VwGH 95/12/0154

VwGH95/12/015430.9.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Riedinger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Leitner, über die Beschwerde des J in L, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 4. Mai 1995, Zl. 1-021887/18-95, betreffend Versetzung in den zeitlichen Ruhestand, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §52;
BDG 1979 §14 Abs1 Z1;
BDG 1979 §14 Abs3;
DP §76 Abs2 Z1;
DP §76 Abs4;
DP/Stmk 1974 impl;
AVG §37;
AVG §52;
BDG 1979 §14 Abs1 Z1;
BDG 1979 §14 Abs3;
DP §76 Abs2 Z1;
DP §76 Abs4;
DP/Stmk 1974 impl;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1938 geborene Beschwerdeführer steht als Oberoffizial in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Steiermark; bis zu der im Zuge des vorliegenden Verfahrens verfügten "Innendienstverwendung" war der Beschwerdeführer als Kraftwagenlenker bei der Bezirkshauptmannschaft X eingesetzt.

Nach den vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens hatte der Beschwerdeführer bereits mit 16. Februar 1993 seine Versetzung in den zeitlichen Ruhestand beantragt. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 18. Juni 1993 von der belangten Behörde als unbegründet abgewiesen.

Mit Schreiben vom 5. Dezember 1994 ersuchte der Beschwerdeführer unter Vorlage eines privatärztlichen Gutachtens und mit dem Hinweis auf die Verschlechterung seines Leidenszustandes neuerlich um Versetzung in den zeitlichen Ruhestand.

Anläßlich einer Untersuchung am 15. März 1995 konnte der arbeitsmedizinische Gutachter Dr. W "keine gesundheitliche Beeinträchtigung mehr" feststellen; er erklärte das "Leistungskalkül" des orthopädischen Gutachters Dr. P vom 22. April 1994 (richtig wohl 1993) als weiter aufrecht, bezeichnete den Beschwerdeführer für die Tätigkeit als Kraftwagenfahrer für dienstfähig und stellte ein ausführliches Gutachten, das sich aber nicht bei den Verwaltungsakten befindet, in Aussicht. Im Zuge des Parteiengehörs wurde der Beschwerdeführer auf Grundlage dieser ärztlichen Aussage aufgefordert, seinen Dienst anzutreten. Dem kam der Beschwerdeführer - unter Vorlage eines "ärztlichen Zeugnisses über die Dienstunfähigkeit" - nicht nach.

Schließlich wurde von der belangten Behörde neuerlich ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. P eingeholt, der auch in dem mit Bescheid vom 18. Juni 1993 abgeschlossenen Ruhestandsverfahren als Gutachter tätig war.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Versetzung in den zeitlichen Ruhestand gemäß § 76 Abs. 2 Z. 1 der Dienstpragmatik in der Fassung LGBl. Nr. 98/1993 ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde nach kurzer Darstellung des Antrages des Beschwerdeführers im wesentlichen weiter aus, dieser Antrag sei zum Anlaß genommen worden, ein arbeitsmedizinisches Gutachten von Dr. W einzuholen. Anläßlich der am 15. März 1995 erfolgten arbeitsmedizinischen Untersuchung habe der genannte Gutachter keine gesundheitliche Beeinträchtigung feststellen können. Darüberhinaus habe sich herausgestellt, daß der Beschwerdeführer zu dieser Zeit auch keine ärztliche Behandlung beansprucht habe. Das Leistungskalkül, welches Dr. P anläßlich eines im Jahre 1993 eingeholten Gutachtens erstellt habe, sei nach Aussage des Arbeitsmediziners weiterhin aufrecht. Demnach sei der Beschwerdeführer nach Ansicht des Arbeitsmediziners voll dienstfähig. Was die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Kraftwagenlenker anlange, so seien ihm Fahrten für die Dauer von zwei Stunden zumutbar, die anschließend durch eine 10- bis 15-minütige Pause zu unterbrechen seien.

Im Zuge des Parteiengehörs habe der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, daß es ihm als Kraftfahrer der Bezirkshauptmannschaft X nicht möglich sei, diese Arbeitszeiten einzuhalten. Durch eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes sei ein längeres Sitzen im Dienstkraftwagen unerträglich und die 10- bis 15-minütige Pause verschaffe ihm keine Linderung.

