Normen
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §41 Abs1;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §41 Abs1;
Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 947,24 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführer (der Zweitbeschwerdeführer ist der Vater des Erstbeschwerdeführers) verfügten zuletzt über Aufenthaltsbewilligungen vom 7. Februar 1995 bis 7. August 1995.
Am 8. Juni 1995 gab die österreichische Ehegattin des Zweitbeschwerdeführers bei der erstinstanzlichen Aufenthaltsbehörde als Zeugin einvernommen an, die Ehe sei nur zum Zweck der Erlangung der "fremdenrechtlichen Bewilligungen (Befreiungsschein, Visa etc.)" geschlossen worden. Daraufhin setzte der Landeshauptmann von Wien mit einem als "Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme" bezeichneten Schreiben vom 9. Juni 1995 (unter Angabe der Aktenzahl des ursprünglichen Bewilligungsverfahrens) den Zweitbeschwerdeführer in der Angelegenheit "Ihr Antrag auf Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz" davon in Kenntnis, dass beabsichtigt sei, über seine Bewilligung gemäß § 8 Abs. 1 AufG auf Grund der Annahme einer "Scheinehe" den Verlust auszusprechen und forderte ihn zur Abgabe einer Stellungnahme auf.
Der Zweitbeschwerdeführer beantragte am 26. Juni 1995 (im eigenen Namen und als gesetzlicher Vertreter des Erstbeschwerdeführers) neuerlich die Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz bei der Erstbehörde.
Mit Schreiben vom 4. Juli 1995 gab Rechtsanwalt Dr. W. unter Berufung auf die ihm erteilte Vollmacht des Zweitbeschwerdeführers eine Stellungnahme zum Schreiben vom 9. Juni 1995 ab, bestritt die Richtigkeit der Angaben seiner österreichischen Ehegattin und stellte abschließend den "Antrag auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung im beantragten Umfang".
Der Landeshauptmann von Wien wies in weiterer Folge mit Bescheid vom 26. Juni 1995 den Antrag des Erstbeschwerdeführers auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gemäß § 4 Abs. 3 AufG und mit Bescheid vom 29. Juli 1995 jenen des Zweitbeschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ab.
Beide Bescheide wurden am 14. August 1995 Rechtsanwalt Dr. W. zugestellt.
Mit gleich lautenden Eingaben vom 12. September 1995 gaben die Beschwerdeführer bekannt, Rechtsanwalt Dr. U. bevollmächtigt zu haben und beantragten die neuerliche Zustellung der erstinstanzlichen Bescheide zu seinen Handen, in eventu die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung, die unter einem ausgeführt wurde.
Im Verwaltungsakt des Erstbeschwerdeführers erliegen Aktenvermerke vom 3. bzw. 5. Oktober 1995. Im Aktenvermerk vom 3. Oktober 1995 werden die Darlegungen Dris. W. zum geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund festgehalten, in jenem vom 5. Oktober 1995 heißt es: "Lt. Tel. Dr. W hat er die Partei bis 8. 9. 1995 vertreten, auch bei Visum."
Der Landeshauptmann von Wien wies mit gleich lautenden Bescheiden vom 9. Oktober 1995 die Anträge der Beschwerdeführer auf neuerliche Zustellung der erstinstanzlichen Bescheide gemäß § 9 Abs. 1 ZustG und jene auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab. Die Zustellung dieser Bescheide erfolgte wiederum an Dr. W.
Am 30. Oktober 1995 wurden die Bescheide vom 26. Juni und 29. Juli 1995 von Rechtsanwalt Dr. U. persönlich bei der erstinstanzlichen Behörde übernommen.
Die Beschwerdeführer erhoben dagegen am 31. Oktober 1995 Berufung.
Mit den angefochtenen gleich lautenden Bescheiden vom 10. Dezember 1996 wies die belangte Behörde die Berufungen der Beschwerdeführer vom 12. September und vom 31. Oktober 1995 gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurück. Begründend führte die belangte Behörde aus, Berufungen seien gemäß § 63 Abs. 5 AVG binnen zwei Wochen nach erfolgter Zustellung einzubringen. Die erstinstanzlichen Bescheide seien jeweils am 14. August 1995 dem damaligen rechtsfreundlichen Vertreter Rechtsanwalt Dr. W. rechtswirksam zugestellt worden. Eine Überprüfung der belangten Behörde habe ergeben, dass das Vollmachtsverhältnis mit Rechtsanwalt Dr. W. zum Zeitpunkt der Zustellung aufrecht gewesen sei. Die Kündigung einer Vollmacht könne der Behörde gegenüber nur dann wirksam werden, wenn ihr die Kündigung mitgeteilt werde. Eine Zustellvollmacht sei daher so lange maßgebend, als die Behörde von einem Widerruf oder von einer Kündigung keine Kenntnis habe. Die Berufungen des nunmehrigen Rechtsvertreters - die Vollmachtsbekanntgabe sei am 12. September 1995 erfolgt - seien am 12. September und am 31. Oktober 1995 und im Hinblick auf die rechtswirksame Zustellung am 14. August 1995 somit verspätet eingebracht worden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die auf Grund ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Vorauszuschicken ist zunächst, dass es sich bei den angefochtenen Bescheiden nicht um solche handelt, mit denen die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung versagt wurde, sondern um die Zurückweisung verspäteter Berufungen. Deshalb liegt kein Anwendungsfall des § 113 Abs. 6 und 7 des Fremdengesetzes 1997 vor (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 1999, Zl. 96/19/0369).
