VwGH 95/10/0228

VwGH95/10/022817.2.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Mizner und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Suda, über die Beschwerde des K in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 8. Juni 1995, Zl. Senat-PM-94-009, betreffend Übertretung des Lebensmittelgesetzes 1975, zu Recht erkannt:

Normen

LMG 1975 §74 Abs5 Z1;
LMG 1975 §74 Abs6;
LMKV §1 Abs1;
LMKV §3 Z5;
LMKV §6 lita;
LMKV §6 litb sublitaa;
LMKV §6 litb sublitbb;
LMKV §6;
VStG §31 Abs1;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;
VStG §44a Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
LMG 1975 §74 Abs5 Z1;
LMG 1975 §74 Abs6;
LMKV §1 Abs1;
LMKV §3 Z5;
LMKV §6 lita;
LMKV §6 litb sublitaa;
LMKV §6 litb sublitbb;
LMKV §6;
VStG §31 Abs1;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;
VStG §44a Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Strafanzeige der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 5. Mai 1993 wurde bei der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten um Durchführung eines Verwaltungsstrafverfahrens gegen den handelsrechtlichen Geschäftsführer bzw. gegen den für die Einhaltung des Lebensmittelgesetzes Beauftragen der Firma X-Gesellschaft m.b.H. ersucht, weil diesem zur Last liege, daß diese Gesellschaft am 17. November 1992 von ihr verpackte Lebensmittel, und zwar zumindest ein Karton (10,80 kg) "gefülltes Junghendl" zu a 1.200 Gramm (in bunt bedruckten Kartons) durch Lieferung an eine näher bezeichnete Firma in Verkehr gesetzt habe, welche insofern nicht entsprechend den Bestimmungen der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung 1973 (in der Folge: LMKV 1973) gekennzeichnet gewesen seien, als die Angabe des Kennzeichungselements nach § 3 Z. 5 (die Roheinwaage wertbestimmender Bestandteile) gefehlt habe.

Diese Strafanzeige wurde nach Ausmittlung des Beschwerdeführers als handelsrechtlicher Geschäftsführer der genannten Gesellschaft dem Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten (in der Folge: Magistrat) gemäß § 29a VStG abgetreten.

Mit Strafverfügung des Magistrats vom 3. September 1993 wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe als der handelsrechtliche Geschäftsführer der X-Gesellschaft m.b.H. am 17. November 1992 von diesem Standort aus zumindest einen Karton (10,80 kg) des verpackten Lebensmittels "gefülltes Junghendl" zu a 1.200 g in bunt bedruckten Kartons an eine näher bezeichnete Firma angeliefert, somit in Verkehr gesetzt, ohne daß die Roheinwaage wertbestimmender Bestandteile - es handle sich um ein zusammengesetztes Produkt mit einer Füllmasse, bei dem die Angabe des Geflügelfleischanteils (samt Knochen) gefehlt habe - angegeben gewesen sei. Das beanstandete Produkt sei ein verpacktes Lebensmittel im Sinne des § 1 Abs. 2 LMKV 1973 und sei daher gemäß § 1 Abs. 1 dieser Verordnung entsprechend den Bestimmungen dieser Verordnung zu kennzeichnen.

Aufgrund des Einspruches des Beschwerdeführers erging am 6. Oktober 1993 ein Ersuchen des Magistrats an die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten, einen Zeugen einzuvernehmen. In diesem Rechtshilfeersuchen wurde die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Tat mit "Übertretung nach dem Lebensmittelgesetz, laut Akt" bezeichnet.

Mit Straferkenntnis des Magistrats vom 22. März 1994 wurde gegen den Beschwerdeführer der im wesentlichen wortgleiche Tatvorwurf erhoben wie in der Strafverfügung.

Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung erging der Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 8. Juni 1995, mit dem u.a. der Tatvorwurf des erstinstanzlichen Bescheides wie folgt abgeändert wurde:

"Sie sind als handelsrechtlicher Geschäftsführer der X-Gesellschaft m.b.H. dafür verantwortlich, daß diese Gesellschaft (Unternehmenssitz W) am 17.11.1992 zumindest einen Karton des verpackten Lebensmittels "gefülltes Junghendl" in einem bunt bedruckten Karton an die M-Gesellschaft m.b.H. geliefert und somit in Verkehr gebracht hat, obwohl die durch die § 3 Z. 5 Lebensmittelkennzeichnungsverordnung 1973 geforderte Angabe der wertbestimmenden Bestandteile hinsichtlich des Geflügelfleischanteiles (samt Knochen) fehlte."

