Normen
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AVG §67d;
EGVG 1991 Art2 Abs2 Z43a idF 1998/I/028;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AVG §67d;
EGVG 1991 Art2 Abs2 Z43a idF 1998/I/028;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste nach der Aktenlage am 10. Oktober 1992 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 16. Oktober 1992 Asyl.
Sein Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. November 1992 gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 abgewiesen, wogegen der Beschwerdeführer Berufung erhob. Die mit Schriftsatz vom 4. Dezember 1992 ergänzte Berufung wurde zunächst mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 1. Dezember 1993 abgewiesen, jedoch infolge Aufhebung dieses Bescheides mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. November 1994, B 2/94-9, (unter Hinweis auf die Aufhebung des Wortes "offenkundig" im § 20 Abs. 2 AsylG 1991 mit seinem Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94) wieder bei der Berufungsbehörde anhängig. Die mit dem weiteren Schriftsatz vom 3. April 1995 (nach diesbezüglich ausdrücklich eingeräumter Gelegenheit zur Geltendmachung allfälliger Verfahrensmängel in erster Instanz) ergänzte Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. Mai 1995 neuerlich abgewiesen. Dieser Bescheid ist allerdings mit dem Inkrafttreten des Asylgesetzes 1997 (im folgenden AsylG) am 1. Jänner 1998 gemäß § 44 Abs. 2 dieses Gesetzes außer Kraft getreten.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers vom 1. Dezember 1992 gemäß § 7 AsylG abgewiesen.
Der Inhalt des Vorbringens des Beschwerdeführers in seinen im Verwaltungsverfahren eingebrachten Schriftsätzen und seiner Angaben anläßlich seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt wurde im Bescheid der belangten Behörde - im wesentlichen - wie folgt festgehalten:
Betreffend den Asylantrag vom 15. Oktober 1992:
"Ich bin am 10.10.1992 Österreich geflüchtet, um hier Schutz vor Verfolgung zu finden.
Ich stamme aus der Türkei, aus der Stadt Erzincan, ich bin Kurde und Alevite.
Aus Gründen des Artikel 1 Abschnitt A der Genfer Konvention ersuche ich um Gewährung Asyls in Österreich.
Die genaueren Gründe für meine Flucht werde ich bei meiner Ersteinvernahme darlegen."
Betreffend die Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Einvernahme am 17. November 1992:
"Ich bin deshalb nach Österreich gekommen, da ich in der Türkei einen Einberufungsbefehl bekommen habe und ich dann in den Osten der Türkei müßte und dort auch eingesetzt werde.
Ich möchte deshalb nicht zum Militär, da ich Angst davor habe, daß ich auf andere schießen, sowie diese auch auf mich schießen würden, d.h. ich habe eigentlich Angst im Zuge des gefährlichen Zustandes im Osten der Türkei, getötet zu werden. Das ist der Grund, warum ich jetzt in Österreich bin.
Ich wurde im Oktober 1991 von der Gendarmerie verhaftet und geschlagen, da ich gegen einen Moscheenbau demonstriert habe. Dies geschah jedoch nicht auf politischer Ebene.
Ich habe mich politisch nie betätigt und wurde deshalb auch
nie gefoltert, mißhandelt oder festgenommen."
Betreffend die Berufung vom 1. Dezember 1992:
"Wenn es in der Begründung heißt, im vorliegenden Fall sei kein tauglicher Asylgrund nach der Genfer Flüchtlingskonvention (Asylgesetz 1991) hervorgekommen, so entspricht dies nicht den Tatsachen.
Die näheren Gründe für meine Berufung kann ich noch nicht ausführen, da mir derzeit kein geeigneter Dolmetscher zur Verfügung steht. Ich werde die Gründe binnen 14 Tagen bekanntgeben und ersuche, meiner Berufung stattzugeben und mir in Österreich Asyl zu gewähren."
