VwGH 2006/06/0214

VwGH2006/06/021424.3.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Bayjones und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Petritz, über die Beschwerde des Dr. Michael Haffner in Hall in Tirol, vertreten durch Dr. Christoph Haffner, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Burgfriedstraße 11, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 21. Juni 2006, Zl. Ve1-8-1/322-1, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde H), zu Recht erkannt:

Normen

BauO Tir 2001 §6 Abs3 lita;
BauO Tir 2001 §6 Abs3 litb;
BauO Tir 2001 §6 Abs6;
BauRallg;
BauO Tir 2001 §6 Abs3 lita;
BauO Tir 2001 §6 Abs3 litb;
BauO Tir 2001 §6 Abs6;
BauRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bauansuchen vom 5. Februar 2004, bei der Baubehörde eingelangt am 10. Februar 2004, beantragte der Beschwerdeführer die Erteilung der Baubewilligung für ein Glashaus für gärtnerische Zwecke auf der Liegenschaft R.-Straße 11.

Bei der Bauverhandlung am 6. Oktober 2005 gab der Vertreter der Nachbarn B.H. und O.H. zu Protokoll, dass keinerlei Bereitschaft bestehe, einer Zusammenbauvereinbarung oder einer Verbauung von mehr als 50 % der gemeinsamen Grundstücksgrenze zuzustimmen. Das Bauvorhaben widerspreche nach Ansicht der Nachbarn den Abstandsbestimmungen und den Bestimmungen über die gemeinsame Verbauung der Grundgrenze.

Mit Bescheid vom 16. Februar 2006 wies der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde das Bauansuchen gemäß § 26 Abs. 4 lit. c der Tiroler Bauordnung 2001 (TBO) wegen Widerspruchs zu § 6 Abs. 3 lit. a und § 6 Abs. 6 BO ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Länge der gemeinsamen Grundgrenze betrage 25,65 m. 50 % davon seien 12,83 m. Die beiderseitige Verbauung der gemeinsamen Grundgrenze beliefe sich unter Einbeziehung der verfahrensgegenständlichen baulichen Anlage auf insgesamt 19,83 m und würde somit die zulässige Bebauung um 7 m überschreiten. Eine Zustimmung der Nachbarn zur weitergehenden Verbauung sei dezidiert ausgeschlossen worden. Es liege daher ein Widerspruch zu § 6 Abs. 6 BO vor.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, die mit Bescheid des Stadtrates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 31. März 2006 abgewiesen wurde.

Die dagegen erhobene Vorstellung des Beschwerdeführers wurde mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, das gegenständliche Glashaus für gärtnerische Zwecke sei eine oberirdische bauliche Anlage, die dem Schutz von Sachen dienen solle. Der Bauplatz liege im Wohngebiet. Da die mittlere Wandhöhe des geplanten Glashauses eindeutig die zulässige maximale Wandhöhe von 2,80 m auf der der Grundstücksgrenze zugekehrten Seite überschreite (nach den eingereichten Planunterlagen sei eine mittlere Wandhöhe von 3,50 m Gegenstand des Antrages), widerspreche das Bauvorhaben der Abstandsbestimmung des § 6 Abs. 3 lit. a BO. Im Übrigen befinde sich an der gemeinsamen Grundgrenze zum Grundstück von B.H. und O.H. bereits eine bauliche Anlage im Mindestabstandsbereich. Die Hälfte der gemeinsamen Grundgrenze sei derzeit noch nicht verbaut. Mit dem nunmehrigen Bauvorhaben solle jedoch insgesamt mehr als die Hälfte der gemeinsamen Grundgrenze zwischen den Grundstücken des Beschwerdeführers und von B.H. und O.H. verbaut werden. Eine Zustimmungserklärung der betroffenen Nachbarn liege nicht vor. Die Ausführungen des Beschwerdeführers zum Schikaneverbot vermöchten nicht zu überzeugen, die Motive, aus denen der Nachbar einer Verbauung von mehr als 50 % der gemeinsamen Grundgrenze nicht zustimme, seien unerheblich. Die Zustimmungserklärung des betroffenen Grundeigentümers sei eine Bewilligungsvoraussetzung, bei deren Nichtvorliegen das Baugesuch abzuweisen sei. Das Bauvorhaben widerspreche daher auch § 6 Abs. 6 BO, weil damit mehr als die Hälfte der gemeinsamen Grundgrenze verbaut würde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 6 BO lautet auszugsweise:

"§ 6

Abstände baulicher Anlagen

von den übrigen Grundstücksgrenzen

und von anderen baulichen Anlagen

...

