Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von je S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um eine aus dem Kosovo stammende Familie albanischer Nationalität mit jugoslawischer Staatsangehörigkeit. Sie sind am 17. Oktober 1997 in das Bundesgebiet eingereist und haben am 21. Oktober 1997 Asylanträge gestellt.
Bei der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesasylamt am 28. Oktober 1997 hat der Erstbeschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen Folgendes angegeben:
"Warum haben Sie Ihre Heimat verlassen?
Am 1. Oktober habe ich an einer Demonstration teilgenommen, Studenten haben gegen die Regierung demonstriert, damit die Schulen wieder geöffnet werden. Ich bin zwar kein Student, habe aber mitdemonstriert. Alle haben demonstriert, deswegen bin ich mitgegangen. Viele Leute wurden bei der Demonstration zusammengeschlagen, alte, junge, darunter auch meine beiden Brüder. Ich schätze, dass ca. 3.000 Teilnehmer waren bei der Demo in Peje. Dann ist ab dem 3. Oktober die Polizei zu mir nach Hause gekommen und hat mich gesucht.
Frage: Was ist weiter bei der Demonstration passiert? Ich konnte entkommen.
Woher wissen Sie, dass Sie bei der Demonstration gesucht wurden?
Die Polizisten haben mich ab dem 3. Oktober täglich zu Hause gesucht.
Damit beantworten Sie die Frage nicht, woher die Polizei von Ihnen gewusst haben sollte.
Viele andere sind auch ins Ausland geflüchtet.
Frage: Nochmals, woher sollte die Polizei von Ihnen gewusst haben. Es waren Ihren Angaben nach ca. 3.000 Demonstranten.
Antwort: Es wurden nicht nur bei der Demonstration Leute zusammengeschlagen sondern auch nachher in unserem Dorf.
Vorhalt: Auch das erklärt nicht, warum die Polizei Sie gesucht haben sollte.
Antwort: Die Polizei hätte auch mich zusammengeschlagen, wenn sie mich erwischt hätte.
Frage. Woher hätte die Polizei Sie kennen sollen?
Antwort: Die Polizei kannte mich, da ich zweimal wegen des Verdachtes von Waffenbesitz vorgeladen wurde. Das war im Jahr 1993 und 1994.
Frage: Hatten Sie sonst Probleme mit der Polizei? Nein, ich hatte keinerlei Probleme.
Vorhalt: Auch die Tatsache, dass es vor mehr als drei Jahren insgesamt zwei Kontakte mit der Polizei wegen vermuteter Waffen gegeben hätte, kann nicht erklären, warum die Polizei Sie jetzt so sehr gesucht hätte, nur weil Sie wie mehrere tausend andere Menschen an einer Demonstration teilgenommen hätten.
Vorhalt: Ihre Angaben widersprechen denen Ihrer Gattin. Sie haben gesagt, außer den beiden Problemen wegen der Waffen keine Probleme mit der Polizei gehabt zu haben, Ihre Gattin hat gesagt, dass Sie sich sogar aus Furcht vor der Polizei versteckt hätten.
Antwort: Ich hatte Probleme mit der Polizei seit Anfang 1997 wegen einer damals erhaltenen Einberufung zum Militärdienst.
Frage: Warum haben Sie dies nicht angegeben, als Sie ausdrücklich gefragt wurden, ob es weitere Probleme gegeben hat?
Antwort: Ich habe nicht daran gedacht.
Vorhalt: Es ist nicht glaubwürdig, dass Sie auf eine "Verfolgung" vergessen hätten, die Sie sogar veranlasst hätte, sich zu verstecken.
Antwort: Ich habe nicht daran gedacht.
Frage: Wann wollte die Polizei Sie zum Militär einziehen?
Antwort: Im August 1997.
Vorhalt: Sie haben eben angegeben, dass Sie Anfang 1997 eine Einberufung zum Militärdienst erhalten hätten, jetzt behaupten Sie dies wäre im August 1997 gewesen.
Ich weiß das nicht mehr so genau.
Vorhalt: Ihre Gattin hat in ihrer Einvernahme angegeben, Sie hätten seit zweieinhalb Jahren Probleme mit der Polizei wegen des Militärdienstes gehabt.
Antwort: Meine Frau muss sich geirrt haben, vielleicht meinte sie die Waffengeschichte.
Ich gebe an, dass ich bisher keine ernsthaften Probleme mit der Polizei gehabt habe und nur gefürchtet habe, welche zu bekommen."
