Normen
ASVG §101;
ASVG §354;
ASVG §355;
ASVG §409;
ASVG §413 Abs1;
ASVG §101;
ASVG §354;
ASVG §355;
ASVG §409;
ASVG §413 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit rechtskräftigem Bescheid vom 26. November 1991 anerkannte die mitbeteiligte Partei den Unfall, den der Beschwerdeführer am 10. Mai 1991 im Betrieb seines (damaligen) Dienstgebers, eines Viehhändlers, erlitt, als Arbeitsunfall gemäß § 175 Abs. 1 AlVG und stellte fest, daß er durch diesen Unfall nachstehende Verletzungen erlitten habe: "Geschlossener Bruch mit Eindellung des linken äußeren Schienbeinkopfes, Verletzung des inneren Seitenbandes des linken Kniegelenkes". Gemäß den §§ 195, 203 bis 207 in Verbindung mit § 252 ASVG gebühre ihm vom 2. September 1991 bis auf weiteres eine Versehrtenrente in der Höhe von 20 % der Vollrente, das seien monatlich S 1.247,90. Nach der Bescheidbegründung seien für die Entschädigung nachstehende, ärztlich festgestellte Verletzungsfolgen des Arbeitsunfalles maßgebend: "Geringe Innenbandlockerung, Verschmächtigung der Beinmuskulatur, geringe Kraftverminderung des Beines sowie Gangbehinderung und subjektive Beschwerden."
Am 18. Mai 1992 beantragte der Beschwerdeführer gemäß § 101 ASVG die Gewährung einer höheren Versehrtenrente mit folgender Begründung: Infolge ständiger Schmerzen in der Hüfte sei am 27. Februar 1992 sein Becken geröntgt und dabei festgestellt worden, daß "die Hüfte abgestorben" sei, weil die Durchblutung nicht funktioniert habe. Am 13. März 1992 sei daher die notwendige Operation der Hüfte vorgenommen worden. Sein Krankenhausaufenthalt habe bis 26. März 1992 gedauert. Er könne nur mit Krücken gehen und müsse laufend zur Nachkontrolle. Aufgrund dieses Sachverhaltes ersuche er um Abänderung des ursprünglichen Bescheides und Richtigstellung unter Berücksichtigung des tatsächlichen Ausmaßes der Minderung der Erwerbsfähigkeit. Dem Antrag legte er die Fotokopie einer Ambulanz-Karte des Krankenhauses Zwettl bei, in der als Diagnose "idiopathische Hüftkopfnekrose links (Stadium III)" angeführt ist.
Die mitbeteiligte Partei ersuchte daraufhin das Krankenhaus Zwettl um die Übermittlung der Krankengeschichte. Zugleich mit ihr wurde vom Krankenhaus Zwettl auch die Fotokopie eines Briefes des Primarius Dr. W an den behandelnden Arzt des Beschwerdeführers Dr. Y vom 26. März 1992 übermittelt. Darin wird die Dauer des stationären Aufenthaltes des Beschwerdeführers mit "1.3. bis 3.3.92 und 10.3. bis 26.3.92" und als Diagnose die schon in der genannten Ambulanz-Karte aufscheinende angeführt. Unter der Überschrift "Befunde" findet sich der Satz: "Der erhobene Befund entspricht einer älteren Hüftkopfnekrose mit Infraktion".
Dr. K von der chefärztlichen Station der mitbeteiligten Partei äußerte sich am 12. Juni 1992 zu der ihm gestellten Frage, ob die idiopathische Hüftkopfnekrose links Stadium III auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sei oder ob es sich dabei um ein anlagebedingtes, schon länger bestehendes Leiden handle, dahin, daß "die idiopathische Hüftkopfnekrose ... ein schicksalhaftes, länger vorbestehendes Leiden" darstelle.
Daraufhin lehnte die mitbeteiligte Partei den Antrag des Beschwerdeführers vom 20. Mai 1992 mit Bescheid vom 1. Juli 1992 mit der Begründung ab, daß, ausgehend von der ärztlichen Stellungnahme vom 12. Juni 1992, die Voraussetzungen des § 101 ASVG nicht vorlägen.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Einspruch. Darin und in weiteren Schriftsätzen während des Einspruchsverfahrens brachte er (soweit dies im vorliegenden Beschwerdeverfahren noch von Bedeutung ist) Nachstehendes vor: Da er seit seinem Arbeitsunfall ständig Schmerzen in der Hüfte verspürt habe, sei sein Becken am 27. Februar 1992 geröntgt und dabei festgestellt worden, daß infolge mangelnder Durchblutung eine idiopathische Hüftkopfnekrose aufgetreten sei. Deshalb habe er sich am 13. März 1992 einer Operation der Hüfte unterziehen müssen und könne seitdem nur mehr mit Krücken gehen. Die Hüftkopfnekrose und deren Folgen seien eine Folge seines Arbeitsunfalles vom 10. Mai 1991. Da ihm dieser Umstand vor der Rechtskraft des Bescheides vom 26. November 1991 nicht bekannt gewesen sei, habe er einen Antrag nach § 101 ASVG gestellt. Bei Anerkennung der idiopathischen Hüftkopfnekrose und deren Folgen als Unfallfolgen wäre seine Versehrtenrente wesentlich höher zu bemessen. Daß die mitbeteiligte Partei das Leiden nicht als Unfallfolge anerkenne, sondern auf ein anlagebedingtes Leiden zurückführe und dies als Grundlage für die Ablehnung seines Antrages heranziehe, beruhe auf einem neuerlichen Irrtum. Die mitbeteiligte Partei hätte im Hinblick auf die Verwendung der Bezeichnung "ältere Hüftkopfnekrose" im obgenannten Schreiben zumindest Dr. W dahingehend befragen müssen, was er unter einer älteren Hüftkopfnekrose verstehe und ob dies eine Folge des Arbeitsunfalles vom 10. Mai 1991 sein könne. Ohne diese erforderliche Abklärung liege jedenfalls eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor. Zum Beweis dafür, daß die idiopathische Hüftkopfnekrose und deren Folgen Folgen seines Arbeitsunfalles vom 10. Mai 1991 seien und somit sein Antrag zu Unrecht abgelehnt worden sei, beantrage er die Erstellung eines Gutachtens aus dem Fach der Unfallchirurgie.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und bestätigte den bekämpften Bescheid. Begründet wurde dieser Bescheid letztlich damit, daß die Unrichtigkeit der ärztlichen Beurteilung vom 12. Juni 1992 "später nicht - insbesondere auch nicht im gegenständlichen Verfahren - nachgewiesen" worden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, primär Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.