Betreffend die Berufungsergänzung vom 4. Dezember 1992:
"Wenn es in der Bescheidbegründung heißt, die Verweigerung der allgemeinen Wehrpflicht und die daraus resultierenden Rechtsfolgen können nicht als Verfolgungsgründe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt werden, weil die Militärpflicht alle im relevanten Alter befindlichen männlichen türkischen Staatsbürger gleichermaßen und ohne Rücksicht auf ihre politische Einstellung und sonstige nach der Konvention bedeutsame Umstände betrifft, so ist in meinem Fall sicherlich zu berücksichtigen, daß ich Kurde bin und gegen meine eigene Volksgruppe an der Front eingesetzt worden wäre. Ich kann das Vorgehen der türkischen Regierung und Armee gegen die Kurden nicht verstehen und schon gar nicht unterstützen, indem ich auf die eigenen Leute schieße. Dies ist im Widerspruch zu meiner moralischen Überzeugung und gegen mein Gewissen und stellt gemäß § 170 des UNHCR-Handbuches einen Grund für die Anerkennung als Flüchtling dar.
Bezüglich der Möglichkeit, in einem anderen Land bereits vor Verfolgung sicher gewesen zu sein, weise ich darauf hin, daß Ungarn zwar die GFK unterzeichnet hat, aber mit einem Europavorbehalt, der Türken nicht vor der Abschiebung in der Türkei bewahrt.
Bei einer Abschiebung in die Türkei würde ich vor ein Militärgericht gestellt und hätte wahrschienlich mit der Todesstrafe zu rechnen. Deshalb ersuche ich nochmals, mir in Österreich Asyl zu gewähren."
Betreffend die Berufungsergänzung vom 3. April 1995:
"Die vom Asylwerber bei seiner niederschriftlichen Erstbefragung gemachten Angaben wurden offensichtlich nicht richtig übersetzt. Ein wesentlicher Teil dieser Angaben wurde überhaupt nicht übersetzt und ist in der Niederschrift nicht angeführt.
Dies ist dem Asylwerber unverständlich. Er hat damals angegeben, daß er nach der Demonstration wegen des geplanten Baus einer Moschee gemeinsam mit anderen Demonstrationsteilnehmern festgenommen, zur Polizeistation gebracht und dort mißhandelt und mit Stromstößen behandelt wurde.
Er hat weiters ausgeführt, daß er damals so schwer mißhandelt wurde, daß er dabei einen Zahn verloren hat und später sich in ärztliche Behandlung begeben mußte.
Er hat weiters ausgesagt, daß er sich in einer unerträglichen Lebenssituation befunden hat, weil in seiner Heimat der Kampf zwischen der türkischen Regierung und den Regierungsstreitkräften und der kurdischen PKK besonders intensiv ist und die Zivilbevölkerung, insbesonders auch die Dorfbevölkerung seines Dorfs Pinarlikaya zwischen die Fronten der beiden rivalisierenden Parteien gerät.
Er hat geschildert, daß in seinem Dorf folgende Situation geherrscht hat:
In diesem Gebiet gibt es eine starke Guerilla-Tätigkeit der PKK, die dort Stützpunkte unterhält. Dieswegen kamen zur Nachtzeit immer wieder PKK-Mitglieder (Freischärler) und verlangten nach Unterkunft und Essen. Sie forderten dies. Es blieb den Bewohnern keine andere Wahl, als der Aufforderung nachzukommen. Tagsüber folgten sodann Kontrollen von den Militärs, die in den Häusern Nachschau hielten und den Bewohnern vorhielten, daß diese die PKK unterstützen würden. Das Haus des Asylwerbers wurde wiederholte Male sowohl von den PKK-Guerillas als auch von Soldaten aufgesucht. Nachdem der Vater des Asylwerbers bereits im Jahr 1990 nach Österreich geflüchtet ist, war der Asylwerber mit seiner Mutter, seiner Schwester und seinem Bruder alleine zu Hause geblieben. Der Asylwerber selbst wurde dabei immer geschlagen und mißhandelt, seine Mutter wurde beschimpft und auch leicht geschlagen. Dabei muß bedacht werden, daß sich diese Ereignisse immer wieder wiederholt haben, sohin zum Lebensalltag gehört haben. Es war also der Lebensalltag des Asylwerbers von derartigen Übergriffen der türkischen Soldaten bestimmt.
Es ist für den Asylwerber unerfindlich, weshalb von all dem im Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.11.1992 nichts erwähnt wird, obgleich der Asylwerber mit Sicherheit weiß, daß er all dies bei seiner Einvernahme angegeben hat.
Es wird daher ausdrücklich die nochmalige Einvernahme des Asylwerbers zu den Fluchtgründen beantragt.
Niedergeschrieben wurden offenbar nur die Angaben des Asylwerbers über seine Einberufung zur türkischen Armee. Der negative Asylbescheid wurde dem Asylwerber kurze Zeit nach der Einvernahme persönlich ausgefolgt.
