VwGH 2001/20/0035

VwGH2001/20/003512.12.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde der E E in Wien, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. Oktober 2000, Zl. 218.635/0-III/07/00, betreffend § 6 Z 2 und § 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §57;
AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §57;

 

Spruch:

Die Spruchpunkte 2.) und 3.) des angefochtenen Bescheides werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, reiste am 27. Jänner 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte an diesem Tag einen Asylantrag. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 21. Februar 2000 führte die Beschwerdeführerin aus, ihr Vater sei Mitglied der Ogboni-Sekte gewesen. Er sei am 24. November 1999 verstorben. Zwei Wochen nach seinem Begräbnis seien einige Mitglieder der Ogboni-Sekte in ihr Haus gekommen. Ihr Vater habe gewollt, dass sein erstgeborenes Kind der Sekte beitrete und seinen Platz übernehme. Die Mitglieder der Sekte hätten ihr zwei Wochen Bedenkzeit gegeben. Sie habe dieser Sekte nicht beitreten wollen. Daraufhin sei ihr gesagt worden, dass dann jemand anderer ihren Platz einnehmen und sie getötet würde. Sie habe trotzdem nicht der Sekte beitreten wollen. Nach elf Tagen sei eine Gruppe von Mitgliedern der Ogboni-Sekte in das Haus gekommen und habe der Mutter gesagt, dass die Beschwerdeführerin beitreten solle. Sie selbst habe zu diesem Zeitpunkt geschlafen, sei jedoch munter geworden und aus dem Haus geflohen. Seit diesem Zeitpunkt sei sie auf der Flucht. Die Polizei habe ihr gesagt, dass sie sich mit den Ogboni arrangieren solle. Die Ogboni-Sekte habe ein Foto von ihr und suche sie. Die Sekte sei überall in Nigeria vertreten. Sie wolle nicht nach Lagos oder woandershin in Nigeria gehen. Im Falle ihrer Rückkehr müsste sie sterben, falls sie von Mitgliedern der Sekte gesehen würde.

Mit Bescheid vom 2. März 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz 1997 als offensichtlich unbegründet ab und erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe keine Asylgründe im Sinne des Asylgesetzes 1997 vorbringen können. Es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass sie im Fall der Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung einer Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 und 2 Fremdengesetz ausgesetzt wäre. Die von der Beschwerdeführerin dargestellte Bedrohung ihrer Person sei keine unter die Genfer Flüchtlingskonvention subsumierbare Gefahr, weil sie nicht dem Staat zurechenbar sei. Sie gehe nicht vom Staat, sondern lediglich von Privatpersonen aus. Im Übrigen sei Voraussetzung einer Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, dass die staatliche Verfolgung auf Grund bestimmter Eigenschaften des Asylwerbers erfolge. Als solche kämen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung des Beschwerdeführers in Frage. Werde jedoch die Verfolgungshandlung ausschließlich, d.h. ungeachtet der genannten Eigenschaften des Asylwerbers, etwa durch die religiöse Überzeugung des Täters geleitet, so könne eine asylrelevante Verfolgung nicht vorliegen. Wenn die Beschwerdeführerin schließlich unter Hinweis auf die Polizei vorbringe, dass ihr kein staatlicher Schutz vor der Geheimorganisation zu Teil würde, so sei dazu anzumerken, dass der Behörde weder entsprechende Hinweise vorlägen noch solche von der Beschwerdeführerin hätten bescheinigt werden können. Selbst wenn dies den Tatsachen entspräche, sei daraus für die Beschwerdeführerin nichts zu gewinnen, zumal nicht einmal die Charakterisierung eines Geheimbundes als gesellschaftsbeherrschend dahin verstanden werden könne, dass der Heimatstaat der Beschwerdeführerin generell infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt nicht in der Lage wäre, derartige Verfolgungshandlungen zu verhindern. Nach Angabe der österreichischen Botschaft in Lagos im Schreiben vom 11. September 1997 existierten in Nigeria hunderte von Sekten und Religionsgemeinschaften. Praktiken, wie sie von der Beschwerdeführerin geschildert worden seien, seien hinsichtlich der Ogbonigesellschaft amtsbekannt. Lagos sei im Übrigen eine Stadt mit fast 10 Millionen Einwohnern ohne Meldepflicht oder ähnliche Erfassung der Bewohner. Es bedürfe daher nach Ansicht der Botschaft nicht einmal großer Mühe, den Mitgliedern einer bestimmte Sekte aus dem Weg zu gehen. Stichhaltige Gründe für die Annahme, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr liefe, in Nigeria einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, bestünden nicht.

In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid führte die Beschwerdeführerin aus, sie sei in ihrem Heimatland asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen und demnach Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes. Sie akzeptiere die Begründung des Bescheides nicht.

