VwGH 95/20/0535

VwGH95/20/053524.10.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des A in R, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. August 1995, ZL. 4.346.927/2-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §8 Abs1;
AVG §45 Abs3;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §8 Abs1;
AVG §45 Abs3;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und reiste am 12. Juli 1995 in das Bundesgebiet ein. Am 24. Juli 1995 beantragte er, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner am 26. Juli 1995 vor dem Bundesasylamt erfolgten niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an:

"Mein Vater war hoher Offizier bei der irak. Armee und wir beide waren aktive Mitglieder der BAATH-Partei vom Jahre 1987 bis zum Jahre 1991.

Schließlich kam es zum Kurdenaufstand im Nordirak (März 1991), wo ich in den Iran floh und anschließend wiederum nach Suleymania zurückkehrte. Wir beschlossen nicht mehr dieser Partei angehören zu wollen. Die Regierungsleute baten uns in der Folge immer wieder der Regierungspartei beizutreten. Sie bedrohten dabei meinen Vater mit dem Umbringen. Er war bis zum Schluß, also vom Jahre 1992 bis 23.10.1994, also seiner Ermordung an der Militärakademie tätig.

Als mein Vater am 23.10.1994 auf sein Dienstfahrzeug wartete, wurde dieser aus einem anderen PKW erschossen.

Am nächsten Tag bekam ich einen Anruf von der BAATH-Partei und man teilte mir mit, daß dieses Schicksal auch uns ereilen könnte, falls ich nicht Mitglied werden würde. Am 27.10.1994 verließ ich Suleymania fluchtartig.

Nunmehr werde ich befragt, weshalb ich mich nicht an die Sicherheitsorgane in der autonomen Kurdenzone gewandt habe, führe ich an, daß dort die Kurden selbst gespalten sind und es Agenten der BAATH-Partei dort gibt. Daher konnte mich niemand beschützen. Dies sieht man, da mein Vater in der autonomen Zone von BAATH-Parteimitgliedern ermordet wurde.

Zur Frage, ob ich während meines weiteren Aufenthaltes in DAHOUK Probleme hatte, führe ich an, daß mein Leben in der Autonomen Zone in Gefahr ist, egal ob in Dahouk oder anderswo.

Zur Frage, weshalb ich im Jahr 1991 in den Iran floh, wonach ich doch Mitglied der Regierungspartei war, führe ich an, daß wir bereits seit längerer Zeit die Partei verlassen wollten. Im Zuge dieses Aufstandes konnten wir aus der Kontrolle der Iraker entfliehen."

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. Juli 1995 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen, weil die Behörde sowohl die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 verneinte als auch vom Vorliegen des Asylausschließungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 ausging, weil der Beschwerdeführer über die Türkei und Ungarn, Mitgliedstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention, eingereist sei und dort bereits Verfolgungssicherheit erlangt habe.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er im wesentlichen seine bisherige Darstellung der von ihm geltend gemachten Fluchtgründe bekräftigte und hinsichtlich des Vorliegens seiner Flüchtlingseigenschaft auf den "AI-Bericht 1995 über das Jahr 1994", hinsichtlich der von der Behörde angenommenen Verfolgungssicherheit auf ein "Gutachten des UNHCR zur Verfolgungssicherheit in den angenommenen Drittländern" sowie ein einzuholendes Gutachten des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte bezogen auf irakische Flüchtlinge verwies. Überdies legte er seiner Berufung den AI-Bericht über das Jahr 1994 sowie die Stellungnahme des UNHCR zur Verfolgungssicherheit in Ungarn betreffend außereuropäische Flüchtlinge in Kopie bei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Sie begründete ihre abweisende Entscheidung nach Darstellung des Verfahrensganges und Darlegung der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage dahingehend, der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft machen können, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden. Die von ihm geschilderten Vorfälle gegen seinen Vater könnten keine Berücksichtigung finden, da asylrelevant lediglich Umstände seien, die die Person des Asylwerbers unmittelbar beträfen und daher Ereignisse gegen deren Familienmitglieder und andere Personen nicht den gewünschten Verfahrensausgang bewirken könnten. Dem Vorbringen sei auch die dem Begriff der Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. des Asylgesetzes 1991 eigene Intensität und Qualität des behaupteten Eingriffs in die zu schützende Rechtssphäre durch den Staat bzw. seine Organe nicht zu entnehmen gewesen. Es müßten konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden. Der vom Beschwerdeführer geschilderte Telefonanruf, in welchem ihm mit dem Tod gedroht worden sei, falls er die Zusammenarbeit mit der BAATH-Partei verweigern würde, stelle lediglich eine Behauptung dar, die "keinesfalls als ausreichend angesehen werden" könnte. Dem fügte die belangte Behörde hinzu:

