Normen
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am 21. Dezember 1991 in das Bundesgebiet ein. Am 23. Dezember 1991 beantragte er, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner am 10. Jänner 1992 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, er gehöre zur kurdischen Minderheit. Er sei alevitischen Glaubens. Er habe seine Religion nicht frei ausüben können. Die alevitischen Kurden würden in der Türkei am schlechtesten behandelt, als Gottlose angesehen und ständig beschimpft. In Elazig herrsche seit Jahren Ausnahmezustand, überall in den Straßen sei das Militär unterwegs. Es würden ständig Ausweiskontrollen durchgeführt und Hausdurchsuchungen vorgenommen. Der Bruder des Beschwerdeführers sei ein Jahr vor dessen Flucht von Soldaten festgenommen und gefoltert worden; er leide seither an einem Hüftleiden. Etwa vier Monate vor der Flucht sei der Beschwerdeführer selbst in Elazig von Soldaten angehalten worden, als er mit kurdischen Freunden unterwegs gewesen sei. Sie hätten sich alle auf den Boden legen müssen und seien sodann mit Füßen getreten worden. Anschließend hätten die Soldaten sie in einem Geländewagen zu einem Friedhof gebracht und gedroht, sie würden auf diesem Friedhof landen, wenn sie sich weiterhin zum Kurdentum bekennten. Schon vor Jahren sei die Familie des Beschwerdeführers aus dem Dorf vertrieben und das Dorf als Militärsperrgebiet erklärt worden. Es sei den Kurden nicht erlaubt, kurdische Musik zu hören. Aus den angeführten Gründen habe er sich entschlossen, seine Heimat zu verlassen. Es gebe in seiner Heimat keine Zukunft. Vor seiner Ausreise habe er in Istanbul einen Koffer mit persönlichen Gegenständen verloren, in dem sich auch Gedichte in kurdischer Sprache, die von ihm geschrieben worden seien, befunden hätten. Dieser Koffer sei sichergestellt worden. Aus diesem Grunde werde er in der Türkei auch gesucht. Zu seiner Reisebewegung gab der Beschwerdeführer anläßlich dieser Befragung an, er sei mit einem gültigen türkischen Reisepaß Mitte Dezember 1991 nach Istanbul gefahren und habe dort mit einer Schlepperorganisation Kontakt aufgenommen. Ein Schlepper sei gegen Bezahlung von
3.300 DM bereit gewesen, ihn illegal nach Österreich zu bringen. Vor Antritt der Reise habe er die Hälfte des ausgemachten Betrages an den Busfahrer bezahlt. Am 18. Dezember 1991 sei er über Bulgarien nach Rumänien eingereist. Nach kurzem Aufenthalt in Rumänien seien sie nach Ungarn weitergefahren, wobei er während des Grenzübertrittes sich gemeinsam mit anderen illegalen Ausreisenden im Gepäckraum des Busses versteckt gehalten habe. Am 21. Dezember 1991 seien sie nach Österreich eingereist, wobei der Grenzübertritt auf die gleiche Weise erfolgt sei wie von Rumänien nach Ungarn.
Mit Formularbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 6. Februar 1992 wurde ohne näheres Eingehen auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fluchtgründe festgestellt, daß er die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.
In der dagegen gerichteten Berufung bemängelte der Beschwerdeführer die Begründung des bekämpften Bescheides und ergänzte den von ihm geschilderten Sachverhalt dahingehend, Kurden in der Türkei stünden einer siebzigjährigen Assimilation und einer Politik des Genozids gegenüber. Die Existenz und (die) von internationalen Organisationen beschlossenen Rechte (offenbar gemeint: Grund- und Menschenrechte) würden Kurden nicht gewährt. Jede Bestrebung gegen diese Politik werde durch Verfassung und Strafgesetz aufs strengste geahndet. Wissenschaftler, Politiker, Arbeiter, Bauern und Jugendliche seien daher einer brutalen Verfolgung ausgesetzt. Auch er selbst sei mit dieser Politik nicht einverstanden gewesen und habe in seiner Heimat versucht, sich auf demokratische und friedliche Weise dagegen zu wehren. Daher seien sie auch aus ihrem Heimatdorf deportiert worden, hätten einer Verfolgung aber nicht entgehen können. Es sei ihm nichts anderes übriggeblieben als das Land zu verlassen und unter schwierigen Bedingungen nach Österreich zu fliehen.
Mit Bescheid vom 11. Oktober 1993 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, Österreich gewähre ihm kein Asyl. Er habe wohlbegründete Furcht vor konreter Verfolgung im Verfahren nicht geltend machen können.
Infolge der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 10. Oktober 1994, Zl. 94/20/0220, diesen Bescheid wegen
Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit dessen Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92,93/94) auf, sodaß das Berufungsverfahren neuerlich bei der belangten Behörde anhängig wurde.
Entsprechend der in diesem Erkenntnis vertretenen Rechtsansicht räumte die belangte Behörde mit Manuduktionsschreiben vom 26. Juni 1995 dem Beschwerdeführer die Möglichkeit ein, "einfache Verfahrensmängel und daraus etwa folgende Sachverhaltsfeststellungen" zu relevieren und hielt ihm unter einem gemäß § 45 Abs. 3 AVG vor, es sei ihm jedenfalls während seines Aufenthalts in Rumänien und Ungarn möglich gewesen, bei den dortigen Behörden um Asyl anzusuchen, da beide Staaten Mitgliedstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention seien und "nichts dafür spreche", daß diese Staaten die sich aus dieser Mitgliedschaft ergebenden Pflichten etwa vernachlässigten. Dabei verwies die belangte Behörde auf die von ihr bereits mehrfach ins Treffen geführte "Stellungnahme" des UNHCR vom 4. Juli 1994, wonach auch für außereuropäische Asylwerber auf Grund einer informellen Vereinbarung zwischen dem UNHCR und der ungarischen Regierung in diesem Lande Rück- bzw. Abschiebeschutz genossen hätten. Im übrigen hielt sie dem Beschwerdeführer das Vorliegen einer "inländischen Fluchtalternative, insbesondere in Istanbul" vor.
Mit Schreiben vom 11. Juli 1995 bestritt der Beschwerdeführer das Vorliegen einer Stellungnahme des UNHCR mit dem von der belangten Behörde zitierten Inhalt und bestritt aus diesem Grunde auch unter Hinweis auf ein von ihm vorgelegtes Schreiben der Caritas Österreich vom 31. März 1995 das Vorliegen einer Verfolgungssicherheit in Ungarn. Darüber hinaus brachte er zu der von der belangten Behörde angenommenen Verfolgungssicherheit in Rumänien vor, an den faktischen Strukturen in Rumänien hätte sich nichts geändert, Rumänien
habe sich lediglich eine nach außen hin gut aussehende Verfassung gegeben. Auf jeden Fall habe zum Zeitpunkt seiner Flucht in Rumänien keine Verfolgungssicherheit bestanden. Der Hinweis, Rumänien sei Mitglied der Flüchtlingskonvention, gehe insofern ins Leere, als nicht auf die Rechtslage, sondern auf die faktische Situation abzustellen sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers (neuerlich) gemäß § 66 Abs. 4 AVG infolge Verneinung der Flüchtlingsgeigenschaft des Beschwerdeführers im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 sowie Annahme der Verfolgungssicherheit im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. in Rumänien und Ungarn ab.
Zur Verneinung der Flüchtlingseigenschaft verwies sie im wesentlichen auf ihren (Vor-)Bescheid vom 11. Oktober 1993 und ergänzte, den vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfällen mangle die erforderliche Intensität. Im übrigen hielt sie ihm - wie schon im schriftlichen Vorhalt - das Vorliegen einer "inländischen Fluchtalternative" entgegen.
Dem erwidert der Beschwerdeführer nunmehr in der Beschwerde, er als Kurde sei in der Türkei einer systematischen Gruppenverfolgung ausgesetzt, auch die Tatsache einer Benachteiligung der alevitischen Glaubensgemeinschaft könne mit dem bloßen Hinweis auf die verfassungsrechtliche Situation bzw. den prozentualen Bevölkerungsanteil dieser Glaubensgemeinschaft nicht ausreichend beantwortet werden. Die geltend gemachte Anhaltung des Beschwerdeführers durch Soldaten im Zusammenhang mit den schweren Mißhandlungen und die gegen ihn ausgesprochene Drohung mache eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft. In dieses Gesamtbild einzufügen sei auch die Sicherstellung seines Koffers mit den von ihm verfaßten kurdischen Gedichten. Die vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren bestrittene "inländische Fluchtalternative" entbehre entsprechender Sachverhaltsfeststellungen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde erwogen:
Die belangte Behörde beantwortet die inhaltlichen Argumente des Beschwerdeführers gegen das Vorliegen einer Verfolgungssicherheit sowohl in Ungarn als auch in Rumänien lediglich mit dem standardisierten Satz, es sei "durchaus legitim", "davon auszugehen, daß in einem Staat, dessen Rechts- und Verfassungsordnung im großen und ganzen effektiv ist, wie das für Rumänien ja gilt, auch größere Teilbereiche dieses Rechtsbestandes, wie eben das Nonrefoulementrecht ebenfalls effektiv in Geltung stehen." Daß eine derartige Vermutung - insbesondere bei argumentativer Bestreitung derselben - als Begründungselement nicht ausreicht, sondern es entsprechend konkreter Feststellungen auf Grund zeitbezogener Ermittlungen bedarf, wurde bereits im hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179, ausführlich dargelegt. Die Annahme einer Verfolgungssicherheit in Rumänien entbehrt daher einer der Sache entsprechenden Begründung. Dasselbe gilt für die Annahme einer Verfolgungssicherheit in Ungarn, da - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat - auch der Verweis auf die "Stellungnahme" des UNHCR vom 4. Juli 1994 dem deutschen Bundesverfassungsgericht gegenüber, die aus ihrer Diktion erkennbar lediglich auf einen gegenwärtigen (also Juli 1994), nicht jedoch auf einen davor liegenden Zeitraum abgestellt (insbesondere nicht auf den hier relevanten Zeitraum im Dezember 1991), keine ausreichende Begründung darstellt. Auch hier hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit Ermittlungs- und Begründungsmängeln belastet.
Die unzutreffende Annahme einer Verfolgungssicherheit allein vermag jedoch der Beschwerde noch nicht zum Erfolg zu verhelfen, kommt es doch auch (kumulativ) auf die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers im Sinn des § 1 Z. 1 AsylG 1991 an.
Da - von einem Begründungsmangel im Sinne des § 60 AVG abgesehen - in der Berufung bzw. Berufungsergänzung keine Verfahrensverletzungen des Verfahrens erster Instanz geltend gemacht wurden und solche auch dem Akt nicht zu entnehmen sind, ist bei Beurteilung der Frage nach der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers von dessen Angaben im Verfahren erster Instanz im Sinne des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 auszugehen. In diesem Zusammenhang zutreffend hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer jedoch bereits entgegengehalten, daß der Diskriminierung alevitischer Kurden durch schlechte Behandlung und Beschimpfung sowie den alle Bürger der betroffenen Gegenden treffenden Beschränkungen durch die Ausrufung des Ausnahmezustandes die asylrelevante Intensität einer dem Staat zurechenbaren individuellen Verfolgung fehlt. Diese im wesentlichen alle (alevitischen) Kurden treffenden Beeinträchtigungen und Belästigungen erhalten erst dort Gewicht, wo sie im Rahmen einer Gesamtschau den Hintergrund für weitere, den Einzelfall charakterisierende und den Asylwerber individuell betreffende Vorfälle bilden. Individuell auf seine Person bezogen hat der Beschwerdeführer anläßlich seiner Ersteinvernahme angegeben, vier Monate vor seiner Flucht von Soldaten gemeinsam mit anderen jungen Kurden angehalten, mit Füßen getreten und im weiteren durch eindeutige Symbolik MIT DEM TOD BEDROHT WORDEN ZU SEIN. Hinzu kommt die durch die Erfahrungen seines Bruders subjektiv verständliche Angst des Beschwerdeführers, auf Grund der in dem zunächst verlorenen, dann sichergestellten Koffer aufgefundenen, von ihm verfaßten kurdischen Gedichte von den türkischen Behörden zur Rechenschaft gezogen zu werden. Dies alles zusammengenommen könnte ein Bild ergeben, von dem nicht von vornherein gesagt werden kann, ihm fehle mangels der erforderlichen Intensität und Schwere des befürchteten Eingriffes die Asylrelevanz. Besteht aber die Möglichkeit, daß der Beschwerdeführer auf
Grund der von ihm verfaßten prokurdischen Gedichte Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre - wie bereits in 1. Instanz vorgebracht -, kann nicht ohne weitere Ermittlungsergebnisse davon ausgegangen werden, daß sich dies lediglich auf seine engere Heimat (Elazig), nicht jedoch auf den gesamten Heimatstaat bezöge. Die Annahme einer inländischen Fluchtalternative vermag in diesem Zusammenhang - ohne Wiederlegung der erstinstanzlichen Behauptungen - jedenfalls nicht zu überzeugen.
Da die belangte Behörde ihren Bescheid daher mit Ermittlungs- und Begründungsmängeln behaftete, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/1994.
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