VwGH 95/19/0077

VwGH95/19/007719.9.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des G, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. März 1995, Zl. 4.343.220/1-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. März 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Liberia, der am 4. August 1993 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 6. August 1993 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. August 1993 abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, daß das anläßlich der niederschriftlichen Einvernahme vom 6. August 1993 erstattete Vorbringen im Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. August 1993 "vollständig wiedergegeben" worden sei, "sodaß die diesbezüglichen Ausführungen" zum Bestandteil des angefochtenen Bescheides erklärt würden.

Das Bundesasylamt hatte im genannten Bescheid folgenden vom Beschwerdeführer behaupteten Sachverhalt wiedergegeben:

Er habe seine Heimat aufgrund des dort herrschenden Bürgerkrieges, der 1991 begonnen habe, und im Rahmen dessen sein Dorf bei Monrovia 1992 völlig zerstört worden sei, verlassen. Seither habe er im Busch gelebt und unendliche Qualen ausstehen müssen. Beim Angriff auf sein Dorf sei sein Bruder getötet worden. Er habe überhaupt nichts zu essen gehabt, es sei eine Nahrungsmittelsperre von den Rebellen verhängt worden. Er habe hie und da von der UNO Nahrungspakete erhalten. Nachdem er etwa ein Jahr im Busch verbracht habe, habe er beschlossen zu fliehen und sei ziellos dahingerannt. Irgendwo habe er dann einen Europäer - er wisse nicht, wo genau, aber es sei noch im Busch gewesen - getroffen. Dieser habe ihn dann zu einem Flughafen gebracht, der, so glaube er, nicht mehr auf dem Staatsgebiet von Liberia gelegen sei. Von dort sei er mit zwei Zwischenstopps nach Österreich geflogen. Er wisse nicht, wo die Zwischenstopps gewesen seien.

Der Beschwerdeführer hatte hingegen über diese wiedergegebenen Ausführungen in der niederschriftlichen Einvernahme vom 6. August 1993 hinaus folgende Aussagen zu seinen Fluchtgründen gemacht:

"Frage: Was wäre Ihnen passiert, wenn Sie in Monrovia geblieben wären?

Antwort: Alle Personen, die von den Rebellen angetroffen wurden, faßten eine Waffe aus und mußten an die Front.

Frage: Das heißt, die Gefahr ging von Rebellen aus und nicht von den Regierungstruppen. Stimmt das?

Antwort: Ja, genau.

Frage: Was wäre Ihnen passiert, wenn Sie von den Rebellen aufgefordert worden wären, auf Ihrer Seite mitzukämpfen, und Sie sich dann geweigert hätten?

Antwort: Das ist ja tatsächlich so auch geschehen. Das war auch der Grund, warum ich in den Busch geflüchtet bin. Ich wollte ja nicht an die Front. Und ab dem Moment galt ich als Feind der Rebellen und wäre bei neuerlichen Antreffen von ihnen auf der Stelle erschossen worden.

Frage: Hatten Sie jemals Schwierigkeiten mit den Behörden Ihres Heimatlandes?

Antwort: Ich hatte niemals Probleme mit den Behörden.

Frage: Was würde Sie bei einer Rückkehr nach Liberia erwarten?

Antwort: Sollte ich nun heimkehren, müßte ich in ein Gebiet, das unter Kontrolle der Regierungsgruppen steht, um sicher zu sein.

Da mein Dorf jedoch im von den Rebellen beherrschten Gebiet liegt, müßte ich immer um mein Leben bangen.

Frage: Wäre es Ihnen nicht möglich gewesen, in das Gebiet der Regierungstruppen zu gehen?

Antwort: Die Rebellen blockierten immer den Zugang zu den von den Regierungstruppen beherrschten Gebieten. Ich hatte daher keine Möglichkeit, dorthin zu gelangen."

