VwGH 96/05/0183

VwGH96/05/018330.5.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Maria Vlossak in Seyring, vertreten durch Dr. Edmund Roehlich, Rechtsanwalt in Wien I, Opernring 1/E, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 30. April 1996, Zl. MD-VfR-B XIX-12/96, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: 1. MSV Immobilien VerwertungsgesellschaftmbH in Wien, vertreten durch Dr. Karl Newole, Rechtsanwalt in Wien I, Riemergasse 9), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauO Wr §134a litd idF 1992/034;
BauO Wr §84 Abs2;
BauRallg;
AVG §8;
BauO Wr §134a litd idF 1992/034;
BauO Wr §84 Abs2;
BauRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem angefochtenen Teil (betreffend Balkone) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Auf Grund des am 11. Juli 1995 bei der Behörde eingelangten Baugesuches der Mitbeteiligten für Auswechslungspläne, insbesondere für die Errichtung von 3 Balkonen an der Nordfassade (im Gartenbereich) des Hauses in Wien XIX, Weinberggasse 16, wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der die Beschwerdeführerin als Anrainerin geladen wurde. In der Verhandlung vom 1. Dezember 1995 sprach sich die Beschwerdeführerin, die Miteigentümerin des an das Bauvorhaben seitlich anschließenden Gebäudes ist, gegen die Bewilligung der Balkone aus, da diese über die Vorschriften der Bauordnung hinausgingen und die Bebauung des Grundstückes mehr als ausgenützt werde.

Mit Bescheid vom 26. Jänner 1996 erteilte der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, neben einer Bewilligung gemäß §§ 70 und 73 der Bauordnung für Wien unter Punkt I für Änderungen im Kellergeschoß und Dachgeschoß sowie der inneren Raumeinteilung unter II gemäß § 71 der Bauordnung für Wien auf jederzeitigen Widerruf die Bewilligung, gartenseitig neben dem Stiegenhaus im 1., 2. und 3. Stock Balkone herzustellen und im 1. Kellergeschoß beim Hauseingang das Stiegenhaus durch einen Vorbau zu erweitern. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin gegen die Balkone wurden als unzulässig zurückgewiesen bzw. als unbegründet abgewiesen und zum Teil auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

In der gegen diesen Bescheid (ausschließlich hinsichtlich der Balkone unter Punkt II) erhobenen Berufung wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass sie sich in der Bauverhandlung gegen die Bewilligung der Balkone auf der Seite ihres Grundstückes ausgesprochen habe. Laut § 84 Abs. 2 BO dürften Stiegenhäuser und Balkone höchstens ein Drittel über die Gebäudefront vorragen. Bei der Gebäudefront von 21 m sei das zulässige Drittel bereits mit dem Stiegenhausvorbau von ca. 7,5 m verbraucht und es fänden sämtliche Balkone auf der Gartenseite in diesem Drittel rein rechnerisch keine Deckung mehr, diese gingen daher über das nach dem Gesetz erlaubte Drittel weit hinaus. Die Balkone seien daher nicht zu bewilligen. Diese strittigen Bauteile, welche laut Baubewilligung bis auf Widerruf errichtet werden sollten, dienten auch keinem vorübergehenden Zweck, sondern seien Bausubstanz des eigentlichen Baukörpers und könnten ohne Beschädigung und Demolierung des eigentlichen Baukörpers nicht mehr entfernt werden, sodass eine Bewilligung gemäß § 71 BO auch deshalb nicht in Betracht komme.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. Nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens wurde im Wesentlichen ausgeführt, durch das gegenständliche Bauvorhaben würden die in der Bauordnung vorgesehenen Abstände zur Liegenschaft der Beschwerdeführerin eingehalten. Die Beschwerdeführerin besitze als Miteigentümerin einer seitlich benachbarten Liegenschaft keinen Anspruch darauf, dass die Vorschriften über die Beachtung einer hinteren Baufluchtlinie eingehalten würden, da diese nicht ihrem Schutz dienten. Aus diesem Grunde könne die Beschwerdeführerin nicht in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt sein, wenn die zu errichtenden Balkone zusammen mit dem Stiegenhaus entgegen der Bestimmung des § 84 Abs. 2 BO auf eine Breite von mehr als einem Drittel der gartenseitigen Gebäudefront über die Baufluchtlinie vorragen. Die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde sei im Baubewilligungsverfahren durch die beschränkte Parteistellung des Nachbarn auf jenen Themenkreis eingeschränkt, in dem diese Partei mitzuwirken berechtigt sei, es sei daher der belangten Behörde verwehrt gewesen, sich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auseinander zu setzen, die Baubewilligung nach § 71 BO sei auch deshalb unzulässig, weil die Balkone nicht als Bauten, die vorübergehenden Zwecken dienten, angesehen werden könnten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift, ebenso wie die erstmitbeteiligte Partei, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 134a der Bauordnung für Wien in der Fassung LGBl. Nr. 34/1992 (BO) werden subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften (§ 134 Abs. 3) im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, durch folgende Bestimmungen, sofern sie ihrem Schutze dienen, begründet:

a) Bestimmungen über den Abstand eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage zu den Nachbargrundgrenzen, jedoch nicht bei Bauführungen unterhalb der Erdoberfläche;

  1. b) Bestimmungen über die Gebäudehöhe;
  2. c) Bestimmungen über die flächenmäßige Ausnützbarkeit von Bauplätzen, Baulosen und Kleingärten;

    d) Bestimmungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Fluchtlinien;

    e) Bestimmungen, die den Schutz vor Immissionen, die sich aus der widmungsgemäßen Benützung eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage ergeben können, zum Inhalt haben.

