VwGH 2001/20/0230

VwGH2001/20/023026.11.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des N in W, geboren 1974, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. Jänner 2001, Zl. 215.664/0- IV/10/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste am 21. Dezember 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 23. Dezember 1999 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 13. Jänner 2000 gab er als Fluchtgrund an, er habe als ehemaliger Mujahedin-Kämpfer und Farsi sprechender Nicht-Patschune Schwierigkeiten mit den Taliban bekommen. Diese hätte ihn festgenommen und nur unter der Bedingung, dass er binnen 30 Tagen "das Geld für 25 Kalaschnikows" bringe, freigelassen. Er glaube, dass sie ihn im Falle seiner Rückkehr töten würden.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 15. Februar 2000 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan fest. Es traf zunächst - gestützt auf das nicht näher bezeichnete "eigene Dokumentationsmaterial" und "die in internationalen Medien verbreiteten Nachrichten" - allgemein gehaltene Feststellungen zur Lage in Afghanistan und würdigte den Großteil der fallbezogenen Angaben des Beschwerdeführers als glaubwürdig oder zumindest "denkmöglich". "Nicht nachvollziehbar" sei jedoch die Ansicht des Beschwerdeführers, dass die von ihm als Fluchtgrund beschriebenen Vorgänge in einem Zusammenhang mit seiner Volksgruppenzugehörigkeit stünden. Den Taliban müsse es "ausschließlich um Waffen oder Geld gegangen sein". Davon ausgehend verneinte das Bundesasylamt die Asylrelevanz des geltend gemachten Sachverhaltes. Den Ausspruch gemäß § 8 AsylG gründete es im Wesentlichen darauf, dass für den Beschwerdeführer im Panschir-Tal oder in anderen nicht von den Taliban beherrschten Gebieten eine "inländische Fluchtalternative" bestanden habe.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid machte der Beschwerdeführer geltend, der von ihm als Fluchtgrund angegebene Erpressungsversuch hänge damit zusammen, dass er einerseits Tadschike und andererseits ein ehemaliger Mujahedin-Kämpfer und Gegner der Taliban sei. Eine "inländische Fluchtalternative" habe er nicht gehabt.

Die belangte Behörde hielt den Parteien des Berufungsverfahrens mit Verfügung vom 29. Mai 2000 ein "Gutachten zur allgemeinen Menschenrechtssituation in Afghanistan" von Mag. Dr. Neda Forghani vom 22. Februar 2000 sowie eine UNHCR-Stellungnahme vom 27. April 2000 vor und ersuchte das Bundesasylamt um Vorlage der dem erstinstanzlichen Bescheid zu Grunde gelegten Dokumentationen und Berichte. Zu dieser Aufforderung nahm das Bundesasylamt mit Schreiben vom 5. Juni 2000 dahingehend Stellung, "dass vom Bundesasylamt nur jene amtlich zur Verfügung gestellten Dokumentationen und Berichte verwendet werden, die auch dem Unabhängigen Bundesasylsenat zur Verfügung stehen".

In einer ersten von insgesamt drei Verhandlungsterminen in der Angelegenheit des Beschwerdeführers, die alle am 19. Juli 2000 stattfanden, beschloss die belangte Behörde im Wesentlichen nur die Verbindung des Berufungsverfahrens mit denjenigen anderer Asylwerber aus Afghanistan.

In der zweiten, verbundenen Verhandlung trug die Sachverständige Mag. Malyar in Farsi ein am 16. Juli 2000 erstelltes "Ergänzendes Gutachten über die allgemeine Menschenrechtssituation in Afghanistan" vor. Den Vertretern der Asylwerber wurden schriftliche Ausfertigungen des 48-seitigen Gutachtens in deutscher Sprache ausgefolgt. Den Antrag des Vertreters des Beschwerdeführers, die Verhandlung zwecks Erörterung dieses Gutachtens nach entsprechender Vorbereitung zu vertagen, verwarf die belangte Behörde u.a. mit der Begründung, diese "Antragstellung würde darauf hinauslaufen, dass die erkennende Behörde nie über ein absolut neuestes Beweismittel in Form eines Gutachtens entscheiden könnte".

In der dritten, nach Trennung der Verfahren wieder ausschließlich dem Beschwerdeführer gewidmeten Verhandlung wurde dieser - im Beisein der Sachverständigen Mag. Malyar - ergänzend einvernommen. Am Ende der Verhandlung verkündete die belangte Behörde den Schluss des Beweisverfahrens.

Im ersten Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides vom 12. Jänner 2001 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. Im zweiten Spruchpunkt stellte sie gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan fest.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Vorweg ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat (vgl. in diesem Zusammenhang etwa die hg. Erkenntnisse vom 12. Mai 1999, Zl. 98/01/0455, und vom 20. Oktober 1999, Zl. 99/01/0117).

