VwGH 98/20/0549

VwGH98/20/054925.1.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 12. November 1972 geborenen MA, zuletzt in der Justizanstalt X, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Oktober 1998, Zl. 200.207/0-V/13/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1997 §7;
AVG §37;
AVG §45 Abs1;
AVG §58 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1997 §7;
AVG §37;
AVG §45 Abs1;
AVG §58 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein liberianischer Staatsbürger, reiste am 23. Dezember 1996 in das Bundesgebiet ein und stellte am 31. Dezember 1996 einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

Bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 14. Jänner 1997 gab er im Wesentlichen an, er sei von Soldaten des Charles Taylor gemeinsam mit anderen Personen "eingefangen" und in ein Ausbildungslager gebracht worden. Er hätte für Charles Taylor kämpfen sollen, habe es aber abgelehnt, sich zum Soldaten ausbilden zu lassen und sei deswegen geschlagen worden. Er habe sich ca. 11 Monate in diesem Lager aufgehalten und er sei jeweils zweimal in der Woche wegen seiner Weigerung, an der Ausbildung teilzunehmen, geschlagen worden. In der übrigen Zeit habe er schwere Arbeiten verrichten müssen. Im November 1996 habe ihn ein Kommandant heimlich aus dem Lager hinausgeschafft und daraufhin habe er seine Heimat verlassen und sei nach Österreich geflüchtet.

Mit Bescheid vom 25. April 1997 wies die erstinstanzliche Behörde den Antrag auf Gewährung von Asyl gemäß § 3 Asylgesetz 1991 ab; dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Angaben des Beschwerdeführers zu den Fluchtgründen nicht glaubwürdig seien und daher keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention habe glaubhaft gemacht werden können.

Der Beschwerdeführer berief. Im Berufungsverfahren wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 25. August 1998 darauf hin, dass die Bürgerkriegshandlungen in seinem Heimatland nach einem von der österreichischen Botschaft erstellten Länderbericht für Liberia vom April 1998 beendet worden seien. Insbesondere biete die Bildung so genannter sicherer Zonen durch die internationale Friedenstruppe ECOMOG eine Basis für die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung im Land sowie für die Möglichkeit der Rückkehr von Flüchtlingen. Ebenso fände eine sukzessive Entwaffnung der vormaligen Bürgerkriegsparteien statt. Nach Durchführung von demokratischen Wahlen im Juli 1997 sei ein Mindeststandard an Menschen- und Bürgerrechten wieder in Kraft gesetzt worden. Auf Grund der nunmehr in Liberia geänderten Verhältnisse erscheine daher der belangten Behörde der Grund, welcher den Beschwerdeführer zum vormaligen Zeitpunkt zum Verlassen seines Heimatlandes bewogen habe, nicht mehr vorzuliegen und keine wohlbegründete Furcht vor asylrechtlich relevanter Verfolgung mehr gegeben zu sein.

Mit Stellungnahme vom 8. September 1998 wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass sich die Situation in seinem Heimatland nur augenscheinlich geändert habe. Insbesondere sei Charles Taylor weiterhin an der Macht. Demokratische Grundprinzipien würden nicht eingehalten, was unter anderem aus einem Zeitungsbericht der Frankfurter Rundschau vom 19. Jänner 1998 hervorgehe, wonach nach wie vor häufige Verstöße gegen die Menschenrechte verübt würden. Weiters sei zu berücksichtigen, dass sich gemäß einer Aussage des Institutes für Afrikakunde vom 9. März 1998 nach dem Übergang zu formal wieder "regulär staatlichen Verhältnissen" in Liberia die politische Situation keinesfalls stabilisiert habe und der Friedensprozess nicht gesichert erscheine.

