VwGH 2006/11/0147

VwGH2006/11/014725.7.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des mj. F, vertreten durch die Mutter A in A, diese vertreten durch Dr. Hans Kröppel, Rechtsanwalt in 8650 Kindberg, Hauptstraße 7, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten beim Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (nunmehr Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz) vom 7. August 2006, Zl. 41.550/403-9/06/ISchG, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens iA Entschädigung nach dem Impfschadengesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13a;
AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs1;
ImpfSchG §1b;
ImpfSchG §8e idF 2005/I/048;
VwGG §45 Abs1;
VwRallg;
AVG §13a;
AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs1;
ImpfSchG §1b;
ImpfSchG §8e idF 2005/I/048;
VwGG §45 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer ist schuldig, dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 28. Oktober 2004 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz gemäß dessen § 1b und § 2 (rechtskräftig) abgewiesen. In der Begründung führte das Bundessozialamt, Landesstelle Kärnten aus, mit dem Antrag vom 21. Jänner 2004 sei die beim Beschwerdeführer bestehende Gesundheitsschädigung "cerebrale Anfälle" als Folge einer am 20. November 2000 verabreichten Sechsfachimpfung (Diphterie-Pertussis-Tetanus, Poliomyelitis, Hepatitis B und HIB) geltend gemacht worden. Aus den aufliegenden Krankengeschichten sei ersichtlich, dass beim Beschwerdeführer bereits sieben Tage nach der Geburt und somit noch vor der am 20. November 2000 verabreichten Impfung fokale Anfälle aufgetreten seien. Laut dem ärztlichen Sachverständigengutachten vom 8. Juni 2004 und der dazu vom leitenden Arzt der Landesstelle Kärnten abgegebenen Stellungnahme liege beim Beschwerdeführer eine so genannte kryptogene Epilepsie vor; das sei eine Form der Epilepsie, deren Ursache unbekannt sei. Die Epilepsie sei bereits am 7. Lebenstag in Erscheinung getreten, zuerst mit fokalen, dann mit generalisierten Anfällen und sei schließlich in ein typisches West Syndrom, das sei eine schwere Form der Epilepsie mit BNS-Krämpfen, übergegangen. Die Folge des West Syndroms seien schwere psychomotorische Beeinträchtigungen mit nachhaltiger Entwicklungsstörung. Der Verlauf der Epilepsie habe sich beim Beschwerdeführer lehrbuchmäßig vollzogen. Die Ursache bleibe wahrscheinlich auch weiterhin ungeklärt, auszuschließen sei jedoch, dass es sich hiebei um einen Impfschaden handle, da die ersten Anfälle bereits am 7. Lebenstag mit zunehmender Frequenz und Stärke sich entwickelt haben und schon vor Verabreichung der ersten Tetravac-Impfung es zu keinem Sistieren der Anfälle bzw. des abnormen Hirnstrombildes im EEG mehr gekommen sei. Somit sei die Ursache nicht als Nebenwirkung der Impfung zu verstehen und könne der Impfung auch keine verschlimmernde Kausalität angelastet werden, weil der Anfallscharakter und Anfallsverlauf einem typischen West Syndrom entspreche und somit als schicksalhaft anzusehen sei. Eine Kausalität zwischen Impfung und der vorliegenden Epilepsie sei somit nicht gegeben.

Mit Schreiben vom 13. Juli 2005 stellte der von seiner Mutter vertretene Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 8e Impfschadengesetz und übermittelte drei Befundberichte (nämlich der Klinischen Abteilung für Radiologie II, Abteilung für Röntgendiagnostik und Computertomographie in Innsbruck, vom 10. (15.) September 2004, sowie der Fachärztin für Neurologie Dr. T. vom 6. April 2005 und vom 25. April 2005).

Mit Bescheid vom 10. August 2005 wies das Bundessozialamt, Landesstelle Kärnten, den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ab. In der Begründung führte die Behörde nach Darstellung der Rechtslage, insbesondere auch der §§ 4 und 4a des Impfschadengesetzes in der bis zum 30. Juni 2005 geltenden Fassung sowie des § 8e des Impfschadengesetzes im Wesentlichen aus, nach der letztgenannten Bestimmung seien gemäß §§ 4 oder 4a abgelehnte Entscheidungsanträge sowie Verfahren, in denen im Hinblick auf diese Bestimmungen eine Antragsrückziehung erfolgt sei, von Amts wegen für den Zeitraum ab dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 48/2005 wieder aufzunehmen. Mit dem rechtskräftigen Bescheid des Bundessozialamtes vom 28. Oktober 2004 sei der Antrag vom 21. Jänner 2004 auf Zuerkennung einer Entschädigung nach dem Impfschadengesetz mangels Kausalität abgewiesen worden, weshalb die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 8e des Impfschadengesetzes nicht erfüllt seien. Da im Übrigen auch keine neuen Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen seien, die eine Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 28. Oktober 2004 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens nach § 69 AVG rechtfertigen könnten, sei der Antrag abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er u.a. vorbrachte, die Behörde habe zwar "den neu eingefügten § 8e des Versorgungsrechtsänderungsgesetzes BGBl. 48/2005" zitiert, jedoch konträr zum Gesetzauftrag gehandelt. § 8e bestimme ausdrücklich, dass die gemäß § 4 oder § 4a des Impfschadengesetzes alt abgelehnten Entschädigungsanträge von Amts wegen wieder aufzunehmen seien und zwar ab dem Zeitraum des Inkrafttretens dieses Gesetzes. Es könne nicht so sein, dass ein Antrag auf Wiederaufnahme abgewiesen werde, wenn auf Grund eines rechtzeitigen Antrages auf Zuerkennung von Leistungen von Gesetzes wegen ein Verfahren wieder aufzunehmen sei. Dabei sei zu beachten, dass das Versorgungsrechtsänderungsgesetz durch die Hereinnahme der Bestimmungen des Heeresversorgungsgesetzes eine qualitative Änderung in der Weise erfahren habe, dass es nicht auf den hundertprozentigen Nachweis der Kausalität des Impfschadens ankomme, sondern im Sinne des § 2 Heeresversorgungsgesetz eine Gesundheitsschädigung als Impfschaden im Sinne des Impfschadengesetzes anzuerkennen sei, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis ursächlich zurückzuführen sei.

