VwGH 2008/02/0143

VwGH2008/02/014326.9.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde der D H in W, vertreten durch Mag. Norbert Langmayr, Rechtsanwalt in 6322 Kirchbichl, Rofanstraße 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 13. März 2008, Zl. uvs- 2007/14/2542-2, betreffend Übertretung der StVO, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
StVO 1960 §18 Abs1;
StVO 1960 §99 Abs2c Z4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
StVO 1960 §18 Abs1;
StVO 1960 §99 Abs2c Z4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Beschwerdeführerin für schuldig erkannt, am 11. September 2006 auf der A 12 mit einem näher genannten PKW zu einem vor ihr am gleichen Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug nicht einen solchen Abstand eingehalten zu haben, dass ein rechtzeitiges Anhalten möglich gewesen wäre. Es sei mittels Videomessung ein zeitlicher Abstand von 0,58 Sekunden festgestellt worden. Sie habe dadurch § 18 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 3a StVO übertreten, weshalb über sie eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 90,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 24 Stunden) verhängt wurde.

In der Begründung gab die belangte Behörde den Inhalt der Berufung der Beschwerdeführerin wieder und stellte folgenden Sachverhalt fest:

"Aus dem vorgelegten Akt ergibt sich, dass von der Landesverkehrsabteilung Tirol eine Anzeige an die Bezirkshauptmannschaft Schwaz erstattet wurde, wonach am 11.9.2006 um 14.36 Uhr der Lenker des Fahrzeuges mit dem Kennzeichen ... auf der A 12 ... zu einem vor ihm auf dem gleichen Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug nicht einen solchen Abstand eingehalten hat, dass ein rechtzeitiges Anhalten möglich gewesen wäre. Der Lenker des vorher genannten Fahrzeuges fuhr mit einem zeitlichen Abstand von 0,58 Sekunden hinter einem anderen Fahrzeug her.

Das Fahrzeug ist mit einer Geschwindigkeit von 108 km/h gefahren und hat nur einen Abstand von 17 m eingehalten.

Der Anzeige war auch eine Fotobeilage beigelegt, aus der sich dieser Sachverhalt ergibt.

Aus dieser Fotobeilage ergibt sich, dass der Lenker des

Fahrzeugs mit dem Kennzeichen ... mit einer Geschwindigkeit von

108 km/h fuhr, wobei er einen Abstand von ca. 17 m einhielt. Der

zeitliche Abstand betrug 0,58 Sekunden.

Aus der Kopie der Lichtbildbeilage lässt sich nachvollziehen,

dass der Lenker mit dem Fahrzeug ... auf dem linken Fahrstreifen

hinter einem anderen Fahrzeug herfuhr."

In der Folge gab die belangte Behörde die Bestimmung des § 5 Abs. 1 der Bodenmarkierungsverordnung wieder, nach der Leitlinien unterbrochene Längsmarkierungen mit weißer Farbe seien, die auf Autobahnen und Autostraßen eine Breite von mindestens 15 cm und eine Länge von 6 m hätten; die Länge der Unterbrechung betrage 12 m.

Aus den Kopien der Lichtbilder - so die belangte Behörde weiter - lasse sich entnehmen, dass der Abstand in etwa gleich gehalten worden sei. Die Beschwerdeführerin sei auf der Überholspur unterwegs gewesen. Aus dem zweiten Lichtbild lasse sich entnehmen, dass das vordere Fahrzeug mit seiner Frontpartie in etwa auf Höhe des Endes einer Leitlinie, innerhalb einer Unterbrechung, gewesen sei. Nach diesem Fahrzeug sei eine Leitlinie gefolgt und kurz danach das Fahrzeug der Beschwerdeführerin, die etwa auf der Hälfte der Unterbrechung gefahren sei. Aus dem Foto ergebe sich somit, dass der gemessene Wert von 17 m den örtlichen Gegebenheiten entspreche. Die Beschwerdeführerin sei mit ihrem Fahrzeug im Fließverkehr unterwegs gewesen, wobei sie den linken Streifen benutzt habe. Daraus ergebe sich, dass sie mit einer höheren Geschwindigkeit unterwegs gewesen sei, als der Straßenverkehr auf der rechten Fahrbahn. Die vom System errechnete Geschwindigkeit von 108 km/h lasse sich aus den Bildern ableiten. Auf Grund der optischen Überprüfbarkeit des Messsystems bestünden keine Bedenken, dass dieses Messsystem richtig funktioniert habe. Bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h errechne sich ein Sicherheitsabstand, bei Zugrundelegung eines Reaktionsabstandes von einer Sekunde, von 30 m. Dies bedeute, dass zwischen einem Fahrzeug zwei Unterbrechungen und eine Leitlinie liegen müssten. Ein solcher Abstand lasse sich dem Lichtbild nicht entnehmen. Wenn sich das Heck des vorausfahrenden Fahrzeuges auf Höhe einer Leitlinie befinde, müsse zum nächstfolgenden Fahrzeug eine Leitlinie (6 m), eine Unterbrechung (12 m) sowie eine weitere Leitlinie (6 m) sowie eine halbe Unterbrechung liegen.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, auf Grund der vorliegenden Beweisergebnisse sei es nicht notwendig gewesen, den Meldungsleger zu vernehmen oder eine Stellungnahme des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen zur Messung einzuholen. Dem erkennenden Mitglied der belangten Behörde sei aus zahlreichen Verfahren bekannt, dass das Messsystem ordnungsgemäß funktioniere. Die in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge auf Einvernahme des Meldungslegers sowie die Einholung einer Stellungnahme des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen seien wegen geklärter Sachlage abzuweisen gewesen.

