VwGH 2001/01/0017

VwGH2001/01/001714.1.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des 1979 geborenen H in V, vertreten durch Gradischnig & Gradischnig, Rechtsanwälte in 9500 Villach, Moritschstraße 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. November 2000, Zl. 207.872/5-IV/10/00, betreffend § 15 des Asylgesetzes 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §15 Abs3;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
AsylG 1997 §15 Abs3;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Am 29. September 1998 stellte er einen Asylantrag, den das Bundesasylamt (die Erstbehörde) mit Bescheid vom 28. Jänner 1999 gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) abwies; zugleich sprach die Erstbehörde aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "nach Jugoslawien" gemäß § 8 AsylG zulässig sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, die er den vorgelegten Verwaltungsakten zufolge in der Berufungsverhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat (der belangten Behörde) vom 5. Mai 1999 in dem gegen die Versagung von Asyl gerichteten Teil zurückzog. Mit dem in dieser Berufungsverhandlung verkündeten und am 11. Mai 1999 ausgefertigten Bescheid, Zl. 207.872/0-VI/10/99, sprach die belangte Behörde gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 und 2 des Fremdengesetzes 1997 die Feststellung aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach BR Jugoslawien" nicht zulässig sei. Überdies erteilte sie dem Beschwerdeführer gemäß § 15 AsylG eine befristete Aufenthaltserlaubnis bis 4. Mai 2000.

Am 13. April 2000 beantragte der Beschwerdeführer die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 15 AsylG. Mit Bescheid vom 26. April 2000 sprach die Erstbehörde über diesen Antrag wie folgt ab:

"Da Ihnen eine Ausreise in den Herkunftsstaat Jugoslawien/Gebiet KOSOVO zugemutet werden kann, wird Ihr Antrag vom 13.4.2000 auf Verlängerung der gemäß § 15 Abs. 1 Asylgesetz 1997 mit Bescheid vom 11.5.1999, Zahl ... erteilten und bis 4.5.2000 befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 Abs. 3 ... AsylG ... abgewiesen und e contrario zu § 8 AsylG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Jugoslawien/Gebiet Kosovo zulässig ist."

Die Erstbehörde begründete ihren Ausspruch im Wesentlichen damit, seit dem 11. Mai 1999 sei nach dem gänzlichen Abzug der serbischen Sicherheitskräfte und der tatsächlich und nachhaltigen Übernahme der Hoheitsgewalt durch UNMIK und KFOR die Bedrohung der albanischen Bevölkerung im Kosovo weggefallen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. In der Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde brachte er vor, er habe bei seinen bisherigen Einvernahmen vieles aus seiner ehemaligen UCK-Tätigkeit verleugnet. Er sei von der UCK desertiert und ins Ausland gegangen. Nach Mitteilung seiner Familie würden nunmehr unbekannte Personen nach ihm suchen, er solle keinesfalls in den Kosovo zurückkehren.

Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde über die Berufung wie folgt ab:

"Die Berufung ... gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.04.2000 ... wird gemäß § 15 AsylG abgewiesen."

Nach Darstellung des Verfahrensganges führte die belangte Behörde in tatsächlicher Hinsicht aus,

"..., dass die Entscheidung des unabhängigen Bundesasylsenates über den (der befristeten Aufenthaltsberechtigung zu Grunde liegenden Ausspruch von Nonrefoulement) die Situation in der Bundesrepublik Jugoslawien und den Kosovo am 05.05.1999 zu Grunde liegt.

Der Unabhängige Bundesasylsenat nahm als Grundlage der stichtagbezogenen Begründung nachfolgendes Zitat aus dem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenat 207.872/0-VI/10/99 an:

... Aus dem Feststellungsverfahren betreffend die allgemeine Situation im Kosovo im Zeitpunkt dieser Entscheidung steht fest, dass: (Zitat aus VwGH-Entscheidung 3.5.2000, Zl. 99/01/0359.)

..."

Sodann traf die belangte Behörde Feststellungen über die (Änderung der) allgemeinen Verhältnisse im Kosovo seit 20. Juni 1999 zufolge der Präsenz von KFOR und UNMIK und des Verlustes der Souveränität der Bundesrepublik Jugoslawien über den Kosovo.

In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde - soweit nachvollziehbar -die Auffassung, die Verhältnisse im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers hätten sich seit der Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid vom 5. Mai 1999 geändert, weil der Beschwerdeführer im Kosovo nicht mehr der Gefahr einer Verfolgung durch die Bundesrepublik Jugoslawien ausgesetzt sei. Ein Anspruch, sei es erstmalig, sei es in der Folge durch Verlängerung, sei im Falle eines nonrefoulements aber (kraft der gesetzlichen Verbindung) nur auf Grundlage unveränderter Verhältnisse gemäß den seinerzeitigen Feststellungen nach § 8 AsylG möglich. Soweit der Beschwerdeführer nunmehr neue Gründe einer Verfolgung in seinem Herkunftsstaat geltend mache, könne das neue Vorbringen nicht Sache des vorliegenden Verfahrens sein, weil eine Bezugnahme auf andere Sachverhalte als die in der Feststellung "im konnexen Bescheid nach § 8" (vorliegend offenbar gemeint: im Bescheid vom 5. Mai 1999) ausgeschlossen sei. Für die Behandlung inhaltlich neuen Vorbringens sei die Erstbehörde in einem neuen Verfahren nach §§ 7, 8 und 15 AsylG zuständig. Werde nur ein neu entstandenes Abschiebungshindernis behauptet, seien die Fremdenbehörden zur Erlassung eines Feststellungsbescheides zuständig. Es möge unbefriedigend erscheinen, dass im gesamten AsylG kein "contrarius" (erg.: actus) zum Feststellungsbescheid gemäß § 8 AsylG vorgesehen sei. Die Zuständigkeit der Erstbehörde zum hier vorliegenden Abspruch bzw. Spruchteil (nach § 8 AsylG) sei aber nicht gegeben gewesen. § 8 AsylG knüpfe die ausnahmsweise sachliche Zuständigkeit zu einem Abspruch ausschließlich an die Abweisung eines Asylantrages. § 15 Abs. 3 AsylG habe ein neues, anderes Beurteilungskriterium als im § 8 leg. cit. eingeführt, jenes der "Zumutbarkeit der Ausreise in den Herkunftsstaat". Es verbleibe sohin, die Zumutbarkeit der Heimkehr in den Kosovo zu prüfen. Nachdem die seinerzeit erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung inzwischen abgelaufen sei, bedürfe es keines Widerrufes nach § 15 Abs. 3 AsylG mehr, entscheidungsgegenständlich sei lediglich, ob dem Antrag auf Verlängerung stattgegeben werde. Die behauptete Zerstörung der Infrastruktur des Kosovo sei nicht geeignet, eine solche Unzumutbarkeit zu begründen. Eine konkrete Gefahr für das Leben und die persönliche Sicherheit habe der Beschwerdeführer nicht konkret und stimmig ausgeführt. Da die internationalen Organisationen unter Leitung des UNHCR Rückführungen in das ehemalige Krisengebiet organisierten, abwickelten, finanzierten und sich um die grundsätzlichen Lebensbedürfnisse der Rückkehrenden dauerhaft nachhaltig bemühten, könne getrost davon ausgegangen werden, dass bei einer solchen Rückführungsaktion alle Risken, Gefahren und möglichen Probleme bedacht und der Entscheidung, ob eine solche generelle Rückführaktion gestattet werde, zu Grunde gelegt würden. Auf die subjektive Einschätzung durch den Beschwerdeführer komme es hiebei nicht an. Bei der Beurteilung der "allfälligen Unzumutbarkeit" seien auch persönliche Merkmale des Asylwerbers zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer werde als unverheirateter, alleinstehender junger Mann mit zum Teil höherer Schulbildung als Maschinenbauer und zwischenzeitiger Auslandserfahrung zweifelsohne in den Wiederaufbau des Kosovo einzugliedern sein. Somit bestünden auch in dieser Hinsicht keine Merkmale einer persönlichen Unzumutbarkeit bzw. einer geringeren Zumutbarkeit der Heimkehr als für andere Asylwerber.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde vertritt - im Gegensatz zur Erstbehörde -