Die belangte Behörde wies mit dem angefochtenen Bescheid vom 7. August 2006 die Berufung ab. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, im Verfahren seien der abschließende Bericht der klinischen Abteilung für Radiologie vom 10. September 2004 sowie die neurologischen Befundberichte Dris. T. vom 6. April und vom 25. April 2005 als Beweismittel vorgelegt worden, ferner sei eine medizinische Stellungnahme eingeholt worden. Nach dieser beinhalteten die vorgelegten Befunde keine neuen Tatsachen, die eine Änderung des relevanten Sachverhaltes bedingen. Sie würden vielmehr den dem rechtskräftigen Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen Landesstelle Kärnten vom 28. Oktober 2004 zu Grunde gelegten Sachverhalt belegen, dass das Anfallsleiden beim Beschwerdeführer seit der ersten Lebenswoche bestehe (das Anfallsleiden habe am 7. Lebenstag begonnen und sich schicksalhaft weiterentwickelt, wobei eine schwere, prozesshaft verlaufende kryptogene, generalisierte Epilepsie aus dem Formenkreis des Lennox Gastant Syndroms entstanden sei). Nach Mitteilung der Beweisergebnisse an den Beschwerdeführer sei von ihm eine Äußerung abgegeben worden, in der behauptet worden sei, dass die Wahrscheinlichkeit eines Impfschadens vorliege, jedoch sei darin nichts geltend gemacht worden, was zu den getroffenen Feststellungen im Widerspruch stehe, insbesondere sei auch nichts zum Vorliegen von Wiederaufnahmegründen darin enthalten. Die schlüssige ärztliche Stellungnahme werde daher der Entscheidung zugrundegelegt.

Die Regelung des § 8e Impfschadengesetz normiere die amtswegige Wiederaufnahme von Verfahren, "welche wegen Fristversäumnis abgewiesen worden" seien bzw. bei Antragsrückziehung aus diesem Grund, weil nunmehr die §§ 4 und 4a Impfschadengesetz in der bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 48/2005 geltenden Fassung entfallen seien. Eine Ermächtigung zur Wiederaufnahme von Verfahren auf Grund des neuen Kalküls der Wahrscheinlichkeit - ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 AVG - sei daraus nicht abzuleiten. Vielmehr sei ein neuerlicher Antrag auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz zulässig, dessen meritorische Erledigung, durch die Änderung der Rechtslage, der Tatbestand der entschiedenen Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG nicht entgegenstünde. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sowie die neu vorgelegten Beweismittel beinhalteten keine neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend hätten gemacht werden können und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Da somit weder die Voraussetzungen des § 8e Impfschadengesetz noch des § 69 Abs. 1 AVG vorlägen, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die hier maßgebende Bestimmung des Impfschadengesetzes idF des Bundesgesetzes, mit dem das Verbrechensopfergesetz, das Impfschadengesetz, das Heeresversorgungsgesetz, das Kriegsopferversorgungsgesetz 1957, das Opferfürsorgegesetz und das Bundesberufungskommissionsgesetz geändert werden (Versorgungsrechts-Änderungsgesetz 2005 - VRÄG 2005), BGBl. I Nr. 48/2005 lautet:

"§ 8e. Gemäß §§ 4 oder 4a abgelehnte Entschädigungsanträge sowie Verfahren, in denen in Hinblick auf diese Bestimmungen eine Antragszurückziehung erfolgte, sind von Amts wegen für den Zeitraum ab dem In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 48/2005 wieder aufzunehmen. Bringen die durch den Entfall der §§ 4 und 4a begünstigten Personen bis zum 30. Juni 2006 einen Antrag auf Zuerkennung von Leistungen nach diesem Bundesgesetz ein, sind diese bei Vorliegen der Voraussetzungen frühestens ab dem In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 48/2005 zu erbringen."