"Würde es bereits genügen, wenn das Vorliegen von derartigen aus subjektiver Sicht betrachteten asylrelevanten Umständen abstrakt möglich wäre, also nicht mit Sicherheit ausgeschlossen ist, so könnte von Beweiswürdigung im eigentlichen Sinne wohl kaum gesprochen werden."

Ebenso habe der Beschwerdeführer für den Zeitraum seines Aufenthaltes in der Stadt Dohuk, die in der autonomen Kurdenzone des Irak liege, lediglich oberflächlich behauptet, sein Leben sei in Gefahr, egal wo im Irak er seinen Aufenthalt habe. Die belangte Behörde verwies im wesentlichen darauf, die Alliierten des Golfkrieges hätten im März 1991 nördlich des 36. Breitengrades eine Sicherheitszone eingerichtet, die von den Kurden autonom verwaltet werde und in der die Gefahr einer individuellen Verfolgung durch irakische Behörden ausgeschlossen sei. Die Verfolgung bzw. die Furcht davor müsse sich jedoch auf das gesamte Gebiet des Heimatstaates erstrecken. Dies könne im Falle des Beschwerdeführers nicht zutreffen, da er für den Zeitraum seines Aufenthaltes in der "Kurdenzone" des Nordirak konkrete, asylrelevante und individuelle Verfolgungshandlungen nicht habe nennen können. Zu den von ihm geschilderten Vorfällen vor Oktober 1991 müsse festgestellt werden, daß die von ihm geltend gemachten Umstände schon längere Zeit vor seiner Ausreise aus dem Irak zurücklägen und daher nicht mehr im asylrechtlichen Sinne beachtlich seien, da wohlbegründete Furcht vor Verfolgung bis zur Ausreise andauern müsse. Vielmehr habe der Beschwerdeführer sogar behauptet, von den türkischen Behörden in den Irak abgeschoben worden zu sein, ohne daß dies Verfolgungshandlungen, welche auf eine Bestrafung wegen angeblicher "Flucht" ins Ausland hätten schließen lassen können und deren Asylrelevanz zu klären gewesen wäre, nach sich gezogen hätte.

Auf das Vorliegen von Verfolgungssicherheit im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 ging die belangte Behörde nicht mehr ein. Sie führte des weiteren aus:

"Von der erkennenden Behörde konnte keine Mangelhaftigkeit im erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren festgestellt werden, weshalb Ihrer Forderung nach einer Ergänzung eines solchen gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 i.d.g.F. nicht nachzukommen war.

