VwGH 2000/20/0100

VwGH2000/20/010012.6.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde der 1980 geborenen J in W, vertreten durch Dr. Marisa Schamesberger, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Hofgasse 6/III u. IV, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. Dezember 1999, Zl. 214.149/0-XI/33/99, betreffend § 6 Z 2 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, reiste am 7. September 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 10. September 1999 die Gewährung von Asyl. Bei ihrer Vernehmung vor dem Bundesasylamt am 26. November 1999 brachte sie zur Begründung ihres Asylantrages zusammengefasst vor, nach dem Tod ihrer Mutter im Juni 1999 seien sie und ihre Schwester von Mitgliedern der "Ogboni-Society" aufgefordert worden, wie ihre Mutter dieser Gesellschaft beizutreten; sonst würde man sie töten. Die Beschwerdeführerin sei zusammen mit ihrer Schwester geflohen, weil sie einen Beitritt zu dieser Gesellschaft abgelehnt hätten. Ihre Schwester sei jedoch "erwischt", bewusstlos geschlagen und "von den Leuten" getötet worden. Somit habe die Beschwerdeführerin gewusst, dass sie "davon laufen" müsse, sonst würde man auch sie töten. Bei einer Rückkehr nach Nigeria befürchte die Beschwerdeführerin, dass sie von den "Society-People" gesucht und getötet werde, weil sie dieser Gesellschaft nicht beigetreten sei. Die Ogboni-Mitglieder könnten sie überall, auch in Lagos finden.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 26. November 1999 gemäß § 6 Z 2 AsylG ab und erklärte gemäß § 8 AsylG ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria für zulässig.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 22. Dezember 1999 wurde die gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobene Berufung abgewiesen. Die belangte Behörde legte ihrer rechtlichen Beurteilung das Vorbringen der Beschwerdeführerin zugrunde und folgerte daraus zunächst, die geltend gemachte Bedrohung sei nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumieren, weil sie nicht dem Staat zuzurechnen sei. Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ergebe sich nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass die von der Beschwerdeführerin beschriebene Gefahr, Bedrohung bzw. Verfolgung vom Staat ausgehe oder von ihm zumindest gebilligt würde. Die Beschwerdeführerin habe nicht einmal versucht, sich unter den Schutz der Behörden des Heimatlandes zu stellen, "weswegen weder Schutzunwilligkeit noch Schutzunfähigkeit des Staates vorliegen kann." Aber eine lediglich von Privatpersonen ausgehende Verfolgung (wohl gemeint: vor welcher der Staat ausreichenden Schutz gewährt) "vermag unter die Bestimmungen der GFK nicht subsumiert zu werden."

Voraussetzung einer "Verfolgungshandlung iSd GFK" - so die belangte Behörde weiter - sei darüber hinaus, dass die (direkte oder indirekte) staatliche Verfolgung aufgrund bestimmter Eigenschaften des Asylwerbers (seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung) erfolge. Werde jedoch die Verfolgungshandlung "ausschließlich, d.h. ungeachtet der oben genannten Eigenschaften des Asylwerbers, etwa durch die religiöse Überzeugung des Täters geleitet, so vermag eine asylrelevante Verfolgung nicht erkannt zu werden." Vielmehr seien derartige Übergriffe, mögen sie auch religiös motiviert sein, nicht anders zu beurteilen, als solche gewöhnlicher Krimineller bzw. krimineller Organisationen.

Den Ausspruch nach § 8 AsylG begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, "die das 'Refoulement-Verbot' enthaltene (gemeint: enthaltende) Bestimmung" setze voraus, dass die dort umschriebene Gefahr für den Fremden vom Staat ausgehe. Eine Bedrohung, die ohne Billigung durch staatliche Stellen nur von Privatpersonen ausgehe, falle nicht darunter.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die belangte Behörde stützte die Abweisung des Asylantrages

nur auf § 6 Z 2 AsylG, der wie folgt lautet:

"Offensichtlich unbegründete Asylanträge

§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

...

2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder

..."

Bei der Prüfung, ob ein Fall des § 6 Z 2 AsylG vorliegt, ist von den Behauptungen des Asylwerbers auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen offensichtlich nicht entnehmen lässt, dass die geltend gemachte Verfolgung auf einen der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) "zurückzuführen ist" (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 22. Mai 2003, Zl. 2000/20/0051).

Die belangte Behörde verneinte das Vorliegen von Konventionsgründen, weil eine Verfolgung auf Grund der religiösen Überzeugung des Täters nicht asylrelevant im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 98/20/0557, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, zur möglichen Asylrelevanz der (behaupteten)Verfolgung durch Mitglieder der Ogboni-Geheimgesellschaft in Nigeria unter dem Gesichtspunkt der Verfolgung aus religiösen Gründen ausführlich Stellung genommen. Das Erkenntnis enthält zu diesem Thema grundlegende, auch für den vorliegenden Fall gültige Ausführungen. Demnach lasse sich eine Verfolgung aus Gründen der Religion bei Vorliegen der dort näher dargestellten Voraussetzungen in Fällen dieser Art selbst bei einer Prüfung des Asylantrages nach § 7 AsylG - für die es auf den Maßstab der "Offensichtlichkeit" nicht ankommt - nicht verneinen. Insbesondere lasse sich ein Zusammenhang zwischen der durch die religiöse Überzeugung motivierten Verfolgungshandlung und deren (maßgeblichen) Anknüpfung an asylrelevante Merkmale des Asylwerbers nicht nachvollziehbar verneinen, wenn die Ursache der Verfolgung auf der dem Verfolgten (zumindest) unterstellten Ablehnung der religiösen Überzeugung des Verfolgers beruht. Das kann aber nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auch im vorliegenden Fall nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit ausgeschlossen werden, sodass eine Beurteilung dahin, die behauptete Verfolgungsgefahr sei im Sinne des § 6 Z 2 AsylG offensichtlich nicht auf die in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen, nicht gerechtfertigt scheint (vgl. die Erkenntnisse vom 12. Dezember 2002, Zl. 99/20/0609 und Zl. 2001/20/0035, jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen, sowie das einen ähnlich begründeten Bescheid der belangten Behörde betreffende Erkenntnis vom 24. Oktober 2001, Zl. 99/20/0169).

Soweit die belangte Behörde von einer ausreichenden staatlichen Schutzgewährung gegen die behauptete (Privat)Verfolgung ausgeht, vermag dies eine Abweisung des Asylantrages nach § 6 AsylG nicht zu tragen. Diese Begründungsteile können nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur unter dem Gesichtspunkt einer Prüfung gemäß § 7 AsylG Bedeutung erlangen (vgl. das Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, mit weiteren Nachweisen aus der Vorjudikatur und die daran anschließende Rechtsprechung, etwa das Erkenntnis vom 12. Dezember 2002, Zl. 2000/20/0224, mit zahlreichen weiteren Nachweisen und zuletzt das bereits erwähnte Erkenntnis vom 22. Mai 2003, Zl. 2000/20/0051, sowie schließlich auch in diesem Zusammenhang das bereits mehrfach zitierte Erkenntnis vom 12. Dezember 2002, Zl. 99/20/0609, wonach der Gesichtspunkt eines bloß lokal begrenzten Charakters einer insoweit realen Bedrohung nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht geeignet sei, die Abweisung eines Asylantrages als "offensichtlich" unbegründet zu tragen).

Soweit die belangte Behörde in der Begründung der Feststellung nach § 8 AsylG - im Asylteil wurden die diesbezüglichen Ausführungen durch den Hinweis auf die "Schutzunwilligkeit" und "Schutzunfähigkeit" des Staates wieder relativiert - noch meint, dass Voraussetzung für die Gewährung von Refoulement-Schutz vor einer Bedrohung durch Privatpersonen deren "Billigung durch staatliche Stellen" sei, entspricht dies nicht der in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0419, mit dem Hinweis auf die - zahlreiche weitere Nachweise enthaltenden - Erkenntnisse vom 26. Februar 2002, 99/20/0509 und Zl. 99720/0571, und neuerlich das Erkenntnis vom 12. Dezember 2002, Zl. 99/20/0609).

Der angefochtene Bescheid war somit aus den dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. Juni 2003

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