Normen
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72 Abs1;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72 Abs1;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 5. März 2008 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, vom 22. Mai 2007 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "beschränkt" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zu Grunde, dass die Beschwerdeführerin mit einem Visum der Kategorie "C" am 10. Oktober 2003 in das Bundesgebiet eingereist sei und sich seitdem ununterbrochen - und zwar nach Ablauf des Visums illegal - im Bundesgebiet aufhalte. Die Beschwerdeführerin habe keine Angehörigen in der Türkei.
Ein erster Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sei mit Bescheid der belangten Behörde vom 10. August 2006 abgewiesen worden; der Verwaltungsgerichtshof habe eine dagegen gerichtete Beschwerde mit Erkenntnis vom 29. November 2006 abgewiesen.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der gegenständliche Antrag sei als Erstantrag zu werten, sodass die Beschwerdeführerin den Antrag - zumal keine der Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 NAG gegeben sei - gemäß § 21 Abs. 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einbringen und die Entscheidung im Ausland abwarten hätte müssen. Wegen Verletzung dieses Erfordernisses werde der Antrag abgewiesen.
Ein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt (§ 72 Abs. 1 NAG) läge nicht vor, weil bei den im Verfahren relevierten gesundheitlichen Problemen - insbesondere in Hinblick auf die vorgeschlagene Therapie (Gewichtsreduktion, fettarme Diät, Nikotinkarenz) - keine Rede von einer akuten, lebensbedrohenden Gefährdung der Beschwerdeführerin sein könne und die erforderliche Behandlung durchaus auch in der Türkei durchgeführt werden könne; eine Inlandsantragstellung werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die Beschwerde bestreitet nicht, dass die Beschwerdeführerin noch nie über einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt hat, sodass die Auffassung der belangten Behörde, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag vom 22. Mai 2007 um einen Erstantrag im Sinn des § 21 Abs. 1 NAG handle, keinen Bedenken begegnet. Dem in dieser Bestimmung verankerten Grundsatz der Auslandsantragstellung folgend hätte die Beschwerdeführerin daher grundsätzlich den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Ausland stellen und die Entscheidung darüber im Ausland abwarten müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 31. März 2008, 2007/18/0286).
Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG in Betracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. September 2008, 2008/22/0264). Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Juni 2008, G 246/07 u.a.).
§ 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch - etwa auf Familiennachzug - besteht (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 17. September 2008 sowie das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2007, 2006/18/0501).
In diesem Zusammenhang hat die Beschwerdeführerin - worauf die Beschwerde zutreffend hinweist - im Verwaltungsverfahren vorgebracht, dass sie mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet gewesen sei, aber mit den beiden gemeinsamen Kindern in der Türkei verblieben sei. Sie sei immer Hausfrau gewesen und habe in der Türkei weder eine Schulausbildung genossen noch sei sie berufstätig gewesen. Nach ihrer Scheidung habe ihr geschiedener Ehemann ihr Unterhalt zahlen müssen, was er auch tatsächlich getan habe. Ihr Sohn und ihre Tochter seien 2001 nach Österreich zu ihrem Vater gezogen; die Tochter studiere in Österreich, der Sohn habe eine Maler- und Anstreicherlehre absolviert und arbeite nun als solcher.
Nach dem Tod ihres geschiedenen Ehemanns am 19. März 2002 seien ihre Kinder nunmehr allein in Österreich. Die Beschwerdeführerin habe nun keinen Unterhalt mehr gehabt und sei auf die Hilfe ihrer in Österreich lebenden Familie angewiesen gewesen. Sie sei 2003 zu ihren Kindern nach Wien gekommen, weil sie in der Türkei vor dem Nichts gestanden sei. Es sei ihr dann auch eine Witwenpension nach ihrem verstorbenen ehemaligen Ehemann zuerkannt worden, sodass ihr Unterhalt durch diese Pension jedenfalls gesichert gewesen sei und nach wie vor sei.
Auch die einzige Schwester der Beschwerdeführerin und ihr Schwager lebten in Österreich. In der Türkei sei die Beschwerdeführerin völlig allein; sie habe dort weder eine Wohnung noch sei dort ihr Unterhalt gesichert. Außerdem habe sie massive gesundheitliche Probleme, die eine ständige ärztliche Behandlung notwendig machten. Sie leide unter rezidiver hypersekretorischer Gastritis, chronischer Obstipation, Adipositas, Eisenmangelanämie, Herz-Kreislauf-Regulationsstörungen, Depressionen sowie Schlafstörungen. Sie müsse eine Reihe von Medikamenten zu sich nehmen; wenn sie akute Gastritis- oder Depressionsanfälle habe, brauche sie die ständige Pflege durch ihre Kinder, mit denen sie im gemeinsamen Haushalt lebe.
Zu ihren gesundheitlichen Problemen legte die Beschwerdeführerin einen mit 15. Februar 2007 datierenden "ärztlichen Bericht" eines Facharztes für Innere Medizin vor.
Mit diesem in Hinblick auf das Vorliegen humanitärer Gründe im Sinn des § 72 Abs. 1 NAG erstatteten detaillierten, substanziierten und nachvollziehbaren Vorbringen der Beschwerdeführerin (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 31. März 2008, 2005/18/0496) hat sich aber die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid - von den oben wiedergegebenen rudimentären Feststellungen abgesehen - nicht auseinandergesetzt, sodass der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt - nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens in dieser Richtung (§ 56 iVm §§ 37 und 39 AVG) - zu ergänzen sein wird.
Da die belangte Behörde bei der gebotenen Befassung mit dem wiedergegebenen Vorbringen der Beschwerdeführerin und unter Zugrundelegung entsprechender Feststellungen, unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 27. Jänner 2009
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