VwGH 2007/09/0311

VwGH2007/09/031125.2.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel, sowie Senatspräsidentin Dr. Händschke und Hofrat Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des R M in W, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Mag.Dr. Roland Kier, Dr. Thomas Neugschwendtner, Univ.-Prof. Dr. Richard Soyer und Dr. Alexia Stuefer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 1. Juni 2007, Zl. 3/08115, betreffend Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art10;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art9;
62007CO0551 Sahin VORAB;
AuslBG §1 Abs2 litl idF 2005/I/157;
AuslBG §3 Abs8 idF 2006/I/099;
EURallg;
NAG 2005 §1 Abs2 Z1;
NAG 2005 §52;
NAG 2005 §54;
VwGG §42 Abs2 Z1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art10;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art9;
62007CO0551 Sahin VORAB;
AuslBG §1 Abs2 litl idF 2005/I/157;
AuslBG §3 Abs8 idF 2006/I/099;
EURallg;
NAG 2005 §1 Abs2 Z1;
NAG 2005 §52;
NAG 2005 §54;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen, nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 1. Juni 2007 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung einer Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG in Erledigung seiner Berufung gegen den Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom 21. Februar 2007 gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 1 Abs. 2 lit. l und § 3 Abs. 8 AuslBG abgewiesen.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass dem Beschwerdeführer, einem georgischen Staatsangehörigen, der mit einer griechischen Staatsbürgerin verheiratet ist und mit dieser im Bundesgebiet zusammen lebt, die begehrte Bestätigung, nämlich die Ausnahme vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes nach dessen § 1 Abs. 2 lit. l, nur unter der Voraussetzung ausgestellt hätte werden können, dass er zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 101/2005, berechtigt wäre. Die zuständige Aufenthaltsbehörde habe seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit Bescheid vom 4. Mai 2007 abgelehnt. Derzeit sei der Beschwerdeführer sohin nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels. Damit sei die Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der Niederlassung im Sinne des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG nicht erfüllt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete, von diesem mit Beschluss vom 25. September 2007, B 1319/07-3, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetretene und über Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes ergänzte Beschwerde, in welcher die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte, und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 2 lit. l des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG, BGBl. Nr. 218/1975, in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 157/2005, sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes nicht anzuwenden auf

l) freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder), die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sowie drittstaatsangehörige Eltern des EWR-Bürgers und seines Ehegatten, denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sofern sie zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, berechtigt sind.

Gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG, in der Fassung BGBl. I Nr. 99/2006, ist Familienangehörigen gemäß § 1 Abs. 2 lit. l und m auf deren Antrag von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Bestätigung auszustellen, dass sie vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgenommen sind.

Nach der bis zum 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen Rechtslage (FrG 1997) unterlagen Angehörige von EWR-Bürgern, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, der Sichtvermerkspflicht (§ 47 Abs. 1 FrG).

Nach § 47 Abs. 2 FrG genossen Ehegatten von EWR-Bürgern Niederlassungsfreiheit, sofern die EWR-Bürger zur Niederlassung berechtigt sind. Solche Fremde konnten Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen.

Die maßgebenden Bestimmungen des mit 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, lauten (auszugsweise) wie folgt:

§ 52. Angehörige von freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51), die selbst EWR-Bürger sind, sind zur Niederlassung berechtigt, wenn sie

1. Ehegatte sind;

...

und diesen begleiten oder zu ihm nachziehen.

§ 54. (1) Angehörige von freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51), die nicht EWR-Bürger sind und die die in § 52 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zur Niederlassung berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Daueraufenthaltskarte für die Dauer von zehn Jahren auszustellen. Dieser Antrag ist spätestens nach Ablauf von drei Monaten ab ihrer Niederlassung zu stellen.

(2) Zum Nachweis des Rechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie

1. nach § 52 Z 1 ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe;

2. nach § 52 Z 2 und 3 ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern über 21 Jahren und Verwandten des EWR-Bürgers oder seines Ehegatten in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung vorzulegen."

Art. 2 Z. 2 lit. a und Art. 3 Abs. 1 der bis zum 30. August 2006 umzusetzenden Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, lauten:

"Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck ...

2. 'Familienangehöriger'

  1. a) den Ehegatten;
  2. b) ...

    Artikel 3

    Berechtigte

(1) Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen."

In seiner Entscheidung vom 19. Dezember 2008 in der Rechtssache C-551/07 (Sahin) hat der EuGH im Anschluss an sein Urteil vom 25. Juli 2008, C-127/08 (Metock), folgende Rechtsansicht vertreten:

"Die Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 2 sowie 7 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG sind so auszulegen, dass sie auch die Familienangehörigen erfassen, die unabhängig vom Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat gelangt sind und erst dort die Angehörigeneigenschaft erworben oder das Familienleben mit diesem Unionsbürger begründet haben. Hierbei spielt es keine Rolle, dass sich der Familienangehörige zum Zeitpunkt des Erwerbs dieser Eigenschaft oder der Begründung des Familienlebens nach den asylgesetzlichen Bestimmungen des Aufnahmemitgliedstaats vorläufig in diesem Staat aufhält."

Da die genannten Bestimmungen der Richtlinie 2004/38/EG - im Fall ihrer nicht ausreichenden oder nicht eindeutigen Umsetzung - unmittelbar anwendbar sind, verdrängen sie kraft des dem unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrecht zukommenden Anwendungsvorranges allenfalls entgegenstehende nationale Bestimmungen. Unter Zugrundelegung des § 54 Abs. 1 NAG vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 , in diesem Verständnis kommt dem Beschwerdeführer als Ehegatten einer griechischen Staatsangehörigen, die auf Grund ihres Wohnsitzes im Bundesgebiet offenkundig von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG jedenfalls zu (vgl. schon das hg. Erkenntnis vom 23. April 2009, Zl. 2007/09/0121). Auf die Ausstellung einer Aufenthaltskarte kommt es in einem solchen Fall nicht an (vgl. zur konstitutiven Wirkung der Daueraufenthaltskarte schon das hg. Erkenntnis vom 4. September 2006, Zl. 2006/09/0070).

Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 und 6 VwGG abgesehen werden. Dem steht auch Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegen: Der EGMR sieht den Entfall der nach dieser Bestimmung grundsätzlich gebotenen öffentlichen Verhandlung dann als zulässig an, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine Ausnahme davon rechtfertigen (vgl. etwa die Urteile des EGMR in den Fällen Jussila gegen Finnland, 23. November 2006, Nr. 73053/01; Bösch gegen Österreich, 3. Mai 2007, Nr. 17912/05; Hofbauer gegen Österreich 2, 10. Mai 2007, Nr. 7401/04). Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände etwa dann angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder hoch technische Fragen betrifft; der Gerichtshof verwies in diesem Zusammenhang aber auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige. Im Hinblick darauf, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Grundlage des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes zu überprüfen hat (§ 41 Abs. 1 VwGG), ist nicht ersichtlich, welchen weiteren Beitrag zur Feststellung des Sachverhaltes die vom Beschwerdeführer begehrte öffentliche mündliche Verhandlung hätte leisten können, zumal die belangte Behörde im Sinne der ausgesprochenen Aufhebung ihrer Entscheidung ohnedies eine neue Verhandlung unter Beiziehung der Parteien durchzuführen haben wird, in der der Beschwerdeführer die Möglichkeit hat, seinen Standpunkt neuerlich darzulegen. Angesichts der in der Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend gemachten Rechte sowie nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise war somit im vorliegenden Fall die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung ausnahmsweise nicht geboten.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 25. Februar 2010

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