VwGH 95/18/0451

VwGH95/18/045122.5.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Rigler, Dr. Handstanger und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Neumair, über die Beschwerde des I in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 23. Dezember 1994, Zl. SD 1121/94, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

Aufenthaltsrecht Bosnien-Herzegowina 1995 §1 Abs2;
AufG 1992 §12;
Aufenthaltsrecht Bosnien-Herzegowina 1995 §1 Abs2;
AufG 1992 §12;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 23. Dezember 1994 wurde der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.

Nach den Bestimmungen des Fremdengesetzes in Verbindung mit dem (zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung) als geltend angesehenen Sichtvermerksabkommen sei ein bosnischer Staatsangehöriger berechtigt gewesen, mit einem gültigen Reisepaß in das Bundesgebiet einzureisen und sich hier drei Monate aufzuhalten. Abgesehen davon sei ein solcher Staatsangehöriger im Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde gemäß § 12 des Aufenthaltsgesetzes bzw. der aufgrund dieser Bestimmung erlassenen "Verordnung, BGBl. Nr. 402/1993, in der derzeit geltenden Fassung", zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt, wenn er seine Heimat aufgrund der bewaffneten Konflikte habe verlassen müssen, anderweitig keinen Schutz gefunden und - im Fall der Einreise nach dem 1. Juli 1993 - sich der Grenzkontrolle gestellt habe und ihm die Einreise gestattet worden sei.

Der Beschwerdeführer sei (nach Ausweis des Verwaltungsaktes am 2. Jänner 1994) mit einem nicht mehr gültig gewesenen Reisepaß über Slowenien mit der Bahn eingereist. Die in der Berufung aufgestellte Behauptung, er hätte sich der Grenzkontrolle gestellt und die Grenzkontrollorgane hätten auch seinen Paß kontrolliert, aber keinen "Übertrittsstempel" eingetragen, sei schon deshalb unglaubwürdig, weil der Beschwerdeführer seinerzeit vor der Erstbehörde angegeben habe, er wäre überhaupt nicht kontrolliert worden. Die belangte Behörde sei daher zur Überzeugung gelangt, daß sich der Beschwerdeführer - auf welche Weise immer - der Grenzkontrolle entzogen habe. Er sei demnach nicht zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. Auch aus dem Hinweis des Beschwerdeführers, daß ein von ihm gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz in zweiter Instanz anhängig sei, dieses Verfahren also noch nicht abgeschlossen sei, sei für ihn nichts zu gewinnen, weil § 17 Abs. 4 FrG nur im Falle eines rechtzeitig gestellten Antrages auf Verlängerung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz zum Tragen komme. Halte sich ein Fremder aber nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf, so sei die Ausweisung zu verfügen, sofern dem nicht § 19 FrG entgegenstehe.

Angesichts der Tatsache, daß der Beschwerdeführer bisher keinen legalen gemeinsamen Aufenthalt bzw. Wohnsitz mit seiner Schwester gehabt habe, liege ein relevanter Eingriff in sein Privat- und Familienleben im Sinne des § 19 FrG nicht vor. "Dessen ungeachtet" sei aber dieser Eingriff "im Hinblick auf den bedeutenden Stellenwert der Ordnung im Fremdenwesen zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten". Ein Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung könne nämlich, "sofern es sich nicht um einen Antrag auf Verlängerung einer bestehenden Bewilligung handelt", nur vom Ausland aus gestellt werden. Der Beschwerdeführer werde sich erst im Falle einer positiven Erledigung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung im Bundesgebiet aufhalten dürfen.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer vorerst Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluß vom 28. Februar 1995, B 391/95, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren begehrte der Beschwerdeführer, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer erstattete sein Vorbringen vor dem Hintergrund des kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina eingeräumten vorübergehenden Aufenthaltsrechtes in Österreich im Sinne des § 12 des Aufenthaltsgesetzes in Verbindung mit der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (dieser wurde dem Beschwerdeführer nach Ausweis des Verwaltungsaktes am 2. Jänner 1995 zugestellt) maßgeblichen Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 1038/1994, und leitet aus diesen Rechtsquellen im Ergebnis ein Aufenthaltsrecht in Österreich ab, welches der Ausweisung entgegenstünde.

1.2. Gemäß § 1 Abs. 1 der genannten Verordnung haben "Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährige Kinder, die aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mußten, anderweitig keinen Schutz fanden und vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, .. ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet". Gemäß § 1 Abs. 2 dieser Verordnung besteht dieses "Aufenthaltsrecht .. weiters für die nach dem 1. Juli 1993 eingereisten und einreisenden Personen gemäß Abs. 1 (- diesem Personenkreis ist der Beschwerdeführer zuzurechnen -), sofern die Einreise über eine Grenzkontrollstelle erfolgte, bei der sich der Fremde der Grenzkontrolle stellte und ihm entsprechend internationaler Gepflogenheiten die Einreise gestattet wurde".

1.3.1. Der Beschwerdeführer hält dem angefochtenen Bescheid entgegen, die "Behauptung der Behörde, er habe die Grenzkontrolle umgangen", sei "durch nichts erwiesen und kann auch durch nichts bestätigt werden". Seine Angabe vor der Erstbehörde, er sei - nach Ausweis des Verwaltungsaktes - "im Zuge der Einreise .. nicht kontrolliert" worden, sei richtigerweise so zu verstehen, daß er bei seiner Einreise sich zwar der Grenzkontrolle gestellt, aber keinen "Einreisestempel" vom Grenzkontrollorgan erhalten habe. Aus dieser Aussage könne daher keinesfalls abgeleitet werden, er habe sich der Grenzkontrolle entzogen. Die belangte Behörde habe auch keine Feststellungen darüber getroffen, "auf welche Art und Weise der Beschwerdeführer die Grenzkontrolle umgangen haben soll, bzw. wie sie zu dem Ergebnis kommt, daß sich der Beschwerdeführer der Grenzkontrolle entzogen haben soll". Die belangte Behörde sei somit auch ihrer Verpflichtung, "den wirklich entscheidungsrelevanten Sachverhalt festzustellen", nicht nachgekommen.