Die Zweitbeschwerdeführerin hat bei den schriftlichen Vernehmungen am 28. Oktober 1997 zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen nur ausgeführt, dass ihr Mann "Probleme" mit der Polizei gehabt habe. Sie selbst habe keinerlei "Probleme " gehabt. Ihr sei nichts passiert. Sie habe auch sonst keine Schwierigkeiten mit den Behörden gehabt. Auf die Frage, was ihrem Mann geschehen sei, antwortete sie, dass dieser am 1. Oktober in Peje an Demonstrationen teilgenommen habe. Dabei seien zwei seiner Brüder zusammengeschlagen worden. Ihr Mann sei jedoch nicht gefasst worden. Er habe aber schon vorher seit zweieinhalb Jahren Probleme mit der Polizei gehabt, weil er seinen Militärdienst nicht geleistet habe. Ab dem 3. Oktober habe die Polizei ihren Mann zu Hause gesucht. Dieser habe sich allerdings bis zur Flucht versteckt. In dieser Zeit sei die Polizei täglich zum Haus gekommen.
Mit Bescheiden vom 29. Oktober 1997 (betreffend den Erstbeschwerdeführer) und vom 28. Oktober 1997 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin und die mj. Tochter) hat das Bundesasylamt die Asylanträge abgewiesen.
In der Berufung führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass die Teilnehmer der Studentendemonstration in besonderer Weise von Polizeiaktionen betroffen gewesen seien. Da sein Bruder und (andere) Verwandte an der Demonstration teilgenommen hätten, liege es (für die Polizei) auf der Hand, dass auch er teilgenommen habe. Da er den Militärdienst noch nicht abgeleistet habe, sei er in besonderer Weise Nachforschungen ausgesetzt gewesen. Er sei daher gefährdet, misshandelt und weiter verfolgt zu werden.
Die Zweitbeschwerdeführerin führte in der Berufung aus, dass sie, wenn ihr Mann allein geflohen wäre, unter den Druck der serbischen Polizei geraten wäre. Die Polizeigewalt mache auch vor Frauen und Kindern nicht Halt.
Mit Bescheid vom 11. März 1998 hat der unabhängige Bundesasylsenat die Berufung des Erstbeschwerdeführers abgewiesen. Sie stellte fest, dass der Erstbeschwerdeführer am 1. Oktober 1997 gemeinsam mit etwa 3.000 anderen Personen an einer Demonstration teilgenommen habe. In der Folge sei er von der Polizei gesucht worden. Am 14. Oktober 1997 sei er geflohen. Die Furcht vor Festnahme und Anhaltung wegen der Teilnahme an einer verbotenen Demonstration stelle jedoch keine asylrelevante Verfolgung dar. Das Vorbringen betreffend polizeilicher Verfolgung wegen Wehrdienstverweigerung sei hingegen nicht glaubwürdig. Der Beschwerdeführer habe zuerst gesagt, deswegen bereits sei Anfang des Jahres 1997 Probleme gehabt zu haben, während er später behauptete, den Einberufungsbefehl erst im August 1997 erhalten zu haben. Seine Gattin habe wiederum ausgesagt, dass der Erstbeschwerdeführer bereits seit zweieinhalb Jahren Probleme mit der Polizei wegen der Verweigerung des Militärdienstes gehabt habe. Es sei unglaubwürdig, dass ein Asylwerber bei einer Vernehmung im Oktober 1997 nicht mehr angeben könne, ob er wegen der Wehrdienstverweigerung erst seit zwei Monaten (seit August 1997) oder bereits seit zehn Monaten (seit Anfang 1997) Probleme mit der Polizei gehabt habe. Bei einer Gesamtbetrachtung sei offensichtlich, dass der Erstbeschwerdeführer nur deshalb behauptet habe, wegen Wehrdienstverweigerung verfolgt zu werden, um die Chancen auf Asylgewährung zu erhöhen. Die vom Erstbeschwerdeführer (mit der Berufung) vorgelegten allgemeinen Berichte über die Lage im Kosovo seien nicht geeignet seine Flüchtlingseigenschaft zu begründen.
Mit Bescheid vom 10. März 1998 hat die belangte Behörde die Berufung der Zweitbeschwerdeführerin und der minderjährigen Tochter abgewiesen. Dies begründete die belangte Behörde damit, dass die Zweitbeschwerdeführerin ihren Asylantrag nur auf die behauptete Verfolgung ihres Mannes gestützt habe. Für die Asylgewährung sei es jedoch notwendig, eine die Zweitbeschwerdeführerin selbst treffende Verfolgung glaubhaft zu machen. Auch in diesem Bescheid führte die belangte Behörde aus, dass Berichte über die allgemeine Situation im Kosovo nicht geeignet seien, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen.
