Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger albanischer Nationalität aus dem Kosovo, der am 26. November 1997 in das Bundesgebiet eingereist ist und am selben Tag einen Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung ausgeführt, er sei Mitglied der "Demokratischen Partei - LDK". Er sei niemals in Haft gewesen, und gegen ihn sei auch kein Verfahren anhängig. Mitglied einer militärischen Einheit oder einer militanten Gruppe sei er nicht. Über Aufforderung, seine Fluchtgründe zu schildern, gab er an:
"Ich habe illegal auf fremden Grund Holz geschlägert, dafür bin ich angezeigt worden. Ich habe eine Ladung bekommen, mein Bruder hat diese Ladung jedoch zerrissen. Ich sollte im Büro der 'Waldwache' in Suva Reka bereits Mitte Dezember 1996 einvernommen werden. Ich habe vor einem Monat eine zweite Vorladung zu diesem Amt bekommen und bin wieder nicht hingegangen.
Nach der ersten Vorladung ist nichts passiert. Nach der zweiten Ladung vor einem Monat ist die Polizei ins Dorf gekommen und hat mich gesucht. Freunde von mir haben der Polizei erzählt, daß ich mich im Ausland befinde. Die Polizei war am 7.11.1997 im Dorf, am 16.11.1997 bin ich geflüchtet.
Haben Sie noch weitere Fluchtgründe vorzubringen? Nein.
Frage: Sie sind also geflüchtet, weil sie sich fürchteten, wegen dieser illegalen Holzschlägerungen vernommen zu werden?
Anwort: Ja, ich hatte Angst, daß man mir noch andere schwerere Delikte vorwerfen könnte. Ich kenne jedoch keinen konkreten Fall, wo ähnliches passiert ist. Man hätte mich auch zwangsweise zum Militärdienst einziehen können, weil ich den Militärdienst noch nicht abgeschlossen habe.
Gibt es konkrete Hinweise für Ihre Vermutungen? Nein.
Vorhalt: Illegale Holzschlägerungen sind üblicherweise strafbar und polizeiliche Ermittlungen in diesem Zusammenhang sind durchaus üblich.
Ich hatte Angst den Militärdienst ableisten zu müssen. Es gibt jedoch keinen Einberufungsbefehl. Ich müßte noch 8 1/2 Monate Militärdienst leisten.
Ich habe alles gesagt."
Mit Bescheid vom 27. November 1997 hat das Bundesasylamt den Asylantrag abgewiesen.
In seiner dagegen gerichteten Berufung hielt der Beschwerdeführer seine bisherigen Angaben "vollinhaltlich" aufrecht und verwies überdies darauf, daß es aufgrund zahlreicher Berichte von Menschenrechtsorganisationen als notorische Tatsache anzusehen sei, daß Albaner aus dem Kosovo aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ständig in Gefahr seien, Opfer von Übergriffen durch serbische Polizisten oder Armeeangehörige zu werden. Ziel des Vorgehens gegen die albanische Bevölkerungsmehrheit im Kosovo sei es, diese gezielt zu vertreiben. Die dazu eingesetzten Mittel überschritten in derart vielen Fällen die Schwelle asylerheblicher Verfolgung, daß von einer "Gruppenverfolgung" gesprochen werden könne. Hiezu verwies der Beschwerdeführer auf ein Urteil des (deutschen) Verwaltungsgerichtes Ansbach.
Mit Bescheid vom 26. März 1998 hat der unabhängige Bundesasylsenat diese Berufung gemäß § 7 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76, abgewiesen. Die belangte Behörde vertrat - durch Verweis auf den erstinstanzlichen Bescheid - die Ansicht, daß weder die behördlichen Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Holzdiebstahl des Beschwerdeführers noch die nur vagen Vermutungen des Beschwerdeführers betreffend seine mögliche Einberufung zum Militärdienst geeignet seien, die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers zu begründen.
Weiters führte die belangte Behörde aus, daß eine "Gruppenverfolgung" von ethnischen Albanern im Kosovo nicht vorliege. Sie stützte sich dabei auf ein Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes aus dem Jahr 1995, weitere deutsche Judikatur, Berichte der österreichischen Vertretungsbehörden, zuletzt vom 1. Juli 1997, den "Friedensbericht 1997" des österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung sowie auf hg. Judikatur. Zusammengefaßt kam sie zu dem Ergebnis, daß die von den Serben im Kosovo betriebene Politik der Einschüchterung keine "Gruppenverfolgung" darstelle. Ein staatliches Programm, das die physische Vernichtung oder die Vertreibung der gesamten albanischen Volksgruppe zum Ziel habe, sei nicht belegbar. Ein zielgerichtetes Vorgehen von erheblicher Intensität gegen die Gesamtheit der albanischen Volksgruppe, das nicht bloß in Beeinträchtigungen allgemeiner Natur seinen Ausdruck finde, liege nicht vor. Die Asylgewährung an ethnische Albaner komme nur bei Hinzutreten individueller Verfolgungsmaßnahmen in Betracht. In diesem Sinn seien Aktivisten in dem von der albanischen Bevölkerungsgruppe aufgebauten "parallelstaatlichen" Bereich, besonders in Verbindung mit einem politischen Engagement, aber auch exponierte Mitglieder von politischen Parteien und ehemalige albanische Polizisten besonders gefährdet. Den Beschwerdeführer treffe jedoch nur die allgemeine Situation der Albaner im Kosovo, welche für die Asylgewährung nicht ausreiche.
