Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Serbien, stammt aus dem Kosovo (der Stadt MitrovicE/Mitrovica) und gehört der serbischen Volksgruppe an. Sie reiste am 9. Oktober 2006 in das Bundesgebiet ein und stellte am 10. Oktober 2006 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid vom 11. Juli 2007 wies das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und erkannte ihr weder den Status einer Asylberechtigten noch den einer subsidiär Schutzberechtigten zu. Gleichzeitig wies die Behörde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 aus dem Bundesgebiet nach "Serbien, Provinz Kosovo" aus.
In ihrer dagegen erhobenen Berufung verwies die Beschwerdeführerin unter anderem auf handschriftliche Ausführungen (in serbischer Sprache), mit denen sie ihre Fluchtgründe konkretisiere; sie ersuche, diese Ausführungen zu übersetzen und zu berücksichtigen.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11. Juli 2007 "gemäß §§ 3, 8 und 10 AsylG" abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe ihren Antrag im Zuge der erstinstanzlichen Einvernahmen damit begründet, sie habe in Mitrovica Nord gewohnt. 2001 seien bei einem Brand des Hauses zwei Geschwister ums Leben gekommen; ihre Mutter sei ein Jahr später aus Trauer verstorben. Ihr Vater, zwei Schwestern und ein Bruder würden "nach wie vor im Kosovo leben"; sie wisse nicht, wo ihr Bruder sich aufhalte. Bis zu ihrer Ausreise habe sie als Putzfrau gearbeitet. Am 24. Mai 2004 sei sie von Albanern entführt und von einem Mann namens FH vergewaltigt worden. Diese Vergewaltigung sei bei UNMIK in Mitrovica angezeigt worden; der Täter sei verhaftet worden. Nach drei Tagen sei der Täter (aus der Haft) wieder entlassen worden, weil sie "auf Druck der Familie des Täters ihre Anzeige zurückgezogen habe"; den Zwang zu dieser Anzeigerückziehung habe sie bei der Polizei nicht gemeldet. Fünf Monate vor ihrer Ausreise sei sie von einer Person namens G geschlagen worden. Diesen Übergriff habe sie nicht angezeigt. Die im Jahr 2004 erlittene Vergewaltigung habe sie "nicht zur Ausreise aus ihrer Heimat veranlasst, vielmehr sei der Grund darin gelegen, dass die Lebensbedingungen sehr schlecht gewesen seien"; sie habe vor, zurückzukehren, wenn sich die Situation in ihrer Heimat verbessert habe.
Die belangte Behörde verwies darauf, dass das Bundesasylamt nach Feststellungen zur allgemeinen Lage in Serbien, Provinz Kosovo, im Rahmen der Beweiswürdigung das Vorbringen der Beschwerdeführerin als weder zur Asylgewährung noch zur Zuerkennung subsidiären Schutzes ausreichend angesehen habe, zumal die Beschwerdeführerin von staatlicher Seite nicht verfolgt worden sei. Hinsichtlich einer "etwaigen Verfolgung durch Dritte" seien "Sicherheitsorgane im Kosovo" willens und fähig, Schutz vor drohenden Übergriffen zu bieten. Die belangte Behörde qualifizierte das erstbehördliche Ermittlungsverfahren als mängelfrei und erklärte, sich den Ausführungen des Bundesasylamtes im bekämpften Bescheid anzuschließen und diese zum Inhalt des Bescheides zu erheben. Die (in der Berufung) vorgelegten Auszüge zweier Länderberichte könnten mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht in Zusammenhang gebracht werden. Aus diesen Berichten gehe nicht hervor, dass "die Sicherheitsorgane im Kosovo" nicht willens und fähig seien, Schutz zu bieten; vielmehr werde dokumentiert, dass "Vorfälle zur Anzeige gebracht werden, die Polizei Ermittlungen anstellt und Verfahren vor Gericht abgeführt werden". Die Ausführungen der Beschwerdeführerin "hinsichtlich allgemeiner Vorfälle" seien unbeachtlich, weil "kein konkreter Bezug zu ihrem Vorbringen hergestellt wurde". Angemerkt werde, dass die Beschwerdeführerin angegeben habe, ihre Vergewaltigung im Jahr 2004 sei nicht der Grund ihrer Ausreise gewesen, "zumal sie sich in diesem Zusammenhang unter den Schutz der Sicherheitskräfte im Kosovo stellte".
Die Voraussetzungen für eine Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung seien vorgelegen, weil sich im Berufungsschriftsatz kein zusätzliches Tatsachenvorbringen der Beschwerdeführerin hinsichtlich allfälliger Fluchtgründe finde und sie der Beurteilung der Erstbehörde ein konkretes Argument nicht entgegen gehalten habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde bringt (unter anderem) vor, aus allen Positionspapieren des UNHCR ergebe sich, dass sich die serbische Volksgruppe im Kosovo in einer "katastrophalen ethnischen Ausgrenzungs- und Unterdrückungssituation" befinde. Im März 2004 sei es zu schweren Ausschreitungen gegen die serbische Volksgruppe gekommen, die von den internationalen Sicherheitskräften nicht unter Kontrolle gehalten werden konnten. Auch im letzten Positionspapier vom Juni 2006 weise UNHCR auf das besondere Schutzbedürfnis der serbischen Minderheit im Kosovo hin. Die belangte Behörde hätte daher der Beschwerdeführerin Asyl (Status einer Asylberechtigten) gewähren (zuerkennen) müssen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben entsprechende Empfehlungen internationaler Organisationen Indizwirkung (vgl. zum Kosovo die hg. Erkenntnisse vom 19. März 2009, Zlen. 2006/01/0930 bis 0931 mwN, und vom 26. Mai 2009, Zl. 2006/01/0462).