1.3.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird dem Erfordernis, sich der Grenzkontrolle zu stellen, nur durch ein Tun des Fremden entsprochen: Er hat von sich aus (initiativ) bei der Grenzkontrolle an ein Grenzkontollorgan zwecks Durchführung der Grenzkontrolle heranzutreten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. November 1996, Zl. 95/18/1331). Wenn die belangte Behörde angenommen hat, daß der Beschwerdeführer diesem Erfordernis nicht nachgekommen sei, kann ihr nicht entgegengetreten werden, hat doch der Beschwerdeführer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht behauptet, in dem genannten Sinne an ein Grenzkontrollorgan herangetreten zu sein. Vielmehr hat der Beschwerdeführer vor der Erstbehörde - wie erwähnt - angegeben, er sei bei seiner Einreise nach Österreich nicht kontrolliert worden, und es ist ihm weiters im verwaltungsbehördlichen Verfahren im Rahmen der ihn treffenden Pflicht, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, nicht gelungen, für die erstmals in seiner Berufung gegen den Erstbescheid vorgebrachten Behauptung, er habe sich der Grenzkontrolle gestellt, entsprechende Beweise anzubieten (vgl. in diesem Sinne das hg. Erkenntnis vom 19. September 1996, Zl. 95/18/0479, mwH). Mangels Vornahme einer Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit des Übertritts des Beschwerdeführers in das Bundesgebiet durch zur Grenzkontrolle berufene österreichische Organe kam daher auch die Verwirklichung des im § 1 Abs. 2 der genannten Verordnung normierten, kumulativ zu erfüllenden Tatbestandsmerkmales "und ihm ... die Einreise gestattet wurde" nicht in Betracht, da ein "Gestatten" der Einreise ein entsprechendes Handeln im Rahmen der Grenzkontrolle bedingt (vgl. das zitierte Erkenntnis vom 28. November 1996).

Nach dem eben Gesagten ist auch die Verfahrensrüge des Beschwerdeführers, daß die belangte Behörde im Hinblick auf § 1 Abs. 2 der genannten Verordnung den Sachverhalt weitergehend zu ermitteln gehabt hätte, nicht zielführend.

2.1. Die Beschwerde hält den bekämpften Bescheid im Grunde des § 19 FrG für rechtswidrig. Die belangte Behörde habe keine bzw. eine mangelhafte Interessenabwägung nach § 19 FrG vorgenommen. Der Beschwerdeführer lebe mit seiner Schwester in Österreich, "sämtliche andere Familienangehörige" wären "aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen in Bosnien-Herzegowina getötet" worden. Eine Ausreise sei für den Beschwerdeführer mit "gravierenden Nachteilen" verbunden, zumal sich "seine Familienangehörigen" in Österreich befänden und er sich weder in Slowenien noch in Kroatien für längere Zeit rechtmäßig aufhalten könne. Der Beschwerdeführer werde in Österreich von seiner Schwester unterstützt, er falle weder dem "österreichischen Staat" zur Last noch habe er in Österreich gegen irgendwelche gesetzlichen Bestimmungen verstoßen.

2.2. Wenn die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangt ist, daß seine Ausweisung im Grunde des § 19 FrG dringend geboten sei, kann dies nicht als rechtswidrig erkannt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt nämlich den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 MRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 1996, Zl. 96/18/0435, mwH). Dieses maßgebliche öffentliche Interesse erfuhr im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer seit seiner - nach Ausweis des Verwaltungsaktes - am 2. Jänner 1994 erfolgten Einreise lediglich, wie im angefochtenen Bescheid zutreffend angenommen, aufgrund eines Sichtvermerksabkommens über eine Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von drei Monaten verfügte und sich danach für einen Zeitraum von etwa sieben Monaten ohne Aufenthaltsberechtigung in Österreich aufhielt, eine erhebliche Beeinträchtigung. Das somit sehr gewichtige öffentliche Interesse an der Ausreise des Beschwerdeführers wird durch seine persönlichen Interessen nicht aufgewogen, ist doch eine (allfällige) Integration des Beschwerdeführers angesichts der insgesamt nur kurzen Dauer seines zum weitaus überwiegenden Teil unrechtmäßigen Aufenthaltes nicht wesentlich zu seinen Gunsten zu veranschlagen. Das Vorbringen, der Beschwerdeführer habe in Österreich nicht gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen und falle dem Staat nicht zur Last, kann an diesem Ergebnis nichts ändern, da diese Umstände weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung des die Ausweisung gebietenden öffentlichen Interesses zur Folge haben (vgl. in diesem Sinne das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1997, Zl. 97/18/0043). Auch der Hinweis, der Beschwerdeführer könne sich nicht für längere Zeit rechtmäßig in anderen Staaten aufhalten, geht ins Leere, wird doch mit der Ausweisung lediglich die Verpflichtung des Fremden begründet, das Bundesgebiet zu verlassen (siehe § 22 Abs. 1 FrG), nicht aber (auch) ausgesprochen, daß er in ein bestimmtes Land auszureisen habe oder daß er (allenfalls) abgeschoben werde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 1997, Zl. 95/18/0721, mwH).

3. Da sich nach dem Gesagten die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

4. Der Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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