Normen
AsylG 1997 §6 Z1;
AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwRallg;
AsylG 1997 §6 Z1;
AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 6. April 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 7. April 1999 die Gewährung von Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 22. April 1999 gab er an, 1997 habe der (Bürger)Krieg in Sierra Leone begonnen und die Rebellen hätten Zwangsrekrutierungen vorgenommen. Auch er sei im September 1998 in ein Ausbildungscamp des Rebellenführers Foday Sankoh verschleppt und dort im Umgang mit Waffen ausgebildet worden. Nach etwa zwei Monaten sei er während einer Kundschaftertätigkeit außerhalb des Lagers geflohen. Er habe sich dann einige Monate bei einem ihm bis dahin unbekannten Mann in Sierra Leone aufgehalten, der auch die weitere Flucht organisiert habe. Der Beschwerdeführer wisse nicht, was ihm im Falle einer Rückkehr nach Sierra Leone "passieren würde". Das Land sei im Kriegszustand, "es versuchen alle davon zu laufen".
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 28. April 1999 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 1 AsylG ab und erklärte gemäß § 8 AsylG seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone für zulässig.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer neuerlich vor, in Sierra Leone herrsche Bürgerkrieg. Die aktuelle militärische Lage sei extrem unsicher. Er habe sich durch seine Flucht aus dem Ausbildungslager der Zwangsrekrutierung durch die Rebellen widersetzt und er müsse nun mit "Gegenmaßnahmen" seitens der Rebellen rechnen. Dem der Berufung beigelegten, vom Beschwerdeführer verfassten Schreiben, das die belangte Behörde allerdings nur zum Teil berücksichtigte, ist diesbezüglich zu entnehmen, dass die Rebellen auf Grund der Weigerung, sich ihnen anzuschließen, wüssten, man unterstütze die Regierung und man sei gegen die Rebellen, weshalb man getötet würde. Aber auch die "Regierungsseite" könnte ihn verfolgen, weil er bei den Rebellen militärisch ausgebildet worden sei. Im Zuge einer Inhaftierung befürchte er eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Die Erstbehörde verkenne somit, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr asylrelevante Verfolgung drohe. Im übrigen bestehe auf Grund der Intensität der Kämpfe und der unerträglichen Lebensverhältnisse eine extreme allgemeine Gefahrenlage, bei der jeder im Falle einer Abschiebung nach Sierra Leone mit schweren Rechtsgutverletzungen rechnen müsse.
Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 4. August 1999 wurde diese Berufung gemäß § 6 Z 1 AsylG abgewiesen und neuerlich gemäß § 8 AsylG festgestellt, dass insbesondere die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei. Die belangte Behörde vertrat die Auffassung, dass die Behauptung des Beschwerdeführers, er werde in einem Land, in dem bürgerkriegsähnliche Verhältnisse herrschen, durch eine Gruppierung bedroht, nicht geeignet sei, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. In dem Umstand, dass im Heimatland eines Asylwerbers Bürgerkrieg herrsche, liege für sich allein noch keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Maßgebend sei, ob er in dieser bürgerkriegsartigen Situation einer asylrelevanten individuellen Verfolgung ausgesetzt sei. Eine lediglich von Privatpersonen ausgehende Verfolgung könne jedoch nicht unter die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention subsumiert werden, es sei denn der betreffende Staat wäre nicht gewillt oder nicht in der Lage, die nicht von staatlichen Stellen ausgehende Verfolgung hintanzuhalten. Der Beschwerdeführer habe aber keine Anhaltspunkte darlegen können, dass sein Heimatstaat nicht "willig" oder nicht in der Lage sei, Übergriffe der Rebellen entsprechend (etwa durch Strafen oder andere Sanktionen) zu ahnden.