Die Übertretungsnorm habe zu lauten:

"§ 3 Z. 5 LMKV 1973 in Verbindung mit § 74 Abs. 5 Z. 1 LMG 1975."

Die gegen diesen Bescheid an den Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde wurde dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetreten.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 77 Abs. 1 Z. 19 LMG 1975 bleibt die LMKV 1973 als Bundesgesetz so lange weiter in Geltung, bis ihren Gegenstand regelnde Verordnungen aufgrund dieses Bundesgesetzes in Wirksamkeit getreten sind. Die LMKV 1973 trat daher mit dem Inkrafttreten der LMKV 1993 am 30. Jänner 1993 außer Kraft. Sie ist jedoch zufolge des Tatzeitpunktes (17. November 1992) gemäß § 1 Abs. 2 VStG im vorliegenden Beschwerdefall anzuwenden, weil die mangelhafte Kennzeichnung der in Rede stehenden Waren auch unter Zugrundelegung der LMKV 1993 strafbar wäre und auch die Strafdrohung für derartige Übertretungen nicht geringer ist.

Gemäß § 74 Abs. 5 Z. 1 LMG 1975 macht sich, wer unter anderem der in § 77 Abs. 1 Z. 19 angeführten Verordnung, der LMKV 1973 zuwiderhandelt, soferne die Tat nicht nach den §§ 56 bis 64 oder nach anderen Bestimmungen einer strengeren Strafe unterliegt, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu S 25.000,-- zu bestrafen.

Gemäß § 74 Abs. 6 LMG 1975 ist die Verfolgung einer Person wegen einer der in den Abs. 1 bis 5 angeführten Verwaltungsübertretungen unzulässig, wenn gegen sie binnen Jahresfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung vorgenommen wurde.

Gemäß § 1 Abs. 1 LMKG 1973 sind verpackte Lebensmittel, sofern sie im Inland gewerbsmäßig verkauft, feilgehalten oder sonst in Verkehr gesetzt werden, entsprechend den Bestimmungen dieser Verordnung zu kennzeichnen.

Gemäß § 3 Z. 5 sind Kennzeichnungselemente u.a. die nach metrischem System anzugebende Roheinwaage der wertbestimmenden Bestandteile zum Zeitpunkt der Verpackung.

Gemäß § 6 LMKV 1973 sind - unbeschadet ihrer Verantwortlichkeit gemäß § 7 Abs. 2 und 3 - für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Kennzeichnung von verpackten Lebensmitteln verantwortlich

  1. a) der Verpacker, bei Lohnaufträgen der Auftraggeber und bei Importware der Importeur,
  2. b) andere als in lit. a genannten Personen, die verpackte Lebensmittel im Inland gewerbsmäßig verkaufen, feilhalten oder sonst in Verkehr setzen,
    1. aa) wenn sie nicht darüber Auskunft erteilen oder erteilen können, von wem sie ein bestimmtes verpacktes Lebensmittel erworben haben,
    2. bb) wenn sie verpackte Lebensmittel gekennzeichnet oder deren Kennzeichnung geändert haben.

      Einer Verwaltungsübertretung gemäß § 74 Abs. 5 Z. 1 LMG 1975 durch Zuwiderhandeln gegen die Kennzeichnungspflichten der LMKV 1973 macht sich daher schuldig, wer es unterläßt, im Inland in Verkehr gesetzte verpackte Lebensmittel entsprechend den Bestimmungen dieser Verordnung zu kennzeichnen, obwohl er dazu aufgrund eines der in § 6 LMKV 1973 genannten Umstandes verpflichtet ist.

      Der Beschwerdeführer wendet gegen den angefochtenen Bescheid zunächst ein, die belangte Behörde habe zwar festgehalten, daß die LMKV 1973 in Gesetzesrang erhoben worden sei. Sie habe jedoch mit dieser Feststellung übersehen, daß mangels besonderer Verjährungsbestimmungen in der LMKV die allgemeinen Bestimmungen des VStG anzuwenden seien. Da innerhalb der sechsmonatigen Frist für die Verfolgungsverjährung keine Verfolgungshandlung gesetzt worden sei, sei Verfolgungsverjährung eingetreten. Dies habe die belangte Behörde zu Unrecht nicht beachtet.

      Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, daß die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Zuwiderhandlung gegen die LMKV 1973 eine Verwaltungsübertretung gemäß § 74 Abs. 5 Z. 1 LMG 1975 bildet. Die belangte Behörde ist daher zu Recht von der Geltung der einjährigen Verjährungsfrist des § 74 Abs. 6 LMG 1975 ausgegangen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1992, Zl. 91/10/0059).

      Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den §§ 31 Abs. 1 und 32 Abs. 2 VStG (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. April 1993, Zl. 92/10/0439, und die dort zitierte Vorjudikatur) gelten als verjährungsunterbrechende Verfolgungsschritte alle Handlungen der Behörde, die nach Art und Bedeutung die Absicht der Behörde zum Ausdruck bringen, den gegen eine bestimmte Person wegen einer bestimmten Tat bestehenden Verdacht auf eine im VStG vorgeschriebene Weise zu prüfen, wobei eine Verfolgungshandlung nur dann die Verjährung unterbricht, wenn sie sich auf alle der Bestrafung zugrundeliegenden Sachverhaltselemente bezogen hat. Der Beschuldigte muß in die Lage versetzt sein, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu bekämpfen und zu den Sachverhaltselementen, die als für den Ausgang des Strafverfahrens maßgebend zu betrachten sind, Beweisanträge zu stellen und den Tatvorwurf insoweit zu widerlegen.

      Diese Voraussetzung erfüllt in Ansehung des den Beschwerdeführer angelasteten Verstoßes gegen das Gebot des § 1 Abs. 1 LMKV 1973 das sich (auch) auf die Strafanzeige der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn beziehende Rechtshilfeersuchen vom 6. Oktober 1993. Denn dieses bringt - im Gesamtzusammenhang - den Tatvorwurf zum Ausdruck, der Beschwerdeführer habe es zu verantworten, daß ein von der Firma M. verpacktes Lebensmittel ohne entsprechende Kennzeichnung in Verkehr gesetzt worden sei. Anders als die Strafverfügung vom 3. September 1993 bezieht es sich somit auch auf jene Tatsachen, die im Sinne des § 6 LMKV 1973 die Verantwortlichkeit für die Kennzeichnung bewirken. Es wurde daher innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist eine die Verjährung ausschließende Verfolgungshandlung gesetzt.

      Der Beschwerdeführer wendet weiters ein, es sei ihm "zu keiner Zeit" vorgeworfen worden, gegen die Kennzeichnungspflicht nach der LMKV als Verpacker verstoßen zu haben. Auch habe das Verfahren diesbezüglich keinerlei Anhaltspunkt ergeben.

      Zwar steht diese Beschwerdebehauptung - wie dargelegt - im Widerspruch zum Verwaltungsgeschehen; der Einwand des Beschwerdeführers, es sei Verfolgungsverjährung eingetreten, ist demnach unzutreffend. Dennoch ist die Beschwerde im Ergebnis berechtigt:

      Gemäß § 44a Z. 1 VStG hat der Spruch eines Strafbescheides die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten.

      Dieser Vorschrift ist dann entsprochen, wenn im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschwerdeführer die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen wird, daß er einerseits in der Lage ist, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen und andererseits davor geschützt ist, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5 (1996), 996 f, referierte hg. Judikatur).

      Diesem Erfordernis wird allerdings der Tatvorwurf, ein verpacktes Lebensmittel ohne eine der LMKV entsprechende Kennzeichnung in bestimmter Art und Weise in Verkehr gesetzt zu haben, für sich alleine nicht gerecht, wenn dieses Verhalten nur unter einer weiteren Voraussetzung, nämlich dieses Lebensmittel entweder verpackt oder importiert (§ 6 lit. a LMKV 1973) oder eine sonstige Handlung oder Unterlassung im Sinne des § 6 lit. b sublit. aa oder lit. b sublit. bb LMKV 1973 gesetzt zu haben, den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung bildet.

      Der somit ein wesentliches Tatbestandsmerkmal nicht beinhaltende Tatvorwurf im angefochtenen Bescheid belastet diesen mit Rechtwidrigkeit seines Inhaltes. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

      Aus Gründen der Verfahrensökonomie sieht sich der Verwaltungsgerichtshof noch veranlaßt, für das fortgesetzte Verfahren darauf hinzuweisen, daß § 44a Z. 2 VStG die Zitierung der Verwaltungsvorschrift verlangt, gegen die mit der Tat verstoßen wurde. Diesem Gebot wäre allerdings dadurch, daß neben § 74 Abs. 5 Z. 1 LMG lediglich § 3 Z. 5 LMKV 1973 zitiert wird, nicht aber auch § 1 Z. 1 dieser Verordnung, welcher Bestimmung überhaupt erst ein Kennzeichnungsgebot, gegen das verstoßen werden kann, zu entnehmen ist, nicht ausreichend entsprochen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1992, Zl. 92/10/0184).

      Die Entscheidung über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte