbstständig tätig gewesen sei, Autos und Kleider verkauft und "Verschiedenes gearbeitet" habe, sodass es ihm bei einer Rückkehr in die Russische Föderation möglich wäre, "die existenziellen Grundbedürfnisse wie Nahrung und Unterkunft sowie Arbeit zu erfüllen". Hinweise auf außergewöhnliche Umstände, die eine Abschiebung unzulässig machen könnten, bestünden nicht. In der Russischen Föderation bestehe keine solch extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der zurückkehre, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Zur Ausweisung des Erstbeschwerdeführers führte die belangte Behörde aus, dass seine Ehefrau und vier gemeinsame, minderjährige Kinder in Österreich aufhältig seien, welche "alle einen Asylerstreckungsantrag" gestellt hätten. Berücksichtigungswürdige familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich habe er nicht. Sohin hätten sich auch keine Hinweise ergeben, dass die Ausweisung einen Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Erstbeschwerdeführers darstelle. Zur Ausweisung des Fünftbeschwerdeführers erfolgte im fünftangefochtenen Bescheid keine nähere Auseinandersetzung, sondern lediglich ein Verweis auf die Ausweisungsentscheidung betreffend den Erstbeschwerdeführer.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen sechstangefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Sechstbeschwerdeführerin gegen den ihren Antrag auf internationalen Schutz abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. August 2006 "gemäß §§ 3, 8, 10 AsylG 2005" ab. Zur Ausweisung der Sechstbeschwerdeführerin wurde lediglich auf die Ausweisung des Erstbeschwerdeführers verwiesen.

Mit den zweit- bis viertangefochtenen Bescheiden wurden die gegen die Abweisung der Asylerstreckungsanträge mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 31. Mai 2005 gerichteten Berufungen der zweitbis viertbeschwerdeführenden Parteien jeweils gemäß "§§ 10, 11 AsylG" abgewiesen.

Über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten

Senat erwogen:

Zu I.:

1. Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 28. Mai 2009, Zlen. 2008/19/0938 bis 0942, mwN).

Die im erstangefochtenen Bescheid enthaltenen Länderfeststellungen beschränken sich auf eine Beschreibung eines andauernden Guerillakriegs in Tschetschenien sowie einer in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens stattfindenden verschärften Kampagne der Miliz gegen Tschetschenen, die allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit bzw. ihres kaukasischen Aussehens zunehmend unter einer Art Attentäter-Generalverdacht stünden, was auch Auswirkungen auf den Umgang der russischen Behörden mit rückkehrenden Tschetschenen habe.

Darauf aufbauend verneint die belangte Behörde den Refoulementschutz unter Hinweis darauf, dass in der Russischen Föderation keine solch extreme Gefährdungslage bestehe, dass gleichsam jeder, der zurückkehre, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre, und dass keine Anhaltspunkte für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 50 FPG vorlägen.

Diese Einschätzung ist aber aus den von der belangten Behörde im erstangefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen nicht ableitbar. Um von der Zulässigkeit des Refoulements ausgehen zu können, hätte es fundierterer Feststellungen bedurft, die den Standpunkt der belangten Behörde zu stützen imstande sind.

Der erstangefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG insoweit, als damit gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) das Refoulement des Erstbeschwerdeführers hinsichtlich der Russischen Föderation für zulässig erklärt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Dieser Umstand schlägt im Familienverfahren gemäß § 10 AsylG (Fünftbeschwerdeführer) bzw. § 34 Abs. 4 Asylgesetz 2005 (Sechstbeschwerdeführerin) auch auf die Verfahren der fünft- und sechstbeschwerdeführenden Parteien durch (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2010, Zl. 2008/23/1223 bis 1225). Die sie betreffenden Bescheide der belangten Behörde waren daher schon aus diesem Grund in dem im Spruch angeführten Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

2. Bei der im erstangefochtenen Bescheid verfügten Ausweisung hat die belangte Behörde auch die Rechtslage verkannt. Auf Grund der asylrechtlichen Ausweisung erscheint es möglich, dass der Erstbeschwerdeführer ohne seine Ehefrau und seine minderjährigen Kinder das Bundesgebiet zu verlassen hat. Die Ausweisung stellt somit jedenfalls einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben des Erstbeschwerdeführers zu seiner Ehefrau und zu seinen minderjährigen Kindern dar, welcher einer Rechtfertigung bedürfte. Eine derartige Rechtfertigung enthalten die angefochtenen Bescheide jedoch nicht, zumal die belangte Behörde auch nicht dargelegt hat, warum öffentliche Interessen es erfordern würden, dass der Erstbeschwerdeführer Österreich vor einer allfälligen Entscheidung der Fremdenbehörden über die Ausweisung der Ehefrau und der minderjährigen Kinder verlassen müsse (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Jänner 2008, Zl. 2007/19/0851, und darauf aufbauend die hg. Erkenntnisse vom 28. April 2009, Zlen. 2008/23/0308 bis 0312, oder zuletzt vom 19. Mai 2010, Zlen. 2008/23/1122 bis 1123, 1125).

Der erstangefochtene Bescheid war daher insoweit, als damit gemäß § 8 Abs. 2 AsylG die Ausweisung des Erstbeschwerdeführers in die Russische Förderation verfügt wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - abgesehen von der unter I. der Entscheidungsgründe behandelten Fragen - keine für die Entscheidung dieser Fälle maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde im übrigen Umfang abzulehnen.

Den Verfahrensaufwand vor dem Verwaltungsgerichtshof haben die zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien in diesem Fall selbst zu tragen (§ 58 Abs. 1 VwGG).

Wien, am 17. Juni 2010

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