Da sich der Beschwerdeführer geweigert habe, auf Seiten von Charles Taylor zu kämpfen und insbesondere eine militärische Ausbildung für Charles Taylor abzuleisten, sei er in seinem Heimatland als Regimegegner anzusehen. Durch seine Weigerung auf Seiten Taylors in den Krieg zu ziehen, habe der Beschwerdeführer seine politische Meinung manifestiert und es sei ihm zudem nicht möglich, in seinem Heimatland staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Er beantrage neben seiner ergänzenden Einvernahme eine Anfrage beim UNHCR unter Zugrundelegung seiner Angaben.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab und führte nach Wiedergabe des Inhaltes des oben genannten Länderberichtes vom April 1998 im Wesentlichen aus, die Gründe, welche den Beschwerdeführer zum damaligen Zeitpunkt zum Verlassen seines Heimatlandes bewogen hätten, lägen nicht mehr vor und es könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass sich der Beschwerdeführer pro futuro auf Grund wohlbegründeter Furcht vor asylrechtlich relevanter Verfolgung außerhalb seines Heimatstaates befände. Der Beschwerdeführer habe in seiner Stellungnahme vom 8. September 1998 keine konkreten, unmittelbar seine Person betreffenden Verfolgungsindizien glaubhaft machen können. Es habe auf die Einholung eines vom Beschwerdeführer beantragten Ländergutachtens verzichtet werden können, da aus den etwa zu erhebenden allgemeinen, im Heimatland des Beschwerdeführers herrschenden Rahmenbedingungen per se jedenfalls nichts für die unmittelbare spezifische Situation des Antragstellers zu gewinnen gewesen wäre. Ferner sei einem aktuellen Situationsbericht seitens einer österreichischen Berufsvertretungsbehörde höhere Beweiskraft im Verfahren beizumessen als anderen Quellen. Dem Beschwerdeführer sei es durchaus möglich, sich im Falle seiner Rückkehr unter den Schutz der mit der Regierung kooperierenden ECOMOG-Friedenstruppe zu begeben. Aus diesen Gründen sei nicht davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer in futuro auf wohlbegründete Furcht vor asylrechtlich relevanter Verfolgung berufen könne. Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG in Verbindung mit § 67d AVG habe eine mündliche Verhandlung unterbleiben können, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheine.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Wenn die belangte Behörde darauf abstellte, dass aufgrund der seit der Flucht des Beschwerdeführers in Liberia geänderten politischen Verhältnisse für diesen - ungeachtet des Zutreffens seiner (damaligen) Fluchtgründe - keine aktuelle Verfolgungsgefahr (mehr) bestünde, hat sie im Ergebnis Art. 1 C Z 5 der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) angewandt. Diese Bestimmung besagt, dass eine Person, auf die die Bestimmung des Art. 1 A Z 2 zutrifft, nicht mehr unter dieses Abkommen fällt, wenn sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt.

Der belangten Behörde ist grundsätzlich beizupflichten, dass grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, die Annahme begründen können, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände im Sinne dieser Bestimmung (des Art. 1 C Z 5 FlKonv) mit sich brachte, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 1999, Zl. 98/20/0246, und vom 30. November 2000, Zl. 98/20/0441 mwN; vgl. weiters: Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Rz 135).

Der Beschwerdeführer verweist für seinen Fall im Ergebnis zu Recht darauf, dass sich die belangte Behörde nicht damit auseinander gesetzt hat, ob die von ihr festgestellten geänderten politischen Verhältnisse vor dem Hintergrund seiner konkreten Fluchtgeschichte derart wesentliche Umstände darstellen, dass er im Falle der Rückkehr nach Liberia keine Furcht vor Verfolgung (mehr) haben müsste. Der Beschwerdeführer hatte vorgebracht, er sei von Soldaten des Taylor "eingefangen" (zwangsrekrutiert) und in ein Ausbildungslager gebracht worden, wo er nach 11-monatiger Anhaltung habe fliehen können.

Bei Zutreffen seiner Fluchtgründe käme somit den bereits im Verwaltungsverfahren von ihm vorgebrachten Umständen auch vor dem Hintergrund der geänderten politischen Verhältnisse Relevanz zu, weil danach gerade die politische Gruppe in seinem Heimatstaat die Regierung stellt, vor der der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung von dort geflüchtet wäre. In der Beschwerde wird zutreffend aufgezeigt, dass dem von der belangten Behörde eingeholten Bericht der Österreichischen Botschaft Abidjan nicht konkret entnommen werden kann, wie sich die Situation von zurückkehrenden Personen darstellt, die sich während des Bürgerkrieges der Zwangsrekrutierung und Teilnahme an Kampfhandlungen durch die ehemaligen Bürgerkriegsparteien, insbesondere - im hier vorliegenden Fall - der für den nunmehrigen Präsidenten Charles Taylor auftretenden Soldaten entzogen hatten (vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0399).

