VwGH 98/20/0569

VwGH98/20/056921.9.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des IB in Wien, geboren am 13. Juni 1977, vertreten durch Dr. Michael Böhme, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 12, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. August 1998, Zl. 203.977/0-XI/33/98, betreffend die §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §38;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Sierra Leone und am 24. Mai 1998 in das Bundesgebiet eingereist. Am 28. Mai 1998 beantragte er Asyl.

Der Beschwerdeführer begründete seinen Asylantrag zusammengefasst im Wesentlichen damit, dass er nach einer im Jahr 1994 erfolgten Zwangsrekrutierung durch die "Rebellen der RUF" auf deren Seite für den Anführer "Koroma" gegen die Truppen des Präsidenten "Kabbah" gekämpft habe. Er habe dabei auf Befehl seiner Vorgesetzten auch getötet und in einer Gruppe von Soldaten auf direkten Befehl Koromas hin versucht, die Nationalbank auszurauben. Nachdem das "Militär von Kabbah" wieder die Macht in Sierra Leone übernommen habe, habe er flüchten müssen, weil sein Name hohen Offizieren Kabbahs bekannt gewesen sei. Er habe mit seiner Verhaftung rechnen müssen. Im Falle seiner Rückkehr müsste er mit einer Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe bzw. mit der Hinrichtung rechnen.

Mit Bescheid vom 16. Juni 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 AsylG als unbegründet ab und sprach zugleich aus, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei gemäß § 8 AsylG zulässig.

Die Abweisung des Asylantrages begründete das Bundesasylamt wie folgt:

"Im Asylverfahren ist es somit nicht ausreichend, dass der Asylwerber Behauptungen aufstellt, sondern er muss diese glaubhaft machen. Diese Glaubhaftmachung muss Ihrem Vorbringen hinsichtlich Ihres Fluchtgrundes und Ihres Fluchtweges versagt werden. Zur Glaubhaftmachung muss das Vorbringen in gewissem Maß substantiiert und nachvollziehbar sein, der Handlungsabläufe und der allgemeinen Lebenserfahrungen entsprechen und auch der Asylwerber als persönlich glaubwürdig auftreten.

Sie können jedoch Ihr Vorbringen deshalb nicht glaubhaft machen, da sich alle Ihre Angaben auf abstrakte und allgemein gehaltene Darlegungen, beschränken. Konkrete oder detaillierte Angaben konnten Sie - trotz Nachfrage - nicht machen.

Auf Grund Ihrer allgemeinen und vage gehaltenen Angaben ebenso wie auf den Umstand hin, dass es der allgemeinen Lebenserfahrung nicht entspricht, dass Sie nach einem achtjährigen Schulbesuch nicht in der Lage sind, die Lage des Distrikts zu beschreiben, in welchen Sie gearbeitet haben, und Ihre Unfähigkeit Städte in dessen Umgebung namhaft zumachen, lässt den Schluss zu, dass Sie in dem von Ihnen angegebenen Distrikt nicht aufhältig waren. Ihre aktive Rebellentätigkeit ist nicht glaubhaft, da Ihre Schilderungen allgemein gehalten sind und kein Detailreichtum aufweisen. Sie schildern Ihre Tätigkeit weder spontan, lebendig, detailliert oder wirklichkeitsnah noch ist es auf Grund Ihrer Aussagen möglich, eine raum-zeitliche Verknüpfung Ihrer Angaben darzustellen.

Da Sie derentfolgen ihre Stellung in der Organisation nicht glaubhaft machen können, kann auch nicht angenommen werden, dass Sie Verfolgungshandlungen von so massiver Intensität zu erwarten haben, wie von Ihnen dargetan wurde. Weiters ist auf Grund behördlicher Unterlagen festzustellen, dass in Sierra Leone ein ordentliches Gericht, mit der Garantie auf ein faires Verfahren eingerichtet worden ist.

Der Umstand, dass Sie weder Ihre allgemein gehaltenen Asylgründe genügend substantiieren konnten, noch Ihren Fluchtweg, indem Sie behaupteten Sie wären in einem unbekannten Hafen und nach ca. 3 Stunden Fahrt in Wien angekommen, trägt dazu bei, dass Ihrer gesamten Darstellung, wie auch Ihnen persönlich die Glaubwürdigkeit versagt werden muss."