Über die dagegen gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die Beschwerde läßt die - unbedenkliche - Ansicht der belangten Behörde, daß die Ermittlungen gegen den Beschwerdeführer wegen des Holzdiebstahles und die in keiner Weise konkretisierte Vermutung der Einberufung zum Wehrdienst keinen Grund für die Asylgewährung darstellten, unbekämpft.
Die Beschwerde wendet sich vielmehr ausschließlich gegen die Ansicht der belangten Behörde, es liege keine "Gruppenverfolgung" von ethnischen Albanern im Kosovo vor. Dazu führt die Beschwerde neben einem bereits aus dem Jahr 1991 stammenden Bericht zur Menschenrechtslage im Kosovo vor allem die im Zeitraum ab 28. Februar 1998 stattgefundenen Angriffe von serbischen Sicherheitskräften auf albanische Dörfer, insbesondere in der Region Drenica samt den hiebei erfolgten Übergriffen auf die Zivilbevölkerung konkret ins Treffen.
Eine Verfolgungsgefahr kann nicht nur aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, sie kann vielmehr auch darin begründet sein, daß regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodaß die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0370, mwN).
Insbesondere aus Medienberichten ist allgemein bekannt, daß mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begann. Diese Auseinandersetzungen gehen auch mit vermehrten Übergriffen insbesondere von serbischen Einheiten auf die albanische Zivilbevölkerung einher. (Aus dem in der Beschwerde teilweise wiedergegebenen Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe geht hervor, daß allein bei den Kämpfen zwischen 28. Februar 1998 und 5. März 1998 zumindest 79 Menschen, darunter zahlreiche Frauen, Kindern und ältere Menschen, getötet worden sind.)
Es ist gleichfalls notorisch, daß sich die Kampfhandlungen und die damit verbundenen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo erstrecken, sondern sich im wesentlichen auf das Gebiet Zentral-Kosovo (Region Drenica bzw. "Drenica-Dreieck") sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze, vor allem Decane und Djakovica erstreckten (auch der in der Beschwerde teilweise wiedergegebene Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe nennt dieses Gebiet).
Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom Bundesasylamt und vom unabhängigen Bundesasylsenat als Spezialbehörden jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen. Bei einem ethnischen Albaner, der aus der betreffenden Region bzw. aus einem angrenzenden Gebiet, auf das eine Ausweitung der Aktionen nicht auszuschließen ist, kommt, kann daher - anders als für den Zeitraum vor 28. Februar 1998 - nicht von vornherein gesagt werden, daß die bloße Zugehörigkeit zur albanischen Bevölkerungsgruppe nicht ausreicht, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. In einem solchen Fall ist es vielmehr erforderlich, bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft auch das genannte Amtswissen einzubeziehen. Dazu hat die Behörde dem Asylwerber - allenfalls im Rahmen einer gemäß § 67d AVG iVm Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG idF
BGBl. I Nr. 28/1998 erforderlichen Verhandlung - Gelegenheit einzuräumen sich auch zu den von Amts wegen zu berücksichtigenden Umständen zu äußern (vgl. die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5 (1996), 296, E 2b zu § 45 Abs. 1 AVG, zitierte hg. Judikatur). Eine asylrelevante Verfolgung wäre bereits dann zu bejahen, wenn sich dabei herausstellt, daß der Asylwerber aus einer Gegend stammt, in der Aktionen der genannten Art mit der für die Asylgewährung maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten sind und keine besonderen Umstände vorliegen, die es unwahrscheinlich machen, daß der Asylwerber davon betroffen sein könnte.
Der Beschwerdeführer stammt nach seinen Angaben aus einem Dorf im Bezirk Suva Reka. Sein Heimatdorf liegt somit südlich des von den genannten Vorgängen Ende Februar und Anfang März 1998 betroffenen Gebietes. Es ist davon jedenfalls nicht soweit entfernt, daß ein Übergreifen der Kampfhandlungen - und der damit verbundenen Aktionen gegen die albanische Zivilbevölkerung - schon wegen der großen Entfernung sehr unwahrscheinlich wäre. Nach den obigen Ausführungen hätte die belangte Behörde daher auf die genannten Vorfälle im Februar und März 1998 in der dargestellten Weise von Amts wegen Bedacht nehmen müssen. Sie hat jedoch bereits unter Berufung auf Quellen aus dem Zeitraum bis 1997 verneint, daß aus der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur albanischen Bevölkerungsgruppe eine asylrelevante Verfolgung abgeleitet werden könne. Es ist nicht auszuschließen, daß sie bei der oben aufgezeigten Vorgangsweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Da die belangte Behörde ihren Bescheid somit mit einem relevanten Verfahrensmangel belastete, war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die vom Beschwerdeführer beantragte Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte im Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben. Wien, am 9. März 1999
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