VwGH 98/19/0020

VwGH98/19/00209.10.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde 1. der 1974 geborenen N S,

2. des 1994 geborenen Ü S und 3. der 1996 geborenen S S, alle in L, der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin vertreten durch die Eltern N S und S S, letztere vertreten durch Dr., Rechtsanwalt in B, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 25. Februar 1997, 1. zu Zl. 121.167/2-III/11/96 (betreffend die Erstbeschwerdeführerin), 2. zu

Zl. 121.167/3-III/11/96 (betreffend den Zweitbeschwerdeführer) und

3. zu Zl. 121.167/4-III/11/96 (betreffend die Drittbeschwerdeführerin), jeweils betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §696;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs4;
AVG §1;
AVG §13 Abs1;
AVG §56;
B-VG Art103 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;
ABGB §696;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs4;
AVG §1;
AVG §13 Abs1;
AVG §56;
B-VG Art103 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer stellten am 12. Februar 1996 bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz durch ihren Rechtsvertreter Anträge auf Feststellung, daß sie in Österreich aufenthaltsberechtigt seien, für den Fall, daß diesen Anträgen nicht stattgegeben werden sollte, auf Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen. Begründet wurden die Anträge damit, die Beschwerdeführer seien Angehörige eines Arbeitnehmers, auf den die Voraussetzungen der Art. 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des aufgrund des Assoziationsabkommens zwischen der EWG und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates zuträfen.

Am 1. August 1996 erging durch die Bezirkshauptmannschaft Bregenz eine Erledigung folgenden Wortlautes:

"Bescheid

Herr Rechtsanwalt Dr. hat am 12.2.1996 bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz Anträge auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz für die im Betreff genannten Personen eingebracht.

Über diesen Antrag ergeht aufgrund der Verordnung des Landeshauptmannes, LGBl. Nr. 32/1993 folgender

Spruch

Gemäß §§ 1, 3, 4, 5 Abs. 1 und 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes, BGBl. Nr. 466/92, in der geltenden Fassung i.V.m. § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/92, in der geltenden Fassung, werden die Anträge abgewiesen."

Begründend führte die Bezirkshauptmannschaft Bregenz aus, die Anträge der Beschwerdeführer hätten gemäß § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) vom Ausland aus gestellt werden müssen, im übrigen sei der Sichtvermerksversagungsgrund nach § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) verwirklicht.

Die Beschwerdeführer erhoben Berufung "an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg, in eventu für den Fall der Zurück- oder Abweisung dieser Berufung durch die Sicherheitsdirektion, an das Bundesministerium für Inneres". In der Begründung der Berufung brachten die Beschwerdeführer u.a. vor, sie hätten bei der Behörde erster Instanz beantragt festzustellen, daß sie in Österreich aufenthaltsberechtigt seien. Die Behörde erster Instanz verantworte daher den Fehler, nicht zuerst über die Feststellungsanträge entschieden zu haben, die zudem gerade nicht auf das Aufenthaltsgesetz gestützt seien. Es werde daher beantragt, "den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, daß festgestellt wird, daß die Berufungswerber aufenthaltsberechtigt ist (gemeint: sind), in eventu, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, daß die beantragte Aufenthaltsberechtigung in welcher Form und nach welchem Gesetz (oder Europarecht) immer erteilt wird."

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 18. November 1996 wurden die Berufungen der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurückgewiesen. Dieser Bescheid wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 26. Juni 1997, Zl. 97/21/0016, wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Bereits am 25. Februar 1997 wies der Bundesminister für Inneres die Berufung der Erstbeschwerdeführerin gemäß §§ 4 Abs. 1 und 5 Abs. 1 sowie § 6 Abs. 2 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 und Z. 6 FrG, diejenigen der Zweit- und Drittbeschwerdeführer gemäß §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 3 AufG ab. In der Begründung des die Erstbeschwerdeführerin betreffenden Bescheides führte der Bundesminister für Inneres im wesentlichen aus, der Unterhalt der Erstbeschwerdeführerin sei nicht gesichert, überdies sei ihr Antrag nicht gemäß § 6 Abs. 2 AufG vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus gestellt worden. Da sie mit einem bis zum 24. Dezember 1995 gültigen Touristensichtvermerk nach Österreich eingereist sei und sich seit Ablauf dieses Sichtvermerkes in Österreich aufhalte, seien die Sichtvermerksversagungsgründe nach § 10 Abs. 1 Z. 4 und 6 FrG verwirklicht. In der Begründung der Zweit- und Drittbeschwerdeführer betreffenden Bescheide führte der Bundesminister für Inneres aus, der Vater der Beschwerdeführer, mit dem sie Familiengemeinschaft anstrebten, gehe einer Erwerbstätigkeit nach, weshalb es ihm nicht selbst möglich sei, die Beschwerdeführer tagsüber zu beaufsichtigen. Da der Antrag der Mutter der Beschwerdeführer unter einem abgewiesen worden sei und die Großmutter, die alleine zur Beaufsichtigung der Beschwerdeführer zur Verfügung stehe, zukünftig wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen werde, sei die Beaufsichtigung der Beschwerdeführer nicht gewährleistet.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Nachdem dieser die Behandlung der Beschwerden mit Beschluß vom 27. November 1997, B 894-896/97-3, abgelehnt und diese mit Beschluß vom 12. Jänner 1998, B 894-896/97-7, antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hatte, wurden sie von den Beschwerdeführern ergänzt. Sie erachten sich in folgenden Rechten verletzt:

"* Recht auf Einhaltung der Zuständigkeitsordnung

* Recht auf Entscheidung durch die zuständige Behörde * Recht auf Beachtung des Verfahrensgegenstandes * Recht auf Feststellung ihres assoziationsrechtlichen

Aufenthaltsrechts

* Recht auf Entscheidung über den ausschließlich gestellten

Feststellungsantrag"

In der Sache vertreten die Beschwerdeführer die Auffassung, da ihr Ehegatte bzw. Vater seit Jahren in Österreich erwerbstätig sei, erfülle er jedenfalls die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 und sei daher in Österreich "assoziationsintegriert", somit unbeschränkt arbeitsmarktzugangs- und aufenthaltsberechtigt. Damit komme auch den Beschwerdeführern eine assoziationsrechtliche Aufenthaltsbewilligung zu. Insbesondere sei es rechtswidrig, daß die belangte Behörde die von den Beschwerdeführern eventualiter gestellten Anträge auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gemäß §§ 1, 3, 4, 5 Abs. 1 und 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes abgewiesen habe, ohne vorher über die primär gestellten Anträge auf Feststellung des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts entschieden zu haben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerden erwogen:

Die Behörde erster Instanz hat mit ihrem Bescheid vom 1. August 1996 (ausschließlich) über die von den Beschwerdeführern eventualiter gestellten Anträge auf Erteilung einer "Aufenthaltsbewilligung" entschieden, welche die Erstbehörde als solche auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz qualifizierte. Sie wurde dabei, wie sich aus der Zitierung der entsprechenden Bestimmungen des AufG und der Verordnung des Landeshauptmannes von Vorarlberg über die Ermächtigung der Bezirkshauptmannschaften zur Entscheidung nach dem Aufenthaltsgesetz, LGBl. Nr. 32/1993, ergibt, als Aufenthaltsbehörde im Namen des Landeshauptmannes tätig. Daraus folgt, daß eine derartige der Bezirkshauptmannschaft zuzurechnende (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1997, Zl. 96/19/3389) Entscheidung hinsichtlich des Instanzenzuges als erstinstanzliche Entscheidung des Landeshauptmannes im Sinne des Art. 103 Abs. 4 B-VG anzusehen ist, weshalb in dieser Angelegenheit der mittelbaren Bundesverwaltung der Instanzenzug mangels anderer bundesgesetzlicher Regelung an den zuständigen Bundesminister, im vorliegenden Fall an den Bundesminister für Inneres, geht. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg, an die der Beschwerdeführer seine Berufung primär richtete, war unzuständige Behörde.

Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG tritt durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach Abs. 2 leg. cit. die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden hatte. Aufgrund der Rückwirkung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Juni 1997 ist bei der Überprüfung der angefochtenen Bescheide jedenfalls davon auszugehen, daß zur Zeit ihrer Erlassung durch die belangte Behörde kein die Berufung der Beschwerdeführer zurückweisender Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg mehr vorlag.

Der belangten Behörde kam daher als der im Instanzenzug zuständigen Berufungsbehörde jedenfalls die funktionelle Zuständigkeit zur Überprüfung der Berufung auf ihre Zulässigkeit zu.

Ein sogenannter Eventualantrag ist Verwaltungsverfahren durchaus zulässig. Das Wesen eines solchen Antrages liegt darin, daß er unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, daß der Primärantrag erfolglos bleibt. Wird bereits dem Primärantrag stattgegeben, so wird der Eventualantrag gegenstandslos. Wird ein Eventualantrag vor dem Eintritt des Eventualfalles erledigt, belastet dies die Erledigung mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. Februar 1990, Zl. 89/01/0114, und vom 12. September 1997, Zl. 96/19/1468).

Die erstinstanzliche Behörde hätte daher vorliegendenfalls zunächst über die Primäranträge der Beschwerdeführer auf Feststellung ihrer Aufenthaltsberechtigung - allenfalls nach Klärung des Inhaltes solcher Anträge - abzusprechen und erst im Falle ihrer rechtskräftigen Nichtstattgebung über die von ihr als Anträge auf Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen gedeuteten Eventualanträge zu erkennen gehabt. Indem sie diese Rechtslage verkannte, belastete die Behörde erster Instanz ihre Erledigung mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit.

"Sache" des Berufungsverfahrens war bei dem hier klar auf den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (einer Bewilligung nach dem AufG) begrenzten Abspruch der Behörde erster Instanz nur dieser Anspruch (vgl. das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1997). Die belangte Behörde war daher - im Gegensatz zu der in der Beschwerde vertretenen Auffassung - auch aufgrund des Berufungshauptantrages, festzustellen, daß die Beschwerdeführer in Österreich aufenthaltsberechtigt seien, nicht zuständig, über solche, vom erstinstanzlichen Abspruch nicht umfaßte Ansprüche zu entscheiden. Ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, über den die Behörde erster Instanz im Falle der Beschwerdeführer entschieden hat, stellt nämlich - im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführer - gegenüber einer (im Berufungsverfahren erfolgten) Geltendmachung eines Feststellungsanspruches kein Mehrbegehren, sondern ein aliud dar. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Entscheidung über einen Antrag auf Feststellung, ein Fremder halte sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf, die Fremdenpolizeibehörde, für einen solchen über einen Antrag auf Feststellung, er sei zur Begründung eines Hauptwohnsitzes berechtigt, jedoch die Aufenthaltsbehörde zuständig wäre (vgl. ebenfalls das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 12. September 1997). Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, von Amts wegen die oben aufgezeigte Unzuständigkeit der Behörde erster Instanz zur Erledigung der Anträge auf Erteilung von Aufenthaltsberechtigungen (Aufenthaltsbewilligungen) aufzugreifen und den erstinstanzlichen Bescheid ersatzlos aufzuheben. Indem sie als hiefür zuständige Berufungsbehörde dies unterließ, belastete sie ihre eigenen Bescheide mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Hiedurch verletzte sie auf einfach gesetzlicher Ebene das Recht der Beschwerdeführer auf Einhaltung der Zuständigkeitsordnung. Diese Verletzung der Behördenzuständigkeit war vom Verwaltungsgerichtshof ungeachtet einer Möglichkeit der Verletzung sonstiger subjektiv-öffentlicher Rechte von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. Februar 1996, Zl. 93/17/0200, sowie das bereits mehrfach erwähnte hg. Erkenntnis vom 12. September 1997).

Aus diesen Erwägungen waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 9. Oktober 1998

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