VwGH 95/20/0043

VwGH95/20/004319.12.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des H in S, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. Dezember 1994, Zl. 4.345.491/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §11;
AsylG 1991 §16;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnB;
FlKonv Art33;
FlKonv Art43;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1991 §11;
AsylG 1991 §16;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnB;
FlKonv Art33;
FlKonv Art43;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtenen Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. Dezember 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, der am 3. November 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 28. November 1994 den Asylantrag gestellt hatte, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. Dezember 1994 abgewiesen und damit die Gewährung von Asyl versagt.

In der Begründung führte die belangte Behörde nach Darstellung allgemein gehaltener rechtlicher Erwägungen aus:

"Das Vorliegen ihrer Flüchtlingseigenschaft wurde von der erkennenden Behörde gründlich geprüft, mußte aber verneint werden und konnte schon deshalb kein Asyl gewährt werden". In weiterer Folge setzt sich die Bescheidbegründung lediglich noch mit dem von der belangten Behörde angenommenen Asylausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 auseinander, wonach der Beschwerdeführer vor seiner Einreise nach Österreich bereits in Bulgarien, Rumänien und Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen sei. Der Beschwerdeführer hätte nach Auffassung der belangten Behörde in den angeführten Ländern einen Asylantrag stellen können und wäre entgegen seinen Berufungsausführungen dort vor Verfolgung sicher gewesen. Gemäß den Aussagen des Beschwerdeführers anläßlich seiner Vernehmung vor dem Bundesasylamt habe dieser sich drei Wochen in Rumänien aufgehalten. Nichts spreche dafür, daß Bulgarien, Rumänien oder Ungarn ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen, die auf ein spezielles Refoulementverbot hinausliefen, zuwidergehandelt hätten. Der Bestreitung der schon vom Bundesasylamt angenommenen Verfolgungssicherheit in Ungarn durch den Beschwerdeführer hielt die belangte Behörde ein von ihr zitiertes, im Akt allerdings nicht aufliegendes Gutachten des UNHCR vom 4. Juli 1994 gegenüber dem deutschen Bundesverfassungsgericht entgegen, wonach ungeachtet des von Ungarn erklärten geographischen Vorbehalts auf in Europa lebende Asylwerber ein faktischer Abschiebungsschutz auch für außereuropäische Flüchtlinge bestünde. Auf die Berufungsausführungen, wonach Bulgarien, Rumänien und Ungarn keine Gewähr böten, daß das in der Genfer Flüchtlingskonvention normierte Refoulementverbot beachtet würde, und die in diesem Zusammenhang gelegte Stellungnahme des UNHCR vom 28. März 1994 betreffend die Verfolgungssicherheit in Rumänien bzw. vom 25. März 1994 betreffend die Verfolgungssicherheit nichteuropäischer Flüchtlinge in Ungarn antwortete die belangte Behörde damit, daß diese Ausführungen zu "unsubstantiiert" und nicht mit "entsprechenden Fakten untermauert" wären. Entscheidend sei, daß ein Staat einem Flüchtling faktischen Schutz biete, er also nicht in den Verfolgerstaat zurückgeschoben werde, sodaß der Frage, ob ein förmliches Asylverfahren bestehe oder nicht, keine maßgebliche Bedeutung zukomme.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muß in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrundegelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachte.

Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid insoweit nicht gerecht, als dieser ohne nähere Darlegung davon ausgeht, daß dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukomme. Dazu findet sich im angefochtenen Bescheid lediglich der Hinweis, daß die Frage der Flüchtlingseigenschaft von der belangten Behörde "gründlich geprüft" wurde, diese jedoch zu verneinen sei. Damit erweist sich die Bescheidbegründung in Bezug auf die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers als eine inhaltsleere Floskel, der weder Sachverhaltsfeststellungen noch irgendeine argumentative Auseinandersetzung mit dem in der Berufungsschrift vorgetragenen Standpunkt zugrunde liegt. Nach dem Inhalt des vorliegenden Bescheides hat die belangte Behörde auch nicht die Feststellungen und rechtlichen Ausführungen des Bundesasylamtes übernommen; die Schlußfolgerung im angefochtenen Bescheid bleibt somit schlechthin unüberprüfbar.