Mit Erkenntnis vom 11. Mai 1993, Zl. 93/08/0018, hob der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde mit der Begründung auf, daß die belangte Behörde im vorliegenden Fall über eine Leistungssache im Sinne des § 354 ASVG entschieden habe, zu der sie nicht zuständig gewesen sei.
Daraufhin wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 28. Juni 1993 den Einspruch gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurück.
Mit Erkenntnis vom 29. September 1994, K I-7/93-12, sprach der Verfassungsgerichtshof über den Antrag des Beschwerdeführers auf Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes zwischen dem Obersten Gerichtshof als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen (Beschluß vom 24. November 1992, Zl. 10 Ob S 279/92) und dem Landeshauptmann von Niederösterreich (Bescheid vom 28. Juni 1993) gemäß Art. 138 Abs. 1 lit. a B-VG und § 46 Abs. 1 VerfGG 1953 (unter Hinweis auf sein Erkenntnis vom 25. Juni 1994, K I-5/93-8, in dem die Zuständigkeit des Landeshauptmannes zur Entscheidung über den Einspruch gegen einen Bescheid nach § 101 ASVG bejaht wurde) aus, daß die belangte Behörde zur Entscheidung über den Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der mitbeteiligten Partei zuständig sei, und hob den entgegenstehenden Bescheid der belangten Behörde vom 28. Juni 1993 und das ihm zugrundeliegende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Mai 1993 auf.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 101 ASVG ist dann, wenn sich nachträglich ergibt, daß eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen.
Nach dem zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25. Juni 1994 ist die Entscheidung, daß der gesetzliche Zustand wegen eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens herzustellen ist, eine Verwaltungssache, die Herstellung dieses Zustandes selbst hingegen eine Leistungssache. Demgemäß hat sich der mit Einspruch angerufene Landeshauptmann auf die Frage der Zulässigkeit der Herstellung des gesetzlichen Zustandes (die auch dann zu verneinen sei, wenn kein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt und kein offenkundiges Versehen vorliege) zu beschränken und dem Sozialversicherungsträger bejahendenfalls die Herstellung, und das heißt, die Erlassung eines neuen Leistungsbescheides, aufzutragen.
Ob die mitbeteiligte Partei, wie der Beschwerdeführer schon im Verwaltungsverfahren behauptete, die Versehrtenrente infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt zu niedrig bemessen hat, hängt - sachverhaltsbezogen - davon ab, ob die erstmals im Februar 1992 festgestellte idiopathische Hüftkopfnekrose eine Folge des Arbeitsunfalles des Beschwerdeführers vom 10. Mai 1991 ist und - bejahendenfalls - ob sie zumindest schon im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides der mitbeteiligten Partei vom 26. November 1991 bestand und hätte festgestellt werden können.
Die belangte Behörde hat - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - schon die erste Frage unter Hinweis auf die Stellungnahme der chefärztlichen Station der mitbeteiligten Partei, deren Unrichtigkeit (offenbar vom Beschwerdeführer) "später nicht ... nachgewiesen" worden sei, verneint. Dabei verkennt sie aber, daß auch im gegenständlichen Verfahren keine (über die aus den §§ 37, 39 Abs. 2 AVG abgeleitete Mitwirkungspflicht hinausgehende) Beweislast des Versicherten besteht (vgl. allgemein zur Abgrenzung der Mitwirkungspflicht von der "Nachweispflicht" das Erkenntnis vom 21. März 1995 Zl. 93/08/0098, mit weiteren Judikaturhinweisen). Die belangte Behörde hätte daher - entsprechend ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht - unter Bedachtnahme darauf, daß die Stellungnahme der chefärztlichen Station der mitbeteiligten Partei nicht den Anforderungen entsprochen hat, die an Sachverständigengutachten zu stellen sind (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 12. Dezember 1995, Zl. 94/08/0015, mit weiteren Judikaturhinweisen), zur Ermöglichung einer Klärung der obgenannten Fragen ein (vom Beschwerdeführer im übrigen ausdrücklich beantragtes) Sachverständigengutachten einholen müssen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994. Das Kostenmehrbegehren war im Hinblick auf die bestehende sachliche Abgabenfreiheit (§ 110 Abs. 1 Z. 2 ASVG) abzuweisen.
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