Mit Schreiben vom 5. April 2000 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Ebenfalls mit Schreiben vom 5. April 2000 brachte die Beschwerdeführerin in einer Berufungsergänzung vor, sie sei in ihrem Heimatstaat in Gefahr, von der Ogboni-Sekte verfolgt, vielleicht sogar getötet zu werden. Die Behörden könnten ihr keinen ausreichenden Schutz vor dieser Sekte geben. Da sie keinen ausreichenden Schutz vor der Verfolgung bekommen könne, könne von ihr auch nicht verlangt werden, dass sie in Lagos in den Untergrund gehe. Auch in Lagos bestünde immer die Gefahr, dass sie von einem der Sektenmitglieder erkannt würde. Eine neuerliche mündliche Einvernahme, die ausdrücklich beantragt werde, könne insoweit Klarheit bringen, als manche Unklarheiten bzw. Widersprüchlichkeiten in der Aussage der Beschwerdeführerin bloß auf Missverständnisse zurückzuführen seien bzw. auf die schlechte psychische Verfassung der Beschwerdeführerin bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. August 2000 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gemäß § 71 AVG als verspätet zurückgewiesen. Auf Grund der dagegen erhobenen Berufung hat die belangte Behörde mit dem zu seinen Spruchpunkten 2.) und

3.) in Beschwerde gezogenen Bescheid dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gemäß § 71 AVG stattgegeben (Spruchpunkt 1.). Die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bundesasylamtes betreffend ihren Asylantrag wurde gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz abgewiesen (Spruchpunkt 2.). Gemäß § 8 Asylgesetz stellte die belangte Behörde fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt 3.). Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, Voraussetzung für das Vorliegen von Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sei, dass die (direkte oder indirekte) staatliche Verfolgung auf Grund bestimmter Eigenschaften des Asylwerbers (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Überzeugung) erfolge. Werde jedoch die Verfolgungshandlung ausschließlich, d.h. ungeachtet der genannten Eigenschaften des Asylwerbers, etwa durch die religiöse Überzeugung des Täters geleitet, so könne darin keine asylrelevante Verfolgung erkannt werden. Derartige Übergriffe seien nicht anders zu beurteilen, als solche gewöhnlicher krimineller Einzeltäter bzw. krimineller Organisationen. Die Beschwerdeführerin habe vorgebracht, dass sie wegen ihrer Weigerung, als erstgeborenes Kind den Platz des verstorbenen Vaters bei der Sekte einzunehmen, getötet werden sollte. Sie habe jedoch nicht dargetan, dass sie aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung bedroht worden sei. Die kriminellen Untriebe der Ogboni-Sekte stünden somit in keinem Zusammenhang mit asylrechtlich relevanten Eigenschaften der Beschwerdeführerin. Die Bedrohung der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat sei somit offensichtlich nicht auf die in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Staat der Beschwerdeführerin auf Grund einer asylrechtlich relevanten Eigenschaft ihrer Person keinen Schutz vor einer solchen Bedrohung durch Kriminelle gewähren würde, zumal der nigerianische Staat gegen Sektenmitglieder vorgehe. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 Asylgesetz iVm § 57 Abs. 2 Fremdengesetz sei damit ebenfalls zu verneinen. Da im Übrigen die Identität der Beschwerdeführerin mangels jeglichen Dokumentes nicht feststehe, sei es der Behörde bereits aus diesem Grund verwehrt, festzustellen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria unzulässig sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 6 Asylgesetz sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz der Fall, wenn die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist. Dies sind Gründe der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 25. Jänner 2001, Zl. 98/20/0555, ausgeführt hat, ist es denkbar, dass aus der Sicht der Ogboni-Sekte jeder, der sich weigert, sich bestimmten Nachfolgeritualen nach dem Tod eines Führers zu unterwerfen, dadurch die Regelung der Nachfolge in dieser Funktion blockiere und die Organisation der Gesellschaft nachhaltig störe, und sodann als Gegner der Ideologie der Organisation angesehen werde. Die in der Reaktion auf diese Weigerung gesetzten Maßnahmen könnten daher durch das Motiv der Organisation bestimmt seien, damit die vermutete ablehnende Gesinnung des für die Nachfolge Vorgesehenen zu treffen. Ein entsprechendes Vorbringen eines Asylwerbers ist daher auch im Hinblick auf eine mögliche Verfolgung aus Gründen der Religion zu prüfen (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0332).

Der belangten Behörde kann somit nicht gefolgt werden, wenn sie unter Zugrundelegung des Vorbringens der Beschwerdeführerin davon ausgeht, dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Verfolgungsgefahr offensichtlich nicht auf die in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen sei.

Soweit die belangte Behörde von einer ausreichenden staatlichen Schutzgewährung gegen die behauptete Verfolgung durch Private und vom Vorliegen einer inländischen Schutzalternative ausgeht, vermag dies eine Abweisung nach § 6 Asylgesetz nicht zu rechtfertigen. Diese Begründungsteile können nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur unter dem Gesichtspunkt einer Prüfung gemäß § 7 Asylgesetz Bedeutung erlangen (vgl. dazu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002).

Verfehlt ist es auch, wenn die belangte Behörde in Bezug auf § 8 AsylG die Glaubhaftmachung einer konkreten Gefährdungssituation nur dann bereit ist anzunehmen, wenn die Identität des Asylwerbers feststeht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Juli 2002, Zl. 2000/20/0243).

Der angefochtene Bescheid war hinsichtlich der angefochtenen Spruchpunkte 2.) und 3.) aus den dargestellten Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. Dezember 2002

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