Im Hinblick auf diese Ausführungen sei zusätzlich ein orthopädisches Gutachten eingeholt worden, wobei abermals Dr. P mit der Begutachtung betraut worden sei. Das orthopädische Gutachten, welches anläßlich der am 19. April 1995 erfolgten Untersuchung erstellt worden sei, liege nunmehr vor. Dem Sachverständigen seien neben dem Ansuchen des Beschwerdeführers und seiner Stellungnahme vom 27. März 1995 auch der Befund des behandelnden Hausarztes des Beschwerdeführers vorgelegen. Nach eingehender Begutachtung "von Kopf, Hals, Schultergürtel und obere Extremität beiderseits, Rumpf und untere Extremität" habe der Sachverständige zusammenfassend festgestellt:

"Zusammenfassend handelt es sich bei dem Patienten um altersgemäße degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule mit daraus resultierendem Cervikalsyndrom, welches jedoch behandelbar ist, altersgemäßen degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule, einem röntgenologisch nachgewiesenen lumbalen Morbus Scheuermann, rezidivierenden Lendenwirbelsäulenbeschwerden, beginnenden degenerativen Veränderungen an beiden Kniegelenken, einem Senk-Spreiz-Fuß bds. sowie beginnendem Hallux rigidus bds.

Aufgrund der erhobenen Befunde hat sich im Leistungskalkül gegenüber dem orthopädischen Gutachten vom 22.4.1993 keine Änderung ergeben.

Aus orthopädischer Sicht, ist die Verwendung im Innendienst durchaus zumutbar, während die Verwendung als Kraftwagenlenker zu vermehrten Beschwerden führen würde und dies vermehrte Krankenstände nach sich ziehen würde. Eine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand ist nicht nötig."

Die belangte Behörde führt dann in der Begründung des angefochtenen Bescheides weiter aus, unter Dienstunfähigkeit sei nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die durch körperlich oder geistige Unzulänglichkeit bedingte Unfähigkeit des Beamten, den Dienstobliegenheiten nachkommen zu können, zu verstehen. Ob eine bleibende Unfähigkeit des Beamten, seinen Dienstobliegenheiten ordnungsgemäß nachzukommen, vorliege oder nicht, stelle eine ausschließlich von der Behörde zu entscheidende Rechtsfrage dar, bei deren Lösung sich die Behörde - soweit medizinische Fachfragen berührt werden - eines ärztlichen Sachverständigen zu bedienen habe.

Der Dienstbehörde sei ein arbeitsmedizinisches und ein orthopädisches Gutachten vorgelegen. Beide Sachverständigen hätten keinen "Krankheitswert" feststellen können, der eine Versetzung in den zeitlichen Ruhestand rechtfertigen würde. Diese Gutachten seien schlüssig und von der Behörde bei der Entscheidung der Rechtsfrage, ob beim Beschwerdeführer eine bleibende Unfähigkeit, seine Dienstobliegenheiten weiterhin ordnungsgemäß zu versehen, vorliege oder nicht, zugrunde gelegt worden. Beide Gutachten hätten die Dienstfähigkeit des Beschwerdeführers festgestellt. Dr. P habe die Aussage des Arbeitsmediziners nur insofern eingeschränkt, als er darauf hingewiesen habe, daß die Verwendung des Beschwerdeführers als Kraftwagenlenker zu vermehrten Beschwerden und Krankenständen führen könnte. Nach Ansicht der Dienstbehörde liege aber der Grund dafür weniger bei einer gesundheitlichen Beeinträchtigung des Beschwerdeführers, sondern vielmehr in seiner subjektiven Einstellung. Das Verhalten des Beschwerdeführers in letzter Zeit habe gezeigt, daß er offensichtlich nicht geneigt sei, "volle Arbeitsleistung" zu erbringen. Da der Beschwerdeführer nach Vorliegen des arbeitsmedizinischen Gutachtens hartnäckig die Ansicht vertreten habe, nicht in der Lage zu sein, als Kraftwagenlenker seinen Dienst zu versehen und trotz festgestellter Dienstfähigkeit immer wieder in den "Krankenstand" getreten sei, werde er nunmehr im Innendienst verwendet. Daß die Verwendung im Innendienst für ihn zumutbar sei, habe das orthopädische Gutachten bestätigt. Im Hinblick auf dieses Ermittlungsergebnis liege jedenfalls eine Dienstunfähigkeit, die eine Versetzung in den zeitlichen Ruhestand gemäß § 75 (richtig wohl § 76) der Dienstpragmatik rechtfertigen würde, nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung begehrt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 2 Abs. 1 des Stmk. Landesbeamtengesetzes, LGBl. Nr. 124/1974, gilt für Landesbeamte die Dienstpragmatik 1914. Der Beamte ist nach § 76 Abs. 2 Z. 1 der Dienstpragmatik 1914, in der Fassung LGBl. Nr. 98/1993, in den zeitlichen Ruhestand zu versetzen, wenn er dauernd dienstunfähig ist. Nach Abs. 4 dieser Bestimmung ist der Beamte dienstunfähig, wenn er infolge seiner körperlichen oder geistigen Verfassung seine dienstlichen Aufgaben nicht erfüllen und ihm kein mindestens gleichwertiger Arbeitsplatz zugewiesen werden kann, dessen Aufgaben er nach seiner körperlichen und geistigen Verfassung zu erfüllen imstande ist und der ihm mit Rücksicht auf seine persönlichen, familiären und sozialen Verhältnisse billigerweise zugemutet werden kann.