Die belangte Behörde hätte sich damit auseinander setzen müssen, ob aus dem vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren behaupteten Umstand einer "Desertion" von der ihm im Wege der Zwangsrekrutierung auferlegten Pflicht zur Ausbildung und - in weiterer Folge- zur Kriegsführung eine seine politische Gesinnung treffende (nunmehr gegebene) asylrelevante Verfolgung resultiert, die angesichts der von der Bürgerkriegspartei um Taylor gestellten nunmehrigen Regierung auch nach den geänderten politischen Verhältnissen weiterwirken kann. Insbesondere wurden keine Ermittlungen dahingehend durchgeführt, ob und welche Sanktionen von (nunmehr) staatlicher Seite für ein derartiges Verhalten bestehen. Anders als bei jemandem, der sich einer allgemeinen Wehrpflicht seines Heimatstaates durch Desertion entzieht, findet eine Zwangsrekrutierung durch eine die Staatsgewalt nicht (mehr oder noch nicht) tragende Bürgerkriegspartei ihre rechtliche Deckung nicht in dem grundsätzlichen Recht eines souveränen Staates, seine Angehörigen zur Militärdienstleistung zu verpflichten und einzuziehen. Daher ist bei einer "Desertion" aus der Zwangsrekrutierung durch eine solche Gruppe auch nicht jener Maßstab anzulegen, der für die Verweigerung der Ableistung des staatlichen Militärdienstes und etwaigen daraus drohenden Strafen heranzuziehen ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 19. September 1996, Zl. 95/19/0077).

Demnach ist im konkreten Fall das Vorbringen des Beschwerdeführers, ihm drohe ungeachtet der geänderten politischen Verhältnisse in Liberia aufgrund seiner spezifischen Fluchtgründe (wegen einer ihm nunmehr von staatlicher Seite für sein damaliges Verhalten angelasteten oppositionellen Gesinnung) weiterhin Verfolgung, relevant und es ist nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde nach Ergänzung des Ermittlungsverfahrens zu einem anderen Bescheid kommen könnte.

Im Übrigen wird bemerkt, dass die belangte Behörde - entgegen ihrer im Bescheid dargelegten Ansicht - im vorliegenden Fall zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem Beschwerdeführer verpflichtet gewesen wäre, weil sie selbst ein (gegenüber dem erstinstanzlichen Verfahren weiter gehendes) Ermittlungsverfahren durchführte und gestützt auf dessen Ergebnisse zusätzliche, neue Sachverhaltsfeststellungen traf (vgl. dazu unter vielen das hg. Erkenntnis vom 25. März 1999, Zl. 98/20/0475).

Darüber hinaus besteht keine gesetzliche Rechtsvermutung dafür, dass Länderberichte einer österreichischen Botschaft den Tatsachen entsprechen und ihnen - wie die belangte Behörde ausführt - eine höhere Beweiskraft beizumessen sei. Es bedarf einer beweiswürdigenden Auseinandersetzung mit dem Inhalt eines solchen Berichtes, um daraus Schlussfolgerungen auf dessen Richtigkeit in Abwägung mit allenfalls weiteren, auch gegenteiligen Beweisquellen ziehen zu können. Mangels Vorhandenseins dieses Berichtes im vorgelegten Verwaltungsakt besteht für den Verwaltungsgerichtshof keine Möglichkeit, die von der belangten Behörde aus diesem Bericht gezogene Schlussfolgerung auf deren Richtigkeit nachprüfen zu können. Es würde für ein mängelfreies Verfahren auch nicht genügen, dass Tatsachen nur bei der Behörde notorisch sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner1999, Zl. 98/20/0304).

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensmängel zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigen Bescheid gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 25. Jänner 2001

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