VwGH 95/08/0002

VwGH95/08/00025.9.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Möslinger-Gehmayr, über die Beschwerde des K in G, vertreten durch Dr. C, RA, gegen den auf Grund des Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Kärnten vom 23. November 1994, Zl. IVa 2/7022/B, betreffend Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld gemäß § 10 AlVG, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13a;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §13a;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.710,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Den im Arbeitslosengeldbezug stehenden Beschwerdeführer wurde am 12. Juli 1994 vom Arbeitsamt St. Veit an der Glan eine Beschäftigung als Elektriker bei der I.-GmbH in K mit Arbeitsbeginn am 15. Juli 1994 zugewiesen.

Einer mit dem Beschwerdeführer vor dem Arbeitsamt aufgenommenen Niederschrift vom 26. Juli 1994 zufolge kam das Beschäftigungsverhältnis nicht zustande, weil "es Schichtarbeit ist" und der Beschwerdeführer keine Möglichkeit habe, zum Arbeitsort zu kommen. Es stehe ihm kein PKW zur Verfügung, weil diesen seine Ehegattin, die in St. Veit an der Glan arbeite und unterschiedliche Arbeitszeiten habe, benötige. Außerdem sei sein Wohnort (G.) laut seinem Gespräch mit Herrn K zu weit entfernt. Ansonsten habe er keine berücksichtigungswürdigen Umstände vorzubringen.

Mit Bescheid des Arbeitsamtes vom 10. August 1994 wurde ausgesprochen, daß der Beschwerdeführer gemäß § 10 AlVG den Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 15. Juli bis 11. August 1994 verloren habe; eine Nachsicht werde nicht erteilt. Begründend wurde ausgeführt, daß der Beschwerdeführer nicht bereit gewesen sei, eine ihm vom Arbeitsamt angebotene zumutbare Beschäftigung anzunehmen. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wandte der Beschwerdeführer ein, das Verfahren sei insofern mangelhaft geblieben, als die erstinstanzliche Behörde nicht erhoben habe, ob im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 AlVG über die Zumutbarkeit der angebotenen Arbeit gegeben gewesen sei. Insbesondere sei der Beschwerdeführer und auch jenes Unternehmen, in dem er seine Arbeit hätte antreten können, nicht darüber befragt worden, ob eine Unterkunftsmöglichkeit des Beschwerdeführers in Klagenfurt gegeben gewesen wäre. Das sei nicht der Fall gewesen. Das Unternehmen der I.-GmbH befinde sich im Industriegebiet von Klagenfurt in der Nähe der Südumfahrung. Der Beschwerdeführer wohne jedoch in G. Er sei daher auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen. Allein auf Grund des Standortes des Unternehmens der I.-GmbH sei es nicht möglich, es mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Zudem habe ihm der Geschäftsführer der I.-GmbH, dessen Vernehmung er zum Beweis seines Vorbringens beantrage, anläßlich des Vorstellungsgespräches mitgeteilt, daß das Unternehmen im Schichtbetrieb arbeite, was natürlich die Arbeitszeit des Beschwerdeführers bestimmt hätte. Eine An- und Abreisemöglichkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Nachtzeit existiere aber schon gar nicht. Darüber hinaus habe ihm der Geschäftsführer mitgeteilt, daß der Beschwerdeführer als Betriebselektriker im Falle eines Bandstillstandes zur allfälligen Störungsbeseitigung abrufbereit sein müsse und von ihm auch erwartet werde, im Notfall schnellstmöglich zu erscheinen. Auch dies hätte der Beschwerdeführer unmöglich bewerkstelligen können. Der Vorwurf der Arbeitsunwilligkeit bestehe daher nicht zu Recht.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den bekämpften Bescheid. In der Bescheidbegründung wird dem Berufungseinwand, der Beschwerdeführer hätte den Standort des Unternehmens nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln rechtzeitig erreichen können, entgegengehalten, daß zwei Fahrtmöglichkeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, und zwar mit einer Ankunft in Klagenfurt um