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er in einem umfangreichen, gegenüber seinen Angaben in erster Instanz wesentlich detaillierteren Vorbringen nochmals seine Fluchtgründe schilderte und weitere Ausführungen zu seinem Fluchtweg machte. Unter Vorlage von Karten mit darauf versehenen Zeichnungen und ergänzenden Ausführungen begegnete der Beschwerdeführer dem im Bescheid des Bundesasylamtes erhobenen Vorwurf der Unglaubwürdigkeit seiner Angaben auf Grund von geographischen Defiziten. Weiters legte der Beschwerdeführer Auszüge aus dem Jahresbericht von Amnesty International für das Jahr 1996 Sierra Leone betreffend sowie aus einem Artikel des "New African June 1998" vor und hob dazu insbesondere hervor, dass ihn im Falle seiner Rückkehr in Sierra Leone als Mitglied der "RUF" kein faires Gerichtsverfahren erwarten würde. Letztlich beantragte der Beschwerdeführer noch die Einholung von "Stellungnahmen der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte, Human Rights Watch" und "des UNHCR und des Ludwig Boltzmann-Instituts für Menschenrechte" sowie seine persönliche Einvernahme.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. § 7 AsylG als unbegründet ab und sprach ebenfalls gemäß § 8 AsylG i.V.m. § 57 FrG aus, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei zulässig.

Die belangte Behörde begründete die Abweisung der Berufung gemäß § 7 AsylG damit, dass

"auch die erkennende Behörde dem Asylwerber die Glaubwürdigkeit abspricht. Dies unter anderem deshalb, da seine Angaben über seinen Heimatstaat sehr vage und unvollständig sind, dies unter Berücksichtigung eines angeblich achtjährigen Schulbesuches, womit der Asylwerber in der Lage sein sollte, die Lage des Distriktes, wo er angeblich gearbeitet hatte, sowie einige größere Städte angeben zu können. Weiters erscheint die Zwangsrekrutierung zu den RUF-Rebellen äußerst unglaubwürdig, vor allem, da er über die Zeitspanne von 1994 bis 1997 keinerlei Aussagen machte. Das Vorbringen, Diktator Koroma hätte seiner Soldatentruppe den Auftrag erteilt, die Nationalbank auszurauben, obwohl Koroma zu diesem Zeitpunkt selbst Machthaber von Sierra Leone war, ist gänzlich unglaubwürdig.

Die Angaben bezüglich des Fluchtweges sind ebenfalls vage und unvollständig, und auch unter Berücksichtigung, dass er vorbrachte, sich bei der Ersteinvernahme geirrt zu haben, nicht nachvollziehbar.

Zum Vorbringen, dass der Asylwerber auf Grund seiner Desertion mit der Todesstrafe in seinem Heimatland zu rechnen hätte, ist zu bemerken, dass er laut seinem eigenen Vorbringen als Soldat im Jahre 1994 von den RUF-Rebellen zwangsrekrutiert wurde und dies nicht als Desertion angesehen werden kann. Für den Fall jedoch, dass der Asylwerber in seiner Berufung die Desertion von den RUF-Rebellen gemeint hat - dies geht aus dem Berufungsvorbringen nicht eindeutig hervor - ist festzustellen, das nunmehr Präsident Kabbah an der Macht ist, Diktator Koroma gestürzt wurde und sie daher von den RUF-Rebellen nichts zu befürchten haben."

Im Hinblick auf diese Gründe bedürfte es auch nicht der Einholung der vom Beschwerdeführer in der Berufung genannten Berichte.

Den Ausspruch gemäß § 8 AsylG begründete die belangte Behörde damit, dass der Beschwerdeführer die ihn betreffende Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG nicht glaubhaft gemacht habe. Im Übrigen habe sich die politische Lage in Sierra Leone stabilisiert. Präsident Kabbah habe die Unterstützung von 90 % der Bevölkerung, "die Rebellen der RUF haben sich durch ihre Untaten der letzten Monate selbst vollkommen ausgeschaltet. Weiters wird festgehalten, dass die Repatriierung der Flüchtlinge von Sierra Leone unter Aufsicht des UNHCR bereits wieder voll im Gang ist". Der Beschwerdeführer wäre in seiner Heimat lediglich einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt. Dies stelle jedoch keine Verfolgung im Sinne des Refoulement-Verbotes dar.

