VwGH 2007/09/0121

VwGH2007/09/012123.4.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des M O I in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 15. September 2006, Zl. 3/08115, betreffend Ausstellung einer Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art10;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art3 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art6 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs1 litd;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art9 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art9;
62007CO0551 Sahin VORAB;
AuslBG §1 Abs2 litl idF 2005/I/157;
EURallg;
NAG 2005 §1 Abs2 Z1;
NAG 2005 §52;
NAG 2005 §54 Abs1;
NAG 2005 §54;
VwGG §42 Abs2 Z1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art10;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art3 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art6 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs1 litd;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art9 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art9;
62007CO0551 Sahin VORAB;
AuslBG §1 Abs2 litl idF 2005/I/157;
EURallg;
NAG 2005 §1 Abs2 Z1;
NAG 2005 §52;
NAG 2005 §54 Abs1;
NAG 2005 §54;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger und stellte am 2. Mai 2003 in Österreich einen Asylantrag. Über diesen Antrag wurde bis zur Erlassung des hier angefochtenen Bescheides noch nicht rechtskräftig entschieden. Dem Beschwerdeführer ist zu diesem Zeitpunkt ein vorläufiges asylrechtliches Aufenthaltsrecht zugekommen. Der zur hg. Zl. 2006/20/0149 erfassten Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. März 2006, womit sein Asylantrag in zweiter Instanz abgewiesen worden war, wurde mit hg. Beschluss vom 12. Juni 2006 aufschiebende Wirkung zuerkannt. Mit hg. Beschluss vom 9. September 2008 wurde die Behandlung der Beschwerde gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG abgelehnt.

Am 20. Juli 2006 heiratete der Beschwerdeführer eine deutsche Staatsangehörige. Nach der in den Verwaltungsakten erliegenden Meldeauskunft lebt er mit dieser zumindest seit 28. Dezember 2005 im gemeinsamen Haushalt in Wien.

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen, nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 15. September 2006 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 10. August 2006 auf Ausstellung einer Bestätigung nach § 3 Abs. 8 iVm § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG in Erledigung seiner Berufung gegen den Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom 24. August 2006 abgewiesen.

Ihre Begründung stützte die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass der Beschwerdeführer zwar mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei und ihm als Asylwerber ein vorläufiges Aufenthaltsrecht bis zum rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens zukomme, er jedoch nicht zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, berechtigt sei und deshalb nicht die Voraussetzung für die begehrte Bestätigung, nämlich die Ausnahme vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes nach dessen § 1 Abs. 2 lit. l, erfülle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, nach Ablehnung durch den Verfassungsgerichtshof und Abtretung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG mit Beschluss vom 13. Juni 2007, B 1870/06- 11, für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte Beschwerde, womit dessen Aufhebung begehrt wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, ohne eine Gegenschrift zu erstatten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 2 lit. l und m des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG, BGBl. Nr. 218/1975, in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 157/2005, sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes nicht anzuwenden auf

l) freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder), die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sowie drittstaatsangehörige Eltern des EWR-Bürgers und seines Ehegatten, denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sofern sie zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, berechtigt sind;

m) EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch nehmen, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder) sowie drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder österreichischer Staatsbürger, sofern der Ehegatte bzw. das Kind zur Niederlassung nach dem NAG berechtigt ist.

Gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG, in der Fassung BGBl. I Nr. 99/2006, ist Familienangehörigen gemäß § 1 Abs. 2 lit. l und m auf deren Antrag von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Bestätigung auszustellen, dass sie vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgenommen sind.

Nach der bis zum 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen Rechtslage (FrG 1997) unterlagen Angehörige von EWR-Bürgern, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, der Sichtvermerkspflicht (§ 47 Abs. 1 FrG). Nach § 47 Abs. 2 FrG genossen Ehegatten von EWR-Bürgern Niederlassungsfreiheit, sofern die EWR-Bürger zur Niederlassung berechtigt sind. Solche Fremde konnten Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen.

Die maßgebenden Bestimmungen des mit 1. Jänner in Kraft getretenen Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, lauten (auszugsweise) wie folgt:

"§1. (1) ...

(2) Dieses Bundesgesetz gilt nicht für Fremde, die

1. nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, und nach vorigen asylgesetzlichen Bestimmungen zum Aufenthalt berechtigt sind, soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt;

2. ...

§ 52. Angehörige von freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern (§51), die selbst EWR-Bürger sind, sind zur Niederlassung berechtigt, wenn sie

  1. 1. Ehegatte sind;
  2. 2. ...

    und diesen begleiten oder zu ihm nachziehen.

54. (1) Angehörige von freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51), die nicht EWR-Bürger sind und die die in § 52 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zur Niederlassung berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Daueraufenthaltskarte für die Dauer von zehn Jahren auszustellen. Dieser Antrag ist spätestens nach Ablauf von drei Monaten ab ihrer Niederlassung zu stellen.

(2) Zum Nachweis des Rechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie

1. nach § 52 Z 1 ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe;

2. nach § 52 Z 2 und 3 ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern über 21 Jahren und Verwandten des EWR-Bürgers oder seines Ehegatten in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung

vorzulegen."

Art. 2 Z. 2 lit. a und Art. 3 Abs. 1 der bis zum 30. August 2006 umzusetzenden Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, lauten (Unterstreichungen durch den Verwaltungsgerichtshof):

"Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck ...

2. 'Familienangehöriger'

  1. a) den Ehegatten;
  2. b) ...

    Artikel 3

    Berechtigte

(1) Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen."

In seiner Entscheidung vom 19. Dezember 2008 in der Rechtssache C-551/07 (Sahin) hat der EuGH im Anschluss an sein Urteil vom 25. Juli 2008, C-127/08 (Metock) folgende Rechtsansicht vertreten:

"1. Die Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 2 sowie 7 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG sind so auszulegen, dass sie auch die Familienangehörigen erfassen, die unabhängig vom Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat gelangt sind und erst dort die Angehörigeneigenschaft erworben oder das Familienleben mit diesem Unionsbürger begründet haben. Hierbei spielt es keine Rolle, dass sich der Familienangehörige zum Zeitpunkt des Erwerbs dieser Eigenschaft oder der Begründung des Familienlebens nach den asylgesetzlichen Bestimmungen des Aufnahmemitgliedstaats vorläufig in diesem Staat aufhält.

2. Die Art. 9 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 2004/38 stehen einer nationalen Regelung entgegen, wonach Familienangehörige eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und denen kraft Gemeinschaftsrecht, insbesondere nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie, ein Recht auf Aufenthalt zukommt, allein deshalb keine Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers erhalten können, weil sie nach den asylgesetzlichen Bestimmungen des Aufnahmemitgliedstaats vorläufig zum Aufenthalt in diesem Staat berechtigt sind."

Da die genannten Bestimmungen der Richtlinie 2004/38 unmittelbar anwendbar sind, verdrängen sie kraft des dem unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrecht zukommenden Anwendungsvorranges entgegenstehende nationale Bestimmungen, hier § 1 Abs. 2 Z. 1 NAG (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 2009, Zl. 2008/21/0671).

Unter Zugrundelegung des § 54 Abs. 1 NAG vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 , in diesem Verständnis kam dem Beschwerdeführer als Ehegatten einer deutschen Staatsangehörigen, die auf Grund ihres Wiener Wohnsitzes offenkundig von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, unabhängig von seinem derzeitigen Aufenthaltsstatus die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG jedenfalls zu.

Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 23. April 2009

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