In seiner aufgrund der abweisenden Entscheidung der ersten Instanz erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer im wesentlichen sein GESAMTES erstinstanzliches Vorbringen und führte aus, daß er sich nach Zerstörung des Dorfes vier Monate im Busch aufgehalten habe, als er von Truppen des Taylor gefangengenommen worden sei. Er sei in der Folge zum Militärdienst ausgebildet worden. Nach etwa einem Monat sei ihm die Flucht in den Busch gelungen. Er habe einen Platz im Busch gefunden, wo er nicht ständig Kriegslärm gehört habe. Dort habe er sich einige Monate aufgehalten und gehofft, daß der Krieg ein Ende haben werde. Die Truppen Taylors seien jedoch auch in dieses Gebiet gekommen, woraufhin er in das von den Regierungstruppen besetzte Gebiet habe flüchten wollen. Aus dieser Richtung seien ihm aber Flüchtlinge entgegengekommen, da Taylor den Zugang abgeschnitten gehabt habe.

Die Gründe für seine Flucht seien in der Angst vor Verfolgung durch die Truppen des Taylor gelegen. Der Beschwerdeführer rügt als diesbezüglichen Verfahrensmangel anläßlich der niederschriftlichen Einvernahme, daß die Erstbehörde weder auf sein Leben im Busch, noch auf die Gefangennahme durch die Truppen Taylors näher eingegangen sei.

In rechtlicher Hinsicht rügte der Beschwerdeführer in der Berufung, daß die belangte Behörde lediglich auf die Bürgerkriegssituation in Liberia eingegangen sei, nicht jedoch die ihm drohende Verfolgung durch die Anhänger Taylors berücksichtigt habe. Zudem habe der Beschwerdeführer keine Möglichkeit gehabt, Schutz durch Behörden seines Heimatstaates zu finden. Die Regierung sei nicht in der Lage, der katastrophalen Situation Herr zu werden. Auch die westafrikanische Friedenstruppe könne zur Lösung des Konflikts nicht beitragen. Sein Heimatstaat sei somit nicht in der Lage, ihn vor Verfolgung zu schützen.

Im daraufhin erlassenen Bescheid vom 10. März 1995 begründete die belangte Behörde, daß keiner der Fälle des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 vorlägen. Die erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers enthielten keine Umstände, die auf eine individuelle Verfolgung durch staatliche Institutionen aus einem der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründe hindeuteten. Der Grund für seine Flucht liege ausschließlich in der Kriegssituation seines Heimatgebietes, was der Beschwerdeführer auch durch die behauptete Zwangsrekrutierung deutlich gemacht habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde erklärt die Wiedergabe der Angaben des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Bescheid zum Bestandteil des angefochtenen Bescheides. Das Bundesasylamt hat jedoch die Angaben des Beschwerdeführers nur in eingeschränktem Maß wiedergegeben. Es hat die oben wörtlich wiedergegebenen Passagen als offensichtlich nicht wesentlich beurteilt und deshalb weggelassen.

Zwar ist der belangten Behörde zuzustimmen, daß in dem Umstand, daß im Heimatland des Beschwerdeführers Bürgerkrieg herrscht, für sich allein noch keine Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 in Übereinstimmung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention gelegen wäre. Denn im Sinne des § 1 Asylgesetz 1991 ist Flüchtling nur eine Person, deren wohlbegründete Furcht sich auf Gründe der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der POLITISCHEN GESINNUNG stützt.

Die belangte Behörde belastete den angefochtenen Bescheid aber deshalb mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weil sie - in Übernahme der diesbezüglichen Begründung des Bundesasylamtes - in Verkennung der Rechtslage die übrigen Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner erstinstanzlichen Einvernahme als nicht wesentlich angesehen hat, sie deshalb dem angefochtenen Bescheid nicht zugrundegelegt und rechtlich nicht beurteilt hat. Denn in diesen Angaben behauptet der Beschwerdeführer, durch die Truppen des Taylor zwangsrekrutiert worden zu sein und nach begonnenener militärischer Ausbildung geflüchtet zu sein. Ab dem Moment der Flucht habe er als Feind der Rebellen gegolten und wäre bei neuerlichem Antreffen von ihnen auf der Stelle erschossen worden.