Bereits das zeigt auf, mit welcher Oberflächlichkeit die Behörde 1. Instanz damals die Befragung des Asylwerbers durchgeführt hat.
Weiters ist die Befragung allein schon deshalb mit groben Mängeln behaftet geblieben, wie die Behörde 1. Instanz nicht darum bemüht war, die konkrete Lebenssituation und das Lebensumfeld des Asylwerbers auszuleuchten und so nachzuvollziehen, aus welchen Gründen der Asylwerber eine Flucht nach Europa der Befolgung eines Einberufungsbefehls vorgezogen hat, also, welche inneren Gründe des Asylwerbers ausschlaggebend dafür waren, daß dieser durch seine Weigerung, dem Einberufungsbefehl Folge zu leisten zum Dissidenten geworden ist.
Soweit diesbezüglich im Bescheid 1. Instanz angeführt wird, der Asylwerber hätte deshalb dem Einberufungsbefehle nicht Folge geleistet, weil er einfach Angst gehabt hätte, getötet zu werden, so entspricht dies nicht den Tatsachen. So hat der Asylwerber ausdrücklich angegeben, daß ein kurdischer Mann aus dem gleichen Dorf zur türkischen Armee einberufen wurde und dort so schwer mißhandelt worden ist, daß er auf einem Ohr nicht mehr hören konnte, wobei er sodann zum Arzt geschickt wurde und ärztlich bestätigt wurde, daß er geistig nicht zurechnungsfähig sei.
Auch von anderen Fällen, in denen kurdische Männer als Soldaten der türkischen Armee mißhandelt wurden und unmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen unterworfen waren, wußte der Asylwerber.
Aus all den dargelegten Gründen wiederholt der Asylwerber
seinen
Antrag
auf Durchführung einer ergänzenden niederschriftlichen Einvernahme seiner Person über die Gründe seiner Flucht.
Darüberhinaus wird ausdrücklich beantragt, daß die allgemeinen politischen Verhältnisse, welche im Lebensumfeld des Berufungswerbers wirksam waren und die mitausschlaggebend dafür gewesen sind, daß der Berufungswerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung seine Heimat verlassen hat, entsprechend erhoben und auf diese allgemeinen Tatsachen bei der Entscheidung Bedacht genommen wird. Diesbezüglich wird hiermit ausdrücklich auf die Dokumentation Türkisch-Kurdistan, welche im Berufungsverfahren 4312854/8-III/13 vorgelegt wurde, Berufungswerber, HK, verwiesen.
Abschließend wird gestellt der Antrag, es wolle dem Berufungswerber in Österreich Asyl gewährt werden, wiederholt."
Nach Wiedergabe dieses Vorbringens bzw. dieser Angaben des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde aus, gemäß § 7 AsylG habe die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft sei, daß ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung drohe (Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention (im folgenden: FlKonv) genannten Endigungs- oder Ausschlußgründe vorliege.
Der Beschwerdeführer habe sich - wie dargestellt - im wesentlichen dreimal zu seinen Fluchtgründen geäußert, und zwar anläßlich seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 17. November 1992, sodann in der (ersten) Berufungsergänzung vom 4. Dezember 1992 und schließlich in der (zweiten) Berufungsergänzung vom 3. April 1995. Beide Berufungsergänzungen enthielten gegenüber der Niederschrift
neues Vorbringen. Während aber die erste Berufungsergänzung "als im Verhältnis zu den erstinstanzlichen Angaben gesteigertes - im Moment der Berufungsergänzung neu erstattetes - neues Vorbringen gewertet werden" könne, rüge "die zweite Berufungsergänzung ausdrücklich die Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift vom 17. November 1992 und behauptet, die erstmals im Akt im Wege dieser Berufungsergänzung vom 3. April 1995 aufscheinenden Angaben seien bereits am 17. November 1992 erstattet, aber - aus dem Asylwerber unerfindlich(en) Gründen - nicht protokolliert worden".
Die belangte Behörde vertrete demnach die Auffassung, daß sie sich mit der (zweiten) Berufungsergänzung vom 3. April 1995 lediglich insoweit auseinandersetzen müsse, als damit die Unrichtigkeit der Protokollierung der Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner Einvernahme am 17. November 1992 behauptet werde.