7.25 Uhr und einer anderen um 6.50 Uhr, zur Verfügung stünden. Laut telefonischer Auskunft der Stadtwerke Klagenfurt bestünden sicherlich ungünstige Busverbindungen zum Standort des Unternehmens der I.-GmbH, er sei jedoch nur ca. 500 bis 600 m Luftlinie vom Hauptbahnhof Klagenfurt entfernt. Der daraus resultierende Fußweg in der Dauer von ca. 15 Minuten erscheine durchaus zumutbar. Da der Beschwerdeführer laut telefonischer Auskunft der Bezirkshauptmannschaft St. Veit an der Glan auch im Besitz eines Zweirades sei, wäre es ihm sicher auch möglich gewesen, die Strecke von seinem Wohnort G. nach L. (den Beginn der zweiten Fahrtmöglichkeit) leicht zu bewältigen. Die Klärung einer allfälligen Unterkunftsmöglichkeit in Klagenfurt sei daher nicht erforderlich gewesen. Zum Vorwurf, daß das Unternehmen im Schichtbetrieb arbeite, werde festgestellt, daß der dem Beschwerdeführer angebotene Arbeitsplatz als Elektriker davon nicht betroffen sei. Die Arbeitszeit für die angebotene Beschäftigung hätte von 7.30 Uhr bis 16.30 Uhr gedauert. Fallweise wäre eventuell eine Stunde länger zu arbeiten gewesen. Der Hinweis des Beschwerdeführers, daß er zu einer allfälligen Störungsbeseitigung jederzeit hätte abrufbereit sein müssen, sei laut Telefonat mit dem Betriebsleiter K von der I.-GmbH falsch, weil er nur tagsüber hätte arbeiten müssen. Da sich somit der Beschwerdeführer zu Unrecht geweigert habe, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 10 Abs. 1 AlVG verliert der Arbeitslose unter anderem dann, wenn er sich weigert, eine ihm vom Arbeitsamt zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden vier Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Die Zumutbarkeit einer zugewiesenen Beschäftigung ist nach § 9 Abs. 2 bis 5 AlVG zu prüfen.

Nach der im Beschwerdefall relevanten Bestimmung des § 9 Abs. 3 AlVG ist eine Beschäftigung außerhalb des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Arbeitslosen zumutbar, wenn hiedurch die Versorgung seiner Familienangehörigen, zu deren Unterhalt er verpflichtet ist, nicht gefährdet wird und am Ort der Beschäftigung, wenn eine tägliche Rückkehr an den Wohnort nicht möglich ist, entsprechende Unterkunftsmöglichkeiten bestehen.

Der Beschwerdeführer wendet gegen die Feststellungen der belangten Behörde, aus denen sie in rechtlicher Hinsicht die Zumutbarkeit der dem Beschwerdeführer zugewiesenen Beschäftigung nach § 9 Abs. 3 AlVG (ohne Klärungsbedürftigkeit von Unterkunftmöglichkeiten in Klagenfurt) ableitet, folgendes ein: Einerseits stütze sich die belangte Behörde auf ein Telefonat mit dem Betriebsleiter K, ohne die dazu nach dem Berufungsvorbringen im Widerspruch stehende Mitteilung des Geschäftsführers der I.-GmbH durch Rückfrage beim Geschäftsführer aufgeklärt und dieses Telefonat dem Beschwerdeführer vor der Bescheiderlassung zur Gegenäußerung zwecks Wahrung und Geltendmachung seiner Rechte vorgehalten zu haben. Der Beschwerdeführer sei auf Grund der genannten Mitteilung des Geschäftsführers davon ausgegangen, daß er notfalls zu jeder Tag- und Nachtzeit zur Behebung von Störungen abrufbereit sein müsse. Es sei ihm nicht bekannt gewesen, daß er lediglich tagsüber hätte arbeiten müssen. Aber auch wenn die tägliche Arbeitszeit von 7.30 Uhr bis 16.30 Uhr gedauert hätte, so sei es andererseits - unter Zugrundelegung der festgestellten Anfahrtsmöglichkeiten des Beschwerdeführers mit öffentlichen Verkehrsmitteln - offensichtlich, daß die erste Anfahrtsmöglichkeit mit einer Ankunft in Klagenfurt um 7.25 Uhr und einem Fußmarsch zum Unternehmen der I.-GmbH von 15 Minuten einen Beginn der Beschäftigung um 7.30 Uhr ausgeschlossen hätte. Die zweite festgestellte Anfahrtsmöglichkeit mit einer Ankunft in Klagenfurt um 6.50 Uhr wäre aber an der Entfernung zwischen dem Wohnort des Beschwerdeführers in G. und der Abfahrtsstelle in L. gescheitert, die zu Fuß beinahe eine Stunde erfordere. Der Hinweis der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführer auch im Besitz eines Zweirades sei, könne wohl nicht greifen, wenn man bedenke, daß die Benützung eines Zweirades bei Regen oder im Winter nicht zumutbar sei, weil diese Strecke ein starkes Gefälle aufweise. Es erscheine daher unmöglich, daß der Beschwerdeführer die ihm angebotene Arbeit (auch unter Zuhilfenahme öffentlicher Verkehrsmittel) hätte rechtzeitig antreten können. Überraschenderweise habe sich die belangte Behörde aber nur mit der Erreichbarkeit des Unternehmens der I.-GmbH, nicht aber mit der Möglichkeit einer täglichen Rückkehr des Beschwerdeführers an seinen Wohnort befaßt, obwohl es nach § 9 Abs. 3 AlVG nicht auf die Erreichbarkeit, sondern auf die Möglichkeit der täglichen Rückkehr an den Wohnort ankomme.