Diese Regelung entspricht im wesentlichen den Bestimmungen des § 14 Abs. 1 und 3 BDG 1979 in der Fassung vor dem BGBl. Nr. 820/1995. Es kann daher die Rechtsprechung zu dieser Bestimmung herangezogen werden.

Demnach ist die Dienstunfähigkeit - wie die belangte Behörde im übrigen in der Begründung des angefochtenen Bescheides ohnehin ausgeführt hat - ein Rechtsbegriff; die Beurteilung obliegt der Dienstbehörde auf Grund ärztlicher Sachverständigengutachten. Der Beamte ist dienstunfähig, wenn er infolge seiner körperlichen oder geistigen Verfassung seine dienstlichen Aufgaben nicht erfüllen kann (medizinischer Aspekt) und kein mindestens gleichwertiger Arbeitsplatz im Bereich seiner Dienstbehörde vorhanden ist, dessen Aufgabe der Beamte erfüllen und dessen Ausübung ihm billigerweise zugemutet werden kann (Vergleichsaspekt) (siehe Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 1991, Zl. 90/12/0272).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muß ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund besteht in der Angabe der tatsächlichen Grundlagen, auf denen das Gutachten aufbaut, und der Art, wie sie beschafft wurden. Mit anderen Worten: Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlußfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen beschafft wurden, erkennen läßt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht. Der Sachverständige muß also, damit eine Schlüssigkeitsprüfung seines Gutachtens vorgenommen werden kann, auch darlegen, auf welchem Weg er zu seinen Schlußfolgerungen gekommen ist. Sind andere Gutachten oder Befunde Bestandteile des Sachverständigengutachtens geworden, so müssen sie insoweit den eben dargestellten Anforderungen entsprechen, die an ein Sachverständigengutachten zu stellen sind (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 1992, Zl. 90/12/0140).

Das bedeutet für den Beschwerdefall, daß DIE BEHÖRDE zunächst auf Grundlage von mängelfreien und schlüssigen ärztlichen Gutachten die Frage zu beantworten hat, ob der Beamte unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustandes zur Ausübung seines Arbeitsplatzes fähig ist oder nicht. Ist die Dienstfähigkeit, bezogen auf den bisher innegehabten Arbeitsplatz, nicht mehr gegeben, so ist weiters ausgehend von der verbliebenen Restarbeitsfähigkeit zu prüfen, ob ihm kein mindestens gleichwertiger Arbeitsplatz zugewiesen werden kann, dessen Aufgaben der Beamte noch erfüllen kann und dessen Ausübung ihm im Hinblick auf seine persönlichen, familiären und sozialen Verhältnisse billigerweise zumutbar ist.

Diesen Anforderungen entspricht der angefochtene Bescheid nicht.

Das in der Begründung genannte arbeitsmedizinische "Gutachten" Dris. W. vom 16. März 1995 beschränkt sich bloß auf die wertende Aussage, daß der Beschwerdeführer dienstfähig sei. Zu einer solchen Aussage ist der Gutachter aber gar nicht zuständig. Im übrigen wird dieses Schreiben den vorher dargelegten Anforderungen an ein Gutachten in keiner Weise gerecht. Aus dem orthopädischen Gutachten Dris. P., das auszugsweise in der Begründung wiedergegeben wird, ergibt sich, daß der Beschwerdeführer verschiedentlich doch gesundheitlich beeinträchtigt ist, wobei gewisse Änderungen gegenüber dem Gutachten vom 22. April 1993 nicht auszuschließen sind. Die belangte Behörde meint, daß beide Gutachter die Dienstfähigkeit des Beschwerdeführers - wozu diese aber, wie vorher dargelegt, gar nicht zuständig wären - festgestellt hätten. Sie trifft in der primär entscheidenden Frage der Dienstfähigkeit des Beschwerdeführers als Kraftwagenlenker selbst keine klare Aussage in der Weise, daß sie die beruflichen Anforderungen an den Beschwerdeführer und seinen Gesundheitszustand zueinander in Beziehung setzt, sondern sie unterstellt dem Beschwerdeführer - ohne nähere Angaben - Arbeitsunlust. Trotzdem wird der Beschwerdeführer - wie der Begründung des angefochtenen Bescheides zu entnehmen ist - nur mehr im Innendienst und nicht mehr als Kraftwagenlenker verwendet, was offensichtlich eine Änderung seiner Verwendung darstellt, ohne daß sich die belangte Behörde in irgendeiner Weise mit der diesbezüglich maßgeblichen Frage der Gleichwertigkeit und der Zumutbarkeit auseinandergesetzt hätte.

Solcherart hat die belangte Behörde - offensichtlich von einer falschen Rechtsauffassung ausgehend - nur mangelhafte bzw. gar keine entscheidenden Erhebungen und Feststellungen getroffen; der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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