Die gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerden werden zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden. Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Soweit sich der Erstbeschwerdeführer gegen die dargestellte Beweiswürdigung der belangten Behörde wendet, wonach sein Vorbringen betreffend polizeiliche Verfolgung wegen Militärdienstverweigerung unglaubwürdig sei, ist ihm zu entgegnen, dass gegen diese Würdigung im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Überprüfungsbefugnis (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) keine Bedenken bestehen. Dem Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin, die belangte Behörde wäre gemäß § 38 AVG verpflichtete gewesen, vor Entscheidung über ihren Asylantrag die endgültige Entscheidung im Asylverfahren ihres Gatten abzuwarten, ist zu entgegnen, dass es sich bei der Frage der Asylgewährung an den Erstbeschwerdeführer im Asylverfahren der Zweitbeschwerdeführerin nicht um eine Vorfrage handelt.
Dennoch ist beiden Beschwerden insoweit Erfolg beschieden, als sie sich auf die allgemeine Situation von Albanern im Kosovo berufen. Insbesondere aus Medienberichten ist nämlich allgemein bekannt, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begann. Diese Auseinandersetzungen gehen auch mit vermehrten Übergriffen insbesondere von serbischen Einheiten auf die albanische Zivilbevölkerung einher. Es ist gleichfalls notorisch, dass sich die Kampfhandlungen und die damit verbundenen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo erstrecken, sondern sich im Wesentlichen auf das Gebiet Zentral-Kosovo (Region Drenica bzw. "Drenica-Dreieck") sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze, vor allem Decane und Djacovica erstreckten. Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom Bundesasylamt und vom unabhängigen Bundesasylsenat als Spezialbehörden jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen. Bei einem ethnischen Albaner, der aus der betreffenden Region bzw. aus einem angrenzenden Gebiet, auf das eine Ausweitung der Aktionen nicht auszuschließen ist, kommt, kann daher - anders als für den Zeitraum vor 28. Februar 1998 - nicht von vornherein gesagt werden, dass sie bloße Zugehörigkeit zur albanischen Bevölkerungsgruppe nicht ausreicht, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. In einen solchen Fall ist es vielmehr erforderlich, bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft auch das genannte Amtswissen einzubeziehen. Dazu hat die Behörde dem Asylwerber - allenfalls im Rahmen einer gemäß § 67d AVG iVm Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG idF
BGBl. I Nr. 28/1998 erforderlichen Verhandlung - Gelegenheit einzuräumen, sich auch zu den von Amts wegen zu berücksichtigenden Umständen zu äußern. Eine asylrelevante Verfolgung wäre bereits dann zu bejahen, wenn sich dabei herausstellt, dass der Asylwerber aus einer Gegend stammt, in der Aktionen der Genannten Art mit der für die Asylgewährung maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten sind und keine besonderen Umstände vorliegen, die es unwahrscheinlich machen, dass der Asylwerber davon betroffen sein könnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. März 1999, Zl. 98/01/0287). Die Beschwerdeführer stammen nach den in Kopie bei den Verwaltungsakten erliegenden Dokumenten und ihren Angaben aus der Gemeinde Pej?. Diese Gemeinde liegt westlich der Region Drenica in der Nähe der albanischen Grenze und somit jedenfalls nicht soweit von den von den beschriebenen Vorgängen betroffenen Gebieten entfernt, dass ein Übergreifen der Kampfhandlungen - und der damit verbundenen Aktionen gegen die albanische Zivilbevölkerung - schon wegen der großen Entfernung sehr unwahrscheinlich wäre. Nach den obigen Ausführungen hätte die belangte Behörde daher auf die genannten Vorfälle im Februar und März 1998 in der dargestellten Weise von Amts wegen Bedacht nehmen müssen. Sie hat jedoch ohne nähere Begründung verneint, dass aus der allgemein bekannten Lage im Kosovo eine Verfolgung der Beschwerdeführer wegen ihrer Zugehörigkeit zur albanischen Bevölkerungsgruppe gegeben sei. Es ist nicht auszuschließen, dass sie bei der oben aufgezeigten Vorgangsweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Da die belangte Behörde ihre Bescheide somit mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet hat, waren diese jeweils gemäß § 42 Abs. 1 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich jeweils auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 12. Mai 1999
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