Die Abstandnahme von einer mündlichen Berufungsverhandlung begründete die belangte Behörde nicht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der fristgerecht erstatteten Gegenschrift, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, auf das insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof die rechtlichen Voraussetzungen für das Absehen von einer Verhandlung durch die belangte Behörde dargestellt und ausgeführt, die auch im vorliegenden Fall gewählte Begründung für ein solches Vorgehen treffe zu, wenn der Sachverhalt "nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt" und in der Berufung "kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehen eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet" werde. "Jedenfalls" im letztgenannten Fall sei es der belangten Behörde verwehrt, durch Würdigung der Berufungsangaben als unglaubwürdig - gleichgültig ob in an sich schlüssiger oder unschlüssiger Beweiswürdigung - den Sachverhalt ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und insbesondere ohne den Asylwerber selbst persönlich einzuvernehmen als geklärt anzusehen. Der Verwaltungsgerichtshof fügte hinzu, dies ergebe sich nicht zuletzt aus der Wichtigkeit des persönlichen Eindruckes für die Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers (vgl. zur Rechtswidrigkeit des Absehens von einer Verhandlung in einem derartigen Fall auch das Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0339).

Davon ausgehend lagen im vorliegenden Fall schon angesichts des umfangreichen Vorbringens in der Berufung, das teilweise auch substanzielle Neuerungen enthielt, die Voraussetzungen zur Abstandnahme von einer mündlichen Berufungsverhandlung nicht vor. Indem der Beschwerdeführer vorbringt, dass ihn - unter Zugrundelegung der Richtigkeit seines Vorbringens - in Sierra Leone auf Grund der ihm unterstellten politischen Gesinnung ein unfairer Prozess erwarte, wobei er in diesem Zusammenhang auf die in der Beschwerde vorgelegte "Erklärung des Vorsitzes im Namen der Europäischen Union zu den Hinrichtungen in Sierra Leone" hinweist, wonach 24 Soldaten der "RUF" nach Verurteilung durch ein Kriegsgericht ohne Möglichkeit der Erhebung einer Berufung hingerichtet worden seien, hat er die Relevanz dieses Verfahrensmangels aufgezeigt.

Überdies verweist der Beschwerdeführer mit Recht darauf, dass der zur Begründung seiner Unglaubwürdigkeit herangezogene Umstand, er habe über die Jahre 1994 bis 1997 keine hinreichenden Angaben gemacht, diese Schlussfolgerung schon deshalb nicht zu rechtfertigen vermag, weil eine solche jedenfalls voraussetzte, dass ihm entsprechend konkrete Fragen, deren Beantwortung er unterlassen hatte, gestellt wurden. Dass dies der Fall wäre, ist nicht ersichtlich, zumal die belangte Behörde selbst die erforderliche Berufungsverhandlung ohne Angabe von Gründen unterließ. Die belangte Behörde unterließ es aber auch, ihre Schlussfolgerung der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers nachvollziehbar zu begründen. Sie beschränkte sich im Wesentlichen darauf, die Angaben des Beschwerdeführers als zu vage und nicht überzeugend zu bezeichnen, was angesichts des detaillierten Berufungsvorbringens für sich allein jedenfalls nicht tragfähig ist. Die Alternativbegründung, die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner "Desertion" seien asylrechtlich nicht relevant, weil er einerseits nach seinen Angaben von den "Rebellen" zwangsrekrutiert worden sei, somit eine Bestrafung wegen Desertion von den Regierungstruppen nicht in Betracht komme, andererseits die "Rebellen der RUF" nicht mehr die Macht in Sierra Leone inne hätten, weshalb er keine Sanktionen durch diese zu befürchten hätte, übersehen, dass der Beschwerdeführer seine Furcht vor Verfolgung im Wesentlichen darauf gestützt hatte, er wäre als Mitglied der "RUF-Rebellen" einer relevanten Verfolgung durch das nunmehr wieder an der Macht befindliche "Militär des Kabbah" ausgesetzt. Da sich die belangte Behörde mit der weiteren Behauptung, er habe auf Grund einer ihm unterstellten gegnerischen politischen Gesinnung nicht mit einem fairen Verfahren zu rechnen, überhaupt nicht auseinander gesetzt hat, ist auch diese Alternativbegründung im Bescheid der belangten Behörde mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG zur Gänze (die Aufhebung des Ausspruches gemäß § 8 AsylG ist eine Folge der Aufhebung des die Abweisung des Asylantrages betreffenden Spruchteils; vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0207) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Hinsichtlich der zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 21. September 2000

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