Den Behauptungen des Beschwerdeführers könne auch nicht entnommen werden, dass ihm Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen drohe, weil er die ihm drohende Gefahr nur in der Tatsache seiner Zwangsrekrutierung und "prinzipiellen Einstellung gegen den Krieg" sehe. Eine Verfolgung, die ausschließlich aus dem Geschlecht und Alter des Asylwerbers resultiere, falle aber nicht unter die "obgenannte" Konvention. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Zwangsrekrutierung aus z.B. ethnischen oder religiösen Gründen erfolgt wäre. Bei dem Vorbringen des Beschwerdeführers handle es sich "offensichtlich um subjektive Furcht". Anhaltspunkte für konkrete, gegen ihn gerichtete oder geplante Verfolgungshandlungen aus Gründen der Konvention seien vom Beschwerdeführer - trotz gebotener Gelegenheit - auch in der Berufung nicht vorgebracht worden.
Schließlich erörterte die belangte Behörde die Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative und sie wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich der Beschwerdeführer nach seiner Flucht aus dem Ausbildungslager noch monatelang in seinem Heimatland aufgehalten habe, ohne sich bis zu seiner Ausreise besonders versteckt zu haben.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
§ 6 AsylG lautet:
"Offensichtlich unbegründete Asylanträge
§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat
1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder
2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder
3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder
4. die Asylwerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts trotz Aufforderung nicht mitwirken oder
5. im Herkunftsstaat auf Grund der allgemeinen politischen Verhältnisse, der Rechtslage und der Rechtsanwendung in der Regel keine begründete Gefahr einer Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe besteht."
Wie bereits die belangte Behörde in ihrem Bescheid darlegte und wie aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (686 BlgNR 20. GP 19) hervorgeht, orientiert sich die Bestimmung des § 6 AsylG im Wesentlichen an der Entschließung der für Einwanderung zuständigen Minister der Europäischen Gemeinschaften über offensichtlich unbegründete Asylanträge vom 30. November und 1. Dezember 1992. Ein Asylantrag soll demnach "nur dann als offensichtlich unbegründet abgewiesen werden, wenn eine Verfolgungsgefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (eindeutig) ausgeschlossen werden kann".
Die belangte Behörde stützte die Abweisung des Asylantrages im Spruch des angefochtenen Bescheides ausdrücklich nur auf § 6 Z 1 AsylG. Der Tatbestand dieser Bestimmung ist dann erfüllt, wenn - ohne sonstigen Hinweis auf eine Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat - sich dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung droht. Bei der Prüfung, ob ein Fall des § 6 Z 1 AsylG vorliegt, ist demnach von den Angaben des Asylwerbers auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen mit der erforderlichen Eindeutigkeit keine Behauptungen im Sinne einer im Herkunftsstaat drohenden Verfolgung entnehmen lassen (vgl. das zu § 6 Z 2 AsylG ergangene hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/01/0294). Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. April 2001, Zl. 99/20/0273, mwN). Die Anwendung des § 6 Z 1 AsylG setzt im Sinne dieses Verständnisses des Verfolgungsbegriffes voraus, dass dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich keine Behauptungen zu einer ihm drohenden Verfolgung, also eines ungerechtfertigten Eingriffes der genannten Art, zu entnehmen sind. Im Hinblick auf das bereits mehrfach betonte "Offensichtlichkeitskalkül" kann dabei auch die unzureichende Intensität des drohenden Eingriffes nur zur Subsumtion des Vorbringens unter § 6 Z 1 AsylG führen, wenn der Fall in dieser Hinsicht völlig eindeutig ist und keine Abgrenzungsfragen aufwirft (vgl. - im Zusammenhang mit der erforderlichen Bedachtnahme nicht nur auf schon erlittene, in der Vergangenheit liegende Maßnahmen - das hg. Erkenntnis vom 7. Juni 2001, Zl. 99/20/0429). Entgegen der erkennbaren Meinung der belangten Behörde lässt sich die Anwendung dieser Bestimmung nach ihrem Wortlaut und nach ihrem Zweck, Missbrauchsfällen entgegenzuwirken, auch nicht mit dem Hinweis rechtfertigen, es handle sich bloß um "subjektive" Furcht vor Verfolgung. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist zu entnehmen, er befürchte primär von den Rebellen getötet zu werden, weil sie ihm wegen seiner Flucht aus dem Ausbildungslager eine Unterstützung der Regierung und ihnen gegenüber eine oppositionelle Haltung unterstellten. Darüber hinaus befürchte er, von der "Regierungsseite" wegen seiner militärischen Ausbildung durch die Rebellen inhaftiert und dabei unmenschlich und erniedrigend behandelt zu werden. Es ist aber evident, dass sich der Beschwerdeführer mit diesem - von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid nicht wiedergegebenen und auch bei der rechtlichen Würdigung außer Betracht gelassenen - Vorbringen nicht nur auf die Bürgerkriegssituation in seinem Heimatland und die damit im Zusammenhang stehenden, grundsätzlich jedermann treffenden Benachteiligungen berufen hat, sondern eine darüber hinausgehende, individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung geltend gemacht hat. Es liegt somit auf der Hand und bedarf keiner weiteren Erörterung, dass danach nicht gesagt werden kann, diesem Vorbringen wäre eine dem Beschwerdeführer in Sierra Leone drohende Verfolgung im Sinne des § 6 Z 1 AsylG offensichtlich nicht zu entnehmen. Die auf diese Gesetzesstelle gestützte Abweisung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet, erweist sich bei Bedachtnahme auf diejenigen Teile des Berufungsvorbringens, die bei dessen Darstellung im angefochtenen Bescheid - im Gegensatz zu den unmittelbar vorangegangenen und nachfolgenden Teilen - weggelassen wurden, somit als verfehlt.
Soweit die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Auffassung vertritt, dem Vorbringen des Beschwerdeführers fehle eine Bezugnahme auf die in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe, wäre dies nur unter dem Gesichtspunkt des § 6 Z 2 AsylG relevant. Abgesehen davon, dass die belangte Behörde die Abweisung der Berufung auf diese Bestimmung nicht gestützt hat, steht die in diesem Zusammenhang vertretene Auffassung im Widerspruch zur neueren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes:
Die belangte Behörde lehnt sich mit ihrer Formulierung, "eine Verfolgung, die ausschließlich aus dem Geschlecht und dem Alter des Asylwerbers resultiert, fällt nicht unter die obgenannte Konvention", an (ältere) fallgruppenspezifische Entscheidungen zu Zwangsrekrutierungen durch Bürgerkriegsparteien an (vgl. etwa das zum AsylG 1991 ergangene Erkenntnis vom 20. September 1995, Zl. 95/20/0332). Schon im Erkenntnis vom 19. September 1996, Zl. 95/19/0077, hat der Verwaltungsgerichtshof von der Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei aber die Verfolgung unterschieden, die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung, auf Grund deren sich der Verfolgte der Zwangsrekrutierung entzogen hat, anknüpft. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht mehr an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, mwN). Auch im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer (in seiner Berufung) ausreichend deutlich dargetan, dass die befürchtete Verfolgung durch die Rebellen an die ihm wegen seiner Flucht aus dem Ausbildungslager unterstellte oppositionelle Gesinnung anknüpft (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Sachverhalt das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/01/0294), und dass ihm wegen des Verdachts der Unterstützung der gegnerischen Bürgerkriegspartei auch eine Verfolgung von Seiten der Regierung drohe (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 98/20/0569), sodass der notwendige Zusammenhang zwischen der befürchteten Verfolgung und einem asylrelevanten Grund der Genfer Flüchtlingskonvention vom Beschwerdeführer ohnehin hergestellt wurde.
Soweit die belangte Behörde schließlich von einer ausreichenden staatlichen Schutzgewährung gegen die behauptete (Privat)Verfolgung und vom Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative ausgeht, vermag dies eine Abweisung nach § 6 AsylG nicht zu rechtfertigen. Diese Begründungsteile können nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur unter dem Gesichtspunkt einer Prüfung gemäß § 7 AsylG Bedeutung erlangen (vgl. das schon zitierte Erkenntnis vom 7. Juni 2001, Zl. 99/20/0429, und das Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, mwN).
Der angefochtene Bescheid war aus den dargelegten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 31. Jänner 2002
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)