UNHCR kommt in der von der Beschwerde angesprochenen und zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides aktuellen Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo (Juni 2006) zur Auffassung, dass
"vor dem Hintergrund der derzeit fragilen Sicherheitssituation im Kosovo und der nach wie vor vorherrschenden Einschränkungen grundlegender Menschenrechte der Kosovo-Serben, Roma und Kosovo-Albaner in einer Minderheitenposition bekräftigt UNHCR seine Auffassung, dass für Angehörige dieser Volksgruppen nach wie vor ein Verfolgungsrisiko besteht und diese Minderheiten in ihren jeweiligen Zufluchtsstaaten als Flüchtlinge im Sinne von Art. 1 A (2) des Abkommens von 1951 und des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge betrachtet werden sollten. Für den Fall, dass ein Staat nach nationaler Gesetzeslage keinen Flüchtlingsstatus gewähren kann, aber die Person nicht vom internationalen Schutz ausgeschlossen ist, sollte komplementärer Schutz gewährt werden. Die Rückkehr von Angehörigen dieser Personengruppen sollte ausschließlich auf einer strikt freiwilligen Grundlage erfolgen. Personen, die den Wunsch äußern, freiwillig zurückzukehren, sollten dies aus freiem Willen und in voller Kenntnis der gegenwärtigen Situation im Kosovo tun können."
(Randnr. 24 der UNHCR-Position).
Die belangte Behörde kam hingegen ohne Begründung zu der abweichenden Einschätzung, dass für die Beschwerdeführerin eine aktuelle asylrelevante Verfolgungsgefahr nicht gegeben sei. Eine Auseinandersetzung mit der (oben wiedergegebenen) UNHCR-Position und auch insbesondere mit der für MitrovicE/Mitrovica speziellen Situation enthält die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht (vgl. bereits das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 2009, Zl. 2006/01/0462).
Im Bescheid der belangten Behörde finden sich keine Feststellungen zur persönlichen Situation der Beschwerdeführerin. Mit ihren mit der Berufung vorgelegten Ausführungen, in denen die Beschwerdeführerin ausführlich und konkret ihre Lage in MitrovicE/Mitrovica und die gegen sie gerichteten Verfolgungshandlungen von Seiten der albanischen Bevölkerung seit 2001 bis zu ihrer Ausreise vorbrachte, hat die belangte Behörde sich nicht auseinander gesetzt. Die im angefochtenen Bescheid gegebene Begründung für die Abstandnahme von der mündlichen Verhandlung, die Beschwerdeführerin habe kein zusätzliches Vorbringen zu ihren Fluchtgründen erstattet, ist unrichtig. Die handschriftlichen Ausführungen der Beschwerdeführerin wurden zwar (am 16. August 2007) aus der serbischen Sprache übersetzt, von der belangten Behörde aber nicht berücksichtigt.
Insoweit die belangte Behörde zu der Vergewaltigung der Beschwerdeführerin im Jahr 2004 anmerkte, diese sei nicht der Ausreisegrund gewesen, wurde nicht berücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin nach ihren Angaben vor der Erstbehörde ihre Heimat deshalb nicht sofort (bzw. früher) verließ, weil ihr die finanziellen Möglichkeiten fehlten. Die Beschwerdeführerin hat dazu in ihren handschriftlichen Ausführungen zur Berufung (auch) konkretes Vorbringen erstattet, mit dem die belangte Behörde sich jedoch nicht auseinander setzte. Inwieweit die Beschwerdeführerin - wie die belangte Behörde anmerkt - "sich in diesem Zusammenhang unter den Schutz der Sicherheitskräfte des Kosovo stellte", ist nicht nachvollziehbar.
Insoweit die belangte Behörde (auch) die Schutzfähigkeit der "Sicherheitsorgane im Kosovo" annahm, ließ sie die spezielle Situation in der (geteilten) Stadt MitrovicE/Mitrovica - die sich vom übrigen Kosovo unterscheidet - unberücksichtigt. Feststellungen dazu, insbesondere über die in dieser Region bestehenden Sicherheitskräfte und Sicherheitsstrukturen fehlen.
Die Begründung des angefochtenen Bescheides erweist sich sohin in mehrfacher Hinsicht als ungenügend. Der angefochtene Bescheid ist schon im Umfang des Asylteils mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Diese Rechtswidrigkeit schlägt auf die Absprüche über das Refoulement und die Ausweisung durch, sodass der angefochtene Bescheid insgesamt gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 16. Dezember 2010
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