    Auch die belangte Behörde geht zutreffend davon aus, dass mit den Balkonen das gemäß § 84 Abs. 2 BO zulässige Drittel der gartenseitigen Gebäudefront überschritten wird.

    Strittig ist, ob die Festsetzung der hinteren Baufluchtlinie im Bebauungsplan eine Bestimmung ist, die auch dem Schutz der seitlichen Nachbarn dient.

    Grundsätzlich ist die Einhaltung der Bestimmungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Fluchtlinie schon in der taxativen Aufzählung des § 134a BO enthalten. Die belangte Behörde geht nun davon aus, dass die Einhaltung einer hinteren Baufluchtlinie nicht dem Schutz der seitlichen Nachbarn diene, und stützt sich dabei auf eine hg. Judikatur zur Freihaltung des Vorgartenbereiches (§ 79 Abs. 1 BO), in der der Verwaltungsgerichtshof wiederholt davon ausgegangen ist, dass dem seitlichen Nachbarn ein Recht auf Freihaltung von der Verbauung im Vorgartenbereich nicht zustehe (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 30. Juni 1969, Slg. Nr. 7615/A, sowie vom 22. September 1992, Zl. 89/05/0216). Durch die Nichteinhaltung des Abstandes zur Straße sei nur der gegenüberliegende, nicht der seitliche Nachbar betroffen.

    Im Gegensatz zu dieser Rechtsprechung, die einem seitlichen Nachbarn ein Mitspracherecht bei der Einhaltung der Unverbaubarkeit des Vorgartens nicht einräumt, gibt es eine derartige Rechtsprechung in Bezug auf innere Baufluchtlinien nicht. Vielmehr hat der Verwaltungsgerichtshof u.a. mit seinen Erkenntnissen vom 1. Februar 1971, Slg. Nr. 7958/A, und vom 20. September 1988, Zl. 88/05/0111, jeweils zur Wiener Bauordnung, ausgesprochen, dass der Nachbar einen Anspruch auf Einhaltung von inneren Baufluchtlinien besitzt, ohne darzulegen, dass der seitliche Nachbar von diesem Anspruch ausgenommen wäre. Auch der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 17. Dezember 1964, Slg. 4898, ein diesbezügliches Mitspracherecht des Nachbarn angenommen, dies ebenfalls, ohne den seitlichen Nachbarn von diesem Recht auszuschließen.

    Abgesehen davon, dass die Nachbarrechte in § 134a BO seit der Novelle LGBl. Nr. 34/1992 geändert sind, sodass die hg. Judikatur zur Verbaubarkeit des Vorgartens nicht undifferenziert zu betrachten ist, war der Grund dafür, dass im Bereich des Vorgartens zwischen dem gegenüberliegenden und dem seitlichen Nachbarn unterschieden wurde, eine derartige Differenzierung aber hinsichtlich einer inneren Baufluchtlinie nicht vorgenommen wurde, darin zu erblicken, dass die Belichtung und Belüftung im Vorgartenbereich für den seitlichen Nachbarn jedenfalls dadurch gewährleistet sind, dass außer dem Vorgarten noch das Verkehrsband zur Verfügung steht, sodass jedenfalls von einer ausreichenden Belichtung und Belüftung auch des seitlichen Nachbargebäudes ausgegangen werden kann. Hinsichtlich der inneren Baufluchtlinien, die ebenfalls der Belichtung und Belüftung dienen, ist aber eine einem Vorgarten vorgelagerte, dem Verkehrsband vergleichbare zusätzliche Fläche nicht mehr gegeben, sodass angenommen werden muss, dass die Einhaltung der inneren Baufluchtlinie auch dem Schutz der seitlichen Nachbarn dient, weil die Überschreitung dieser Baufluchtlinie u.a. seine Belichtungs- und Belüftungsverhältnisse beeinträchtigen kann und daher insoweit auch dem seitlichen Nachbarn ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einhaltung der inneren Baufluchtlinie zusteht.

    Da mit den Balkonen unbestritten das im § 84 Abs. 2 BO zulässige Drittelausmaß der betreffenden Gebäudefront überschritten wird, weil dieses schon durch den Stiegenhausvorbau konsumiert wird, stellt sich das eingereichte Bauvorhaben als rechtswidrig dar. Zur Geltendmachung dieser Rechtswidrigkeit ist die Beschwerdeführerin als Miteigentümerin einer seitlich angrenzenden Liegenschaft legitimiert.

    Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

    Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den Stempelgebührenaufwand für eine nicht erforderliche Ausfertigung der Beschwerde.

    Wien, am 30. Mai 2000

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