VwGH 93/08/0018

VwGH93/08/001811.5.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des G in T, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 10. Dezember 1992, Zl. VII/2-5320/5-1992, betreffend Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG (mitbeteiligte Partei: Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in Wien), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §101;
ASVG §354 Z1;
ASVG §354;
ASVG §355;
ASVG §412;
ASVG §101;
ASVG §354 Z1;
ASVG §354;
ASVG §355;
ASVG §412;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit rechtskräftigem Bescheid der mitbeteiligten Partei vom 26. November 1991 wurde der Unfall des Beschwerdeführers vom 10. Mai 1991 als Arbeitsunfall anerkannt und ihm ab 2. September 1991 bis auf weiteres eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß vom 20 % der Vollrente zugesprochen.

Am 20. Mai 1992 beantragte der Beschwerdeführer die Herstellung des gesetzlichen Zustandes nach § 101 ASVG durch Neufeststellung der ihm für die Folgen des Unfalles vom 10. Mai 1991 gewährten Versehrtenrente mit der Begründung, daß eine inzwischen aufgetretene idiopathische Hüftnekrose eine Folge seines Arbeitsunfalles vom 10. Mai 1991 sei.

Diesen Antrag lehnte die mitbeteiligte Partei mit Bescheid vom 1. Juli 1992 mit der Begründung ab, daß laut fachärztlicher Stellungnahme die idiopathische Hüftnekrose nicht Folge des Arbeitsunfalles vom 10. Mai 1991 sei, sondern auf ein anlagebedingtes Leiden zurückzuführen sei. Nach dieser neuerlichen Überprüfung der Sachlage habe daher das Vorliegen der Voraussetzungen des § 101 ASVG nicht festgestellt werden können.

Den vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Einspruch wies die belangte Behörde aus den Gründen des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und bestätigte den bekämpften Bescheid.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Juni 1992, Zl. 89/08/0264, unter anderem die Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend macht. Daran ändere es nichts, daß der Oberste Gerichtshof mit Beschluß vom 24. November 1992, 10 Ob S 279/92, in derselben Rechtssache entschieden habe, daß es sich hiebei um keine Leistungs-, sondern um eine Verwaltungssache handle, und daher eine gerichtliche Klage unzulässig sei.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 101 ASVG in der Fassung des Art. I Z. 52 der 9. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 13/1962, lautet:

"Ergibt sich nachträglich, daß eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, so ist mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen."

Gemäß § 354 Z. 1 ASVG sind (unter anderem) Leistungssachen jene Angelegenheiten, in denen es sich um die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung einschließlich einer Feststellung nach § 367 Abs. 1, soweit nicht hiebei die Versicherungszugehörigkeit (§§ 13 bis 15), die Versicherungszuständigkeit (§§ 26 bis 30), die Leistungszugehörigkeit (§ 245) oder die Leistungszuständigkeit (§ 246) in Frage steht, handelt.

Gemäß § 355 ASVG sind alle nicht gemäß § 354 als Leistungssachen geltenden Angelegenheiten, für die nach § 352 die Bestimmungen dieses Teiles gelten, Verwaltungssachen.

Die Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG wurde von der Rechtsprechung grundsätzlich als ein Begehren auf "Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung" angesehen und damit den LEISTUNGSSACHEN im Sinne des § 354 ASVG zugeordnet, und zwar unabhängig davon, ob eine stattgebende oder eine den Anspruch auf Richtigstellung verneinende Entscheidung getroffen wurde.

Die vom OGH in seinen Beschlüssen vom 20. Juni 1989, 10 Ob S 21/88 (=SSV-NF 3/117) und 10 Ob S 235/88, in diesem Zusammenhang ins Treffen geführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes, in denen das Vorliegen einer VERWALTUNGSSACHE und damit die Zuständigkeit des Landeshauptmannes als Einspruchsbehörde bejaht wurde, beziehen sich auf die verfahrensrechtliche Frage der Zulässigkeit des Richtigstellungsantrages: Wurde die Zulässigkeit des Antrages nach § 101 ASVG verneint und der Antrag damit zurückgewiesen, so wurde eine der eigentlichen Leistungssache vorgelagerte rein verfahrensrechtliche Hauptfrage entschieden, die den Verwaltungssachen im Sinne des § 355 ASVG zuzurechnen ist. Demgegenüber handelt es sich bei der - auch im Beschwerdefall vorliegenden - Frage der Begründetheit des Antrages um die Frage des "Ob" eines Anspruches und damit um eine Leistungssache im Sinne des § 354 ASVG.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem (vom Beschwerdeführer zitierten) Erkenntnis vom 16. Juni 1992, Zl. 89/08/0264, ausführlich dargelegt hat, hält er an seiner Rechtsauffassung fest, daß zwar gegen Bescheide des Versicherungsträgers, mit denen die Unzulässigkeit eines Antrages nach § 101 ASVG ausgesprochen wurde, gemäß § 355 ASVG in Verbindung mit § 412 ASVG der Verwaltungsweg durch Einspruch an den Landeshauptmann eröffnet ist, Bescheide hingegen, mit denen im Sinne der Unbegründetheit des Antrages erkannt wird, zu den Leistungssachen im Sinne des § 354 Z. 1 ASVG gehören, gegen die Klage gemäß § 65 Abs. 1 ASGG zu erheben ist (vgl. auch die Erkenntnisse vom 16. März 1993, Zl. 91/08/0062 und ZL. 91/08/0079).

Aufgrund dieser Erwägungen ergibt sich, daß die belangte Behörde im vorliegenden Fall über eine Leistungssache entschieden hat, zu der sie nicht zuständig war.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

Der Beschwerdeführer wird auf die Möglichkeit einer Anrufung des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art. 138 Abs. 1 B-VG verwiesen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Das Kostenmehrbegehren war im Hinblick auf die bestehende sachliche Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) abzuweisen.

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