... näher war auf Ihr Berufungsvorbringen gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 i.d.g.F. nicht einzugehen."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, daß - wie der Verwaltungsgerichtshof nunmehr wiederholt ausgesprochen hat - das von einem Asylwerber geschilderte Einzelschicksal jeweils vor dem Hintergrund der gesamtpolitischen Verhältnisse seines Heimatlandes einer Beurteilung zu unterziehen ist und daher nicht generell den Hinweisen auf Länderberichte des UNHCR bzw. AI sowie anderen Dokumentationen gleicher Qualifikation jegliche Bedeutung für die Entscheidung des Einzelfalles von vornherein abgesprochen werden kann. Die belangte Behörde hat die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen lediglich einer Detailbeurteilung unterzogen, ohne die von ihm im einzelnen geltend gemachten Umstände miteinander sinnhaft zu verknüpfen. Hätte sie dies getan, ergäbe sich - bei Zutreffen der Angaben des Beschwerdeführers - aus der gegen ihn gerichteten telefonischen Morddrohung in Verbindung mit der unmittelbar zuvor stattgefundenen Ermordung seines Vaters im Zusammenhalt mit dessen sowie seiner eigenen Stellung ein gänzlich anderes, durchaus asylrelevantes Bild. Der belangten Behörde kann auch nicht darin beigepflichtet werden, wenn sie meint, der "lediglich" telefonischen Morddrohung fehle es an der dem Begriff der Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention innewohnenden erheblichen Intensität und Qualität, setzt die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetzes 1991 doch nicht voraus, daß der Asylwerber die von ihm befürchteten Verfolgungshandlungen auch tatsächlich abwarten muß. Der sich weiters daran anschließende Exkurs zur "Beweiswürdigung" ist nicht nachvollziehbar, sodaß sich ein Eingehen darauf erübrigt.

Insoweit die belangte Behörde entgegen den Darstellungen des Beschwerdeführers in erster Instanz und in der Berufung dennoch davon ausgeht, die "autonome Kurdenzone" im Irak sei eine ihm mit Erfolg entgegenzuhaltende "inländische Fluchtalternative", verweist der Beschwerdeführer zutreffend darauf, daß sie aufgrund seiner diesbezüglichen Berufungsausführungen, die eben dies begründet in Abrede stellen, gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 ein ergänzendes Ermittlungsverfahren anzuordnen gehabt hätte. Im übrigen enthält der angefochtene Bescheid für die darin enthaltene Feststellung, eine Gefahr einer individuellen Verfolgung durch irakische Behörden sei in diesem Gebiet "ausgeschlossen", keine Begründung, geschweige denn eine Auseinandersetzung mit dem gegenteiligen Vorbringen des Beschwerdeführers.

Insoweit die belangte Behörde den lediglich illustrativ geschilderten Vorfällen vor Oktober 1994 den mangelnden zeitlichen Zusammenhang mit der Flucht des Beschwerdeführers entgegenzuhalten zu können glaubt, unterliegt sie auch hier einer unvollkommenen Detailsicht.

Auch allein aus der Tatsache mangelnder Verfolgungshandlungen im Zeitraum zwischen der Rückschiebung aus der Türkei (April 1995) und dem neuerlichen Fluchtversuch (Mai 1995) läßt sich ohne nähere Konkretisierung nicht auf eine mangelnde Asylrelevanz der vom Beschwerdeführer sonst geltend gemachten Fluchtgründe schließen.

Der angefochtene Bescheid erweist sich mangels der gebotenen Gesamtschau als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Beschwerdeführer wendet sich aber auch gegen die "Nichtgewährung einer befristeten Aufenthaltsbewilligung nach § 8 Asylgesetz. Seine diesbezüglichen Ausführungen gehen schon insofern ins Leere, als die Behörde über den "Antrag" des Beschwerdeführers im Sinn des § 8 Asylgesetz 1991 nicht spruchmäßig entschieden, sondern nur die Begründung ihrer Berufungsentscheidung durch den Hinweis ergänzt hat, der "Anregung" des Beschwerdeführers könne nicht entsprochen werden, da hiefür die rechtlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Im übrigen kann zu der nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlenden Möglichkeit einer Rechtsverletzung durch ein nicht näher begründetes Absehen von der Erteilung einer Berechtigung nach § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1991 auf die Erkenntnisse vom 19. Dezember 1995, Zl. 95/20/0543, vom 28. November 1995, Zl. 95/20/0033, vom 10. Oktober 1995, Zl. 94/20/0800, jeweils mit weiteren Nachweisen, verwiesen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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