(3) Folgende bauliche Anlagen oder Bauteile dürfen in die Mindestabstandsflächen von 3 bzw. 4 m ragen oder innerhalb dieser errichtet werden:

a) oberirdische bauliche Anlagen, die ausschließlich dem Schutz von Sachen oder Tieren dienen und deren mittlere Wandhöhe bzw. Höhe auf der der Grundstücksgrenze zugekehrten Seite 2,80 m, im Gewerbe- und Industriegebiet 3,50 m, nicht übersteigt, wenn sie in den Mindestabstandsflächen keine Rauchfang-, Abgasfang- oder Abluftfangmündungen aufweisen, einschließlich der Zufahrten; oberirdische bauliche Anlagen, die dem Schutz von Tieren dienen, dürfen in den Mindestabstandsflächen auch keine sonstigen Öffnungen ins Freie aufweisen; die Ausstattung von oberirdischen baulichen Anlagen mit begehbaren Dächern ist nur zulässig, wenn diese höchstens 1,50 m über dem anschließenden Gelände liegen oder wenn der betroffene Nachbar dem nachweislich zustimmt;

begehbare Dächer dürfen mit einer höchstens 1 m hohen Absturzsicherung ausgestattet sein;

b) oberirdische bauliche Anlagen, die dem Aufenthalt von Menschen dienen, wie Terrassen, Pergolen und dergleichen, wenn sie überwiegend offen sind, sowie offene Schwimmbecken;

...

(6) Die Mindestabstandsflächen von 3 bzw. 4 m dürfen insgesamt nur im Ausmaß von höchstens 15 v. H. der Fläche des Bauplatzes mit oberirdischen baulichen Anlagen im Sinne des Abs. 2 lit. a und Abs. 3 verbaut werden. Dabei bleiben bauliche Anlagen nach Abs. 3 lit. c und d sowie Pflasterungen und dergleichen unberücksichtigt. Oberirdische bauliche Anlagen nach Abs. 3 lit. a und b dürfen überdies nur in einem solchen Ausmaß errichtet werden, dass gegenüber den angrenzenden Grundstücken zu jeder Seite hin mindestens die Hälfte der gemeinsamen Grenze von baulichen Anlagen frei bleibt, außer der betroffene Nachbar stimmt einer weitergehenden Verbauung nachweislich zu. Gemeinsame Grenzen von weniger als 3 m Länge auf einer Seite bleiben unberücksichtigt.

..."

Der Beschwerdeführer bringt in seiner Beschwerde im Wesentlichen unter Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 18. November 1982, Zl. 81/06/0078, vor, es stehe ihm die Wahl frei, die Hälfte der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf der Seite seines Grundstückes zu verbauen, und ebenso stehe es dem Nachbarn frei, nach seinem Belieben die Hälfte der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu verbauen. Es könne nicht sein, dass ein Nachbar die Hälfte der gemeinsamen Grundstücksgrenze verbaue und damit die Möglichkeit, an der gemeinsamen Grundstücksgrenze Bauten zu errichten, erschöpfend konsumiert sei, sodass dem anderen Nachbarn die Möglichkeit genommen wäre, ohne Zustimmung ebenfalls ein Bauvorhaben an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu verwirklichen, wenn der Nachbar, der bereits die Hälfte verbaut habe, seine Zustimmung zur Bauführung des anderen Nachbarn verweigere. Würde eine Realteilung des Nachbargrundstückes in sechs Grundstücke erfolgen, dann hätte der Beschwerdeführer zu jedem dieser sechs Grundstücke eine gemeinsame Grenze von nur 4,28 m. Davon dürfte er jeweils nach Auffassung der belangten Behörde nur die Hälfte verbauen, also an sechs Stellen seines Grundstückes nur 2,14 m der gemeinsamen Grundstücksgrenzen, es sei denn, jeder der sechs Eigentümer der angrenzenden Grundstücke würde der Verbauung auf der Seite des Beschwerdeführers zustimmen. Damit wäre dem Beschwerdeführer praktisch die Möglichkeit genommen, auf seinem Grundstück ein sinnvolles Bauvorhaben zu verwirklichen. Dies könne nicht Sinn und Zweck des Gesetzes sein. Folglich stehe es jedem Nachbarn frei, nach seinem Belieben die Hälfte der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu verbauen, ohne die Zustimmung des anderen Nachbarn einholen zu müssen. Im Übrigen sei das Schikaneverbot allgemeiner Bestandteil der Rechtsordnung und damit auch der Bauordnung. Die belangte Behörde habe sich mit dem diesbezüglichen Einwand des Beschwerdeführers betreffend die Verweigerung der Zustimmung der Nachbarn nicht befasst. Schließlich habe der Beschwerdeführer bereits am 21. Oktober 1996 ein entsprechendes Bauansuchen eingebracht, wobei die belangte Behörde mit ihrer Entscheidung so lange gewartet habe, bis sich die Rechtslage zu seinem Nachteil geändert hätte. Es wäre zuerst über sein Ansuchen vom 21. Oktober 1996 meritorisch zu entscheiden gewesen. Auch sei die Begründung des in Beschwerde gezogenen Bescheides mangelhaft, weil sie insbesondere auf das Vorbringen des Beschwerdeführers zum Schikaneverbot nicht eingegangen sei. Die belangte Behörde habe auch der Argumentation des Beschwerdeführers zu § 6 Abs. 6 BO nicht widersprochen.