2. Die nicht ganz 80 Seiten umfassende Begründung des angefochtenen Bescheides enthält auf Seite 8 (in einem ersten Abschnitt "III" der Bescheidbegründung) den Hinweis, das Berufungsverfahren habe "eine erweiterte Kenntnis gegenüber dem Kenntnisstand der Behörde erster Instanz" ermöglicht. Hieran schließt sich zunächst - ohne nachträgliche Bezeichnung der den erstinstanzlichen Feststellungen zu Grunde liegenden (vom Bundesasylamt auch im Berufungsverfahren nicht offen gelegten) Erkenntnisquellen - der Satz, es werde "festgestellt, dass die Behörde erster Instanz nach Maßgabe des seinerzeitigen Kenntnisstandes ihre Feststellungen richtig und zutreffend getroffen hat - die Feststellungen der Behörde erster Instanz werden daher zur Gänze für dieses Verfahren übernommen".

Es folgt eine Auseinandersetzung mit Einwendungen des Beschwerdeführers gegen die Sachverständige Mag. Malyar. Hiezu wird u.a. ausgeführt, "falls nach Meinung des Asylwerber die Sachverständige für seine (naturgemäß parteiische) Vorstellung zu sehr der Gegenseite nahe stehe", bedürfe es "lediglich der Würdigung im Rahmen der Beweiswürdigung der Berufungsbehörde - zu einer Ablehnung kann dies nicht führen". Die Sachverständige habe in vielen Verfahren "korrekt und fleißig" Sachinformationen geliefert, deren "Auswertung und Würdigung ... nicht ihre Aufgabe" sei. Wenn sie "die Meinung verteilt nicht alles an den Taliban ist schlecht, ist dies als Ergebnis einer Sachverständigenwertung - sie befindet sich mit anderen - naturgemäß nicht allen - Sachverständigen diesbezüglich in guter Gesellschaft."

In einem zweiten, längeren Abschnitt "III" der Bescheidbegründung (Seiten 11 bis 40 des angefochtenen Bescheides) werden "aus den neuen Erkenntnissen im Rahmen des Berufungsverfahrens ... ergänzende Feststellungen" getroffen. Sie bestehen aus einer - mitunter wiederholenden - Aneinanderreihung von Auszügen aus den erwähnten Gutachten vom 22. Februar 2000 und 16. Juli 2000, vermischt mit insgesamt deutlich überwiegenden Wiedergaben von Ermittlungsergebnissen aus anderen Verfahren und weiteren im vorliegenden Verfahren nicht zur Sprache gekommenen Erkenntnisquellen. Zitiert wird u.a. eine "Selbstdarstellung der Taliban" im Internet, die nach Ansicht der belangten Behörde - sofern sich die Ausführungen in Abschnitt "IV" der Bescheidbegründung auf die vorangegangenen Textteile beziehen sollen - zu den "Berichten ausländischer Staaten und Behörden" zählt, "welche ohne Zweifel als unbedenklich zu qualifizieren sind" (Seite 40).

Der erwähnte Abschnitt "IV" der Bescheidbegründung (Seite 40 f des angefochtenen Bescheides) enthält darüber hinaus folgende Ausführungen zur Beweislage:

"Soweit in einzelnen Punkten eine - schlechte Informations - Situation gegeben ist, oder kein einheitliches Bild erlangt werden konnte, hiezu wird dann keine Widersprüchlichkeit, sondern eine nach menschlicher Erfahrung im Bürgerkrieg immer wieder vorkommende Situation erblickt".

Zu diesem Textteil - und zur erwähnten Übernahme der erstinstanzlichen Feststellungen - ist anzumerken, dass die "ergänzenden Feststellungen" der belangten Behörde mit den Feststellungen der Behörde erster Instanz zum Teil nicht übereinstimmen.

Abschnitt "V" der Bescheidbegründung enthält (beginnend auf Seite 41) eine mehr als 30 Seiten lange "Würdigung der Allgemeinsituation als Grundlage für die Begründung der Berufungsentscheidung". Diese Ausführungen der belangten Behörde werden in der Beschwerde als "nicht mehr voneinander trennbare Mischung aus der Wiedergabe von Ermittlungsergebnissen, philosophisch-moralischen Überlegungen und rechtlichen Wertungen" kritisiert. Sie stützen sich - zum Teil ohne jede oder ohne nachvollziehbare Quellenangabe - auf eine Vielzahl weiterer im Ermittlungsverfahren nicht vorgekommener Unterlagen und enthalten allgemeine Betrachtungen z.B. über den "Endkampf" der Taliban (Seite 41) und den islamischen Glauben als "einzige den Parteien noch gemeinsame Plattform der Verständigung" (Seite 56), vermischt mit Bemerkungen zum konkreten Fall (etwa Seite 51: "In diesem Kontext verteilt jedoch für das Verlangen nach weiteren Waffen als Verfolgung kein Raum mehr"). Vorgänge des Jahres 1998 werden als bei Bescheiderlassung aktuelle Ereignisse behandelt (Seite 58).