Schon dem erstgenannten Einwand kommt Berechtigung zu. Denn dadurch, daß die belangte Behörde die telefonische Auskunft des Betriebsleiters K, die mit den Berufungsausführungen über die Mitteilungen des Geschäftsführers der I.-GmbH in Widerspruch stehen (daß beide Personen ident seien, wird auch von der belangten Behörde in der Gegenschrift nicht behauptet), hat sie gegen die ihr nach den §§ 37, 39 Abs. 2 und 45 Abs. 3 AVG obliegenden verfahrensrechtlichen Verpflichtungen zuwidergehandelt: Mit dem darin (u.a.) verankerten Verfahrensgrundsatz des Parteiengehörs ist nicht nur (aber auch) gemeint, daß den Parteien im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG Gelegenheit gegeben wird, vom "Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen", sondern daß ihnen ganz allgemein (und nicht nur im Beweisverfahren selbst) im Sinne des § 37 AVG ermöglicht wird, ihre Rechte und rechtlichen Interessen geltend zu machen, d.h. Vorbringen auch zu gegnerischen Behauptungen zu erstatten, Beweisanträge zu stellen und überhaupt die Streitsache zu erörtern. Das Parteiengehör im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG ist ausdrücklich, in förmlicher Weise ungeschmälert und amtswegig, unter Einräumung einer angemessenen Frist und unter Beachtung des § 13a AVG zu gewähren (vgl. dazu Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts5, S. 104 f, 128 f, jeweils mit ausführlichen Judikaturhinweisen; Ringhofer, Die Österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I, Anm. 4 zu § 37, Anm. 5 zu § 45; Erkenntnis vom 18. April 1989, Zl. 88/08/0020).

Das verkennt die belangte Behörde, wenn sie dazu in der Gegenschrift meint, es sei für sie angesichts des Inhalts des Telefonats mit dem Betriebsleiter K nicht nachzuvollziehen, weshalb der Beschwerdeführer davon ausgegangen sei, er hätte notfalls zu jeder Tag- und Nachtzeit zur Behebung von Störungen abrufbereit sein müssen. Deshalb habe es für die belangte Behörde auch keine Widersprüchlichkeit des genannten Inhalts gegeben. Der in Rede stehende Sachverhalt habe vielmehr von Anfang an zweifelsfrei festgestellt werden können.

Sollte dieses Vorbringen aber dahin zu verstehen sein, die belangte Behörde wäre auch bei Gewährung des Parteiengehörs an den Beschwerdeführer und nach Durchführung der beantragten Vernehmung des Geschäftsführers der I.-GmbH im Hinblick auf den Inhalt des Telefonats mit dem Betriebsleiter K zu keinem anderen Ergebnis gekommen, so läge darin eine unzulässige vorgreifende Beweiswürdigung (vgl. dazu Walter-Mayer, Grundriß5, S. 124; Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze I, Anm. 4 zu § 45).

Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde schon bei Einhaltung dieser Verfahrensvorschriften zu einem anderen Ergebnis (nämlich zur Unzumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung) gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne daß auf die weiteren Beschwerdeeinwände eingegangen zu werden brauchte. Mit ihnen wird sich die belangte Behörde aber im fortzusetzenden Verfahren zu befassen haben. Dabei wird allenfalls auch zu prüfen sein, ob erstens, wie der Beschwerdeführer behauptet, tatsächlich seine Ehegattin den PKW berufsbedingt (im Hinblick auf die für sie maßgeblichen Verkehrsverbindungen) dringender benötigte als der Beschwerdeführer, bejahendenfalls, ob nicht zweitens der Beschwerdeführer zumindest im Wege einer Fahrgemeinschaft mit seiner Ehegattin unter Mitberücksichtigung der öffentlichen Verkehrsverbindungen in zumutbarer Weise zum Betrieb und wieder zurück zum Wohnort hätte gelangen können.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.

Das Kostenmehrbegehren auf Ersatz der vom pauschalierten Schriftsatzaufwand errechneten 20 %igen Mehrwertsteuer war abzuweisen, weil an Schriftsatzaufwand gemäß § 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG nach § 49 Abs. 1 leg. cit. nur der in der obgenannten Verordnung festgesetzte Pauschbetrag gebührt.

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