Trotz Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft wäre jedoch für dem Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, wenn einer der Ausschlußgründe des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 vorläge, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war.

Zur Frage der Verfolgungssicherheit verwies die belangte Behörde im Ergebnis darauf, daß es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, konkrete Anhaltspunkte dafür zu liefern, daß Rumänien und Bulgarien die aus ihrer Mitgliedschaft bei der Genfer Flüchtlingskonvention resultierenden Verpflichtung zur Beachtung des Refoulementverbotes verletzten. Auch den vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren gelegten Stellungnahmen des UNHCR betreffend die Verfolgungssicherheit in Rumänien und Ungarn könnten keine diesbezüglichen "konkreten Fakten" (offensichtlich gemeint namentlich bekannte Fälle) entnommen werden.

Dazu ist zunächst auf die zahlreichen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, in welchen dargelegt wurde, daß die Mitwirkungspflicht einer Partei nicht soweit geht, daß sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Verfahren ersparen könnte, zu dessen Durchführung sie (hier gemäß § 11 und § 16 Asylgesetz 1991 iVm dem § 39, 40 und 60 AVG) verpflichtet ist (vgl. als Beispiel für viele das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1995, Zl. 94/20/0397, und die dort angegebene Judikatur). Der Mitwirkungspflicht kommt dort Bedeutung zu, wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden. Dies trifft - wie der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat - auf die im allgemeinen in Rumänien, Bulgarien und Ungarn beobachtete Vorgangsweise betreffend den Schutz von Flüchtlingen vor Rückschiebung in ihren Heimatstaat nicht zu. Bei ihrer Argumentation übersieht die belangte Behörde weiters, daß sie sich zur Stützung ihrer Annahme der Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Ungarn ebenfalls einer ebenso generellen Stellungnahme des UNHCR bedient. Der Beschwerdeführer ist seiner Pflicht zur Mitwirkung im Verwaltungsverfahren vielmehr dadurch nachgekommen, daß er in Bestreitung der Annahme der Verfolgungssicherheit in den angeführten Ländern die auch von der belangten Behörde zitierten Dossiers des UNHCR vorgelegt hat. Es kann dem einzelnen Beschwerdeführer nicht zugemutet werden, konkrete Fälle von Verletzungen des Refoulementverbotes nachzuweisen, ganz davon abgesehen, daß auch die belangte Behörde ihrerseits dem Inhalt der vorgelegten UNHCR-Dossiers nur Vermutungen entgegensetzt.

Was die von der belangten Behörde angenommene Verfolgungssicherheit in Ungarn anlangt, ist überdies darauf zu verweisen, daß Ungarn seine Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention auf Ereignisse beschränkt hat, die in Europa - und nur dort - eintreten. Insoweit die belangte Behörde eine Stellungnahme des UNHCR vom 4. Juli 1994 gegenüber dem deutschen Bundesverfassungsgericht zitiert und darauf die Annahme der Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Ungarn zu stützen sucht, rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Parteiengehörs zu Recht, ganz davon abgesehen, daß eine derartige Stellungnahme im Akt nicht aufzufinden ist. Wendet sich daher der Beschwerdeführer gegen die Annahme der Verfolgungssicherheit in Ungarn mit der Behauptung, wäre ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt worden, hätte er allenfalls selbst weitere Ermittlungen vornehmen lassen können, was zum Ergebnis geführt hätte, daß es sich auch bei Ungarn nicht um ein sicheres Drittland handle, verstößt dieses Vorbringen nicht gegen das gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich geltende Neuerungsverbot.

Da die belangte Behörde dadurch, daß sie den angefochtenen Bescheid ohne Vorliegen von - unter dem Blickwinkel der Beschwerdeausführungen - entsprechenden Ergebnissen eines unter Wahrung des Parteiengehörs durchgeführten Ermittlungsverfahrens erlassen hat, in wesentlichen Punkten eine der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglichen Sachverhaltsfeststellung überhaupt unterlassen hat, hat sie diesen mit entscheidungsrelevaten Verfahrensmängeln belastet.

Die in der Beschwerde erhobenen verfassungsmäßigen Bedenken gegen die Bestimmung des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 werden vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt, sodaß der Anregung, diese Norm einer Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof zuzuführen, nicht nachzukommen ist.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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