zur Frage der Zuständigkeit der Asylbehörden für eine Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach § 8 AsylG im Rahmen der Entscheidung über den Widerruf oder für die Nichtverlängerung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung die Auffassung, dass eine solche Zuständigkeit nicht gegeben sei, vielmehr sei eine Non-refoulement-Prüfung durch die Zumutbarkeitsprüfung nach § 15 Abs. 3 AsylG ersetzt. Im Gegensatz zu ihrer in der Begründung des angefochtenen Bescheides zum Ausdruck gebrachten Auffassung beschränkte sie sich jedoch darauf, im Spruch ihres Bescheides die Berufung gemäß § 15 AsylG abzuweisen und somit die von der Erstbehörde in ihrem Bescheid vom 26. April 2000 "e contrario zu § 8 AsylG" getroffene Feststellung unberührt zu lassen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/01/0256, grundlegend ausführte, sind die Asylbehörden bei einer maßgeblichen Sachverhaltsänderung (gegebenenfalls) zum Widerruf "positiver" § 8 AsylG-Aussprüche berufen. Damit muss ihnen auch die im Rahmen des § 15 Abs. 3 AsylG vorausgesetzte Non-refoulement-Prüfung obliegen. Die Entscheidung über den Widerruf oder die Nichtverlängerung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung muss an einen entsprechenden contrarius actus zum ursprünglich "positiven" Ausspruch nach § 8 AsylG anknüpfen. Eine Entscheidung nach § 15 Abs. 3 AsylG ist in der Regel als Annex zu einem § 8 AsylG-Ausspruch zu begreifen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/01/0555).

Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet dies, dass (auch) die belangte Behörde für eine Feststellung nach § 8 AsylG - neben der Entscheidung nach § 15 Abs. 3 AsylG - zuständig war.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis vom 22. Oktober 2002 weiter ausführte, ist zunächst die Frage der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat neu zu beantworten und dann in einem zweiten Schritt unter Einbeziehung der durch das Zumutbarkeitskalkül gebotenen Prüfung weiterer Umstände gegebenenfalls der Widerruf oder die Nichtverlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung auszusprechen. Wesentlich ist, dass sich die Entscheidung über den Widerruf oder die Nichtverlängerung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung auf eine nicht durch Sachverhaltsänderungen überholte Entscheidung über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat gründet und von dieser ausgeht. Bei der Beurteilung des Kriteriums der Zumutbarkeit der Ausreise nach § 15 Abs. 3 AsylG sind neben einer allfälligen Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat auch mittlerweile gewonnene persönliche und soziale Bindungen im Aufenthaltsstaat im Verhältnis zur nunmehrigen Beziehung zum Herkunftsstaat zu beachten. Dies ergibt sich einerseits schon aus der Diktion des § 15 Abs. 3 AsylG, weil dem Gesetzgeber zugesonnen werden muss, dass er mit Grund von der Verwendung der sonst eine Verfolgungsgefahr umschreibenden Wortfolge abgesehen hat, andererseits war es erklärte Absicht des Gesetzgebers, im Fall der Unzulässigkeit der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes einen titellosen Inlandsaufenthalt weitgehend auszuschließen, sodass die Prüfung einer Art "Aufenthaltsverfestigung" schon in dieser Phase nur folgerichtig erscheint.

Im vorliegenden Fall beschränkte die belangte Behörde die Prüfung der Zumutbarkeit der Ausreise in den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zu Unrecht einerseits darauf, ob in den ihrem seinerzeitigen Bescheid aus dem Jahre 1999 zugrundegelegten Verhältnissen - der Gefahr einer ethnisch motivierten Verfolgung des Beschwerdeführers im Kosovo durch die Bundesrepublik Jugoslawien - eine Änderung eingetreten ist, ohne jedoch auf die aktuellen Verhältnisse im Herkunftsstaat, insbesondere im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer nunmehr behauptete Gefahr einer Verfolgung wegen seiner ehemaligen Tätigkeit in der UCK abzustellen. Andererseits ließ sie bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Ausreise allfällige mittlerweile gewonnene persönliche und soziale Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet im Verhältnis zu seiner Beziehung zum Herkunftsstaat außer Betracht.

Nach dem Gesagten belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 14. Jänner 2003

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