Abschließend stellte die belangte Behörde noch Überlegungen zur Höhe der von ihr als gerechtfertigt eingeschätzten Geldstrafe an.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die Beschwerdeführerin hat sich zur Gegenschrift mit Schriftsatz vom 21. August 2008 geäußert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 18 Abs. 1 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges stets einen solchen Abstand vom nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug einzuhalten, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst wird.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist davon auszugehen, dass als Mindestabstand im Sinne des § 18 Abs. 1 StVO jedenfalls ein Abstand einzuhalten ist, der etwa der Länge des Reaktions(Sekunden)weges entspricht, das sind in Metern drei Zehntel der Höhe der eingehaltenen Geschwindigkeit in km/h (vgl. etwa das Erkenntnis vom 31 März 2006, Zl. 2006/02/0040, mwN).

Im vorliegenden Fall wäre der Reaktionsweg auf Grund der Fahrgeschwindigkeit von 108 km/h zumindest 30 m gewesen.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund erweist sich die Rüge der Beschwerdeführerin, die belangte Behörde habe den zeitlichen Abstand von 0,58 Sekunden (rund 17 m) bei einer Geschwindigkeit von 108 km/h als zu gering beurteilt, als nicht begründet. Die Beschwerdeführerin hat weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde Umstände vorgebracht hat, die eine Verringerung des einzuhaltenden Mindestabstandes zum Vorderfahrzeug begründen könnten. Für die Annahme, ein geringerer Tiefenabstand als die Länge des Reaktions(Sekunden)weges wäre in der konkreten Situation, etwa wegen erhöhter Aufmerksamkeit und Bremsbereitschaft, ausreichend gewesen, gibt es keine Anhaltspunkte.

Als Verfahrensmangel rügt die Beschwerdeführerin, dass anhand der Bescheidbegründung nicht nachvollzogen werden könne, wie das konkrete Messergebnis zustande gekommen sei. Es könne nicht ersehen werden, ob das Messgerät im Beschwerdefall von dem mit der Messung befassten Sicherheitsorgan entsprechend der Betriebsanleitung bedient worden sei und man wisse nicht, ob die vorgesehenen Kontrollpunkte richtig gesetzt worden seien. Dies sei aus den Lichtbildern nicht ersichtlich.

Die Beschwerde ist in diesem Punkt begründet:

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 25. Juni 2008, Zl. 2008/02/0058, ausgeführt, dass für den Fall, dass das Ergebnis eines Messvorganges von subjektiven Entscheidungen des Beamten abhängt, wie im Beschwerdefall vom Setzten von Messlinien bzw. Messpunkten, muss dieser Vorgang zu einem späteren Zeitpunkt (auf seine Genauigkeit) überprüfbar sein. Erst wenn objektiv feststellbar ist, dass die Messlinien an den in der Betriebsanleitung vorgesehenen Stellen gesetzt wurden, kann die Verlässlichkeit der vorgenommenen Abstandsmessung abschließend beurteilt werden. Auf die weitere Begründung des genannten Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Die Nachvollziehbarkeit der vor Ort durchgeführten Abstandsmessung kann auch nicht durch Rückrechnung anhand der (im Verwaltungsakt in Kopie einliegenden) Fotos ersetzt werden, weil darauf keine Details erkennbar sind und die von der belangten Behörde allein auf Grund der im Verordnungswege festgesetzten Längen angestellte Berechnung keinen Bezug auf die tatsächlichen Verhältnisse nahm. Zudem wurde nicht aufgeklärt, weshalb vom Messwert von 20,2 m zu Lasten der Beschwerdeführerin ein Abzug von 3,4 m erfolgte.

Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit.c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 26. September 2008

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte