VwGH 97/19/0938

VwGH97/19/093814.5.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde des 1996 geborenen VJ, vertreten durch seine Mutter GT, diese vertreten durch Dr. W, Dr. C, Dr. H, Dr. G, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. März 1997, Zl. 307.753/3-III/11/97, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992;
AVG §22;
ZustG §21 Abs1;
AufG 1992;
AVG §22;
ZustG §21 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 26. September 1996 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Familienzusammenführung mit seinen Eltern. Der Landeshauptmann von Wien wies mit Bescheid vom 13. Dezember 1996 diesen Antrag gemäß § 4 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) ab. Dieser Bescheid wurde an die gesetzliche Vertreterin des Beschwerdeführers, seine Mutter, adressiert; aus dem den diesbezüglichen Zustellvorgang dokumentierenden Rückschein geht hervor, dass der Bescheid im Rahmen einer Ersatzzustellung von der Großmutter des Beschwerdeführers am 15. Jänner 1997 übernommen wurde. Mit einem Schriftsatz vom 30. Jänner 1997, welcher am 3. Februar 1997 bei der Behörde erster Instanz einlangte, erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seine Mutter, Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies der Bundesminister für Inneres die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurück. Er begründete dies damit, dass die Zustellung am 15. Jänner 1997 rechtswirksam erfolgt und die Berufung erst am 31. Jänner 1997 und daher verspätet eingebracht worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass auf den gegenständlichen Beschwerdefall die Bestimmung des § 113 Abs. 6 und 7 des Fremdengesetzes 1997 keine Anwendung findet, weil mit der vorliegenden verfahrensrechtlichen Entscheidung keine Versagung der Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung ausgesprochen wurde.

Insoweit der Beschwerdeführer geltend macht, der Bescheid erster Instanz hätte ihm gemäß § 22 AVG zu eigenen Handen zugestellt werden müssen, ist er darauf hinzuweisen, dass eine derartige Zustellung nur dann in Frage käme, wenn die mit dem Bescheid verbundenen Rechtsfolgen im Vergleich zu anderen Bescheiden in ihrer Bedeutung und Gewichtigkeit über dem Durchschnitt lägen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. September 1998, Zl. 96/19/1636). Dies ist bei der Abweisung einer beantragten Aufenthaltsbewilligung jedoch nicht der Fall (vgl. den hg. Beschluss vom 26. Februar 1999, Zl. 96/19/0506).

Gemäß § 63 Abs. 5 AVG ist die Berufung von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides, im Fall bloß mündlicher Verkündung mit dieser. Wird eine Berufung innerhalb dieser Frist bei der Berufungsbehörde eingebracht, so gilt dies als rechtzeitige Einbringung; die Berufungsbehörde hat die bei ihr eingebrachte Berufung unverzüglich an die Behörde erster Instanz weiterzuleiten.

Vor Zurückweisung einer Berufung als verspätet hat die Behörde entweder von Amts wegen zu prüfen, ob ein Zustellmangel unterlaufen ist, wenn nämlich Umstände auf einen solchen hinweisen, oder dem Berufungswerber die offenbare Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten. Unterlässt sie dies, so kann der Berufungswerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot den Zustellmangel in der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dartun (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1997, Zl. 96/19/1006). Geht die Behörde von der Versäumung der Rechtsmittelfrist aus, ohne dies dem Berufungswerber vorgehalten zu haben, so hat sie das Risiko einer Bescheidaufhebung zu tragen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. März 1994, Zl. 94/10/0010).

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer die offenbare Verspätung seines Rechtsmittels nicht vorgehalten. Das in der Beschwerde erstattete Vorbringen zu den Umständen der Zustellung unterliegt daher nicht dem sonst im Verfahren geltenden Neuerungsverbot. Der Beschwerdeführer macht nun geltend, seine Mutter und gesetzliche Vertreterin sei gemeinsam mit ihm im Zeitpunkt der Ersatzzustellung des Bescheides an seine Großmutter väterlicherseits (am 15. Jänner 1997) für 10 Tage auf Besuch in Vorarlberg bei Bekannten und Verwandten der Familie seines Vaters gewesen. Eine rechtswirksame Zustellung habe somit durch die Übergabe des Schriftstückes an die Ersatzempfängerin nicht stattgefunden, weil sich die Bescheidadressatin zu diesem Zeitpunkt nicht an der Abgabestelle aufgehalten habe. Als Beleg für diese Behauptungen legte der Beschwerdeführer drei "Eidesstattliche Erklärungen" vor, wonach in Vorarlberg wohnhafte Familienangehörige bestätigten, dass die gesetzliche Vertreterin des Beschwerdeführers in der fraglichen Zeit (vom 11. bis 20. Jänner 1997) in Vorarlberg aufhältig gewesen sei. Die Bescheidadressatin habe erst am 20. Jänner 1997 Kenntnis von dem Bescheid erlangt und die am 30. Jänner 1997 erhobene Berufung sei somit rechtzeitig.

Mit diesem Vorbringen - sein Zutreffen vorausgesetzt - gelingt es dem Beschwerdeführer, die Rechtswidrigkeit des vorliegenden Bescheides darzutun. Eine zehntägige Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle erfüllte das Tatbestandselement des regelmäßigen Aufenthaltes nicht und machte daher die Ersatzzustellung unwirksam. Nach dem Vorbringen der Bescheidadressatin kam ihr der Bescheid erster Instanz erst nach ihrer Rückkehr am 20. Jänner 1997 zu. Die Zustellung des Bescheides hätte erst mit diesem Zeitpunkt als vollzogen gegolten; die am 3. Februar 1997 bei der Behörde erster Instanz eingelangte Berufung (ein Datum der Postaufgabe der Berufung ist dem Verwaltungsakt nicht zu entnehmen) wäre diesfalls als rechtzeitig erhoben anzusehen gewesen.

Der belangten Behörde ist somit ein Verfahrensfehler unterlaufen, bei dem im Hinblick auf die Darlegungen in der Beschwerde nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Behörde bei Vermeidung des Verfahrensfehlers zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 14. Mai 1999

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