Davon ausgehend kam die belangte Behörde zu dem Ergebnis, daß die Richtigkeit der Niederschrift vom 17. November 1992 durch das Vorbringen in diesem Schriftsatz vom 3. April 1995 nicht erschüttert werden könne: Die Niederschrift vom 17. November 1992 weise alle in § 14 Abs. 2 AVG geforderten Merkmale auf, weshalb die in § 15 AVG aufgestellte Rechtsvermutung der vollen Beweiskraft für deren Richtigkeit gelte. Der Beschwerdeführer habe weder unmittelbar nach Abfassung der Niederschrift Einwendungen gegen dieselbe erhoben
"noch in seiner (ersten) Berufungsergänzung vom 4. Dezember1992 - noch auch in der bereits von den nunmehrigen Rechtsvertretern seinerzeit an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Bescheidbeschwerde vom 14. Jänner 1994 noch schließlich in der (der Berufungsergänzung vom 3. April 1995 zeitlich nahestehenden) an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Bescheidbeschwerde vom 12. September 1995 die Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift in Frage gestellt."
Der Beschwerdeführer habe auch in seiner Berufungsergänzung vom 3. April 1995
"keinen einzigen konkreten Grund zur Entkräftung der Beweiskraft der Niederschrift vom 17. November 1992 vorgebracht". Der Beschwerdeführer habe lediglich "ausdrücklich die nochmalige Einvernahme des Asylwerbers zu den Fluchtgründen - und damit, anders als in dem vom Verwaltungsgerichtshof vom 26. Juni 1996, Zl. 95/20/0420, zugrunde gelegten Fall, gerade nicht zum Beweis der Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit der erfolgten Protokollierung - beantragt".
Es handle sich daher um ein untaugliches Beweisanbot, welches die Beweiskraft der Niederschrift vom 17. November 1992 nicht in Frage stellen könne.
Die belangte Behörde vertrat somit zusammengefaßt den Standpunkt, ausgehend von der Richtigkeit der Niederschrift vom 17. November 1992 habe das mit der Niederschrift "nicht vereinbare Vorbringen der zweiten Berufungsergänzung vom 3. April 1995 demgemäß außer Betracht zu bleiben". Die Berufungsergänzung vom 4. März 1995 enthalte zwar "eine asylrelevante Begründung", allerdings sei auf diese - wie ausgeführt - nicht Bedacht zu nehmen.
Die belangte Behörde setzte sich demgemäß inhaltlich mit dem niederschriftlichen Vorbringen des Beschwerdeführers vom 17. November 1992 sowie mit der mit Schriftsatz vom 4. Dezember 1992 ergänzten Berufung auseinander. Eine mündliche Verhandlung sei gemäß Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG nicht erforderlich.
Das Berufungsvorbringen sei insoweit nicht geeignet, glaubhaft
zu machen, daß dem Beschwerdeführer asylrelevante Verfolgung gemäß
§ 7 leg. cit. iVm Art. 1 Abschnitt A Z. 2 FlKonv in seinem
Herkunftsstaat drohe. Soweit der Beschwerdeführer behauptet habe,
im "Oktober 1991 von der Gendarmerie verhaftet und geschlagen"
worden zu sein, da er "gegen einen Moscheenbau demonstriert habe",
sei ihm entgegenzuhalten, daß er diesen Umstand gar nicht als
Fluchtgrund angegeben und zugestanden habe, daß dies "... jedoch
nicht auf politischer Ebene" geschehen sei. Der Behörde erster
Instanz sei beizupflichten, wenn sie diesem Vorbringen in
Verbindung mit den weiteren Angaben, wonach der Asylwerber sich
"politisch nie betätigt (habe) und ... deshalb auch nie gefoltert,
mißhandelt oder festgenommen" worden sei, Asylrelevanz abgesprochen habe, zumal einem derartigen Vorbringen - wegen des ca. einjährigen, nach dem geschilderten Vorfall vom Beschwerdeführer noch im Herkunftsstaat (ohne Hinweise auf innerstaatliche Fluchtbewegungen) fortgesetzten Aufenthaltes - nicht die nötige Aktualität zuzubilligen wäre. Der Beschwerdeführer sei dieser Beurteilung im Bescheid des Bundesasylamtes in seiner Berufung (unter Einschluß 'nur' seiner - ersten - Berufungsergänzung) nicht entgegengetreten. Was den weiteren
Asylgrund, daß der Asylwerber "einen Einberufungsberufungsbefehl bekommen habe und (er) dann in den Osten der Türkei müßte und dort auch eingesetzt werde",
anlange, so habe der Asylwerber seine Weigerung, diesem Einberufungsbefehl Folge zu leisten, in der Niederschrift vom 17. November 1992 lediglich damit begründet,
daß er "Angst davor habe, daß (er) auf andere schießen, sowie diese auch auf (ihn) schießen würden, d.h. (er) habe eigentlich Angst im Zuge des gefährlichen Zustandes im Osten der Türkei, getötet zu werden". Mit diesem Vorbringen habe der Asylwerber vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine asylrechtlich relevante Verfolgung dargelegt (unter Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1997, Zl. 97/01/0799). Danach könne eine Einberufung zum Militärdienst nur dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen die Behandlung während des Militärdienstes nachteiliger (gewesen) bzw. eine drohende allfällige Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung strenger als gegenüber anderen Staatsangehörigen wäre.
