VwGH 2008/04/0089

VwGH2008/04/008922.4.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Bayjones, Dr. Grünstäudl und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des P in H, vertreten durch Dr. Johann Gelbmann, Rechtsanwalt in 1140 Wien, Penzinger Straße 53/8, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 6. Juni 2008, Zlen. UVS-04/G/35/3748/2008-5, UVS- 04/G/35/3752/2008, betreffend Zurückweisung von Berufungen in Angelegenheit Übertretung der GewO (weitere Partei: Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13 Abs2 idF 2008/I/005;
AVG §13 Abs5 idF 2001/I/137;
AVG §13 Abs5 idF 2008/I/005;
AVG §33 Abs3 idF 2008/I/005;
AVG §37;
AVG §63 Abs5;
AVG §73;
VStG §24;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §13 Abs2 idF 2008/I/005;
AVG §13 Abs5 idF 2001/I/137;
AVG §13 Abs5 idF 2008/I/005;
AVG §33 Abs3 idF 2008/I/005;
AVG §37;
AVG §63 Abs5;
AVG §73;
VStG §24;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den beiden Straferkenntnissen des Magistrates der Stadt Wien je vom 29. April 2008 wurde der Beschwerdeführer wegen jeweils zwei Übertretungen von § 367 Z. 25 Gewerbeordnung 1994 bestraft.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 6. Juni 2008 hat der Unabhängige Verwaltungssenat Wien die Berufungen des Beschwerdeführers gegen diese beiden Straferkenntnisse als verspätet zurückgewiesen.

Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, dass die Straferkenntnisse am 30. April 2008 zugestellt worden seien. Die Berufungsfrist habe daher am 14. Mai 2008 geendet. Die beiden Berufungen seien laut Eingangsstempel der Behörde erster Instanz erst am 15. Mai 2008 eingebracht worden.

In der Stellungnahme am 27. Mai 2008 habe der Beschwerdeführer ausgeführt, beide Berufungen bereits am 14. Mai 2008, jeweils um 17.09 Uhr per E-Mail eingebracht zu haben. Zum Nachweis habe er dafür zwei Sendeberichte vorgelegt.

Die am 14. Mai 2008 um 17.09 Uhr und somit außerhalb der Amtsstunden per E-Mail gesendeten Berufungen würden gemäß § 13 Abs. 5 letzter Satz AVG erst mit Wiederbeginn der Amtsstunden am Folgetag als bei der Behörde erster Instanz eingelangt gelten und seien daher verspätet. Zur Fristwahrung hätten die Berufungen spätestens am 14. Mai 2008 zum Ende der Amtsstunden um 15.30 Uhr bei der Behörde erster Instanz einlangen müssen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, der Sache nach inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer hat die beiden Berufungen unstrittig am letzten Tag der Berufungsfrist nach Ende der Amtsstunden per E-Mail an die Behörde erster Instanz abgesendet.

Der für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit in solchen Konstellationen maßgebliche § 13 Abs. 5 AVG hatte in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 folgenden Wortlaut:

"Zur Entgegennahme mündlicher oder telefonischer Anbringen ist die Behörde, außer bei Gefahr im Verzug, nur während der für den Parteienverkehr bestimmten Zeit, zur Entgegennahme schriftlicher Anbringen nur während der Amtsstunden verpflichtet. Die Amtsstunden und die für den Parteienverkehr bestimmte Zeit sind bei der Behörde durch Anschlag kundzumachen. Mit Telefax, im Wege automationsunterstützter Datenübertragung oder in jeder anderen technisch möglichen Weise eingebrachte Anbringen, die außerhalb der Amtsstunden bei der Behörde einlangen, gelten erst mit dem Wiederbeginn der Amtsstunden als bei ihr eingelangt."

Diese Bestimmung wurde mittlerweile mehrmals novelliert. Die Regelung betreffend den Einbringungszeitpunkt von außerhalb der Amtsstunden einlangenden Anbringen lautete in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 137/2001:

"Anbringen, die mit Telefax, im Wege automationsunterstützter Datenübertragung oder in jeder anderen technisch möglichen Weise binnen offener Frist eingebracht werden und außerhalb der Amtsstunden bei der Behörde einlangen, gelten als rechtzeitig eingebracht."

Durch die Novelle BGBl. I Nr. 10/2004 erhielt sie folgende Fassung:

"Schriftliche Anbringen, die außerhalb der Amtsstunden binnen offener Frist in einer technischen Form eingebracht werden, die die Feststellung des Zeitpunktes des Einlangens ermöglicht, gelten als rechtzeitig eingebracht."

Überdies wurde mit der Novelle BGBl. I Nr. 137/2001 ein weiterer Satz angefügt, wonach (in Fällen des Einlangens nach Ende der Amtsstunden) behördliche Entscheidungsfristen erst mit dem Wiederbeginn der Amtsstunden zu laufen beginnen. Dieser Satz blieb auch nach der Novelle BGBl. I Nr. 10/2004 unverändert.

Schließlich wurde der Gegenstand durch die Novelle BGBl. I Nr. 5/2008 in folgende - derzeit gültige und hier maßgebliche - Fassung gebracht:

"§ 13. ...

(2) Schriftliche Anbringen können der Behörde in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekannt zu machen.

...

(5) Die Behörde ist nur während der Amtsstunden verpflichtet, schriftliche Anbringen entgegenzunehmen oder Empfangsgeräte empfangsbereit zu halten, und, außer bei Gefahr im Verzug, nur während der für den Parteienverkehr bestimmten Zeit verpflichtet, mündliche oder telefonische Anbringen entgegenzunehmen. Die Amtsstunden und die für den Parteienverkehr bestimmte Zeit sind im Internet und durch Anschlag an der Amtstafel bekannt zu machen. Bei Anbringen, die außerhalb der Amtsstunden eingebracht werden, beginnen behördliche Entscheidungsfristen erst mit Wiederbeginn der Amtsstunden zu laufen."

Die Erläuterungen zur Novelle BGBl. I Nr. 5/2008 (294 BlgNR XXIII. GP, 10 f) halten dazu Folgendes fest:

"Die durch die Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 eingeführte gesetzliche Fiktion betreffend bestimmte außerhalb der Amtsstunden einlangende Anbringen (§ 13 Abs. 5 letzter Satz AVG in der Fassung dieser Novelle) hat zu einer Judikaturdivergenz der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geführt, die ihrerseits Anlass für eine kasuistische und legistisch nicht unbedingt geglückte Neufassung dieser Bestimmung gegeben hat (siehe näher Thienel, Verwaltungsverfahrensnovelle 2001 (2002), 6 f). Es wird daher vorgeschlagen, diese Bestimmung ersatzlos entfallen zu lassen. Was den Zeitpunkt der Einbringung von außerhalb der Amtsstunden einlangenden schriftlichen Anbringen (welche nicht durch die Post übermittelt werden) betrifft, soll künftig wie folgt zu differenzieren sein:

Bereits nach der Stammfassung des AVG stand es im Ermessen der Behörde, schriftliche Anbringen ('Eingaben') auch außerhalb der Amtsstunden entgegenzunehmen (arg. 'nur während der Amtsstunden verpflichtet'). Eine solche Bereitschaft zur Entgegennahme von Anbringen auch außerhalb der Amtsstunden kann sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwSlg.NF 5833A/1962, 13.909A/1993) zB aus der Aufstellung eines Einlaufkastens ergeben: Sofern dieser keine gegenteiligen Hinweise beim Briefschlitz (wie zB einen Zeitpunkt der letzten Entleerung) enthält, gelten Anbringen diesfalls mit dem Einwurf in den Einlaufkasten als eingebracht (und eingelangt); bei Angabe eines Entleerungszeitpunktes ist dies hingegen erst mit diesem Zeitpunkt der Fall (in diesem Sinne Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8 (2003) Rz 238, Wessely, Die Tücken der Technik - Zum 'maschinellen' Verkehr zwischen Bürger und Behörde, ÖJZ 2000, 701 (703) und Hengstschläger/Leeb, AVG (2004) § 13 Rz 35 unter Hinweis auf das - allerdings den Einwurf in einen Briefkasten bzw. den Beginn des Post(en)laufs betreffende - Erkenntnis VwGH 18.8.1996, Zl. 95/10/0206).

Hält daher die Behörde auch außerhalb ihrer Amtsstunden Empfangsgeräte empfangsbereit und langt das Anbringen nach dem Ende der Amtstunden (aber noch am letzten Tag einer allfälligen Frist) bei ihr ein, so gilt das Anbringen noch am selben Tag (und damit als rechtzeitig) eingebracht; langt es hingegen erst am nächsten Tag ein, so gilt es erst an diesem Tag (und damit nach Fristablauf) als eingebracht, weil das Post(en)laufprivileg des § 33 Abs. 3 AVG für derartige Übermittlungsformen nicht gilt (Hengstschläger/Leeb, AVG (2004) § 33 Rz 3). Nicht anders als im Fall des Einlaufkastens ist allerdings anzunehmen, dass die Behörde ihre mangelnde Bereitschaft zur Entgegennahme elektronischer Anbringen außerhalb der Amtsstunden durch entsprechende Erklärungen mit der Wirkung zum Ausdruck bringen kann, dass elektronische Anbringen auch dann, wenn sie an sich bereits in ihren elektronischen Verfügungsbereich gelangt sind, erst zu einem späteren Zeitpunkt (mit Wiederbeginn der Amtsstunden) als eingebracht (und eingelangt) gelten."