Die §§ 4 und 4a leg. cit., aufgehoben durch BGBl. I Nr. 48/2005, lauteten:

"§ 4. Der Anspruch auf Entschädigung für einen Impfschaden ist binnen drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Schaden dem Geschädigten bekannt wurde, geltend zu machen. Ist dem Geschädigten der Schaden nicht bekannt geworden, so erlischt der Anspruch auf Entschädigung 30 Jahre nach der Vornahme der die Schädigung verursachenden Impfung.

§ 4a. Auf einen Impfschaden gemäß § 1a ist § 4 nicht anzuwenden. Der Anspruch auf Entschädigung für einen solchen Impfschaden ist spätestens bis 31. Dezember 1982 geltend zu machen; die Entschädigungsleistungen (§ 2) fallen mit dem Monat an, in dem die Voraussetzungen für die Zuerkennung erfüllt sind, frühestens jedoch mit 1. Jänner 1980."

Da die übrigen Sozialentschädigungsgesetze Verjährungsbestimmungen nicht vorsehen, wurde durch die Erlassung des § 8e Impfschadengesetz die bestehende Ungleichbehandlung durch den Entfall der Verjährungsbestimmungen beseitigt (vgl. RV 671 BlgNR XXII. GP, 110). Die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme nach § 8e Impfschadengesetz liegen daher nur dann vor, wenn der Anspruch infolge Verjährung erloschen war. Im vorliegenden Fall wurde der Antrag des Beschwerdeführers jedoch mit rechtskräftigem Bescheid vom 18. Oktober 2004 abgewiesen, da eine Kausalität zwischen Impfung und der vorliegenden Epilepsie nicht gegeben sei. Eine Wiederaufnahme auf Grund der Bestimmung des § 8e Impfschadengesetz scheidet daher aus.

Der Beschwerdeführer bringt vor, die Behörde hätte den Wiederaufnahmeantrag als Neuantrag bewerten müssen, der infolge der im Juni erfolgten Änderung des VRÄG (Versorgungsrechtsänderungsgsesetz) gestellt worden sei. Diese Gesetzesänderung, die anstelle des kausalen Beweises den Wahrscheinlichkeitsbeweis zulasse, bedinge, dass eine Neubegutachtung unter Beobachtung der Kriterien des Grades der Wahrscheinlichkeit einer Impfschädigung auch bei Vorhandensein der Vorschädigung zu erfolgen habe.

Dieses Vorbringen ist nicht zielführend. Der Beschwerdeführer hat seinen Wiederaufnahmeantrag vom 13. Juli 2005 ausdrücklich auf § 8e Impfschadengesetz gestützt, der die amtswegige Wiederaufnahme für bestimmte Verfahren regelt. Auch in der Berufung vom 14. September 2005, bei welcher der Beschwerdeführer bereits durch einen Rechtsanwalt vertreten war, stützte er sich ebenfalls auf die Bestimmung des § 8e Impfschadengesetz und behauptete, die Behörde habe diese Bestimmung konträr zum Gesetzesauftrag angewendet.

Daraus ist zu erkennen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Antrag unmissverständlich die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens beantragt hat. Für die Beurteilung des Charakters einer Eingabe ist ihr wesentlicher Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen lässt, und die Art des in diesem gestellten Begehrens maßgebend (vgl. hg. Erkenntnis vom 1. April 2004, Zl. 2003/20/0438). Für eine Umdeutung seines Antrages auf Wiederaufnahme im Sinne eines Neuantrages besteht daher keine Grundlage.

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, die Behörde hätte ihn anleiten müssen, einen Neuantrag anstelle eines Wiederaufnahmeantrages zu stellen, ist auszuführen, dass für die belangte Behörde als Berufungsbehörde die "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG, in der sie zu entscheiden hatte, durch den erstinstanzlichen Bescheid festgelegt war, ohne dass sie verpflichtet gewesen wäre, Ermittlungen darüber anzustellen, ob der Beschwerdeführer einen anderen Antrag hätte stellen können, der vielleicht eher zur Zuerkennung einer Entschädigung nach dem Impfschadengesetz geführt hätte. Hinzu kommt noch, dass der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren ohnehin durch einen Rechtsanwalt vertreten war. Im Übrigen sind die Behörden nach § 13a AVG nicht gehalten, den Parteien Unterweisungen zu erteilen, wie sie ihr Vorbringen zu gestalten haben, um einen von ihnen angestrebten Erfolg zu erreichen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 2004, Zl. 2000/12/0221).

Soweit der Beschwerdeführer als Wiederaufnahmegrund die Änderung der Rechtslage durch das VRÄG ins Treffen führt, ist ihm zu entgegnen, dass eine eingetretene Änderung der Rechtslage - wenn man von dem oben dargestellten, speziell gesetzlich geregelten, auf den Beschwerdeführer jedoch nicht zutreffenden Fall absieht - keinen Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens darstellt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1998, Zl. 98/03/0122, mit weiterem Nachweis).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 25. Juli 2007

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