Zwar ist alleine aus dem Vorgang der Zwangsrekrutierung für den Beschwerdeführer noch nichts zu gewinnen, da eine solche ihm drohende Gefahr ausschließlich aus dem Geschlecht und dem Alter des Beschwerdeführers resultierte und deshalb nicht unter § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 fiele. Jedoch deutet der Beschwerdeführer mit seiner Flucht aus der militärischen Ausbildung und der ihm daraufhin von den Truppen des Taylor unterstellten politischen Gesinnung, nämlich ein Feind der Rebellen zu sein, mit hinreichender Deutlichkeit einen Sachverhalt an, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt.

Denn im Gegensatz zu jemandem, der sich einer allgemeinen Wehrpflicht seines Heimatstaates durch Desertion entzieht, findet eine Zwangsrekrutierung durch eine rebellierende Gruppe ihre rechtliche Deckung nicht in dem grundsätzlichen Recht eines souveränen Staates, seine Angehörigen zur Militärdienstleistung zu verpflichten und einzuziehen. Daher ist für die Desertion aus einer Zwangsrekrutierung durch rebellierende Gruppen auch nicht jener Maßstab anzulegen, der für die Verweigerung der Ableistung des staatlichen Militärdienstes und etwaigen daraus drohenden Strafen anzulegen ist.

Es kommt für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht bloß auf die tatsächliche politische Gesinnung an, auch die seitens der Verfolger dem Asylwerber unterstellte politische Gesinnung ist asylrechtlich relevant. Dem Beschwerdeführer drohte nach seinen Angaben der Tod aus dem Grund, daß die Truppen des Taylor ihm aufgrund seiner Flucht aus der Zwangsrekrutierung eine feindliche politische Gesinnung unterstellt hätten, was aufgrund der vorhergehenden Zwangsrekrutierung, die nicht von staatlichen Autoritäten ausging, asylrechtlich relevant ist. Somit war das erstinstanzliche Vorbringen geeignet, auf das Vorliegen wohlbegründeter Furcht aufgrund unterstellter politischer Gesinnung, ausgehend von den Truppen des Taylor, hinreichend deutlich hinzuweisen.

Darüberhinaus hat der Beschwerdeführer aber auch darauf hingewiesen, daß das Gebiet, in welchem er sich versteckt hielt, von den Rebellen des Taylor beherrscht wurde, und diese den Zugang zu den von den Regierungstruppen beherrschten Gebieten blockiert hätten. Der Beschwerdeführer habe daher keine Möglichkeit gehabt, sich unter den Schutz der Regierungstruppen zu begeben. Eine Verfolgung ist dem Heimatstaat aber sowohl zuzurechnen, wenn sie von seinen Organen direkt gesetzt wird, als auch dann, wenn der Heimatstaat nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, die von anderen Stellen ausgehenden Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1996, Zlen. 95/19/0062, 0079). Träfen die Behauptungen des Beschwerdeführers zu, so wäre der Heimatstaat in dem Gebiet, in welchem sich der Beschwerdeführer versteckt hielt, nicht in der Lage gewesen, die von den Truppen des Taylor ausgehende Verfolgungsgefahr hintanzuhalten, und es wäre dem Beschwerdeführer auch nicht möglich gewesen, ein von Regierungstruppen beherrschtes Gebiet zu erreichen, um staatlichen Schutz in Anspruch nehmen zu können.

Ohne nähere Ermittlungen kann daher dem GESAMTEN Vorbringen des Beschwerdeführers in erster Instanz die asylrechtliche Relevanz nicht von vornherein abgesprochen werden. Daß die belangte Behörde solche Ermittlungen nicht anstellte, ist aber Ausfluß der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, daß nur das vom Bundesasylamt im erstinstanzlichen Bescheid wiedergegebene Teilvorbringen des Beschwerdeführers für die Beurteilung, ob er Flüchtling sei, wesentlich sei und die belangte Behörde das darüber hinausgehende Vorbringen als unwesentlich nicht zur Grundlage des angefochtenen Bescheides machte. Die mangelnden Ermittlungen stellen sich sohin als sekundäre Verfahrensmängel dar. Daher war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Demnach stehen für den Schriftsatzaufwand nur S 12.500,-- zu.

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