VwGH 2000/20/0051

VwGH2000/20/005122.5.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des S, geboren 1975, vertreten durch Dr. Michael Binder, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Sterngasse 13, gegen den am 26. April 1999 mündlich verkündeten und am 20. Oktober 1999 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 208.207/0-II/06/99, betreffend § 6 Z 2 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers, eines indischen Staatsangehörigen, gemäß § 6 Z 2 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen und "gemäß § 8 des AsylG iVm § 57 Abs. 1 des Fremdengesetzes" festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 6 Z 2 und 3 AsylG lautet:

"Offensichtlich unbegründete Asylanträge

§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

  1. 1. ...

2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach

dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in

Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten

Gründe zurückzuführen ist oder

3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation

offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder

4. ... "

5. ... "

Bei der Prüfung, ob ein Fall des § 6 Z 2 AsylG vorliegt, ist von den Behauptungen des Asylwerbers auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen offensichtlich nicht entnehmen lässt, dass die geltend gemachte Verfolgung auf einen der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) "zurückzuführen ist" (vgl. das Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0332).

Das - bei der Beurteilung nach dem zitierten Tatbestand des § 6 AsylG somit allein maßgebliche - Vorbringen des Beschwerdeführers lässt sich dahin zusammenfassen, dass er als Angehöriger der Sikh im Punjab zu Unrecht verdächtigt werde, wie sein Cousin ein Mitglied der radikalen Sikh-Organisation Babbar Khalsa zu sein, die auch "mit militanten Mitteln" für ein von Indien unabhängiges Khalistan eintrete, und dass ihm deshalb Verfolgung durch die indische Polizei drohe, nämlich dass er inhaftiert, in der Haft geschlagen und umgebracht werde, ohne dass die Gerichte hievon Kenntnis erlangen und ihm Rechtsschutz gewähren könnten. Darüber hinaus behauptete der Beschwerdeführer durch Mitglieder der Babbar Khalsa vorgenommene Nachstellungen und Drohungen, ihn "umzubringen", weil er sich geweigert habe, Mitglied dieser Organisation zu werden.

Ausgehend von diesem Vorbringen, kann aber nicht gesagt werden, die vom Beschwerdeführer befürchteten Maßnahmen knüpften offensichtlich nicht an einen Konventionsgrund an, wobei hier in erster Linie die - dem Beschwerdeführer zumindest unterstellte oppositionelle - "politische Gesinnung" in Betracht kommt. Angemerkt sei, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auch keine gegenteilige Auffassung vertreten hat, sondern sich mit dieser Frage - offenbar in Verkennung der Voraussetzungen für die Anwendung des § 6 Z 2 AsylG - gar nicht ausdrücklich auseinander gesetzt hat. Da sich aber - wie erwähnt - ein Zusammenhang mit einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit verneinen lässt, konnte die Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers nicht in tragfähiger Weise auf die von der belangten Behörde allein herangezogene Bestimmung des § 6 Z 2 AsylG gegründet werden. Der Ansicht der belangten Behörde, die behauptete Bedrohung des Beschwerdeführers durch "Privatpersonen" stelle "keinen Tatbestand dar, der in die Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumieren ist", wobei sie in diesem Zusammenhang ins Spiel bringt, dass Indien "als Rechtsstaat" mit

unabhängiger Gerichtsbarkeit "derartige ... strafrechtlich

relevante Fakten ... sicherlich nicht dulden würde", liegt

offenbar die Annahme staatlicher Schutzgewährung vor der geltend gemachten Verfolgung durch "Privatpersonen" zugrunde. Damit ließe sich die Subsumtion des Falles unter § 6 AsylG - auch soweit es diesen Vorbringensteil betrifft - nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung aber ebenfalls nicht rechtfertigen (vgl. das Erkenntnis vom 12. Dezember 2002, Zl. 2000/20/0224, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Die belangte Behörde ist - unter Verweisung auf näher bezeichnete Länderberichte und darauf gegründete Feststellungen zur Situation in Indien, insbesondere im Punjab - an mehreren Stellen im angefochtenen Bescheid von der mangelnden Nachvollziehbarkeit bzw. Wahrscheinlichkeit der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgungsgefahr ausgegangen. Auch diese - von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid in den Vordergrund gestellte - Begründungslinie ist aber nicht geeignet, eine Abweisung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet nach § 6 Z 2 AsylG zu tragen. Die Einbeziehung von Erwägungen zur Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers und von (seinem Vorbringen widersprechenden) Tatsachenfeststellungen kommt nämlich bei der Beurteilung nach dieser Bestimmung schon vom Ansatz her nicht in Betracht (vgl. neuerlich das schon erwähnte Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0332). Zur Vollständigkeit sei erwähnt, dass diese Begründungselemente mangels Erfüllung des notwendigen "Offensichtlichkeitskalküls" (vgl. dazu das Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214) im vorliegenden Fall auch nicht geeignet wären, der Sache nach eine Abweisung des Asylantrages nach § 6 Z 3 AsylG zu rechtfertigen.

Zum Ausspruch nach § 8 AsylG über die Zulässigkeit der (insbesondere) Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien ist noch klarzustellen, dass dieser insoweit mit dem Gesetz nicht im Einklang steht, als die belangte Behörde den diesbezüglichen Spruch ihrer Entscheidung ausdrücklich auf "§ 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1 des Fremdengesetzes" beschränkte (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 20. Juni 2002, Zl. 2002/20/0207, mit weiteren Nachweisen), wobei allerdings einzuräumen ist, dass der Begründung im angefochtenen Bescheid auch eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt des § 57 Abs. 2 FrG zu entnehmen ist. Soweit die belangte Behörde in der Begründung dieses Spruchteils mehrfach meint, dass es einer "durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung" im Zielstaat bedürfe, entspricht dies ebenfalls nicht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die Nachweise in dem Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0419).

Der angefochtene Bescheid war somit aus den angeführten Gründen zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil dem Beschwerdeführer die Verfahrenshilfe auch im Umfang der einstweiligen Befreiung von der Entrichtung der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG bewilligt worden war.

Wien, am 22. Mai 2003

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