Soweit sich der Beschwerdeführer auf das Bauansuchen vom 21. Oktober 1996 bezieht, ist auf das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2006/06/0333, zu verweisen. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass die beiden Bauansuchen offensichtlich ident, jedoch nach anderen Rechtsvorschriften zu beurteilen sind. Für das vorliegende Verfahren ist jedenfalls festzuhalten, dass eine rechtskräftige Entscheidung über das Bauansuchen vom 21. Oktober 1996 zum Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides vom 31. März 2006 und des hier angefochtenen Vorstellungsbescheides vom 21. Juni 2006 nicht bestand.

Soweit sich der Beschwerdeführer auf das hg. Erkenntnis vom 18. November 1982, Zl. 81/06/0078, beruft, ist daraus für ihn nichts zu gewinnen, weil damals der Verwaltungsgerichtshof an die aufhebenden Gründe eines Vorstellungsbescheides gebunden war, in denen die Rechtsauffassung vertreten worden war, dass jeder Nachbar an der gemeinsamen Grundgrenze 50 % derselben verbauen dürfe. Im vorliegenden Verfahren liegt eine entsprechende Bindungswirkung nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit § 6 Abs. 6 der Tiroler Bauordnung 2001, der auch im gegenständlichen Fall anzuwenden ist, im hg. Erkenntnis vom 28. April 2009, Zl. 2009/06/0029, auseinandergesetzt. Darin hat der Verwaltungsgerichtshof Folgendes ausgeführt:

"Die Auslegung der belangten Behörde des § 6 Abs. 6 dritter Satz TBO 2001 ist zutreffend: Die Anordnung des Gesetzes, dass gegenüber den angrenzenden Grundstücken 'zu jeder Seite hin' mindestens die Hälfte der gemeinsamen Grenze von baulichen Anlagen frei zu bleiben hat, bezieht sich auf den Abstandsbereich beidseits der gemeinsamen Grenze, dieser hat frei von solchen baulichen Anlagen zu sein. In diesem Sinne ist die Wendung 'zu jeder Seite hin' zu verstehen (in diesem Sinne übrigens schon zur früheren, aus dem Blickwinkel des Beschwerdefalles im Wesentlichen gleichen Rechtslage das genannte hg. Erkenntnis vom 23. Februar 1989, Zl. 86/06/0263, Slg. 12866/A (mit verkürzter Sachverhaltsdarstellung) - der Verwaltungsgerichtshof führte darin aus, die Wendung 'zu jeder Seite hin' sei dahin zu verstehen, dass der Abstand von 3 m an beiden Seiten der gemeinsamen Grundstücksgrenze, eben nach jeder Seite hin gewahrt werden müsse, und lehnte dabei die Auffassung der Verwaltungsbehörden ab, dass für die Ermittlung der Länge der gemeinsamen Grenze isoliert auf jede einzelne Seite des Grundstückes abzustellen sei, es komme daher nicht bloß auf die - damals - nördliche Grundstücksgrenze an, sondern auf die gesamte gemeinsame Grundstücksgrenze). Die von der Beschwerdeführerin gewünschte Auslegung dieser Bestimmung würde bedeuten, dass die Eigentümer aneinander grenzender Grundstücke jeweils ohne Zustimmung des jeweils anderen Nachbarn die gemeinsame Grundgrenze jeder bis zur Hälfte, somit insgesamt zur Gänze verbauen könnten, was dem Regelungsgehalt dieser Bestimmung nicht unterstellt werden kann. Vielmehr kann im Sinn des Gesetzes, die Mindestabstandsflächen (wenn überhaupt) nur bis zu einem gewissen Grad bebauen zu dürfen, nichts Unsachliches erblickt werden. Besteht die Garage auf dem Nachbargrund rechtmäßig, muss das Vorhaben der Beschwerdeführerin so den Gegebenheiten angepasst werden, dass mindestens die Hälfte der gemeinsamen Grundgrenze beidseits im erforderlichen Abstandsbereich von einer Verbauung frei bleibt (es sei denn, der Nachbar stimmte zu), was beim vorliegenden Projekt (den rechtmäßigen Bestand der Garage auf dem Nachbargrund vorausgesetzt) aber nicht gegeben ist."

Die Rechtsauffassung des Beschwerdeführers, dass er nach Belieben 50 % der gemeinsamen Grundgrenze verbauen könne, erweist sich somit als unzutreffend. Zu ergänzen ist, dass die Wortfolge "von baulichen Anlagen frei bleibt" sich auf alle baulichen Anlagen bezieht, und nicht nur auf die in § 6 Abs. 3 lit. a und b BO genannten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2003/06/0145).

Im Übrigen ist festzuhalten, dass die Gründe, aus denen der Nachbar seine Zustimmung zur Verbauung verweigert, baurechtlich irrelevant sind (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 20. März 1990, Zl. 89/05/0160, und vom 11. Oktober 1994, Zl. 94/05/0229, zu Zustimmungen des Grundeigentümers). Auch dann, wenn die Verweigerung einer Zustimmung "schikanös" erfolgen sollte, kommt eine Baubewilligung, für die eine solche Zustimmung erforderlich ist, nicht in Frage (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1995, Zl. 95/05/0302).

Die Beschwerde erweist sich daher insgesamt als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 24. März 2010

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