Die Beschwerdeführer treten der Annahme der belangten Behörde, dass die Zustellung der erstinstanzlichen Bescheide am 14. August 1995 an Dr. W. rechtswirksam erfolgt sei, insofern entgegen, als sie behaupten, Dr. W. sei im Verfahren über die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung gar nicht als Bevollmächtigter eingeschritten. Die Erstbehörde habe mit ihrer Verständigung vom 9. Juni 1995 dem Zweitbeschwerdeführer zu erkennen gegeben, dass sie seine zu diesem Zeitpunkt noch aufrechte Aufenthaltsbewilligung in Richtung "Scheinehe" geprüft habe bzw. prüfe. In diesem offensichtlich von Amts wegen eingeleiteten Verfahren habe er Rechtsanwalt Dr. W. mit seiner Vertretung betraut. Unabhängig davon habe er persönlich in eigenem Namen und als gesetzlicher Vertreter des Erstbeschwerdeführers am 26. Juni 1995 die Verlängerung ihrer bis 7. August 1995 gültigen Aufenthaltsbewilligungen beantragt. In diesen Verfahren sei Rechtsanwalt Dr. W. nicht bevollmächtigt gewesen, er hätte davon nicht einmal Kenntnis gehabt. Die Zustellung der Bescheide an Dr. W. am 14. August 1995 habe somit nicht wirksam sein können. Tatsächlich seien die Bescheide über die Abweisung ihrer Verlängerungsanträge den Beschwerdeführern erst am 30. Oktober 1995 durch Ausfolgung an ihren nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertreter Dr. U. zugestellt worden.
Vor Zurückweisung einer Berufung als verspätet hat die Behörde entweder von Amts wegen zu prüfen, ob ein Zustellmangel unterlaufen ist, wenn nämlich Umstände auf einen solchen hinweisen, oder dem Berufungswerber die offenbare Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten. Unterlässt sie dies, so kann der Berufungswerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot den Zustellmangel in der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dartun. Geht die Behörde von der Versäumung der Rechtsmittelfrist aus, ohne dies dem Berufungswerber vorgehalten zu haben, so hat sie das Risiko einer Bescheidaufhebung zu tragen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1999, Zl. 97/19/0938).
Der belangten Behörde, die den Beschwerdeführern weder die von ihr durchgeführten Erhebungen zur Frage der Vertretungsbefugnis Dris. W. im maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung (siehe insbesondere den Aktenvermerk vom 5. Oktober 1995) noch die offenbare Verspätung der Rechtsmittel vorgehalten hat, ist somit ein Verfahrensfehler unterlaufen, wobei im Hinblick auf die nicht dem Neuerungsverbot unterliegenden Darlegungen der Beschwerde nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Behörde bei Vermeidung des Verfahrensfehlers zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können.
Sollte sich nämlich im fortgesetzten Verfahren herausstellen, dass Dr. W. von den Beschwerdeführern zum Einschreiten im Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gar nicht bevollmächtigt war, wäre jedenfalls von einer Unwirksamkeit der Zustellung der mit Berufung angefochtenen Bescheide an ihn auszugehen. Hätte aber eine Vollmacht Dris. W. bestanden, so wird die belangte Behörde anhand des Wortlautes der maßgeblichen Eingabe, aber auch unter Beachtung der dort als Bezug genannten Aktenzahl zu begründen haben, aus welchen Gründen sie annimmt, Dr. W. habe sich im Verfahren zur Erteilung der Aufenthaltsbewilligung (in Ansehung beider Beschwerdeführer) auf das Vorliegen einer erteilten Vollmacht berufen.
Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH - Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Der Stempelgebührenersatz für jeweils S 270,-- war mit insgesamt EUR 39,24 festzusetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz war abzuweisen, weil zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (nur) die Vorlage des jeweils angefochtenen Bescheides in einfacher Ausfertigung notwendig war.
Wien, am 24. April 2002
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