Im letzten, der "Glaubwürdigkeit des Vorbringens und der Person des Asylwerbers" gewidmeten Unterabschnitt dieser "Würdigung der Allgemeinsituation" wird u.a. Folgendes ausgeführt (Seite 71):

"Auch war aus seinem Vorbringen, eine zwangsläufige, im Ganzen Gebiet Afghanistans zwangsläufig eintretende Gefährdung seines Lebens oder der Gesundheit bzw. eine zu erwartende unmenschliche Behandlung zu erwarten, kann nicht festgestellt werden. Dieses Vorbringen betreffend 'Erpressung' durch die Taliban kann nicht als solche gewertet werden - zumal im Bürgerkrieg sogar Requirierung oder Kriegssteuer zulässig war."

Schließlich wird - ohne nähere Bezeichnung der "übrigen Unterlagen aus dem Beweisverfahren" - in demselben Unterabschnitt auch der "Sachverständigen" (gemeint: die dem Verfahren nicht beigezogene Verfasserin des Gutachtens vom 22. Februar 2000) entgegen getreten. Wenn diese "auf den Mangel an Versorgung mit grundlegenden Mitteln im Falle der Rückkehr verweist", so sei sie "insoweit mit den übrigen Unterlagen aus dem Beweisverfahren im Widerspruch (denen gefolgt wird, da sie in ihrer Gesamtheit glaubwürdig sind)".

Abschnitt "VI" der Bescheidbegründung beginnt auf Seite 72 mit den Worten "Zu all dem hat die Berufungsbehörde erwogen:". Es folgen zunächst allgemein gehaltene Ausführungen etwa darüber, dass ein subjektives Recht auf Asyl weder in der Verfassung noch in bindenden völkerrechtlichen Verträgen enthalten sei und es "verfrüht" wäre, schon im Asylverfahren "die Frage nach der Anwendbarkeit des Refoulementverbotes" zu stellen. Die daran anschließenden Rechtsausführungen zum konkreten Fall scheinen davon auszugehen, dass einerseits in der angenommenen Situation eines Bürgerkrieges ("Endkampf") keine "staatliche" und somit keine asylrelevante Verfolgung möglich sei, es sich bei den vom Beschwerdeführer beschriebenen Vorgängen andererseits um eine "an sich legitime polizeiliche Waffensuche" gehandelt habe und den Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan nur das Erfordernis einer "notwendigen Unterordnung" unter das Taliban-Regime erwartet hätte.

3. Die gedanklich nicht restlos nachvollziehbaren, zum Teil auch sprachlich nicht gut verständlichen Ausführungen der belangten Behörde scheinen Hinweise darauf zu enthalten, dass sich die belangte Behörde in materiellrechtlicher Hinsicht - etwa beim Argumentieren mit fehlender "Staatlichkeit" der Verfolgung, bei der gleichzeitigen Würdigung der behaupteten Vorgänge als "polizeiliche Ermittlungsarbeit" oder in den zitierten Ausführungen zu "zwangsläufiger" Verfolgung und "Kriegssteuer" - von gesetzwidrigen Maßstäben leiten ließ. Welche Gesichtspunkte für die angefochtene Entscheidung ausschlaggebend waren, ist allerdings schwer erkennbar.

Im Vordergrund steht daher - auch gegenüber möglichen anderen Verfahrensfehlern der belangten Behörde - der in der Beschwerde zutreffend hervorgehobene Umstand, dass der vorliegende Text nicht geeignet ist, die Funktion einer Bescheidbegründung im Sinne der §§ 58 Abs. 2 und 60 i.V.m. § 67 AVG zu erfüllen. Es handelt sich - wie schon in früheren Einzelfällen derartiger Bescheidbegründungen der belangten Behörde - um eine unsystematische Aneinanderreihung von Ausführungen, die unter dem Gesichtspunkt einer geordneten Präsentation der Verfahrensergebnisse und der für die Entscheidung maßgebenden Erwägungen das Mindestmaß dessen unterschreitet, was von einer Bescheidbegründung zu fordern ist, damit die Partei ihre Rechte wirksam verfolgen und der Verwaltungsgerichtshof die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung im Einzelnen überprüfen kann (vgl. in diesem Sinn zunächst schon die Erkenntnisse vom 26. Juli 2001, Zlen. 99/20/0387, 99/20/0388, 2000/20/0083 und 2000/20/0523, sowie die im zuletzt genannten Erkenntnis zitierte Vorjudikatur; in weiterer Folge auch die Erkenntnisse vom 17. Oktober 2002, Zl. 2002/20/0304, vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0354, und vom 12. Juni 2003, Zl. 2001/20/0250; zuletzt darauf verweisend das Erkenntnis vom 3. Juli 2003, Zl. 2000/20/0454; im Einzelfall anders das hg. Erkenntnis vom 17. September 2003, Zl. 2001/20/0177).

Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. November 2003

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