"Auch die erst in der Berufungsergänzung vom 4. Dezember 1992 enthaltene (und dementsprechend als gesteigertes Vorbringen mit verminderter Glaubwürdigkeit ausgestattete) Begründung, daß der Berufungswerber Kurde sei und gegen seine eigene Volksgruppe an der Front eingesetzt worden wäre, was, da der Berufungswerber das Vorgehen der türkischen Regierung und Armee gegen die Kurden nicht verstehen und schon gar nicht dadurch unterstützen könne, daß er auf die eigenen Leute schieße, im Widerspruch zu seiner moralischen Überzeugung und gegen sein Gewissen sei und gemäß § 170 des UNHCR-Handbuches einen Grund für die Anerkennung als Flüchtling darstelle,"
könne nicht als derartige Begründung begriffen werden. Vielmehr sei dem Beschwerdeführer entgegenzuhalten,
- 1. daß dem "UNHCR-Handbuch" keine normative Kraft zukomme;
- 2. daß gerade im Falle eines bewaffneten Konflikts, der keinen internationalen Charakter aufweise und auf dem Gebiet eines einzigen Staates entstehe, geradezu regelmäßig die Situation vorkomme, daß sich auf beiden Seiten eines bewaffneten Konflikts Angehörige derselben Volksgruppe gegenüberstünden;
3. auch im Falle der Verweigerung des Militärdienstes aus moralischen Gründen nicht gesagt werden könne, daß die zu gewärtigende Sanktion wegen dieser speziellen Motivation des Beschwerdeführers ihm gegenüber nachteiliger bzw. strenger ausfalle als für sonstige Deserteure. Demgemäß sei die Berufung abzuweisen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
In der fristgerecht erstatteten Gegenschrift beantragt die belangte Behörde, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Dem Beschwerdeführer ist zunächst entgegenzuhalten, daß die Auffassung der belangten Behörde, das Vorbringen des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 17. November 1992 sowie in seiner Berufung vom 1. Dezember 1992 und in dem ergänzenden Schriftsatz vom 4. Dezember 1992 sei nicht geeignet, eine asylrelevante Verfolgung im Sinne des § 7 Asylgesetz glaubhaft zu machen, nicht als rechtswidrig zu erkennen ist.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag sich aber dem Standpunkt der belangten Behörde, sie müsse sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers in dem Schriftsatz vom 3. April 1995 nicht auseinandersetzen, nicht anzuschließen.
Der Beschwerdeführer hatte sein Vorbringen im Schriftsatz vom 3. April 1995 im (zeitlichen) Geltungsbereich des § 20 Asylgesetz 1991 (in der nach Aufhebung des Wortes "offenkundig" durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1994 bereinigten Fassung) erstattet, wonach die Behörde - sofern das erstinstanzliche Verfahren nicht als mangelhaft anzusehen und deshalb gemäß § 20 Abs. 2 leg. cit. zu ergänzen oder zu wiederholen war - gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 von den Ergebnissen des Verfahrens erster Instanz auszugehen hatte. In diesem Schriftsatz hat der Beschwerdeführer im Hinblick auf die durch das erwähnte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes geänderte Rechtslage einerseits die Mangelhaftigkeit der Niederschrift vom 17. November 1992 geltend gemacht, andererseits (auch) mit Bezug auf die behauptete Unvollständigkeit der Niederschrift die "Durchführung einer ergänzenden niederschriftlichen Einvernahme seiner Person über die Gründe seiner Flucht" beantragt. Diesem Vorbringen ist unzweifelhaft zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer die - nach Inhalt der Niederschrift vom 17. November 1992 anläßlich dieser Einvernahme nicht vorgebrachten, im Schriftsatz vom 3. April 1995 enthaltenen - Angaben zu seinen Fluchtgründen bei der beantragten Einvernahme im Berufungsverfahren darlegen wollte.