Die belangte Behörde stützte ihre Ansicht, dass am letzten Tag der Frist nach Ende der Amtsstunden per E-Mail abgesendete Berufungen jedenfalls verspätet seien, auf den letzten Satz des § 13 Abs. 5 AVG, wonach bei Anbringen, die außerhalb der Amtsstunden eingebracht werden, behördliche Entscheidungsfristen erst mit Wiederbeginn der Amtsstunden zu laufen beginnen.

Wie dargestellt, wurde eine derartige Regelung erstmals mit der Novelle BGBl. I Nr. 137/2001 eingeführt. Diese Novelle normierte, dass die in den dort genannten technisch möglichen Weisen eingebrachten Anbringen, die innerhalb einer Frist, aber außerhalb der Amtsstunden einlangen, als rechtzeitig gelten. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass behördliche Entscheidungsfristen in diesen Fällen jedoch - anders als etwa nach § 73 AVG nicht mit dem Einlangen, sondern - erst mit Wiederbeginn der Amtsstunden zu laufen beginnen. Die im Wesentlichen unverändert auch in § 13 Abs. 5 letzter Satz AVG in der geltenden Fassung enthaltene Regelung normiert somit ausschließlich den Beginn von behördlichen Entscheidungsfristen und ist für die Frage der Rechtzeitigkeit einer Berufung nicht maßgeblich.

Die Ansicht der belangten Behörde, die beiden Berufungen seien schon auf Grundlage von § 13 Abs. 5 letzter Satz AVG als verspätet anzusehen, beruht daher auf einer Verkennung der Rechtslage.

Die gegenständlichen Berufungen wurden nach Ende der Amtsstunden per E-Mail (ein elektronischer Zustelldienst wurde nicht in Anspruch genommen) an die Behörde versendet. Da das Postenlaufprivileg des § 33 Abs. 3 AVG in solchen Fällen nicht gilt (vgl. die in den wiedergegebenen Gesetzesmaterialien zitierte Belegstelle bei Hengstschläger/Leeb, AVG, RZ 3 zu § 33 und die dort zitierte hg. Judikatur), kommt es für die Rechtzeitigkeit darauf an, wann diese Berufungen bei der Behörde eingelangt sind. (Eine andere Betrachtungsweise könnte bei Vorliegen entsprechender gemäß § 13 Abs. 2 AVG ordnungsgemäß kundgemachter organisatorischer Beschränkungen geboten sein, wofür allerdings vorliegend keine Anhaltspunkte bestehen.)

Eine E-Mail-Sendung ist dann bei der Behörde eingelangt, wenn sie von einem - außerhalb der Amtsstunden betriebsbereit gehaltenen - Server, den die Behörde für die Empfangnahme von an sie gerichteten E-Mail-Sendungen gewählt hat, empfangen wurde und sich damit im "elektronischen Verfügungsbereich" (vgl. die zitierten Gesetzesmaterialien) der Behörde befindet.

Die belangte Behörde ist vorliegend zum Ergebnis gekommen, dass der Beschwerdeführer die Absendung der Berufungen am 14. Mai 2008 um 17.09 Uhr nachgewiesen hat. In einem solchen Fall ist es Sache der Behörde, den Zeitpunkt des (erstmaligen) Empfangs durch einen Server festzustellen, den die Behörde, bei der das Anbringen einzubringen ist, für die Empfangnahme von E-Mail-Sendungen gewählt hat.

Die belangte Behörde wird also im fortgesetzten Verfahren - sollte sie weiterhin Zweifel an der Rechtszeitigkeit der Berufungen haben - den Zeitpunkt zu ermitteln haben, in dem die E-Mail-Sendungen (erstmals) von einem Server empfangen wurden, den die Behörde erster Instanz für die Empfangnahme von E-Mail-Sendungen gewählt hat.

Auf Grund der dargestellten Verkennung der Rechtslage durch die belangte Behörde war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 455/2008.

Wien, am 22. April 2009

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