VwGH 98/20/0208

VwGH98/20/020826.7.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Julcher, über die Beschwerde des M in K, vertreten durch Dr. Hubert Sacha, Rechtsanwalt in 3500 Krems/Donau, Gartenaugasse 3, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 22. Dezember 1997, Zl. 420.802/6- V6/1997-1, betreffend Ordnungswidrigkeit gemäß § 107 Abs. 1 Z 10 StVG, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art18 Abs1;
StVG §107 Abs1 Z10;
StVG §26 Abs1;
B-VG Art18 Abs1;
StVG §107 Abs1 Z10;
StVG §26 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit dem Beschwerdeführer Kosten des (Administrativ-)Beschwerdeverfahrens in der Höhe von S 20,-- auferlegt wurden, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach den Ausführungen im angefochtenen Bescheid verweigerte der Beschwerdeführer am 16. Juni 1997 in der Justizanstalt Stein die Abgabe einer Harnprobe zwecks Feststellung eines allfälligen Suchtgiftkonsums. Wegen dieses als Ordnungswidrigkeit gemäß § 107 Abs. 1 Z 10 i.V.m. § 26 Abs. 1 StVG gewerteten Verhaltens wurde mit Straferkenntnis des Anstaltsleiters vom 23. Juni 1997 gemäß § 109 Z 4 und § 113 StVG eine Geldbuße in der Höhe von S 100,-- über den Beschwerdeführer verhängt.

In seiner Administrativbeschwerde gegen diese Entscheidung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, bei ihm habe kein Verdacht eines Suchtgiftmissbrauches bestanden und die Aufforderung zur Abgabe einer Harnprobe zwecks Feststellung eines möglichen Suchtgiftmissbrauches finde keine Deckung im Gesetz. Eine Bestrafung hätte daher nicht erfolgen dürfen.

Die belangte Behörde bestätigte mit dem angefochtenen Bescheid das erstinstanzliche Straferkenntnis und stützte diese Entscheidung - bezogen auf die Ausführungen in der Administrativbeschwerde - im Wesentlichen darauf, dass Strafgefangene gemäß § 26 Abs. 1 StVG den Anordnungen der im Strafvollzug tätigen Personen Folge zu leisten hätten. Sie dürften die Befolgung von Anordnungen nur im Falle eines Verstoßes gegen strafgesetzliche Vorschriften oder einer offensichtlichen Verletzung der Menschenwürde ablehnen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen habe der Beschwerdeführer nicht behauptet. Auch die belangte Behörde könne keine Anhaltspunkte dafür erkennen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

§ 26 Abs. 1 StVG lautet:

"Die Strafgefangenen haben den Anordnungen der im Strafvollzug tätigen Personen Folge zu leisten. Sie dürfen die Befolgung von Anordnungen nur ablehnen, wenn die Anordnung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstößt oder die Befolgung dagegen verstoßen oder offensichtlich die Menschenwürde verletzen würde."

Gemäß § 107 Abs. 1 Z 10 StVG begeht ein Strafgefangener, der entgegen den Bestimmungen des StVG vorsätzlich den allgemeinen Pflichten der Strafgefangenen nach § 26 zuwider handelt, eine Ordnungswidrigkeit.

Die Beschwerde enthält - großteils zutreffende - Ausführungen über das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für die vom Beschwerdeführer nicht befolgte Aufforderung zur Abgabe einer Harnprobe. Dem daraus gezogenen Schluss, die Aufforderung sei keine "Anordnung" im Sinne des § 26 Abs. 1 StVG (und der u.a. auf diesen Teil der Vorschrift Bezug nehmenden Bestimmung des § 107 Abs. 1 Z 10 StVG) gewesen, kann aber nicht gefolgt werden. Unter dem Gesichtspunkt der in der Beschwerde geltend gemachten Berechtigung des Beschwerdeführers, die Befolgung der seiner Meinung nach rechtswidrigen Aufforderung abzulehnen, müsste der Beschwerdeführer daher aufzeigen, dass die Anordnung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen habe oder ihre Befolgung dagegen verstoßen oder offensichtlich die Menschenwürde verletzt hätte (vgl. dazu das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zlen. 99/20/0261, 0262). Entsprechendes würde - bezogen auf die subjektive Sicht des Beschwerdeführers - auch für die subsidiär behauptete Straffreiheit wegen eines unverschuldeten Rechtsirrtums gelten. Die Beschwerde spricht zwar von einem wesentlichen Eingriff in Persönlichkeitsrechte und von einer zwangsweisen Untersuchung, zeigt aber nicht auf, dass der Beschwerdeführer die Befolgung der von ihm missachteten Aufforderung deshalb verweigert habe, weil die vorgesehene "Abgabe" der Harnprobe etwa wegen erniedrigender Begleitumstände offensichtlich die Menschenwürde verletzt hätte. Nach der Darstellung im angefochtenen Bescheid, der in der Beschwerde insoweit nicht entgegengetreten wird, wurde dieses Thema vom Beschwerdeführer auch im Verwaltungsverfahren nicht releviert. Die von der belangten Behörde zur hg. Zl. 98/20/0209 mit den Verwaltungsakten vorgelegte Administrativbeschwerde gründete sich in der Argumentation, mit der sich der Beschwerdeführer gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis wendete, bloß darauf, dass gemäß Art. 18 Abs. 1 B-VG die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden dürfe und die Anordnung zur Abgabe einer Harnprobe im Fall des Beschwerdeführers keine Deckung im Gesetz gefunden habe.

Allein daraus ergäbe sich aber noch kein Recht des Beschwerdeführers, die Befolgung der Anordnung zu verweigern, statt ihr vorerst nachzukommen und die Frage ihrer Rechtmäßigkeit zum Gegenstand eines nachträglichen Beschwerdeverfahrens zu machen (vgl. zum Fehlen eines allgemeinen "Rechts auf Selbsthilfe durch Verweigerung des Gehorsams" im Zusammenhang mit § 26 Abs. 1 und § 107 Abs. 1 Z 10 StVG die hg. Erkenntnisse vom 13. Oktober 1970, Zl. 825/70, vom 22. Oktober 1986, Zl. 85/01/0284, vom 29. Oktober 1986, Zlen. 86/01/0147-0149, vom 5. November 1986, Zl. 86/01/0091, vom 8. April 1992, Zl. 92/01/0047, und vom 29. November 1994, Zl. 94/20/0291). In Bezug auf Untersuchungshäftlinge (auf die sich ein Teil der soeben zitierten Erkenntnisse bezieht) ist dabei auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Juni 1975, VfSlg. 7561, zu verweisen, das sich aber ausdrücklich darauf stützt, dass "Untersuchungshäftlinge keinesfalls alle jene Beschränkungen auf sich zu nehmen haben, denen Strafgefangene unterliegen". Für eine Prüfung der Frage, inwieweit und auf welche Weise sich die Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes in bestimmten Fällen nach dem geltenden Recht auch auf Strafgefangene übertragen ließen, bietet der vorliegende Fall keinen Anlass.

Schon der Inhalt der Beschwerde lässt insoweit erkennen, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt. In Bezug auf die Bestrafung des Beschwerdeführers war die Beschwerde daher gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Zur Rechtswidrigkeit des Kostenausspruches im angefochtenen Bescheid kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die hg. Erkenntnisse vom 10. September 1998, Zlen. 97/20/0809, 0810, vom 29. Oktober 1998, Zl. 97/20/0760, und vom 25. März 1999, Zl. 96/20/0840, verwiesen werden.

Der Ausspruch über die Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 26. Juli 2001

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