Die belangte Behörde hat demgegenüber keine Veranlassung zu seiner Einvernahme gesehen, sondern gemeint, sich lediglich mit der Frage auseinandersetzen zu müssen, ob der Beschwerdeführer anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung diese Aussagen tatsächlich getätigt hatte. Sie hat somit ausschließlich zu klären versucht, ob die aufgenommene Niederschrift - wie
behauptet - mangelhaft ist. Dabei gelangte sie zur Auffassung, der Beschwerdeführer habe die Rechtsvermutung des § 15 AVG für die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Niederschrift nicht widerlegen können. Dazu ist zu bemerken, daß die diesbezügliche Argumentation für die Richtigkeit der Niederschrift jedenfalls insoweit nicht stichhältig erscheint, als darauf Bezug genommen wird, der Beschwerdeführer habe die unrichtige bzw. nicht vollständige Niederschrift erstmals mit Schriftsatz vom 3. April 1995 gerügt, demgegenüber zuvor in der Berufung vom 1. Dezember 1992 sowie in der Berufungsergänzung vom 4. Dezember 1992 keine dahingehenden Behauptungen gemacht. Der Beschwerdeführer konnte aber diesen Mangel erst nach Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 1 AsylG 1991 mit Aussicht auf Erfolg geltend machen, weshalb aus der Unterlassung einer zuvor faktisch gegebenen, aber rechtlich nicht zusinnbaren Möglichkeit der Rüge dieses Mangels keine beweiswürdigenden Rückschlüsse mit Anspruch auf Schlüssigkeit gezogen werden können.
Ob die Ausführungen der belangten Behörde hinsichtlich der als mängelfrei anzusehenden Niederschrift zutreffen, kann aber dahingestellt bleiben. Die Beschwerde ist im Ergebnis jedenfalls berechtigt:
Gemäß § 42 AsylG ist mit Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. Jänner 1998 das Asylgesetz 1991 (und damit § 20 AsylG 1991) außer Kraft getreten. Ein Verbot, neues Vorbringen im Berufungsverfahren zu erstatten, bestand im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides nicht (mehr).
Der unabhängige Bundesaslysenat ist gemäß Art. 129 und 129c B-VG in der Fassung BGBl. I Nr. 87/1997 ein unabhängiger Verwaltungssenat. Er hat gemäß § 23 AsylG das AVG anzuwenden. Deshalb finden für das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat auch die Bestimmungen des AVG für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten, insbesondere die Bestimmung des § 67d AVG Anwendung, sofern im AsylG oder in einem anderen Gesetz keine spezielle Bestimmung normiert ist. Im AsylG findet sich zu § 67d AVG keine spezielle Regelung. Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG hat der unabhängige Bundesasylsenat § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe anzuwenden, daß eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Im Sinne dieser Bestimmung ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat allerdings (nur) dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. insoweit dazu das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308).
Im Hinblick auf den (von der belangten Behörde selbst als "asylrelevant" qualifizierten) Inhalt des Schriftsatzes vom 5. April 1995 und die grundsätzliche Verpflichtung des unabhängigen Bundesasylsenates zur Abhaltung einer mündlichen Verhandlung, die der Beschwerdeführer zur Darlegung der im Schriftsatz wiedergegebenen Fluchtgründe ausdrücklich beantragt hatte, durfte die belangte Behörde nicht von der beantragten Verhandlung mit der Begründung absehen, es sei der Sachverhalt geklärt, und auf dieses Vorbringen allein wegen des Widerspruches zu der von der belangten Behörde als richtig und vollständig qualifizierten Niederschrift vom 17. November 1992 nicht Bedacht zu nehmen.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung des in der Beschwerde gerügten Verfahrensfehlers zu einem anderen (für den Beschwerdeführer günstigen) Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 21. Jänner 1999
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